Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Na, na!)

Das wäre ein bisschen einfach, nicht wahr, Herr Busemann? - Herr Busemann will sich noch nicht festlegen.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass mehr als 30 % der Kinder mit Migrationshintergrund keinen Schulabschluss erhalten. In den letzten Tagen ist der Bericht zur Lage von Migrationskindern veröffentlicht worden. Da können Sie das alles nachlesen. In Deutschland entsprechen die Leistungen von mehr als 40 % der Schülerinnen und Schüler der zweiten Generation nicht den Anforderungen der Kompetenzstufe II. Alarmierend dabei ist vor allem, dass in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, die von Anfang an das deutsche Schulsystem durchlaufen haben, in ihren Leistungen schlechter sind als Kinder, die später aus dem Ausland zugewandert sind. Das ist doch ein ganz bemerkenswerter Sachverhalt.

Auch Frau Böhmer, die Staatsministerin im Kanzleramt, wird zitiert:

„Seit Jahren geht der Anteil ausländischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung zurück. Er liegt derzeit bei nur noch 25 % und erreicht damit noch nicht einmal die Hälfte des Wertes deutscher Jugendlicher... Die Anzahl der Altbewerber steigt Jahr für Jahr und potenziert damit das Ausbildungsproblem. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben auch bei guten Schulabschlüssen deutlich größere Probleme als Deutsche, einen Ausbildungsplatz zu erhalten.“

In einem Bericht der Bundeszentrale für politische Bildung wird auch der Versuch unternommen, zu kommentieren, was dahinter steckt. Das ist schon sehr spannend. Ein bisschen Tiefe ist bei dem Thema ganz gut. Nur zu schildern, was vor Ort passiert, reicht nicht, weil so die Problemlage möglicherweise nicht hinreichend getroffen wird. Ich zitiere:

„Das deutsche Bildungssystem wird also den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft nur unzureichend gerecht. Auch mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Integration wirkt sich das Bildungswesen nachteilig aus: Die Trennung entlang ethnischer Grenzziehungen findet bereits in der Schule statt. Das Verfehlen der strukturellen Integration verschärft die soziale Segregation.“

So geht es weiter bis hin dazu - ich will es einmal zuspitzen -, dass ein Professor für interkulturelle Pädagogik zu dem Ergebnis kommt, es gebe einen „heimlichen Lehrplan“, der den Schülerinnen und Schülern suggeriert, dass sie an dieser Schule genau richtig sind, und dass deshalb unser Schulwesen im Kern - das ist sein Vorwurf; ich empfinde ihn als hart - Rassismus produziert. - Wir müssen einmal ernsthaft über die Tiefe der Herausforderung nachdenken. Dies tun wir bisher viel zu wenig, meine Damen und Herren.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Was ist das für ein schillernder Professor?)

Frau Böhmer kommt zu dem Ergebnis - ihr ist in diesem Punkt uneingeschränkt zuzustimmen -:

„Ziel ist es, die Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erhöhen und die Bildungschancen vom Migrationsstatus unabhängig zu machen.“

Dies sollte unser aller politisches Ziel sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Natürlich stellt sich die Frage, wieso Integration in der zweiten Generation komplizierter ist. Ich glaube, die erste Generation der Migranten hat sich über den Arbeitsmarkt integriert; sie kam und hatte Arbeit. Die Arbeit, die diese Menschen verrichten, ist durch Rationalisierung wesentlich weniger geworden. Für die zweite und dritte Generation fehlt also an vielen Stellen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Wenn jemand hier noch nicht angekommen ist, zugleich aber in der früheren Heimat bzw. der Heimat seiner Eltern, sofern er dort noch nicht einmal geboren wurde, nicht mehr richtig akzeptiert wird, dann entsteht daraus natürlich auch so etwas wie eine Suche nach Haltepunkten, da ein Leben zwischen zwei Welten auf Dauer

nicht auszuhalten ist. Man braucht kulturelle Identität. Dafür werden dann auch Hilfen angeboten. Wenn eine gesellschaftliche Gruppe den Eindruck hat, sie sei hier nicht akzeptiert, dann fängt sie an, sich Parallelwelten aufzubauen. Alles andere ist ja auch unrealistisch. Dies führt dazu - wir beklagen es miteinander -, dass nachmittags in den Koranschulen eine politische Identität aufgebaut wird, die an vielen Stellen möglicherweise hoch problematisch ist. Wir wissen nicht, was da alles passiert, und ich glaube, wir wären erschrocken, wenn wir hörten, was dort passiert.

(Beifall bei der SPD)

Hinzu kommt, dass durch die technologische Entwicklung der letzten Jahre die Heimatsender von jedem empfangen werden können; auf jedem Dach stehen die Satellitenschüsseln. Die erste Generation hat im Zweifel noch über das Kinderfernsehen Deutsch gelernt. Dies findet heute nicht mehr statt. Heute kann man durch Deutschland gehen - durch Kreuzberg oder durch Linden/Limmer bei mir im Wahlkreis -, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Das ist ein riesiges Problem.

