- Erzählen Sie doch keinen Unfug! Das Problem ist, dass Sie die Sprachförderung gekürzt haben, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen.
Herr Jüttner, warten Sie bitte einen Augenblick! Herr Schünemann, Zurufe von der Regierungsbank sind nicht zulässig. Wenn Sie Zurufe machen möchten, dann setzen Sie sich bitte auf Ihren Abgeordnetenplatz.
Sie haben die Sprachförderung mit der Folge gekürzt, dass Wohlfahrtsverbände sogar Entlassungen haben vornehmen müssen. Das ist die Realität in Niedersachsen.
Sie haben gesagt, Integration ohne eigenes Engagement der Zugewanderten könne nicht gelingen. Das ist richtig. Aber dann erklären Sie doch dem hohen Hause, warum Sie den landesweit tätigen Selbstorganisationen der Migranten die Landesmittel gestrichen haben: dem Landesflüchtlingsrat auf null Euro und dem Integrationsrat um 50 %. Das passt doch alles nicht zu Ihren wohlfeilen Worten von eben.
Dann haben Sie hier stolz von den 27,5 Stellen für Maßnahmen der so genannten nachholenden Integration gesprochen. Vor einiger Zeit waren es noch doppelt so viele. Dort wird Know-how vernichtet, meine Damen und Herren. Es ist nicht so schön, wie Sie es hier dargestellt haben.
Zu den Leitstellen für Integration will ich Ihnen Folgendes sagen: Die Bundesebene hat inzwischen begriffen, dass es nicht zwei Themen gibt, nämlich zum einen das Thema Migration und zum anderen das Thema Spätaussiedler. Niedersachsen trennt immer noch. Die Bundesstatistik aber trennt nicht. Mitglieder meiner Fraktion haben vor
kurzem ein Gespräch mit der Landsmannschaft der Russlanddeutschen geführt. Auch die wollen nicht trennen. Die hat uns gesagt: Wir haben die gleichen Probleme wie die Ausländer und alle anderen mit Migrationshintergrund, und wir haben ein großes Interesse daran, dass eine Integrationskommission eingerichtet wird, in der alles miteinander bearbeitet wird, auch um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden.
Sie haben auf Mitarbeiter im Polizeidienst hingewiesen. Das sind verdammt wenige. Darüber sind wir uns einig. Wir haben das in unserer Regierungszeit möglich gemacht. Sie behaupten, dass Sie dafür werben. Sagen Sie uns einmal, wo diese Werbung stattfindet. Wir haben davon überhaupt noch nichts zur Kenntnis genommen. Das Gleiche gilt für die Offensive im Bereich der Verwaltung. Richtig wäre es, sie auch für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu öffnen. Getan, Herr Minister Schünemann, haben Sie an diesen Stellen bisher aber nichts.
Sie haben mit Ihren Bemerkungen zum Islam deutlich gemacht, dass man Unsicherheit rausnehmen müsse. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund erfahren, dass eindeutig friedliche Moscheen verdachtsunabhängig kontrolliert werden, dann frage ich mich, wie sich diese Menschen hier wohl fühlen sollen und wie ihre Verunsicherung aufgehoben werden soll, Herr Schünemann.
Ich sage Ihnen: An den Taten ist Politik zu messen. - Mein Vorwurf ist: Sie haben Ihre Hand allzu oft nicht ausgestreckt. Sie haben sie bei sich behalten. Das sind die falschen Signale. Von einem Innenminister, der für Ausländerpolitik zuständig ist, erwarten wir anderes, meine Damen und Herren.
Aktuell kapriziert sich das ja wieder auf die Debatte über Einbürgerungsquoten. Ich sage Ihnen: In Deutschland liegt die Einbürgerungsquote bei 1,9 %. Damit liegt sie dramatisch unterhalb der Quote der meisten westeuropäischen Länder. Womit hat das zu tun? Damit, dass wir so offen
sind und Angebote unterbreiten? - Meine Damen und Herren, weiß Gott, das ist überhaupt nicht der Fall. Wir haben - ich sage ganz bewusst „wir“ - die Brisanz dieses Themas unterschiedlich stark unterschätzt und nicht die notwendigen Angebote unterbreitet, um diese Gesellschaft sozial und kulturell hinreichend zusammenzuführen.
Ich hoffe, dass von den Debatten dieser Tage - es gibt ja Stellungnahmen von überall her, auch von den kommunalen Spitzenverbänden; wir werden auch sehen, was der Integrationsgipfel bringt - die richtigen Signale ausgehen. Zwei Dinge stehen meines Erachtens im Fokus des Handelns. Eine Sache ist eine umfassende Bleiberechtsregelung, meine Damen und Herren.
