Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Janssen-Kucz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Niedersachsen kamen in den letzten Jahren neben den vereinzelt auftretenden Masernfällen auch Masernausbrüche vor. Im Bereich Leer/Emden waren 2002 die Masernausbrüche nicht harmlos, sondern sie bedrohten die körperliche und geistige Gesundheit von sehr vielen Kindern. Das war 2002.

Aber das Ausbruchsgeschehen im Landkreis Leer hatte schon 2001 begonnen. Damals wurden 80 Masernfälle gemeldet. Im Jahre 2002 stieg dann die Zahl von 80 Masernfällen auf 438 an. Das waren über die Hälfte der niedersächsischen Masernfälle nur im Landkreis Leer. Von dort aus verbreiteten sich die Masern rasant nach Norden in die Stadt Emden, in den Landkreis Aurich sowie nach Süden Richtung Cloppenburg und ins Emsland, teilweise nur über Besuch. Das ging rasend schnell.

Was war eigentlich der Grund? - Im Landkreis Leer war die Durchimpfungsquote auf unter 60 % gesunken. Das bedeutete, dass fast die Hälfte der Kinder keinen Impfschutz hatten. Eine Epidemie ist aber eben nur bei einer Durchimpfungsquote von 95 % auszuschließen. Davon war und ist der Landkreis Leer immer noch weit entfernt, auch wenn die Zahl der Impfungen durch verstärkte Aufklärung jetzt ansteigt.

Daher ist es mehr als notwendig, die Bedrohung der Kindergesundheit zu dezimieren und weiter verstärkt Aufklärungsarbeit gerade bei den Masernimpfungen voranzutreiben. Wir als GrüneFraktion halten von daher die Punkte in dem Antrag für richtig, die darauf zielen, neben dem Impfstatus auch die Rahmendaten zu erheben, um eine vollständige Übersicht zu haben.

Ebenso sinnvoll ist es, nicht nachzulassen in dem Bestreben, möglichst intensive Aufklärungsarbeit unter Einbeziehung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der Kinderärzte und -ärztinnen zu betrei

ben. Aufklärung über Masern, Krankheitsverlauf und mögliche bleibende Schäden sind dabei genauso wichtig wie die Darstellung der Notwendigkeit der Zweitimpfung. Notwendig ist es aber auch, über die Folgen von eventuellen Impfschäden zu informieren. Dort herrschen sehr viele Ängste auch bei Eltern vor.

Sehr eigenartig fand ich aber in der Begründung Ihres Antrags den Hinweis auf ideologische Vorbehalte der Eltern bei Kindern in Wohngemeinschaftseinrichtungen. Das haben Sie wohl nicht ganz Ernst gemeint.

(Dorothea Steiner lacht)

Sind damit Wohngemeinschaften aus der Zeit der Kommune 1 gemeint? Geht es hier um Asylbewerber im Gemeinschaftslager Bramsche? Oder meinen Sie, wie von Herrn Professor Windorfer im Zeitungsartikel in der Hannoverschen Allgemeinen zu lesen, die Freien Waldorfschulen? Ich finde, das ist ein schlechter Stil, der hier nichts zu suchen hat, wenn es darum geht, eine sachliche, seriöse Debatte zu führen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist seit langem bekannt, dass die Anthroposophie grundsätzlich Vorbehalte auch gegen Impfungen dieser Art hat. Diese Einstellung sollte respektiert werden. Sie sollte nicht in dieser Art und Weise vorgeführt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und dann, meine Damen und Herren, gibt es da noch die Nr. 3 a Ihres Antrags. Darin fordern die Regierungsfraktionen ihre eigene Landesregierung auf, ein Konzept zu entwickeln, das eine möglichst flächendeckende Einbeziehung der Kindergärten sicherstellt. Dieser Gedanke, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist völlig richtig. Aber das hätten wir doch ganz einfach haben können, nämlich als wir im März das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst auf den Weg gebracht haben: Wir haben zusammen mit der SPD noch einen Änderungsantrag eingebracht, aber Sie haben ihn abgelehnt. Damit haben Sie die Chance vertan, ein zukunftsweisendes präventiv wirkendes ÖGD-Gesetz auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und heute stellen Sie sich hier nun hin und fordern von Ihrer Landesregierung ein Konzept, um möglichst alle Kindergartenkinder zu fördern. Dabei wäre es doch so einfach gewesen! Wir wollten die verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen und die Teilnahme von Kita-Kindern an ärztlichen Untersuchungen festschreiben - Sie wollten es nicht. So bleibt das leider im luftleeren Raum, und Sie müssen jetzt flickschustern, Sie müssen der Regierung den Auftrag erteilen, sich ein Konzept auszudenken.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wer sollte das denn bezahlen?)