Hier geht es um Geben und Nehmen - damit ich nicht falsch verstanden werde. Das Signal von uns muss sein: Ihr Migranten seid gleichberechtigte Teilhaber in dieser Gesellschaft

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

mit allen Rechten, meine Damen und Herren, und mit allen Pflichten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Aha!)

- Aha? Ich behaupte nicht, dass ich gerade etwas Neues erzähle, Herr McAllister.

(David McAllister [CDU]: Aber dass Sie das sagen!)

- Dass ich das sage? Sie haben vielleicht eine Vorstellung von Ihrem politischen Mitbewerber, weiß Gott! Wie haben Sie sich das eigentlich vorgestellt? Ich kann mir keine Gesellschaft vorstellen, in der wir nicht alle verpflichten, sich auf die bei uns geltende Verfassung und die in ihr enthaltenen Grundrechte zu beziehen. Dies gilt für Deutsche und alle anderen, die hier leben. Das ist doch überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Demokratie, Toleranz, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung sind Erfolge dieser Gesellschaft, die wir uns nicht nehmen lassen. Sie sind uns nicht peinlich, sondern auf sie sind wir stolz.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir erwarten, dass diejenigen, die sich hier auf Dauer einrichten wollen, sich dies zu Eigen machen. Wenn Herr Schünemann sagt, mit ihm gebe es keine rechtsfreien Räume, dann stimme ich ihm zu. Eine Gesellschaft kann sich dies nicht erlauben. Das Gewaltmonopol des Staates ist eine der zentralen Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie, die wir uns nicht nehmen lassen.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber wir erwecken auch nicht den Eindruck, als könnte jemand von uns auf einen solchen Gedanken kommen.

Natürlich ist es auch unerträglich, dass Zwangsheiraten stattfinden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Hans-Werner Schwarz [FDP])

Dies muss unsere Gesellschaft verhindern; auch das steht völlig außer Frage.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch wenn es ein schwieriges Gebiet ist, weil hier zwischen verschiedenen Rechtsgütern abzuwägen ist, sage ich: Für mich heißt Schulpflicht Schulpflicht. Die Möglichkeit, über Religionsfreiheit Teile des Schulunterrichts auslassen zu dürfen, halte ich für falsch. Ich weiß nicht, wie andere es sehen, aber ich halte es für falsch.

(Beifall bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Das Erste ist die Anerkennung der gültigen Rechtsordnung, was eine ganze Menge einschließt; ich habe Beispiele dafür genannt. Das Zweite ist die Sprache, die hier gesprochen wird. In Deutschland ist die Kenntnis und Anwendung der deutschen Sprache Voraussetzung für Chancengleichheit und Teilhabe.

(Beifall bei der SPD)

Wer nicht über die Sprache verfügt, schließt sich selber aus. Aber auch hierfür gilt das Geben und Nehmen. Die Menschen müssen wollen, aber sie müssen auch eine Chance bekommen.

Auf dem Fundament dieser von mir beschriebenen gemeinsamen Werte bleibt Platz für kulturelle Vielfalt und für individuelle Lebensentwürfe. Wir wollen Integration, nicht Assimilation - um auch auf etwas einzugehen, was einigen möglicherweise vorschwebt.

(Beifall bei der SPD)

Andererseits liegt mir Schwärmerei zum Thema Multikulti wirklich fern.

(David McAllister [CDU]: Ach was?!)

Aber wir sollten uns auch verdammt noch mal davor hüten, Vorurteile an Stammtischen zu bedienen. Was das angeht, ist bei uns so mancher wirklich noch verbesserungsfähig, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keine Parallelgesellschaften. Wir wissen aber auch, dass es harte Arbeit beim Händereichen bedeutet. Man darf nicht bloß sagen „Die könnten sich ja bemühen“. Nein, wir müssen auch Angebote machen. Wir sind es, die in dieser Gesellschaft darüber entscheiden, ob sie Angebote bekommen. Zurzeit bekommen sie viel zu wenig Angebote.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schünemann, nun ein paar Bemerkungen zu Ihrer Rede. Sie haben viele Projekte beschrieben, an denen Sie nicht beteiligt sind, die aber trotzdem gut sind. Aber ein paar Dinge sind nicht in Ordnung. Sie haben etwas von Integrationsleitstellen erzählt, für die Sie - ich füge hinzu: vorübergehend, nicht flächendeckend und ohne Rechtsanspruch - Personal zur Verfügung gestellt haben. An dieser Stelle wäre es redlich gewesen, wenn Sie auch darauf hingewiesen hätten, dass Sie bei den Beraternetzwerken um 50 % gekürzt haben. Dies haben Sie uns verschwiegen; aber es hätte zur Vollständigkeit dazu gehört.

(Zuruf von Minister Uwe Schüne- mann)

- Nein, nein, Sie haben von der flächendeckenden Sprachfrühförderung geredet. Herr Busemann hat

immer bestätigt, dass er es von uns übernommen hat, und sich bei uns bedankt.