Wir reden über einen vernachlässigbaren prozentualen Anteil an der Bevölkerung, der über Jahrzehnte hinweg verunsichert geblieben ist. Wir müssen hier einmal einen Strich ziehen und sagen: Die sind hier. Wir begreifen sie nicht als Problem, sondern als Potenzial, als Chance für diese Gesellschaft. - Das wäre doch ein Angebot, meine Damen und Herren!
Das Zweite - ich will das nicht mehr in allen Einzelheiten ausführen - wären verstärkte Anstrengungen im Bildungsbereich. Nur dann, wenn es gelingt, Kinder mit Migrationshintergrund über Sprache und kognitive soziale Kompetenzen in den gleichen Status zu versetzen wie ihre Altersgenossinnen und -genossen, wird es möglich sein, die soziale und die ethnische Herkunft als faktische Doppelbarriere gegen Chancengleichheit - das ist sie nämlich - aus der Welt zu schaffen. Das muss unser politisches Ziel sein!
Erfolg oder Misserfolg von Integration entscheidet mit Sicherheit maßgeblich über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ich will zum Schluss einen schönen Satz sagen, den Sie alle kennen: Ihr habt uns gerade noch gefehlt. - Dieser Satz kommt so an, wie man ihn ausspricht. Ihr habt uns gerade noch gefehlt. Ihr seid uns eine Last. Wer so an dieses
Thema herangeht, der verspielt die Chancen dieser Gesellschaft. Man kann aber auch sagen: Ihr habt uns gerade noch gefehlt. Wir brauchen euch. - Wer dieses Thema mit diesem Impetus behandelt, der sorgt dafür, dass Integration in Niedersachsen und in Deutschland gelingen können. Herzlichen Dank.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohl beide Vorredner - sowohl der Innenminister als auch der Oppositionsführer - waren sich darin einig, dass die stetige Verbesserung der Integrationschancen aller hier lebenden Migranten eine der großen politischen Herausforderungen, wenn nicht gar die größte innenpolitische Herausforderung unserer Zeit ist. Wer die Regierungserklärung des Innenministers heute Morgen aufmerksam verfolgt hat - der Herr Kollege Jüttner und ich hatten ja schon gestern Abend die Möglichkeit, sie zu lesen - und sich zudem die in Niedersachsen zurzeit laufenden Integrationsmaßnahmen zur Förderung von Migranten anschaut, muss eigentlich zu der Feststellung kommen, dass das Thema Integration von Zuwanderern bei dieser Landesregierung in guten Händen ist.
Weil das so ist, lieber Herr Jüttner, fand ich Ihren Redebeitrag in Teilen in seiner Schärfe und Undifferenziertheit unverständlich. Die Realität in der Integrationspolitik bei uns in Niedersachsen sieht mit Sicherheit anders aus, als Sie zu schildern versucht haben.
Deshalb ist es richtig, dass die Niedersächsische Landesregierung das Jahr 2006 zum Jahr der Integration erklärt hat und dass sich die zweite Regierungserklärung in diesem Jahr diesem wichtigen Thema gewidmet hat.
Wenn wir heute über Integration reden, möchte ich für die CDU-Landtagsfraktion drei Kernpunkte aufzeigen, die für uns von besonderer Bedeutung sind, wenn es um den weiteren Verlauf der gelun
genen bzw. erfolgreichen Integration geht. Für uns sind erstens der Abbau von Benachteiligungen, zweitens der Abbau von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit und drittens eine aktive und solidarische Beteiligung der Zuwanderer am gesellschaftlichen Leben und damit eine Verhinderung von Parallelgesellschaften wichtig. Das heißt in der Praxis: miteinander leben, arbeiten und lernen auf der Grundlage von Toleranz und Akzeptanz.
In vielen Städten und Gemeinden Niedersachsens gibt es dafür gute Beispiele. Wir sind auf einem guten Weg gelebter und gelungener Integration. Der Innenminister hat einige Beispiele anschaulich dargestellt. Weil es aber immer noch an zu vielen Stellen hakt und Fragen und Antworten rund um die Integrationspolitik in den letzten Jahren leider nicht immer auf den vorderen Plätzen der bundespolitischen Agenda standen, müssen wir hier ansetzen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die massenhafte Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland seit 1945 spiegelt sich natürlich auch in der Bevölkerungsentwicklung wider. Herr Jüttner hat die Zuwanderung geschildert. Es begann mit den Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg, ging dann über die so genannten Gastarbeiter in den 60er- und 70er-Jahren bis hin zu der massenhaften Zuwanderung von Bürgern aus Ost- und Mitteleuropa sowie den Asyl Suchenden. Er hat auch die Zahlen genannt. Es ist bekannt, wie viele Ausländer und sonstige Zugewanderte hier in Deutschland leben.
