Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

„Eine Ganztagsschule ergänzt den Unterricht an mindestens vier Tagen der Woche um ein Förder- und Freizeitangebot.“

In Ihrem Erlass, Herr Busemann, machen Sie unter Ziffer 8.2 dagegen lediglich ein ganztagsspezifisches Nachmittagsangebot an mindestens drei Tagen pro Woche zur Bedingung für die Genehmigung einer Ganztagsschule. Um zu erkennen, dass das nicht zusammenpassen kann, muss man wahrlich kein Jurist sein.

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um Kleinigkeiten, es geht um die Rechtsgrundlage für die Verteilung von knapp 400 Millionen Euro an Bundesmitteln. Herr Busemann, auch wenn Sie den Ausbau zur Ganztagsschule zunächst nicht wollten und erst auf den Geschmack gekommen sind, als Sie gemerkt haben, dass Ihnen das Verteilen der Bundesmittel positive Schlagzeilen bringt: Solche Fehler hätten Ihnen nicht passieren dürfen! - Herr Busemann, dass Sie kein Pädagoge sind, das wissen Sie besser als ich.

(Reinhold Coenen [CDU]: Na, na, na!)

Aber als gelernter Jurist sollten Sie doch mindestens Erlasse auf die Reihe kriegen, die Ihnen hinterher nicht um die Ohren fliegen, weil sie rechtswidrig sind. Beim Ganztagsschulerlass ist Ihnen das offensichtlich nicht gelungen.

Herr Busemann, spätestens als der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages Ihnen im Dezember 2005 klipp und klar dargelegt hat, dass Sie reihenweise rechtswidrige Genehmigungen erteilt haben, hätten Sie Ihren Fehler eingestehen und für rechtmäßige Verhältnisse sorgen müssen. Da haben Sie sich herausgeredet. Lieber haben Sie versucht, sich mit juristischen Winkelzügen über die Runden zu retten. Es sei rechtlich alles in Ordnung, wollten Sie uns glauben machen. Das Ganztagsangebot könne ja auch an drei Nachmittagen und an einem Vormittag stattfinden, so haben Sie noch am 27. Januar auf meine Klei

ne Anfrage geantwortet. Es sei kein Handlungsbedarf, hieß es da.

Meine Damen und Herren, dass diese Interpretation völlig daneben ist, liegt auf der Hand. Eine Schule wird doch erst dadurch zur Ganztagsschule, dass nachmittags etwas stattfindet. Alles andere ist absurd. Mit etwas mehr Mut, Herr Minister Busemann, hätten Sie sich diese Blamage erspart. Mit seinem Vermerk vom 31. Januar 2006 hat Ihnen der Gesetzgebungsund Beratungsdienst noch einmal unmissverständlich dargelegt, dass Ihre seltsame Interpretation vom Ganztagsangebot am Vormittag rechtlich völlig unhaltbar ist.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Im Kultusausschuss wurde uns am 10. Februar mitgeteilt, Sie hätten drei Prüfaufträge erteilt. Meine Damen und Herren, was sich der Kultusminister da leistet, ist schon ein starkes Stück. Aber Herr Klare und Frau Körtner versuchen, ihn noch zu toppen. Uns eine bewusste Verunsicherung der Öffentlichkeit vorzuwerfen, wie Sie es mit Ihrer Pressemitteilung vom 10. Februar versucht haben, schlägt dem Fass den Boden aus. Frau Körtner - Herr Klare ist leider nicht da -, Sie sind genauso wie ich als Abgeordnete dazu da, die Regierung mit zu kontrollieren, und nicht dazu da, als Claqueure der Landesregierung diejenigen zu diffamieren,

(Reinhold Coenen [CDU]: He, he, he!)

