Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

Ihre simple Formel lautet: Soziale Probleme sind samt der dazugehörigen Kinder nach der Vogel

Strauss-Taktik einfach wegzusperren, damit wir sie nicht mehr sehen. - Ich halte dies für ein krudes Menschenbild.

Ich komme zum Schluss. - Wie steht es hier mit den christlichen Werten in der CDU? Wie steht es mit den liberalen Werten in der FDP? - Sollten davon auch nur noch Fragmente vorhanden sein - das gestehe ich Ihnen ja zu -, dann können Sie unserem Antrag tatsächlich nur zustimmen. Meine Befürchtung aber ist, dass Sie das nicht tun werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Brunotte das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits bei der ersten Beratung des Antrags der Linken haben wir unsere grundsätzliche Ablehnung der geschlossenen intensivtherapeutischen Einrichtung in Lohne dargelegt. Daran hat sich nichts geändert.

Innerhalb kürzester Zeit hat der Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtags den Antrag der Linken beraten und mit der Mehrheit von CDU und FDP abgelehnt. Wenn wir ehrlich sind, ist eigentlich schon in der ersten Beratung alles gesagt worden. Die Mehrheit dieses Hauses befürwortet diese Einrichtung als wirkungsvolles Instrument. Sie hat dafür - das will ich einmal unterstellen - sicherlich auch hehre Ziele. Wir lehnen diese Einrichtung ab. Gemeinsam mit den beiden anderen Oppositionsfraktionen sind wir uns darin einig, dass Lohne keine geeignete Antwort auf die Herausforderungen an eine effektive Kinder- und Jugendpolitik in Niedersachsen ist.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich will das an einigen Punkten begründen. An erster Stelle steht für uns Transparenz. Wir müssen feststellen, dass Lohne ein entscheidender Einschnitt in die bisherige Kinder- und Jugendpolitik Niedersachsens ist. Es ist ein Soloprojekt der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen.

Diskutiert wurde diese Einrichtung im Vorfeld nicht, weder im Parlament noch im Fachausschuss. Kein

Austausch über die Ziele, Wege oder Maßnahmen. Der Landtag wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Erst durch Anfragen, beantragte Unterrichtungen und anderes mehr wurde ein Informationsfluss gewährleistet. Immer nur dann, wenn wir gefragt haben, gab es Antworten. Wir haben im Ausschuss auch mit den Betreibern intensiv diskutiert und uns informiert. Die SPD-Fraktion war mit dem zuständigen Facharbeitskreis vor Ort und hat sich diese Einrichtung angeschaut. Der Ausschuss selbst war nicht dort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir fragen uns an dieser Stelle schon, warum ein scheinbar so zentrales Projekt von CDU und FDP dermaßen in den Hintergrund gestellt wird. Das bleibt uns ein Rätsel. Vielleicht haben sie dafür aber auch gute Gründe.

Punkt 2 betrifft die Pädagogik. Hamburg hat vor einigen Monaten die geschlossene Einrichtung Feuerbergstraße nach Skandalen, Fehlentwicklungen und einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dicht gemacht. Die Feuerbergstraße war wahrlich kein Glanzlicht in Bezug auf den Umgang mit schwierigen Kindern.

Für uns stellt sich die Frage: Was ist das Ziel dieser Einrichtung in Lohne? - Für uns gilt: Der erzieherische Aspekt in der Bekämpfung von Jugendgewalt und Delinquenz muss Vorrang vor einer Bestrafungsstrategie haben. Wegschließen ist keine Lösung, und die Sanktionierung von Straftatbeständen kann und darf nicht Aufgabe der Jugendhilfe sein, sondern sie ist und muss Aufgabe eines effektiven Jugendstrafrechts bleiben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich will dies an dieser Stelle mit einer Ausnahme sagen; denn in der Diskussion hat sich durchaus gezeigt, dass es im Bereich der Krisenintervention sicherlich Ausnahmefälle gibt, bei denen eine solche Einrichtung kurzfristig Sinn machen kann,

(Roland Riese [FDP]: Aha!)

aber nicht für die Zeiträume, die hier vorgesehen sind, und nicht mit diesem Hintergrund.

Wir zweifeln an dieser Stelle auch nicht an der Kompetenz und dem guten Willen der dortigen Mitarbeiter. Die Personalausstattung, die in Lohne vorgehalten wird, ist vorbildlich und bedeutet, dass sehr effektiv mit Jugendlichen gearbeitet werden kann. Das würden wir uns dann aber auch für an

dere Einrichtungen der Jugendhilfe wünschen, und zwar auch ohne Mauern.