- Wir waren uns darüber einig, dass das eigentlich gar nichts kosten muss, lieber Kollege Böhlke. Gucken Sie sich noch einmal die Unterlagen zu der Beratung an! Das ÖGD-Gesetz tritt erst am 1. Januar 2007 in Kraft. Wir könnten es durchaus noch einmal aus der Schublade holen und diesen Passus einfügen. Das wäre doch sinnvoll.

Meine Damen und Herren, wir sehen bei Ihrem Antrag noch Änderungsbedarf. Im Grundsatz stimmen wir ihm zu, aber bestimmte Formulierungen müssten aus unserer Sicht gestrichen werden. Vielleicht sollten wir uns tatsächlich noch einmal das ÖGD-Gesetz vornehmen, um den Kindern wirklich gesundheitliche Prävention zukommen zu lassen. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Prüssner hat zu Recht auf die Zeitungsberichterstattung über die Entwicklung der Zahlen allein von gestern bis heute hingewiesen. Der Präsident des Landesgesundheitsamtes, Professor Windorfer, befürchtet laut Presseberichterstattung von gestern den Ausbruch einer Epidemie.

Die Beurteilung bzw. Diagnose, die die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag vorgenommen haben, und auch das, was Frau Prüssner hier vorgetragen hat, sind nach meiner Auffassung zutreffend und werden auch von niemandem bestritten. Die Konsequenzen, die die Koalitionsfraktionen in ihrem

Antrag vorschlagen, sind allerdings halbherzig und im Prinzip nur ein Ablenkungsmanöver.

CDU und FDP weisen in der Einleitung ihres Antrags darauf hin, dass das Niedersächsische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst, das zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt, die Verpflichtung enthält, dass Landkreise und kreisfreie Städte auf die Erhöhung der Impfquote für öffentlich empfohlene Schutzimpfungen hinwirken müssen. - Und was ist, wenn sie es nicht machen? Dann passiert eben nichts!

Die Weltgesundheitsorganisation hält bei den Zielgruppen des Antrags eine Impfquote von 95 % für erforderlich. Der Sozialausschuss war gerade in Schweden und Finnland. In Finnland konnten wir feststellen, dass in den dortigen staatlichen Familien- und Gesundheitszentren diese Impfquote auf freiwilliger Basis erreicht wird, und zwar durch den öffentlichen Gesundheitsdienst und durch eine ganz intensive aufsuchende Hilfe. - Von solchen Zuständen sind wir meilenweit entfernt.

Unter Nr. 1 Ihres Antrages fordern Sie, dass die Institutionen, die in Niedersachsen die Schuleingangsuntersuchungen durchführen, zugleich den Impfstatus erheben. Dagegen ist nichts einzuwenden, das ist okay, nur gibt es dadurch keine einzige Impfung mehr. Viel schlimmer ist, dass die Koalitionsfraktionen und die Frau Ministerin zwar flächendeckende Schuleingangsuntersuchungen versprochen, diesen Passus jedoch vor der Verabschiedung des Gesetzes wieder gestrichen haben. Sie haben im Rahmen der Gesetzesberatung jede Konkretisierung an dieser Stelle abgelehnt.

Und: Wenn meine Informationen stimmen, sind Sie in der aktuellen Beratung der Schulgesetznovelle erneut auf diesem Trip. Auch dort wollen Sie die Schuleingangsuntersuchungen nicht normieren.

Meine Damen und Herren, einen flächendeckenden Impfschutz erreichen Sie nur, wenn Sie flächendeckende Schuleingangsuntersuchungen vorschreiben. So lange Sie das nicht machen, bescheinigen Sie sich mit Ihrem Antrag selbst, wie fahrlässig Sie bei der Verabschiedung des ÖGDGesetzes gehandelt haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer es mit vorbeugender Kindergesundheit ernst meint, der muss jetzt dafür sorgen, dass das Instrument der standardisierten Schuleingangsunter

suchungen im Schulgesetz verpflichtend festgeschrieben wird. Nur im Rahmen solcher Untersuchungen hat man die Chance, durch intensive Gespräche die Impfquote deutlich zu erhöhen. Schreiben Sie das nicht fest, ist alles, was Sie hier vorlegen, nur weiße Salbe.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unter Nr. 2 Ihres Antrages fordern Sie, die Kinderund Jugendärzte und die Behörden des kommunalen öffentlichen Gesundheitsdienstes zu motivieren, ihre Anstrengungen zu verstärken und konsequent die Eltern auf die Bedeutung der zweiten Masernimpfung hinzuweisen. - Ich finde das toll, und zwar deshalb, weil die von Ihnen hier angesprochenen Ärzte exakt die Fachärzte sind, die bei der Beratung des ÖGD-Gesetzs deutlich darauf hingewiesen haben, was in Niedersachsen gemacht werden muss, um die Kindergesundheit zu verbessern. Diese Vorschläge haben Sie konsequent ignoriert. Also: Erst haben Sie die Ärzte demotiviert, und nun wollen Sie sie wieder motivieren, damit sie das machen, was Sie sich nun vorstellen.

