Stellen Sie sich einmal vor, ein wechselnder Schulvorstand beschließt alle zwei Jahre wechselnde Zeiten zum Abitur. Das Resultat ist ein vollkommenes Tohuwabohu. Für Klassenwiederholer oder Schulwechsler von anderen Gymnasien wäre es eine absolute Katastrophe. Um dieses Chaos
zu vermeiden, müssten sich alle nachfolgenden Schulvorstände dem ersten Beschluss beugen. Das widerspricht sicherlich der Intention des Gesetzes.
Wenn auf Schulebene die Entscheidung „12“ oder „13“ fällt und es keine überregionale Abstimmung gibt, kann es Regionen geben, die nur das Turboabitur anbieten. Alle Schülerinnen und Schüler, die damit nicht zurechtkommen, wären dann die Verlierer.
Für Integrierte Gesamtschulen verstehe ich diese Entscheidungsmöglichkeit überhaupt nicht. Vor der Änderung des Schulgesetzes waren dort 13 Jahre die Regel. Über Erlasse bestand die Möglichkeit zu einer Verkürzung. Das wollte nur keine IGS. Das Turboabitur zerstört den pädagogischen Kern der Integrierten Gesamtschulen durch die erzwungene zusätzliche Differenzierung in Z-Kursen.
Ist Ihr Gesetzentwurf so zu verstehen, dass Sie davon ausgehen, dass sich wieder keine IGS für zwölf Jahre entscheiden wird? Gibt es für die, die dazu in der Lage sind, schon nach zwölf Jahren abzuschließen, andere Lösungen? Regel sollte eine Sekundarstufe I für alle bis zur zehnten Klasse sein.
Warum nicht darüber nachdenken, ob der Sekundarbereich II flexibel zwei- bis vierjährig gestaltet werden kann? Dann gäbe es diese Möglichkeit.
Der Ansatz des vorliegenden Gesetzentwurfes ist inkonsequent. Wir werden noch einiges im Ausschuss zu beraten haben, auch wenn ich insgesamt Sympathie für Ihre Initiative habe, diese völlig verkorkste G8-Reform zurückzudrehen.
Zu dem Beitrag von Frau Reichwaldt hat sich Frau Bertholdes-Sandrock zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten Zeit. Bitte schön!
Frau Reichwaldt, zu Ihrem Hinweis auf die NDRUmfrage muss man etwas sagen. Frau Korter hat zu Recht darauf hingewiesen, wie wichtig der Zeit
Es war der erste G8-Jahrgang, nicht der 50. Deshalb gab es das mediale Interesse. Es war der einzige Doppeljahrgang, den wir hatten. Das wurde wochenlang medial hochgepuscht.
Der NDR hat diese Befragung just in der Zeit vom 2. bis 4. Mai vorgenommen. Das war die Endphase für diese 50 000 Abiturienten, von denen die Mehrzahl ausgesprochen froh ist und sich freut, dass sie jetzt das Abitur hat.
Ich gebe noch einen Hinweis. Sie halten so viel von Umfragen. Die Grünen haben dies auch in ihrer Begründung stehen. Lassen Sie uns doch einmal eine Umfrage im August machen. Ich schlage vor, wir sagen: In Niedersachsen kann man das Abitur nach 12 oder 13 Jahren machen, je nachdem, ob man es am Gymnasium oder woanders macht. Wie finden Sie das? - Dann hätten Sie eine Zustimmung von weit über 90 % der Niedersachsen. Der NDR oder ein anderer Auftraggeber könnte dann schreiben: Die Niedersachsen sind höchst zufrieden mit der Schulpolitik ihrer Regierung. - Was halten Sie davon? So viel zum Thema Umfragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Bertholdes-Sandrock, seit ich in diesem Parlament bin, frage ich mich, ob Sie bei den Gesprächen mit den Besuchergruppen, wenn es um das Turboabitur geht, Wattebäuschchen herausholen und in die Ohren stecken, weil Sie nicht hören wollen, was Ihnen Schülerinnen und Schüler und vor allem auch die Lehrerinnen und Lehrer erzählen.
Die Kinder sind in dieser Phase wirklich überlastet. Es ist kein Argument für das Turboabitur, dass die Abiturienten jetzt froh sind, dass sie durch sind. Das ist eine völlige Verkennung der Realität.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, gegenüber der Unübersichtlichkeit in der Schullandschaft gibt es ein weit verbreitetes Unbehagen, das sich in diversen Umfragen äußert. Noch deutlicher ist die Ablehnung der verworrenen Schulpolitik von CDU und FDP in Niedersachsen. Das zeigt auch das Volksbegehren für gute Schulen, das bereits jetzt mit 230 000 Unterschriften so erfolgreich ist wie der Aufstand gegen die Abschaffung des Landesblindengeldes, mit dem jedenfalls ein Teilerfolg erzielt wurde.
Der Gesetzentwurf der Grünen versucht, sich in zwei bundesweite Tendenzen einzufügen, nämlich in die Tendenz zu einem Zweiwegemodell in der Schulstruktur und in die Tendenz zu einem Abitur der zwei Geschwindigkeiten. So weit, so gut und so nachvollziehbar. Der hier und heute von den Grünen vorgelegte Gesetzentwurf - übrigens zu einem Zeitpunkt zu dem die Schulen noch nicht einmal die letzten schwarz-gelben Änderungen verdaut haben - ist aber leider kein angemessener Vorschlag zur Lösung der Probleme, sondern ein Beitrag zur weiteren Verunsicherung.