Insgesamt 15 Millionen Menschen haben einen Migrationshintergrund. Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist ja etwas Neues in der politischen Diskussion. Man hat sich nun auf diese Bezeichnung geeinigt. 15 Millionen entsprechen 19 % der gesamten Einwohnerzahl. Auch die FDP-Landtagsfraktion und die CDU-Landtagsfraktion werden von zwei Bürgern mit Migrationshintergrund geführt.
Diese beeindruckenden Zahlen haben aber nicht automatisch dazu geführt, dass sich die Politik verstärkt des Integrationsthemas angenommen hat. Erst einzelne traurige Vorkommnisse in deutschen Städten in den letzten Monaten haben dazu geführt, dass Integrationsfragen in Politik und Medien endlich die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten haben.
Machen wir uns nichts vor: Über Jahrzehnte wurde von allen politischen Lagern in Deutschland - ich betone im Gegensatz zu Ihnen, Herr Jüttner: von allen politischen Lagern - das Thema der fehlenden Integration von Zuwanderern falsch gewichtet oder gar schöngeredet. Dabei - ich wiederhole mich hier - haben alle politischen Lager Fehler gemacht. Ich gebe zu, dass auch manche Einschätzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der CDU in den einzelnen Ländern aus den 70er-, 80er- oder 90er-Jahren nicht mit der gesellschaftlichen Realität im Jahre 2006 in Einklang zu bringen ist. Wir machen diesen innerparteilichen Debattenprozess gerade durch. Herr Kollege Jüttner, es wäre gut gewesen, wenn auch Sie die Größe gehabt hätten, einmal einzuräumen, dass auch Sie im Lager der politischen Linken in Deutschland manches falsch eingeschätzt haben. Das haben Sie nicht eingeräumt.
Ich komme nachher darauf noch zu sprechen. Die Sozialdemokraten haben ja ein Integrationspapier beschlossen. Kurt Beck und Hubertus Heil stehen für die neue SPD, die selbstkritisch ihre Vergangenheit aufarbeitet und in die Zukunft geht. Was Wolfgang Jüttner heute vorgetragen hat, steht nicht für die neue SPD, sondern für die alte linke SPD. Er hat sich auch zu Integrationsfragen so geäußert, wie wir ihn aus vielen anderen Bereichen bereits kennen.
Deshalb frage ich Sie auch als Vertreter der SPDLinken: Wurde Toleranz nicht viel zu lange mit Duldung, Gleichgültigkeit oder gar Ignoranz verwechselt? Haben wir nicht viel zu häufig integrationspolitische Kernarbeit den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Ehrenamtlichen in den Vereinen überlassen? Haben einige, gerade auch in diesem Hause - einen haben wir heute auch gehört -, nicht viel zu lange einem irrealen Idealbild einer multikulturellen Gesellschaft das Wort geredet? - Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen.
Ihr früherer Bundeskanzler Helmut Schmidt hat bereits im November 2004 im Hamburger Abendblatt etwas gesagt, was manche Sozialdemokraten bis zum heutigen Tag nur hinter vorgehaltener Hand zugeben. Helmut Schmidt sagte am 24. November 2004 - ich zitiere -:
„Die von einigen intellektuellen Idealisten so genannte multikulturelle Gesellschaft, also die Mischung europäischer und außereuropäischer Kulturen, ist bisher nirgendwo wirklich gelungen.“
Nachdem die SPD nun gestern - übrigens bemerkenswerterweise im Rahmen einer Telefonschaltkonferenz - ihre Leitlinien zur Integrationspolitik beschlossen hat, besteht die Hoffnung auf eine realistischere Ausländer- und Zuwanderungspolitik, als sie in der Vergangenheit in breiten Kreisen der SPD vertreten wurde. Die neue SPD-Führung ist also - auch unter dem Einfluss der großen Koalition - bereit, ihre eigenen früheren Positionen selbstkritisch zu überarbeiten. Ich habe mir das Papier gestern Abend durchgelesen. Ich muss sagen, selten habe ich ein SPD-Papier gelesen, bei dem ich hinter vielen Bemerkungen einen entsprechenden Haken machen konnte. Zumindest die SPD auf Bundesebene hat sich damit auch von den Grünen abgesetzt. Herr Wenzel, Sie haben gleich die Gelegenheit, einige Sätze dazu zu sagen, dass der Realismus, der jetzt in Teilen in der SPD vorherrscht, der jetzt auch in allen Teilen der CDU zu Diskussionen führt und der in der FDP ebenfalls vorherrscht, auch bei den Grünen Einzug hält. Ich will in diesem Zusammenhang - das fällt mir eigentlich recht schwer - Daniel Cohn-Bendit zitieren, der vor einigen Wochen dem Stern ein bemerkenswertes Interview gegeben hat. Daniel Cohn-Bendit hat wörtlich gesagt: