Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

Nachdem die SPD nun gestern - übrigens bemerkenswerterweise im Rahmen einer Telefonschaltkonferenz - ihre Leitlinien zur Integrationspolitik beschlossen hat, besteht die Hoffnung auf eine realistischere Ausländer- und Zuwanderungspolitik, als sie in der Vergangenheit in breiten Kreisen der SPD vertreten wurde. Die neue SPD-Führung ist also - auch unter dem Einfluss der großen Koalition - bereit, ihre eigenen früheren Positionen selbstkritisch zu überarbeiten. Ich habe mir das Papier gestern Abend durchgelesen. Ich muss sagen, selten habe ich ein SPD-Papier gelesen, bei dem ich hinter vielen Bemerkungen einen entsprechenden Haken machen konnte. Zumindest die SPD auf Bundesebene hat sich damit auch von den Grünen abgesetzt. Herr Wenzel, Sie haben gleich die Gelegenheit, einige Sätze dazu zu sagen, dass der Realismus, der jetzt in Teilen in der SPD vorherrscht, der jetzt auch in allen Teilen der CDU zu Diskussionen führt und der in der FDP ebenfalls vorherrscht, auch bei den Grünen Einzug hält. Ich will in diesem Zusammenhang - das fällt mir eigentlich recht schwer - Daniel Cohn-Bendit zitieren, der vor einigen Wochen dem Stern ein bemerkenswertes Interview gegeben hat. Daniel Cohn-Bendit hat wörtlich gesagt:

„Die Grünen haben zu lange argumentiert: Deutschland muss aufgemischt werden. Deswegen wollen wir Einwanderung. Liebe Ausländer, lasst uns nicht allein mit den Deutschen, lautete der Spruch. Also ob die Einwanderer hierher gekommen wären, um die Deutschen vor sich selbst zu retten. Die Grünen haben die Einwanderer idealisiert. Alle Asylbewerber waren Verfolgte. Asylrecht war Einwanderungsrecht.“

Wir haben deshalb die Hoffnung, dass auch die Grünen ihre lange Oppositionszeit in Bund und Ländern jetzt nutzen, um auch in der Ausländerpolitik zu einer realistischen Einschätzung zu kommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich gebe zu, dass ich aufgrund meines Migrationshintergrundes die ausländerpolitische Debatte immer mit besonderem Interesse verfolgt habe. Es gibt einen Unterschied zwischen der Debatte in Deutschland auf der einen Seite und in Großbritannien oder Frankreich auf der anderen Seite, die ja ganz ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben. Die Debatte in Deutschland war in den letzten Jahren oft von sehr grundsätzlicher Art. Wir haben um Begriffe gestritten. Das ist aber letztlich kontraproduktiv, weil es ganz egal ist, wie man ein Ding bezeichnet. Die Hauptsache ist, dass die Probleme bewältigt werden. Nicht immer ist das, was notwendig war, auch als notwendig erkannt worden. Das gilt bestimmt auch für die konservative Seite. Deshalb sage ich an dieser Stelle deutlich: Es ist an der Zeit, allen Zugewanderten und Zuwanderern, die sich zu unserem Land und zu unserer Verfassung bekennen, ein ernsthaftes Integrationsangebot zu machen. Wir - damit meine ich alle Deutschen - sollten die Menschen mit offenen Armen in unserer Gesellschaft aufnehmen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die große Koalition hat vielleicht die Chance, bei diesem Thema auch ideologische Hürden abzubauen. Die große Koalition hat sich vorgenommen, die großen integrationspolitischen Herausforderungen anzunehmen und sich endlich den Aufgaben zu stellen. Das Leitmotiv im Koalitionsvertrag von CDU und FDP lautet: Migration steuern - Integration fördern. Der entscheidende Satz im Berliner Koalitionsvertrag, der ja wahrlich lang genug geraten ist, lautet:

„Die Integration von Ausländern und Aussiedlern... ist eine Querschnittsaufgabe vieler Politikbereiche.“

Weil die CDU-geführte Bundesregierung diese Funktion der Integrationspolitik erkannt hat, hat sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, einen intensiven Dialog mit dem Islam zu führen, sich für eine europaweite Flüchtlingspolitik einzusetzen, das Zuwanderungsgesetz zu evaluieren und die Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer zu verbessern. Der Berliner Koalitionsvertrag ist eine ordentliche Grundlage für die Ausgestaltung der zukünftigen Integrationspolitik auf Bundesebene, wo die meisten Entscheidungs- und Gesetzgebungskompetenzen liegen.

