Welche Problemlage haben wir gegenwärtig? - Wir hatten ja hier im letzten Monat die Debatte über Asylanträge, meine Damen und Herren. Wir hatten 1992 über 400 000 Asylanträge in Deutschland. Im Jahr 2000 hatten wir 78 000. 1992 hatten wir noch 600 000 ausländische Zuwanderer. Im Jahr 2000 waren es 86 000. Die Zahl geht eher weiter zurück.
Die hohen Zuwanderungszahlen sind lange vorbei. Die Versuche der CDU, in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz dies zu skandalisieren, waren von vornherein allemal falsch. Das ist überhaupt nicht mehr das Thema, um das es heute
geht. Die Bilanz im Saldo im Jahre 2004 bezog sich auf einen Zuwachs der Bevölkerung um 82 000 in Deutschland. Das ist 0,1 % der Bevölkerung.
Wer glaubt, das in irgendeiner Weise zum Thema machen zu können, dem rate ich mal, bei den Verbänden der Industrie vorzufragen, welchen Bedarf an Zuwanderung von qualifizierten Beschäftigten die für notwendig halten. Die Problemlage ist nicht „Es kommen zu viele“, sondern das Problem in den nächsten Jahren ist: Es kommen zu wenig, und wir brauchen dringend eine Steuerung von Zuwanderung. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.
In diesem Zusammenhang ist spannend, dass das Statistische Bundesamt mit der Zählung 2005 seine Unterlagen umgestellt hat. Die sortieren nicht mehr nach Ausländerinnen und Ausländern, sondern sie sagen, für die politische Debatte in Deutschland sei die Frage Migrationshintergund entscheidend.
Da kommen wir zu spannenden Daten. Da wird nämlich deutlich, dass 81 % der Bevölkerung in Deutschland Deutsche sind und dass neben 7,3 Millionen Ausländern inzwischen 8 Millionen - also 10 % der Bevölkerung - Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft mit Migrationshintergrund sind mit all den Problemen, die das durchaus mit sich bringen kann.
Wir haben auch festzustellen, dass von den 7,3 Millionen Ausländern, die im Durchschnitt seit 17 Jahren in Deutschland leben - - - Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wer hier 17 Jahre lebt, wo ist dessen Heimat? - Die ist doch hier! Das muss man in dieser Deutlichkeit sagen.
Wir haben auch zur Kenntnis zu nehmen, wie sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren quasi automatisch verändert. Bei den unter 25-Jährigen sind es inzwischen 27,2 % mit Migrationshintergrund. Bei den Kindern unter sechs Jahren sind es heute bereits 30 % mit Migrationshintergrund.
erläutert in seinen Veranstaltungen heute, dass aufgrund der Prognosen in der Landeshauptstadt in wenigen Jahren jedes zweite Kind, das in Hannover neu geboren wird, ein Kind mit Migrationshintergrund ist, meine Damen und Herren. Das ist eine Herausforderung. Das heißt für uns ganz konkret: Deutschland war lange und ist Einwanderungsland, meine Damen und Herren.
Wenn es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eine Fehleinschätzung gibt, dann die Position der CDU, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Das ist uns immer wieder erzählt worden. Es hat sogar eine Nachzählung gegeben. Der Höhepunkt dieser Wahlkampagne von Ihnen - - - Herr McAllister, Ihnen muss diese Debatte aufgrund Ihres Migrationshintergrundes doch besonders Probleme machen. Nun sind Sie allerdings nicht bildungsfern, hoffe ich.
Der Höhepunkt dieser Debatte war der Wahlkampf 1998: sage und schreibe 165 Nennungen von Spitzenpolitikern der Union allein im Wahlkampf 1998 mit dem Satz: Deutschland ist kein Einwanderungsland. - Meine Damen und Herren, wer so ignorant ist, der sollte wirklich einmal über sich nachdenken.
Wer die Realität ignoriert, der macht falsche Politik. Das ist ganz klar. Länder wie die USA, Kanada und Australien begreifen sich als Einwanderungsländer und machen konkrete Angebote. Sie integrieren, sie reichen die Hand. Und was ist bei uns passiert? - Wer das verleugnet, der verhindert auch, dass Integration stattfindet. Das ist die logische Konsequenz, meine Damen und Herren. Die meisten Probleme, die wir heute haben, gehen genau auf diese Fehleinschätzung und auf die daraus resultierende Politik zurück. Diese Realitätsverleugnung war schlimm.
Aber schlimmer ist das, was in der öffentlichen Darstellung CDU-Linie war, nämlich der Satz - das haben Sie immer wieder signalisiert -: Ihr Ausländer seid bei uns unerwünscht.
- Das ist kein Quatsch. Ich kann Ihnen das über Jahrzehnte an zig Beispielen dokumentieren. Das geht los bei Helmut Kohl und der Rückkehrprämie. Das geht weiter mit solchen kleinen Geschichten wie z. B. dem Kopftuch-Gesetz in Baden-Württemberg. Dort wurde nicht - wie wir es gesagt haben Gleichbehandlung der Religionen umgesetzt, sondern gezielt unterschieden zwischen Nonnen, die mit ihrer Kleidung sehr wohl in die Klassen dürfen, und anderen Frauen, denen verboten wurde, ein Kopftuch zu tragen. Dafür hat das Gericht der Landesregierung bzw. dem Landtag die rote Karte gezeigt. In den letzten Monaten geht es weiter mit Frau von der Leyen, die eine Wertedebatte beginnt und dazu natürlich nur die christlichen Kirchen einlädt, meine Damen und Herren. Wenn Sie das nicht als Signale für eine verfehlte Politik ansehen, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Die Einladungsliste für die Veranstaltung im Kanzleramt am Freitag hat genau die gleiche Qualität. Große islamische Gruppen nicht zu berücksichtigen, ist ein Zeichen: Wir müssen uns erst einmal unter uns verständigen, dann können wir mit euch reden. - Das ist der Ansatz, der dahinter steckt. Dieser Ansatz ist das Problem, meine Damen und Herren.
