Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gehe davon aus, Sie alle haben Kenntnis von dem Brief von Zuschauern erhalten, die das Parlament beobachtet und auch kritisiert haben. Vielleicht halten Sie sich jetzt daran. Ich habe Verständnis dafür, dass einige auch Hunger haben.
(Heidrun Merk [SPD]: Darum geht es doch gar nicht! - Heinrich Aller [SPD]: Das ist doch gar nicht der Punkt!)
Warten Sie es ab. Ich habe nicht umsonst gesagt: Das Schulgesetz ist das Gesetz, das in das Landesparlament gehört. Deswegen lassen Sie es uns diskutieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen jetzt ja nicht mehr allzu viele Minuten debattieren. Nachdem wir seit mehreren Jahren über die Schule in Niedersachsen diskutieren, sollten Sie diese Geduld, meine ich, vor der Mittagspause noch aufbringen.
Ich möchte mich eigentlich nur zu zwei Punkten äußern und den Minister da aus meiner Sicht korrigieren.
Herr Minister, Sie haben meiner Fraktion vorgeworfen, wir wollten das finnische Schulsystem auf Niedersachsen übertragen. Nun haben wir Sie ja in der letzten bzw. in dieser Woche in die Sauna gesteckt, um unsere Ideen tatsächlich noch einmal zu beleuchten. Wir wären aber missverstanden worden, wenn Sie jetzt sagen, Niedersachsen soll Finnland werden.
Wir könnten genauso gut über die Schweiz reden, wir könnten über Frankreich reden, wir könnten über Schweden reden, wir könnten über England reden, also über viele der Länder, die seit vielen Jahren, eigentlich schon immer, ein anderes Schulsystem haben als die Bundesrepublik. Warum sind wir von Finnland so begeistert? - Mich hat in den vielen Vorträgen und Unterlagen, die ich nach PISA durchgesehen habe, eines fasziniert, nämlich dass als Erklärung für dieses völlig andere Schul
wesen in Finnland immer wieder geliefert wird, dass unter den Finnen die Idee der Egalité - die von Ihnen hier in den schulpolitischen Debatten immer negativ angesprochen wird - eine ganz große Rolle spielt. In Finnland - einem Land, das ärmer als die Bundesrepublik ist - spielt der Anspruch, dass jedes Kind gleich zu behandeln ist, eine sehr große Rolle. Deshalb geht es in den finnischen Schulen sehr oft ganz anders zu. Wenn ein Kind Probleme hat, dann wird es nicht abgeschult, sondern es wird von Anfang an geguckt: Warum hat dieses Kind Probleme? - Frau Freymann von der Universität Hildesheim - übrigens eine Finnin - hat uns neulich noch einmal dargelegt, wie viel Personal rund um die Lehrerinnen und Lehrer für Schülerinnen und Schüler zur Verfügung gestellt wird, dass Krankenschwestern, Psychologen und Sozialarbeiter von Anfang an ein Auge auf alle Kinder haben, weil - so sagt Frau Freymann - die Finnen nicht an den Weihnachtsmann glauben. Die Finnen glauben nicht, dass es allen Kindern zu Hause gut geht. Deshalb werden zuerst die Probleme der Kinder geklärt, bevor man Kinder z. B. abschult.
Das kostet sehr viel Geld, Herr Busemann. Da haben Sie Recht. Wir sind der Meinung, dass dann, wenn man zusätzliches Geld in die Schulen steckt, die Erfahrungen, die in anderen Ländern rund um Schule gemacht werden, eine Rolle spielen sollten. Wir sind ausdrücklich der Meinung, dass die Ungerechtigkeiten, die im deutschen Schulsystem immer wieder reproduziert werden, nur dann beendet werden können, wenn man sich auch viel mehr um die Kinder kümmert, die schwach sind, die aus schwachen Elternhäusern kommen und die bisher - da haben Sie ausdrücklich Recht - auch in Niedersachsen nicht optimal gefördert worden sind.
Ich will Ihnen in einem zweiten Punkt widersprechen. Ich glaube nicht, dass Sie hier heute mit der Einbringung dieses Gesetzes neue Schulgeschichte geschrieben haben, wie Sie es gesagt haben.
- Entschuldigung, Herr McAllister: mit der Verabschiedung des Gesetzes. Wir sind weiter. Aber es stand ja schon lange fest, was heute passieren würde.
Ich glaube im Gegenteil, dass Sie mit diesem Gesetz Geschichte einfach fortschreiben. Die ideologische Diskussion wird, so wie sie geführt wird, in der Bundesrepublik seit den 50er-Jahren geführt, und es ist nie geglückt, diese ideologische Diskussion aufzubrechen. Sie gehen in Ihrem Lager jetzt zurück in die 50er-Jahre und machen das, was Sie seit den 50er-Jahren fast ununterbrochen vertreten haben.
Sie scheuen weiterhin davor zurück, sich an den Ländern und den Systemen zu orientieren, die die Kinder im Durchschnitt und in der Spitze viel erfolgreicher durch die Schule bringen.
