Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb haben wir heute gemeinsam mit der Fraktion der Grünen in der Drucksache 2974 einen Änderungsantrag vorgelegt, aus dem Sie entnehmen können, dass für uns einige Essentials bei einer solchen Beschlussfassung unverzichtbar sind.

Wir stellen fest, dass die bisher in Niedersachsen geübte Praxis, die ein gut gemeinter Kompromiss war - wir waren auch sehr zuversichtlich, dass man sich an die Absprachen hält; aber in der Praxis wurde immer wieder an Einzelfällen deutlich, dass die Absprachen für die bisherige Härtefallberatung für den Petitionsausschuss nicht so gehandhabt wurden, wie es ursprünglich verhandelt wurde -, dringend verbesserungsbedürftig ist. Sie steht für uns auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer entsprechenden bundeseinheitlichen Altfallregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge, da ohne eine solche Altfallregelung allein mit den Möglichkeiten einer Härtefallkommission den vielen Schicksalen und Betroffenen im Lande nicht sachgerecht entsprochen werden kann.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind außerdem der Auffassung, dass es nicht nur einen Blankoscheck-Beschluss geben darf, sondern dass wir auch vorgeben müssen, wie eine solche Härtefallkommission besetzt ist, wer das Vorschlagsrecht hat und wie dort das Verfahren geregelt wird, dass man Familien nicht der Sippenhaft oder Kollektivbestrafung unterziehen kann, wenn einzelne Familienmitglieder Kriterien möglicherweise nicht erfüllt haben. Deswegen sagen wir - die Kolleginnen und Kollegen in der Mitte hier im Hause, die mir gegenüber sitzen, sollten einmal ernsthaft überlegen, ob sie das nicht mittragen wollen -, dass für eine Härtefallkommission mindestens die Rahmenbedingungen gelten müssen, die Sie in Rheinland-Pfalz als Rahmenbedingungen mit formuliert haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sagen: Es muss eine Verordnung erlassen werden, die im Wesentlichen den Kriterien der Härtefallkommissionsverordnung von RheinlandPfalz entspricht. Meine Kollegin Merk wird aus den praktischen Erfahrungen des Petitionsausschusses noch einzelne Punkte nennen, die wir unbedingt geregelt sehen wollen.

Wir wollen auch den Absprachen der großen Koalition im Bund entsprechen und die Landesregierung auffordern, konstruktiv daran mitzuarbeiten,

dass wir in diesem Zusammenhang die Problemlage bei Kettenduldungen lösen. Auch das muss heute mit beschlossen werden.

Schließlich ist zu regeln, dass im Hinblick auf eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes, die zurzeit beim Bund vorbereitet wird, ein vorläufiger Abschiebestopp angeordnet wird, damit nicht die Menschen, die durch eine Änderung begünstigt werden, jetzt noch kurzfristig in die Situation kommen, abgeschoben zu werden.

Haben Sie eigentlich gar kein Fingerspitzengefühl? - Nein, Sie müssen Schmirgelpapier zwischen den Fingern haben,

(Na, na, na! bei der CDU)

dass Sie z. B. die Jüdische Gemeinde, z. B. alle Wohlfahrtsverbände, z. B. die Gewerkschaften oder die Verbände der Migranten noch nicht einmal an der Anhörung zu Ihrem Verordnungsentwurf beteiligt haben - das ist unglaublich! -,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

obwohl es einen einstimmigen Beschluss - ich betone: einstimmigen Beschluss - der Ausländerkommission dieses Parlaments gibt, in der gefordert wird, das Innenministerium möge die Verbände der Migranten zu dieser wichtigen Frage hören. Sie haben das ignoriert. Das empört uns!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Schünemann, wandeln Sie sich vom derzeitigen Härtefall - das sind Sie -, der die notwendigen humanitären Einzelentscheidungen bisher mit aller Härte bekämpft hat, zu einem humanen Anwender der Option des Zuwanderungsgesetzes, die es den Ländern ermöglicht, wirklichen Härtefällen durch Humanität zu begegnen! Wir fordern Sie dazu auf, diese Wandlung im Interesse der Menschen und der Humanität endlich zu vollziehen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im Detail liegen unsere Vorstellungen für eine Härtefallverordnung vor,