Das Ziel ist die Verlagerung der Entscheidung und der Verantwortung für das Abitur nach 12 oder nach 13 Jahren in die einzelne Schule, und zwar in den nicht öffentlich tagenden Schulvorstand. Malen wir uns das Ergebnis in einem Flächenlandkreis mit fünf Gymnasien und einer Gesamtschule an verschiedenen Standorten einmal aus. Von den Gymnasien würden zukünftig vielleicht zwei das Abitur nach 12 Jahren und zwei das Abitur nach 13 Jahren anbieten, eines böte beide Möglichkeiten an. Die Gesamtschule entschiede sich konsequent für 13 Jahre bis zum Abitur. Nehmen wir an, die Schulen lägen 20 km bis 30 km auseinander. Haben die Eltern nun die Möglichkeit, die nächstgelegene Schule mit dem ihnen genehmen Angebot auszuwählen? Bekommen sie die Fahrtkosten
erstattet? Für wie lange gilt die Entscheidung des Schulvorstandes? Gilt sie trotz der Unwägbarkeiten seiner Zusammensetzung auf Dauer? Müsste nicht die Eigenverantwortung bezüglich der Geschwindigkeiten auch für Oberschulen gelten? Welche Rolle spielt der verantwortliche Schulträger? - Fragen über Fragen! Wir können sie im Ausschuss behandeln, aber das Grundproblem bleibt. Die grünen Antworten folgen dem Motto: Vom Flickenteppich zum Flokati und zurück.
Der Antrag ist nicht durchdacht und vor allem nicht zu Ende gedacht. Eine Umsetzung würde die von Eltern und Lehrern beklagte Unübersichtlichkeit vergrößern, statt sie zu verringern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Kalendergeschichte von Johann Peter Hebel mit dem Titel „Seltsamer Spazierritt“. Sie handelt von einem Vater und seinem Sohn, die mit einem Esel unterwegs sind. Der Vater sitzt auf dem Esel, und der Sohn läuft nebenher. Vier Leute begegnen ihnen. Alle geben ihnen unterschiedliche Ratschläge, wie sie sich verhalten sollen. Am Schluss tragen beide den Esel nach Hause. Johann Peter Hebel sagte selbst zur Deutung seiner Geschichte: So weit kann es kommen, wenn man es allen recht macht. - Ich jedenfalls bin nicht bereit, mit Ina Korter zusammen einen Esel nach Hause zu tragen.
Der Gesetzgeber hat auch eine Verantwortung für Verlässlichkeit, für Rahmenbedingungen, die ein Jahrzehnt und länger halten. Im vergangenen Sommer sah es für wenige Wochen so aus, als würde in Niedersachsen eine solche Chance ergriffen. Gleiche Chancen für die Schulformen, weg mit den Hürden für und weg mit dem Turboabi an Gesamtschulen - so die ganz kurz gefasste Formel. CDU und FDP haben diese Chance verpasst und die ausgestreckte Hand nicht ergriffen. Die SPDLandtagsfraktion steht aber zu diesem Kompromiss und hängt ihr Fähnchen nicht alle paar Monate neu in den Wind.
Der Gesetzentwurf der Grünen ist ein populistischer Alleingang, der weder diesem Konsens entspricht, noch zu den Zielen des Volksbegehrens passt.
Er fällt hinter die Forderungen des Volksbegehrens zurück und kann ihm sogar schaden, weil das Ergebnis nicht abgewartet wird. Gerade die Grünen sollten vor einem Plebiszit mehr Respekt zeigen. Stattdessen berufen sie sich auf eine einzelne Fragestellung in einer Umfrage. Ich sage Ihnen: Wenn in der gleichen Umfrage die Kompetenzzuschreibung für die SPD in der Bildungspolitik bei Weitem am höchsten lag, dann vielleicht auch deswegen, weil Sozialdemokraten nicht auf jeden bunten Kirmeswagen aufspringen, der vorbeifährt.
Auf den Beitrag von Herrn Poppe hat sich Frau Korter zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön!
Herr Präsident! Herr Kollege Poppe, wenn man dem Landtag so lange angehört wie Sie und ich, dann sollte man sich erinnern, dass wir als Grüne bereits 2004 einen Antrag eingebracht haben, das Turboabi in Niedersachsen zu verschieben, bis die unsägliche „Schulreform“ der CDU/FDP durch ist, und die Schüler nicht als Versuchskaninchen zu benutzen. Wir haben 2008 einen ähnlich lautenden Entschließungsantrag eingebracht und jetzt einen Gesetzentwurf. Der Vorwurf, wir würden uns nach Umfragen richten, ist etwas weit hergeholt. Aber die Umfrage, die vielen Rückmeldungen von Kinderärzten und Schulelternräten, was das Turboabi betrifft, und zusätzlich die Abiturflucht in diesem Jahr sind Anlass, das jetzt noch einmal zu thematisieren.
Wenn man wie die SPD der Eigenverantwortlichen Schule nicht zustimmt, Herr Kollege Poppe, dann traut man natürlich auch dem Schulvorstand nichts zu. Meine Auffassung ist, dass Schulvorstände gemeinsam mit den Schulleitungen und den Schüler- und Elternvertretungen sich große Mühe geben, Schulpolitik sinnvoll für die Schule zu gestalten, an der sie tätig sind.
Deshalb traue ich ihnen auch zu, dass sie nicht alle zwei Jahre ihre Entscheidung relativieren, Herr
Kollege Försterling, sondern dass sie sich auf mindestens zehn Jahre - einen Durchgang - festlegen. Da traue ich ihnen schon etwas mehr zu.