Die Realität in Lohne sieht aber anders aus: Polizeieinsätze, besondere Vorkommnisse, Mitarbeiter kündigen und gehen, Jugendliche entweichen. Übergangsmanagement und Wiedereingliederung sind ungeklärt. Außerdem gab und gibt es vielleicht noch immer - dazu könnte Frau Özkan ja noch etwas sagen - einen durch das Sozialministerium verhängten Belegungsstopp für die Einrichtung in Lohne. Das spricht eine andere Sprache.

Wir haben an der Stelle nur wenig über Ursachen gesprochen. Wir müssen aber festhalten, dass sich Ursachen für delinquente Karrieren vorrangig in prekären Lebenssituationen und Sozialverhältnissen widerspiegeln. Armut, mangelnde Teilhabe und fehlende Ausbildung führen zu Perspektivlosigkeit.

All das muss berücksichtigt werden. Wir müssen die Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen. Doch diese Landesregierung nimmt den Kommunen die Luft, eine vernünftige Kinder- und Jugendpolitik zu betreiben. Sie nimmt Bildungschancen und Perspektiven.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Lohne scheint ein Fass ohne Boden zu sein. Die Kosten pro Kind betragen 9 000 Euro pro Monat. Platz gibt es für sieben Kinder. Voll ausgelastet war die Einrichtung bislang nicht. Scheinbar fehlt es am Bedarf. Weder in Niedersachsen noch aus anderen Bundesländern lassen sich ausreichend viele Kinder für die Einrichtung finden.

Diese Unterbelegung führt zu drastischen finanziellen Problemen beim Träger. Der Träger muss ein sechsstelliges Defizit vor sich herschieben. Es gab Gespräche mit der Landesregierung, dieses Defizit abzudecken. Die Rechtsgrundlage blieb völlig offen, und klar scheint, dass diese Einrichtung nur bei einer Belegung von mehr als 95 % - also bei Vollbelegung - wirtschaftlich zu führen ist.

Was mich aber sehr nachdenklich gestimmt hat, ist, dass wir es hier mit einer weiteren Finanzierung zu tun haben: Ein Platz an der Sonne. - Sicherlich wünschen sich alle Kinder - auch die Kinder in Lohne -, einmal auf der Sonnenseite der Gesellschaft zu stehen. Warum sich aber die ARDFernsehlotterie, die für ein solches Projekt mit dem „Platz an der Sonne“ wirbt, im Jahr 2010 mit 262 000 Euro an den Kosten für Sanierungs- und

Umbaumaßnahmen beteiligt hat, bleibt uns ein Rätsel. Hier stellt sich für uns die Frage: Was kommt als Nächstes? - Vielleicht der Bingo-Bär, der die Mauern ein bisschen begrünt, oder die Klosterkammer oder die Volkswagen-Stiftung? - Als ob an dieser Stelle 400 000 Euro Investitionskostenzuschüsse nicht gereicht hätten. Hier drängt sich immer mehr die Erkenntnis auf, dass Lohne nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Lohne ist aber nicht die Caritas gescheitert, sondern die Landesregierung mit den sie tragenden Fraktionen, die dieses Konzept bestellt haben.

Ich finde, an dieser Stelle wird eines ganz deutlich: Der Politik wird häufig vorgehalten, dass sie sich nicht unterscheidet. An dieser Stelle sind in diesem Haus aber eine klare Trennlinie und klare Konturen zu erkennen. Wir können uns abstrakt bei der Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung einigen, aber nicht im Konkreten. Am Beispiel Lohne wird die unterschiedliche grundsätzliche sozialpolitische und auch kriminalpolitische Ausrichtung deutlich. Wir lehnen diese Einrichtung ab.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Hamburg fehlte einer CDU-geführten Mehrheit die Courage, die Einrichtung Feuerbergstraße trotz aller Fehlentwicklungen zu schließen. Das mussten dann die Grünen während ihrer Regierungsbeteiligung mit erledigen. In Niedersachsen steckt die CDU den Kopf in den Sand. In Hamburg ist die CDU abgewählt. In Niedersachsen haben CDU und FDP nach den neuesten Umfragen des NDR keine Mehrheit mehr.

Ich stelle fest: Niedersachsen braucht eine bessere Politik für Kinder und Jugendliche - ohne die Einrichtung in Lohne. Wir freuen uns auf 2013 und stimmen dem Antrag zu.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Riese das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Heimunterbringung in Lohne ist eine politische Absichtserklärung der

die Landesregierung tragenden Fraktionen gewesen, die erstmals in der Koalitionsvereinbarung 2003 abgebildet war. Insofern ist es nicht so ganz überraschend gewesen, dass spät, aber dennoch diesen Ankündigungen auch Taten gefolgt sind. Wenn die geschätzten Vorredner hier Wörter wie „Kindergefängnis“, „Sanktionierung“ und „Strafe“ gebraucht haben, dann haben sie entweder die Diskussion im Fachausschuss nicht verfolgt oder kennen die Ultima Ratio der Jugendhilfe nicht. Ich empfehle zur Lektüre noch einmal das SGB VIII, in dem alle diese Maßnahmen abgebildet sind.