Wir alle waren doch Zeugen derartiger Veranstaltungen: 1998/99 die Kampagne von Herrn Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Hessen.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Jetzt reicht es aber mal!)
Ich bin auch nicht der Erfinder der Kampagne „Kinder statt Inder“. Das war ein CDUSpitzenkandidat, meine Damen und Herren.
Wenn von der politischen Elite eines Landes derartige Signale ausgehen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das am Stammtisch verfängt. Das ist genau das Problem.
Die kulturelle Debatte zum Thema Integration hat sich u. a. mit dem Datum 11. September 2001 dramatisch verändert. Sie hat dadurch an Brisanz gewonnen. Es ist Aufgabe der politischen Elite, dafür zu sorgen, dass sich das entkrampft. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht gemacht. Gucken Sie sich an, was Sie in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz aufgebaut haben! Sie haben der rot-grünen Regierung vorgeworfen: Wenn das so kommt, dann kommen Massenzuwanderungen ins Land, die alles fertig machen. Das war albern, meine Damen und Herren. Die Süssmuth-Kommission hat deutlich gemacht, welchen Bedarf an Zuwanderung wir haben. Sie wollten es nicht wahrhaben, weil es nicht in Ihr politisches Kalkül passte. Das ist leider die Situation.
Statt ausgestreckter Hand haben Sie über lange Zeit den unausgesprochenen Generalverdacht organisiert. Das hat das Klima in Deutschland leider sehr verschärft.
Zwei Herausforderungen sehe ich, die sich aus dem ergeben, was wir hier miteinander diskutieren. Die Erste ist gesteuerte Zuwanderung. Ich fand es in Ordnung, was Herr Schünemann dazu vorgetragen hat. Ich hoffe, wir und Sie haben die Kraft - wir sind gerne dabei und helfen -, das umzusetzen, was im Zuwanderungsgesetz steht, was aus der Süssmuth-Kommission kommt. Das ist ja nur zum Teil realisiert worden.
- „Gott sei Dank“ - da kommen schon wieder die Einschränkungen von Ihnen. - Es wäre schon gut, das zu erreichen. Ich kann mir vorstellen, dass die Chance, das zu realisieren, jetzt größer geworden ist. Aber ich sage Ihnen auch gleich: Wenn Sie solche Reden halten, dann dürfen Sie nicht zulassen, dass Ihr Nachbar, Herr Stratmann, bei dem Thema Studiengebühren dafür sorgt, dass Ausländer in Deutschland Studiengebühren zahlen, dass aber nicht geregelt ist, wie sie diese finanzieren können. Das hat zur Folge, dass Sie den Standort
Niedersachsen für ausländische Studierende dramatisch verschlechtern. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren!
Wir müssen auch bereit sein, die Abschlüsse von Migranten aus anderen Ländern anzuerkennen. Auch da gibt es bei uns Defizite. Das heißt, die Rede wird erst dann eine kluge Rede, wenn sie sich auch im Alltag widerspiegelt. Daran mangelt es noch massiv, meine Damen und Herren.
Die Frage der Zuwanderung ist aber ein kleines Thema im Vergleich dazu, worum es wirklich geht, nämlich um eine Integration derer, die seit Jahrzehnten hier sind, die seit langem hier leben oder hier geboren sind. Von denen befinden sich viele, wenn man so will, zwischen den Welten. Sie sind noch nicht Deutsche und nicht mehr Türken - um ein Beispiel zu nennen.
Alle Probleme, die es in diesem Zusammenhang gibt, kann man im Bericht des ersten Ausländerbeauftragten Deutschlands nachlesen. Er hieß Heinz Kühn. Er hat 1979 ein Memorandum herausgegeben, in dem steht, was zur Integration von ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland notwendig ist. Das ist sehr lesenswert. Dort ist alles schon beschrieben, aber bisher wurde noch nichts von seinen Vorschlägen umgesetzt. Das ist nicht nur ein Vorwurf an Sie, sondern an die gesamte deutsche Politik. Wir haben kein Erkenntnisproblem wir haben ein Handlungsdefizit, meine Damen und Herren.
Ich war schon erstaunt, Herr Schünemann: Nach dem, was ich bei Ihnen gehört habe, ist in Niedersachsen ja alles in Ordnung. Die Realität sieht anders aus. Das wissen auch Sie. Wir kennen doch die Daten. Wie sieht es in den Kitas aus? Die Kinder, die dringend in den Kitas sein müssten, nämlich die Kinder von ausländischen Eltern, sind überproportional abwesend. In den Haupt- und Förderschulen gibt es eine überproportionale Anwesenheit von ausländischen Kindern. Dafür feh
len sie in den Gymnasien und Realschulen. Das weiß jeder. Das ist auch gar nicht bestritten. Ich glaube, selbst Sie würden nicht behaupten, dass das etwas mit unterschiedlichen Begabungen zu tun hat. Das kann ich mir nicht vorstellen.