Wir als Niedersachsen erwarten deshalb von der neuen Regierung in Berlin auch pragmatische Lösungen; es sollten keine künstlichen Barrieren aufgebaut werden. Das gilt sowohl für die Seite der Union als auch für die Seite der Sozialdemokraten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weil das konsequent umgesetzt wird, was im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, begrüßen wir es auch ausdrücklich, dass am Freitag auf Einladung der Bundeskanzlerin und auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der erste Integrationsgipfel stattfinden wird.

(Beifall bei der CDU)

Alle - Bund, Länder und Kommunen sowie alle gesellschaftlich relevanten Gruppen - sind aufgefordert, übermorgen einen nationalen Aktionsplan mit klaren Zielen und abgestimmten Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Dazu sollten die Verantwortlichen in Berlin einen deutschlandweit wichtigen Prozess anstoßen. Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, Herr Jüttner, dass dabei etwas Konkretes herauskommen muss. Der Innenminister hat deutlich gemacht, dass sich Niedersachsen in diese Verhandlungen konstruktiv einbringen will. Wir haben auf diesem Gebiet bereits viele Erfahrungen gesammelt. Wir wollen versuchen, diese positiv einfließen zu lassen.

Das Thema Integration ist äußerst vielschichtig. Es umfasst eine ganze Bandbreite von Themen. Es ist eine echte Querschnittsaufgabe. Ich möchte aus Sicht der CDU-Fraktion vier Handlungsfelder benennen, die ein nationaler Aktionsplan umfassen muss.

Erstens nenne ich Bildung und Sprache. Darauf ist der Kollege Jüttner bereits eingegangen. Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ist nur über das Beherrschen der deutschen Sprache möglich. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist - wenn auch nicht alleinige - Bedingung für das Lesen und Verstehen und damit für das Aufnehmen von Bildung und damit zugleich Grundvoraussetzung, sich in dieser Gesellschaft zu orientieren, einen angemessenen Platz zu finden und den Weg für das Berufsleben zu eröffnen. Darüber scheint inzwischen sogar parteiübergreifend Konsens zu bestehen. Ich zitiere ausnahmsweise ein zweites Mal und mit besonderer Freude Daniel CohnBendit, der im Stern-Interview gesagt hat:

„Außerdem haben wir“

- Herr Wenzel, damit meint er die Grünen

„zu spät die deutsche Sprache als zentrales Integrationsproblem erkannt. Ich habe nicht gesehen, mit welcher Radikalität das angepackt werden muss.“

Meine Damen und Herren, der Bund gibt in diesem Jahr 141 Millionen Euro für Sprach- und Integrationskurse aus. Aber die Verantwortung für den Erwerb der deutschen Sprache kann nicht alleine beim Staat liegen. In den USA würde kein Einwanderer, nachdem er in die Vereinigten Staaten von Amerika einreist ist, erwarten, dass der amerikanische Staat alleine für den Erwerb der Englischkenntnisse verantwortlich wäre. Das heißt, auch beim Erwerb der deutschen Sprache gilt: Eigeninitiative ist gefordert. Hierbei sind auch gerade die Eltern der jungen Migrantinnen und Migranten gefordert. Es ist auch Sache der Eltern, dass die Kinder Deutsch lernen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Unser Ziel muss es sein - das ist ein ehrgeiziges Ziel; das wird lange dauern; aber es muss unser Ziel sein -, dass jeder Schüler, der in Deutschland die Schule besucht, bereits am ersten Schultag die deutsche Sprache beherrscht.