Richtig ist: Je niedriger das Bildungsniveau, desto geringer die Impfquote, vor allem bei Migrationsfamilien. Mithin kommen Sie unter Nr. 3 Ihres Antrages zu der Forderung - Frau Janssen-Kucz hat schon darauf hingewiesen -, dass man eine frühere Komplettierung der Impfungen durch eine möglichst flächendeckende Einbeziehung der Kindergärten erreichen sollte. - Das ist nun wirklich ein Treppenwitz! Genau das war nämlich der gemeinsame Vorschlag, den der GBD uns ausformuliert hat und an den ich noch einmal erinnere:

„Die Landkreise und kreisfreien Städte können Kinder in Kindertagesstätten zur Teilnahme an ärztlichen Untersuchungen verpflichten.“

Lieber Norbert Böhlke, diese Formulierung hätte die Konnexität ausgeschlossen; das wissen Sie ganz genau. Sie sind an dieser Stelle im letzten Moment umgefallen. Deshalb finde ich das, was Sie uns heute vorlegen, relativ unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unter Nr. 4 Ihres Antrages fordern Sie, die im Impfreport des Landesgesundheitsamtes geführte Rangliste mit den jeweiligen Durchimpfungsquoten

der Kommunen auf der Homepage des Sozialministeriums vorzustellen. - Na, toll! Erstens wird das schon lange gemacht, zweitens macht das das Landesgesundheitsamt auch, und drittens wird dadurch kein einziges Kind mehr geimpft.

Unter Nr. 5 Ihres Antrags fordern Sie, in Gesprächen für eine regelmäßige Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie für Angehörige anderer Berufe im Gesundheitswesen, z. B. Hebammen, zu werben. - Meine Damen und Herren, für die regelmäßige Fortbildung der Ärzte ist nicht die Landesregierung zuständig, sondern die Ärztekammer. Insofern kann man das zwar fordern, aber nachher nicht zur Verantwortung gezogen werden. Anders sieht es bei den Hebammen aus. Das von Frau Dr. Trauernicht eingeführte Modell der Familienhebammen, das von allen hier im Haus regelmäßig und zu Recht gelobt wird, läuft Ende dieses Jahres aus. Frau von der Leyen propagiert dieses Modell jetzt auf Bundesebene. Wir alle wissen, dass Familienhebammen zurzeit fast die Einzigen sind, die Problemfamilien noch erreichen. Deshalb stellen Sie bitte endlich klar, ob und wie dieses wichtige Projekt im Jahr 2007 weitergeführt wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, da, wo der Landesgesetzgeber hinsichtlich der Bedeutung der Kindergesundheit hätte Zeichen setzen können, haben Sie entweder nicht gehandelt oder sind leider im letzten Moment eingeknickt. Ich weiß nicht, ob die Verantwortlichen in den Koalitionsfraktionen sich wirklich darüber im Klaren sind, welchen Bärendienst sie damit den Kindern erwiesen haben.

Das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst tritt zum 1. Januar 2007 in Kraft. Wenn Sie in der Sache wirklich etwas erreichen wollen, ist noch Zeit genug, das Gesetz im Sinne Ihres Antrages zu ändern. Ich garantiere Ihnen: Die Unterstützung der SPD-Fraktion haben Sie dafür. Tun Sie das aber nicht, hat dieser Antrag lediglich Alibifunktion und wirkt im Prinzip nicht mehr als ein Eimer voller Baldrian.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Kinder müssen uns mehr wert sein. Deshalb meine herzliche Bitte: Beschließen Sie hier keinen Antrag mit Schall und Rauch, sondern lassen Sie uns das Gesetz noch einmal gemeinsam anpacken! Dann hat es Sinn und Verstand, und wir können gemeinsam genau

das umsetzen, was wir schon vor drei Monaten abgesprochen hatten, bevor Sie weggekippt sind.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Riese das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es ausgesprochen schade, dass der Kollege Schwarz anhand eines Antrags wie diesem, über dessen Ziele wir uns doch absolut einig sind, versucht, die gesamte Gesundheitspolitik des Landes Niedersachsen von Neuem auf den Prüfstand zu stellen.