und deswegen beantragen wir mit diesem Änderungsantrag, entgegen der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, die ein Armutszeugnis ist - man entzieht sich der Debatte, man bezieht keine Position, und durch Ausstellung eines Blankoschecks wird es allein der Landesregierung ermöglicht, das Verfahren zu eröffnen -, die Anträge in einer anderen Fassung zu beschließen. Wir wollen mit diesem Änderungsantrag, dass das Parlament seine Verantwortung und seine Pflicht wahrnimmt. Stimmen Sie ihm zu!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wann ist ein Härtefall ein Härtefall, bzw. wann wird ein menschliches Schicksal zu einem Härtefall? - Das ist die zentrale Frage, die nicht nur uns, sondern auch die vielen engagierten Menschen vor Ort beschäftigt. Diese Menschen, die sich für ein Bleiberecht aus humanitären Gründen einsetzen, sind oft nicht die Betroffenen selbst, sondern es sind die Nachbarn, die Mitschülerinnen und Mitschüler, es sind Lehrerinnen, Direktoren, ganze Kirchengemeinden, es sind Bürgermeisterinnen und auch Landräte, Freunde aus Sportvereinen und, und, und. Diese Menschen haben für sich schon längst einen Härtefall definiert: Es ist der Mensch, der seit sieben, zehn oder fünfzehn Jahren in derselben Gemeinde wohnt und dessen Kinder dort geboren und aufgewachsen sind.

An dieser Stelle möchte ich meine Ausgangsfrage konkretisieren, meine Damen und Herren. Was ist für Sie, Herr Minister Schünemann, oder für Sie, Herr Ministerpräsident Wulff, ein Härtefall? Gibt es hierauf überhaupt eine Antwort? - Der Bundesgesetzgeber spricht hier eine klare Sprache in seinem Gesetzestext, aber auch in der Gesetzesbegründung. Die Entscheidung zu einem Härtefall muss eine ganz individuelle Entscheidung bleiben. Der Bundesgesetzgeber macht kaum Vorgaben. Das ist sinnvoll und sollte auch von den landesrechtlichen Verordnungsgebern so übernommen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der Bundesgesetzgeber geht sogar noch weiter und gibt zum ersten Mal in der Geschichte der Rechtspraxis den Ländern ein Instrument an die Hand, unabhängig von den bundesrechtlichen Entscheidungen zu handeln. Damit werden die immer wieder auch von Ihnen beklagten fehlenden Spielräume im Fall von Abschiebungen oder bei humanitären Entscheidungen in Einzelfällen explizit ermöglicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dieser Spielraum muss genutzt werden, so wie es 14 andere Bundesländer bereits getan haben. Wenn aber Sie, Herr Innenminister Schünemann, eine Härtefallkommission einsetzen wollen, die die Intention des Bundesgesetzgebers ad absurdum führt, wird doch eines deutlich: Sie schließen Humanität kategorisch aus. Das hat auch Herr Bachmann betont.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle auf die Kriterien eingehen. Der erste Punkt ist die Sicherung des Lebensunterhalts. Allein erziehende Mütter und ihre Kinder werden in der Regel ausgeschlossen. Gleiches gilt für Menschen mit Behinderungen. Ich erinnere an den Fall einer Frau, den wir schon im Ausschuss beraten haben. Diese Frau sitzt aufgrund etlicher Schicksalsschläge im Rollstuhl und lebt in einem Pflegeheim. Wo bleibt hier die Humanität?