die nicht mehr und nicht weniger fordern, als dass sich der Minister an Recht und Gesetz hält.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist kein akademischer Streit, wie Sie meinen. Hier geht es um dreistellige Millionensummen, um Steuergelder, es geht um Rechtssicherheit für die Schulen. Sollen sie sich jetzt an das Schulgesetz oder an den Erlass des Ministers halten? - Die Schulen sind tatsächlich zum Teil verunsichert, aber nicht durch uns, sondern dadurch, dass ihr Kultusminister rechtswidrige Erlasse schreibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es kann niemandem in diesem Parlament egal sein, dass die Landesregierung ein erhebliches Prozessrisiko eingeht, wenn Gesetz und Erlass nicht übereinstimmen. Viele Schulen werden die Mittel, die sie aus dem Ganztagsprogramm der alten Bundesregierung beantragt haben, nicht bekommen, weil nichts

mehr da ist; denn Herr Busemann hat die Gelder sehr großzügig verteilt. Diese Schulen bzw. ihre Schulträger könnten vor Gericht geltend machen, dass sie nicht leer ausgegangen wären, wenn keine rechtswidrigen Genehmigungen erteilt worden wären.

Meine Damen und Herren, was wir mit unserem Antrag einfordern, ist eigentlich selbstverständlich, nämlich nicht mehr und nicht weniger, als dass sich der Minister an geltendes Recht hält und die Genehmigung von Ganztagsschulen auf eine Rechtsgrundlage stellt, die mit dem Schulgesetz übereinstimmt. Darüber kann es eigentlich überhaupt keinen Streit geben. Für jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten muss das eine Selbstverständlichkeit sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten zu Recht von den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, dass sie sich an geltende Gesetze halten. Wenn die Landesregierung für sich in Anspruch nimmt, das nicht zu müssen, wenn sie über Monate hinweg laviert und Unklarheiten zulässt, um ihre Fehler nicht eingestehen zu müssen, dann ist das der Anfang vom Ende des Rechtsstaates.

Herr Buseman, Sie erinnern sich?

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Volke und dem Lande widmen,“

(Zurufe von der CDU: Oh!)

- ich weiß gar nicht., was es bei dem Amtseid zu brüllen gibt, Herr Coenen

(Reinhold Coenen [CDU]: Sie brau- chen ihn nicht zu belehren! - Bernd Althusmann [CDU]: Das haben Joschka Fischer und Herr Trittin auch gesagt!)

„das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

(Bernd Althusmann [CDU]: Herr Trittin hat sich sogar auf die Gleise gesetzt! So viel zum Verfassungsbruch!)

Herr Busemann, Sie haben vor diesem Hause den Amtseid auf Verfassung und Gesetze abgelegt. Wir erwarten, dass Sie sich auch daran halten. Ich beantrage deshalb für meine Fraktion sofortige Abstimmung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Eckel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bürger und Bürgerinnen müssen sich auf die Rechtmäßigkeit politischen Handelns verlassen können, Schulen und Kommunen müssen sich auf die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Kultusministeriums verlassen können. Das hohe Gut der Rechtssicherheit, Herr Minister, darf nicht gefährdet werden.

Im September 2005 hat die SPD-Fraktion zum ersten Mal auf den Widerspruch zwischen dem Niedersächsischen Schulgesetz und dem Ganztagsschulerlass aufmerksam gemacht, der durch die Richtlinie zur Vergabe der IZBB-Mittel zutage trat. Sie haben damals unsere Einwände einfach vom Tisch gewischt. Der GBD gab uns Recht. Auch als das von uns angeforderte GBD-Gutachten vorlag, blieben Sie dabei: Kein Handlungsbedarf, die formalen Entscheidungsgrundlagen seien korrekt. - Wenn Sie uns nicht glauben, Herr Minister, müssen Sie aber doch die Expertisen des GBD ernst nehmen.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Mit der Idee, dass bei den nach Ziffer 8.2 genehmigten Ganztagsschulen der vierte Nachmittag am Vormittag liegen könne, was das MK auch noch vom GBD überprüfen ließ, zeigten sich erste Anzeichen von Einsicht, wenn auch unter der Überschrift „absurdes Theater“. In der letzten Sitzung des Kultusausschusses beharrte das Ministerium zwar immer noch auf seinem Rechtsstandpunkt und bestritt jede Rechtsunklarheit, aber sah nun endlich doch Handlungsbedarf. Es sollen, so wurde gesagt, im Augenblick keine Genehmigungen nach Ziffer 8.2 erfolgen. Im Kultusministerium sollen drei Optionen geprüft werden, um - und das ist für meine Fraktion die wichtigste Aussage - abso