Meine Damen und Herren, auf Werben der Landesregierung hat sich ein freier Träger im Bereich der Wohlfahrtspflege bereit erklärt, diese Einrichtung mit wirtschaftlichem Risiko und einem großen Aufwand zu betreiben. Ich darf Ihnen mitteilen: In einer sorgfältigen Anhörung im Fachausschuss, bei der der Träger und auch die Kräfte, die dort pädagogisch tätig sind, zugegen waren, ist klar geworden, dass hier mit viel Liebe und viel pädagogischem Einsatz solchen Jugendlichen Zuwendung zuteil wird, die keinen anderen Weg mehr haben, Vertrauen zu Erwachsenen zu finden, um überhaupt einen Weg ins Leben antreten zu können. Von daher ist das eine Einrichtung, die sich sicherlich niemand wünschen könnte.

Aber den Kopf in den Sand steckt derjenige, der wegschaut, welche problematischen Kinder es geben kann, und der so tut, als könnte man mit freundlichen Gesprächen an der Heimatfront alle Probleme lösen. Es gibt Fälle, in denen unter Beachtung der Regeln der Jugendhilfe, unter Entwicklung eines Jugendhilfeplanverfahrens im Einzelfall Fachleute der Pädagogik feststellen, dass das letzte Mittel, das diesen jungen Menschen noch auf den rechten Weg helfen kann, eine solche Unterbringung ist, die kein Knast ist; denn da wird doch keiner weggesperrt,

(Filiz Polat [GRÜNE]: Ist das denn so, Herr Riese?)

sondern da wird mit intensiver Pädagogik an diesen jungen Menschen gearbeitet. Wir sind genau unterrichtet worden, wie rasch dort Ausgang möglich wird, zunächst begleitet und später eigenverantwortlich, und wie dort auch Erfolge erzielt werden. Das ist, wie gesagt, das letzte Mittel der Jugendhilfe. Wenn wir diesen Aufwand in diesen schwierigen Fällen nicht übrig haben, dann sind wir wahrhaft menschenverachtend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist kein Zweifel: Wenn Jugendliche so weit gekommen sind, dass sie eine solche Einrichtung tatsächlich brauchen, dann ist die Diskussion über die Ursachen von delinquenten Entwicklungen philosophisch.

(Patrick-Marc Humke [LINKE]: Es sind Kinder!)

Das ist eine Aufgabe, die wir in anderen Feldern, in sämtlichen Einrichtungen der Erziehung, die wir haben, bearbeiten müssen. Dazu zählen Schulen, zuvor auch Kindergärten, die Beratung von Eltern, Erziehungsberatung. In allen diesen Feldern sind wir im Lande Niedersachsen sehr stark aufgestellt. Aber wir müssen auch dann, wenn es bei den Jugendlichen wirklich einmal schiefgegangen ist, mit hohem Aufwand eine Auffangeinrichtung vorhalten. Diese Einrichtung ist dort gewährleistet, und Sie werden sie uns nicht wegreden.

Meine Damen und Herren, wenn die intensiv betreute Unterbringung in solchen Heimen als in der Fachwelt umstritten gilt, dann ist das auch so. Es gibt einerseits Fachleute, die sagen, dass das ein mögliches letztes Mittel ist, und es gibt andererseits Fachleute, die so etwas ablehnen. Das ist politisch zu entscheiden, und im Lande Niedersachsen ist es politisch entschieden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Zu einer Kurzintervention auf den Kollegen Riese spricht von der Fraktion DIE LINKE Herr Humke. Bitte! Sie haben anderthalb Minuten.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte jetzt keine neue Diskussion beginnen. Wir diskutieren hier über unterschiedliche pädagogische Ansätze. Unsere Grundsätze und die Beschreibung dafür, wo die Trennlinien verlaufen, haben wir hier schon geäußert. Aber ich möchte Sie inständig bitten, dass Sie, wenn Sie über dieses Thema reden, zwischen Kindern und Jugendlichen unterscheiden. Es gibt diese Unterscheidung. Es macht einen Unterschied, ob jemand 10 Jahre alt ist oder 14, 15 oder 16 Jahre. Bitte seien Sie da in der Unterscheidung sauber! Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht anmerken. Alles andere ist schon gesagt worden.