Ausschlussgrund Nr. 2: Abschiebehaft. - Machen Sie sich nichts vor: Es wird wieder der Tag kommen, an dem eine Frau, ein Mann, ein Jugendlicher aus der Abschiebehaft um ein Bleiberecht bittet. Müssen wir wieder darauf hoffen, dass sich ein Pilot weigert, die Abschiebung umzusetzen, obwohl sogar ein parlamentarisches Gremium wie der Petitionsausschuss in diesem Fall um eine Aussetzung gebeten hat? - Das ist doch paradox, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ausschlussgrund Nr. 3 - Herr Bachmann ist schon darauf eingegangen -: Kinder oder Frauen haften für ihre Männer. Sie machen in Ihrer Verordnung

ganze Familien für die Taten einzelner Personen verantwortlich. Ist das Ihr Anspruch von Humanität?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie haben sich entschieden: Sie wollen doch eine Härtefallkommission. - Dann nutzen Sie auch den Spielraum, sonst werden Sie, Herr Minister Schünemann, mit dieser Kommission wieder scheitern; denn unzählige Menschen in Niedersachsen - das haben sie durch ihre Stellungnahmen zu der Verordnung deutlich gemacht - werden sich gegen die Ausschlusskriterien und für ihre von Abschiebung bedrohten Nachbarn, Mitschülerinnen oder Kirchengemeindemitglieder engagieren, und sie werden für die Ausschlusskriterien kein Verständnis aufbringen. Der öffentliche Druck wird bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Anneliese Zachow [CDU]: Da- für werden Sie schon sorgen!)

Wir wollen Sie mit dem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen auffordern, Ihren Entwurf nicht so zu verabschieden, wie er vorliegt. Das ist auch eine Bitte an die Fraktionen der CDU und der FDP. Wir fordern Sie auf, auch unter Berücksichtigung der abgegebenen Stellungnahmen eine Härtefallkommission mit einer entsprechenden Verordnung, so wie sie in Rheinland-Pfalz existiert, einzusetzen. Hier wird eine klare Zusammensetzung geregelt, und damit wird das Ganze auch transparent gemacht. Es werden Zulassungskriterien definiert, die rein formalen Charakter haben. Es werden Ausschlussgründe definiert, die nicht diejenigen Menschen kategorisch ausgrenzen, die durch ihr Schicksal in unserer Gesellschaft ohnehin benachteiligt sind. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Rolfes für die CDU-Fraktion bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bachmann, das Thema, das wir heute hier und jetzt behandeln, ist eigentlich keines für laute Töne

(Zurufe von der SPD: Oh nein!)

und ganz sicher kein Thema, das irgendwie für moralische Überlegenheitsdünkel nützlich ist. Das ist ein Thema, das viele Menschen in ihrer konkreten Situation ungeheuerlich belastet und für sie ungeheuerlich wichtig ist. Von daher sollten wir versuchen, das Thema mit der Angemessenheit zu behandeln, die ihm zukommt und ihm zu Eigen sein müsste. Dazu gehört auch, dass man auf derart platte und persönliche Angriffe wie die auf den Innenminister verzichtet. Jeder weiß, dass niemand, der in einer solchen Situation Entscheidungen zu treffen hat, dies leichten Herzens tut, sondern solche Entscheidungen erst trifft, nachdem er alles nach bestem Wissen und Gewissen abgewogen hat. Das sollten wir endlich einmal berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben aus den beiden Anträgen der Oppositionsfraktionen einen Änderungsantrag formuliert, der unmissverständlich ist.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das kann ich bestätigen!)

- Herr Jüttner, Sie sollten es sich nicht zu einfach machen. - Er lautet:

„Der Landtag bittet die Landesregierung, eine Härtefallkommission nach § 23 a Aufenthaltsgesetz durch Verordnung einzurichten.“

Die Zuständigkeiten, welche Aufgaben das Parlament wahrzunehmen hat und was die Regierung umzusetzen hat, sind eindeutig. Und weiter:

„Näheres regelt eine vom Niedersächsischen Minister für Inneres und Sport zu erlassende Verordnung.“