lute Rechtssicherheit herzustellen. Ein halbes Jahr hat es gedauert, um diese Aussage zu erreichen. Im Unrecht aber fühlen Sie sich immer noch nicht. Was ist wichtiger: das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Rechtmäßigkeit des Regierungshandelns zu erhalten oder mit Rechthaberei durchzukommen?

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, der Sie noch einmal auffordert, Ihre Genehmigungspraxis auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wir unterstützen diesen Antrag. Sie müssen eigentlich nur das bestätigen, was im Kultusausschuss bereits angekündigt wurde.

Die CDU-Fraktion hat uns vorgeworfen, Unruhe in die Schulen zu bringen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das stimmt!)

Das ist wirklich der Gipfel der Unverfrorenheit. Frau Körtner, Herr Klare, Sie haben die Unruhe in den Schulen gemeinsam mit dem Kultusministerium zu verantworten.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Hans-Christian Biallas [CDU]: Quatsch!)

Diese Unruhe gab es, bevor wir die Sondersitzung im September beantragt hatten. Sie war doch der Grund für diese außerordentliche Sitzung des Kultusausschusses. Die Unruhe gab und gibt es wegen der ungleichen Verteilung der IZBB-Mittel im Land, wegen der Unklarheiten, die das Windhundverfahren mit sich bringt, und wegen des langen Wartens auf die zugesagten Mittel. Es gibt und gab vor allem Unruhe, weil ein Ganztagsschulmodell „Light“ entstand, das nur selten etwas mit der Ganztagsschule zu tun hat, die durch die IZBBMittel gefördert werden soll, nämlich eine Ganztagsschule, die die individuelle Förderung besser organisiert und die sich ergänzende Theorie- und Praxisanteile über den Tag verteilt. Sie verteilen das Ganztagsschuletikett und erwarten, dass Lehrer und Lehrerinnen und die Kommunen vor Ort es richten, ohne vom Land einen Cent dazuzubekommen.

Herr Busemann, die Debatte über die Ganztagsschule ist nicht ausgestanden, solange sich daran nichts ändert. Die SPD-Fraktion unterstützt den Antrag der Grünen auf sofortige Abstimmung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun die Abgeordnete Körtner das Wort.

(Unruhe)

Frau Körtner, einen Augenblick bitte; es geht nicht von Ihrer Redezeit ab. - Meine Damen und Herren, ich habe die Rednerin Frau Körtner aufgerufen und keinen anderen. Wer weiter reden will, der sollte aus dem Saal gehen, und dann würde er uns nicht stören. In der Lobby ist noch Platz.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kultusausschuss hat sich am 20. Januar und am 10. Februar mit der Bewilligungspraxis bei Ganztagsschulen vor dem Hintergrund des Gutachtens des Gesetzgebungsund Beratungsdienstes vom 9. Dezember 2005 befasst.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Der Vertreter des Kultusministeriums hat in beiden Sitzungen sehr gut, sehr ausführlich, sehr verständlich, und zwar für jeden verständlich, vorgetragen.

(Zuruf von der SPD: Völlig falsch!)

Es ist sachgerecht diskutiert worden, und in der Sitzung am 10. Februar ist es auch zu einem Konsens zwischen der Auslegung durch den GBD und durch das Kultusministerium gekommen.

(Zuruf von der SPD: Was? In welcher Sitzung waren Sie denn?)