Zweitens. Neben dem Thema Bildung sind sicherlich auch die Wirtschaft und die Arbeitswelt aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten, damit die Integration gelingt. Dabei sind neben der „deutschen“ Wirtschaft sicherlich auch jene ausländischen Mitbürger gefragt, die sich in Deutschland bereits eine eigene wirtschaftliche Existenz aufgebaut haben. Es gibt alleine in der Bundesrepublik Deutschland 300 000 ausländische Arbeitgeber, die im Mittelstand rund 1 Million Mitarbeiter und 25 000 Auszubildende beschäftigen. Dieses Engagement begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Beteiligung der vor allen Dingen türkischen, griechischen und italienischen Kleinbetriebe an der Ausbildung junger Menschen ist mit einem Anteil von 6 bis 15 % jedoch deutlich unterdurchschnittlich. Ich meine, sie könnten zukünftig einen größeren Beitrag leisten, indem sie verstärkt deutsche und ausländische Jugendliche ausbilden. Immerhin: Die ersten ausländischen Arbeitgeber in

Deutschland haben bereits ein Zeichen für bessere Integration gesetzt. Sie wollen bis 2010 rund 10 000 Lehrstellen, vor allen Dingen für nichtdeutsche Jugendliche schaffen, wie die Welt im vorletzten Monat berichtet hat. Ich meine, das ist eine sehr gute Initiative.

Auch unsere Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat die Bemühungen um das Einwerben zusätzlicher Ausbildungsplätze für junge Migranten noch einmal verstärkt. In acht Regionalkonferenzen sollen ausländische Unternehmer bewegt werden, Ausbildungsplätze für Jugendliche aus Migrantenfamilien zu schaffen.

Meine Damen und Herren, dieses Engagement der Wirtschaft ist wichtig; denn allein vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung können wir uns eine schlecht ausgebildete Migrantengeneration überhaupt nicht leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der dritte Punkt - darauf ist der Innenminister bereits ausführlich eingegangen - ist uns als CDULandtagsfraktion sehr wichtig: Das ist der Dialog zwischen den Kulturen und den Religionen. Integration gelingt umso besser, je mehr man über den jeweils anderen weiß. Das gilt speziell für Kultur und Religion. Deshalb plädieren gerade wir Christdemokraten für einen dauerhaften Dialog zwischen dem Staat und den Vertretern der dreieinhalb Millionen Muslime in Deutschland. Staat und Gesellschaft müssen auf die Muslime zugehen. Nur so können Probleme und Schwierigkeiten im Umgang miteinander ausgeräumt werden. Wir müssen und - ich betone - wir wollen die Muslime als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren. Umgekehrt müssen aber alle Muslime die Grundwerte und Regeln unserer Gesellschaft anerkennen. Dabei mache ich mir um die große Mehrheit der Muslime in Deutschland und in Niedersachsen überhaupt keine Sorgen. Aber wir müssen auch einer kleinen Minderheit deutlich sagen: Wer hier in Deutschland dauerhaft lebt, von dem verlangen wir ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Scharia darf nicht für eine Sekunde die verbindliche Rechtsordnung in Deutschland sein egal für wen. Hierbei gibt es überhaupt kein Wackeln des deutschen Staates.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch beim Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau müssen wir im Dialog mit Nachdruck auf die hier geltende Rechts- und Werteordnung hinweisen.

(Beifall bei der CDU)

Der Innenminister und auch der Oppositionsführer haben deutlich gemacht: Für Zwangsverheiratungen und andere Arten Frauen verachtenden Handelns ist nicht eine Sekunde Platz in unserer freiheitlich demokratischen Rechtsordnung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, wenn die Bundesregierung jetzt plant, einen neuen Straftatbestand im Strafgesetzbuch einzuführen, der Zwangsverheiratungen klipp und klar unter Strafe stellt.