Eines muss man nach diesen Jahren des Stillstandes - auch zwischen uns hier im Hause - doch anmerken: Sigmar Gabriel und die Sozialdemokratie haben es Ihnen nicht schwer gemacht, diese Schulpolitik zu praktizieren, sondern Sie können jetzt an das, was in Niedersachsen in den letzten Jahren diskutiert worden ist, nahtlos anknüpfen und zu diesem selektiven Schulsystem zurückkehren. Ich meine, Sie können sich bei Sigmar Gabriel dafür bedanken, dass das so leicht ist, in dieses alte Schulwesen zurückzukehren.
Aber ob Sie, Herr Busemann, tatsächlich Geschichte schreiben, werden wir vielleicht in fünf Jahren noch einmal diskutieren. Dazu, ob es gut für die Kinder ist, sage ich Ihnen: Darauf werden wir als Grünen-Landtagsfraktion von Stund an achten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Harms, ich nehme zuerst Ihre Wortmeldung auf.
Herr Klare, warten Sie bitte. - Meine Damen und Herren, ich habe das Verständnis, dass das Parlament dann, wenn die Landesregierung ihre Redezeit um das Vierfache überschritten hat, auch das Recht hat, entsprechend lange zu debattieren. Herr Klare, Sie haben das Wort.
- Meine Damen und Herren, darf ich um Aufmerksamkeit bitten? Vielleicht brauche ich die fünf Minuten gar nicht, und vielleicht kann ich das schneller machen.
Frau Harms, bei allem Respekt auch vor Ihren grundsätzlichen Aussagen, die Sie hier gemacht haben, man kann hin und her diskutieren und auch fragen, ob man Modelle aus anderen Ländern übernimmt; der Minister hat dazu etwas gesagt. Aber ich frage Sie allen Ernstes: Überall da, wo Sie mitregieren, haben wir die gleichen Verhältnisse wie hier, und Sie haben niemals und nirgends den Versuch unternommen, das, was Sie hier theoretisch aufbauen, irgendwo in die Praxis umzusetzen, und zwar weil es so nicht umsetzbar ist. Das ist die Wahrheit.
Frau Harms, über PISA zu reden, heißt nicht, dass die anderen die Studien nicht gelesen haben. PISA war nie ein Problem von Kenntnissen unserer Schüler, sondern PISA ist ein Problem von der Anwendung von Wissen unserer Schüler. Deswegen ist eine Übertragung oder irgendein Rückschluss auf irgendein Schulsystem falsch, unlauter und darf nicht gemacht werden.
In Finnland haben 97 % aller Schulen weniger als 60 Kinder, 50 % davon davon weniger als 50 Kinder, meine Damen und Herren.
Sie haben eine Schulausstattung hin zum gegliederten Schulsystem. Sie haben dort zwar ein gemeinsames System der Schuljahrgänge von 1 bis 7 und bis 9, aber sie haben gleichzeitig ein Angebot für besonders qualifizierte Schüler, und sie haben gleichzeitig ein Angebot für das besonders spezialbegabte Schülerinnen und Schüler.
- Eben nicht. - Sie haben dort auch ein gegliedertes Schulsystem mit großen Wahlmöglichkeiten und einem ganz scharfen Zentralabitur, das Sie hier ablehnen.
Was die Ausstattung anbetrifft: eine Schulleiterin, ein Schulleiter, Klassenlehrer, Fachlehrer, Gesundheitsfürsorgerin, Kuratorium - also eine Sozialpädagogin -, eine Psychologin und ein Speziallehrer, insgesamt eine Zahl von Beratern. Auf der einen Seite stellen Sie hier Haushaltsanträge und kürzen immer weiter - ich glaube, 14 Millionen im Personalbereich -, und auf der anderen Seite erklären Sie, dass Sie den finnischen Verhältnissen ähnelnde Verhältnisse auf Deutschland übertragen wollen. Das ist nicht ehrlich, und das ist keine vernünftige Auseinandersetzung.
Meine Damen und Herren, das geht auch an die SPD: Was mich wirklich aufregt, ist das Gerede von Selektion nach der 4. Klasse. Meine Damen und Herren, Selektion ist ein Begriff, der in der pädagogischen Auseinandersetzung nichts zu tun hat. Das ist ein Kampfbegriff, der nützt niemandem, der schadet nur.
Ich bin gern bereit, darüber zu reden, wann man differenziert. Wir haben uns für die Zeit nach dem 4. Schuljahr entschieden, weil die Begabungsbreiten ab dem neunten Lebensjahr - das wissen Sie aus der Entwicklungspsychologie - so weit auseinander gehen. Das DIPF-Gutachten, das Sie in Auftrag gegeben haben, hat doch bestätigt, dass inte
grativer Unterricht in der 5. und 6. Klasse zulasten der Schwächsten und zulasten der Stärksten geht.
Herr Jüttner, die Kritik an Bayern oder BadenWürttemberg fand ich eher lächerlich. Wenn Bayern und Baden-Württemberg in der Studie nicht berücksichtigt worden wären, sondern nur Niedersachsen, Bremen und andere sozialdemokratisch regierte Länder, dann wären wir nach unten gezogen worden. Diese Länder haben uns gerade auf dem Mittelplatz gehalten, weil sie eben besser sind als wir. Deswegen orientieren wir uns an den besten.