Viertens nenne ich Sport und Freizeit; auch darauf sind beide Vorredner eingegangen. Die Mitgliedschaft im Sportverein ist sicherlich ein sehr gutes Mittel erfolgreicher Integration und der Gewaltprävention. Bereits bei den Minikickern und später bis zur A-Jugend lernen die Kinder in den Fußballmannschaften unserer Städte und Dörfer von klein auf das Zusammenleben. Auch das ist zu unterstützen.

Welchen Erfolg gerade auch Menschen mit Migrationshintergrund im Sport haben, hat sicherlich auch die Fußballweltmeisterschaft gezeigt, wo gerade Spieler mit Migrationshintergrund zwar nicht die tragende Säule, aber sicherlich eine der tragenden Säulen unseres deutschen Erfolgs waren.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen kurzen Abstecher zu den Ereignissen der letzten vier Wochen. Bereits gestern in der Aktuellen Stunde wurden einige Facetten der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland aufgezeigt. Ich möchte das noch um einen Gedanken ergänzen. Während noch kurz vor der Weltmeisterschaft in bestimmten linken Kreisen von so genannten Nogo-Areas die Rede war, hat der Verlauf der Spiele gezeigt, dass bei uns in Deutschland ein friedliches und fröhliches Miteinander möglich ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Was mich besonders gefreut hat - ich habe das während der Spiele in der Landeshauptstadt, insbesondere auch im Bereich des Public Viewings sehr aufmerksam verfolgt -: Neben dem sportli

chen Erfolg und der Euphoriewelle, die das ganze Land erfasst hat, war zum ersten Mal im Jahr 2006 auffällig, dass sich jetzt auch viele Einwanderer in einer Offenheit zu ihrem Land bekennen, zu diesem Land, das sie bislang allenfalls als ihr Geburts-, aber nicht ihr Heimatland nennen wollten. Sie haben deutlich gemacht: Sie fühlen sich in diesem Land wohl. Die Weltmeisterschaft hat im Hinblick auf die Identifikation der Migranten mit unserem Land eine geradezu katalytische Wirkung gehabt.

Für mich war das bewegendste Bild, das ich in Hannover gesehen habe, eine Gruppe von jungen türkischen Menschen mit schwarzrotgoldenen Farben im Gesicht, mit schwarzrotgoldener Fahne, und sie haben die dritte Strophe des Deutschlandliedes gesungen - so wie alle anderen auch.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von Walter Meinhold [SPD] und von Georgia Langhans [GRÜNE])

- Frau Langhans - weil Sie gerade einen Zwischenruf gemacht haben -, ich sage das ganz bewusst in die Richtung der Grünen: So herum ist es viel sinnvoller. Dass hier lebende Türken, die hier dauerhaft leben wollen, die wir begrüßen, gerne die dritte Strophe des Deutschlandliedes singen, ist viel sinnvoller. Das ist besser als der absurde Vorschlag von Herrn Ströbele von vor einigen Monaten, als er gesagt hat, wir sollten zukünftig das Deutschlandlied auf Türkisch singen. Das ist der Unterschied, und das ist eine gute Erkenntnis aus dieser Fußballweltmeisterschaft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Wür- den Sie das auch fordern, wenn die Türkei mitgespielt hätte?)

- Herr Bachmann, ich würde lieber einen Besuch beim Zahnarzt ertragen, als eine Rede von Herrn Ströbele ertragen zu müssen.

Aber nun zurück zum Thema Einbürgerung. Wenn die Fußballweltmeisterschaft eines gezeigt hat, dann dies: Das könnte ein Anfang sein, damit die Integration vieler Menschen im Land besser gelingt. Damit Migranten, damit Menschen mit Migrationshintergrund in der Nationalelf mitspielen können oder für deutsche Parlamente, z. B. Landesparlamente, kandidieren können, müssen sie deutsche Staatsbürger werden. Wir haben über dieses Thema der Einbürgerung und des Erwerbs der

deutschen Staatsbürgerschaft in den letzten Jahren eine sehr heftige Debatte geführt.