Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Güntzler. Ich gebe Ihnen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind dankbar, dass die Grünen das Thema der Jugendkriminalität für die Aktuelle Stunde angemeldet haben, da es in der Öffentlichkeit weitum diskutiert wird. Wir alle haben ja noch die Bilder aus Berlin von Ende April vor Augen, wo ein 18-jähriger Täter einen 29-Jährigen zu Boden und brutal gegen den Kopf gestoßen hat. Das Opfer wurde dabei sehr schwer verletzt.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch erwähnen, dass es für mich schon schwer verständlich ist, dass zwar Haftbefehl erlassen wurde, aber eine Haftverschonung für diesen jungen Mann ausgesprochen worden ist, dass er also bis zum Prozess auf freiem Fuß ist.

(Björn Thümler [CDU]: Unglaublich!)

Dies ist ein fatales Signal, meine Damen und Herren. Gerade das erschüttert die Bevölkerung. Dieses Vorgehen schafft nicht gerade Vertrauen in unsere Rechtsordnung.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, diese Vorfälle ungezügelter Gewalt haben - anders als Sie es wahrnehmen, Herr Limburg - dazu geführt, dass Menschen aus purer Angst vor solchen Übergriffen U-BahnHaltestellen und andere öffentliche Plätze meiden. Dies kann der Staat, dies können und dürfen wir

alle so nicht hinnehmen. Wir müssen hier handeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Herr Limburg, gehen Sie mal auf die Straße, reden Sie mit den Menschen und nehmen Sie die Ängste auf, die dort bestehen! Wir schüren keine Ängste - wir nehmen die berechtigten Ängste der Bevölkerung auf. Darum ist es auch richtig, dass unser Fraktionsvorsitzende eine parlamentarische Initiative der CDU zu diesem Thema angekündigt hat. Denn wir brauchen eine umfassende Analyse der Situation in Niedersachsen, Herr Haase, um dann daraus verantwortlich weitere Konsequenzen für den Umgang mit jugendlichen Gewalttätern ziehen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Das alles hat nichts mit Angstkampagne zu tun. Das ist verantwortungsvolle Politik, die sich den Problemen stellt und nicht wegschaut, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Selbstverständlich - meine Vorredner haben es auch angesprochen - muss es in erster Linie eine gemeinsame Anstrengung sein, jede Form von Jugendkriminalität zu verhindern bzw. ihr vorzubeugen. Jugendkriminalität ist übrigens kein neues Phänomen, sie hat es zu allen Zeiten gegeben. Über die Statistiken könnten wir trefflich streiten, weil bekannt ist, dass es erhebliche Dunkelziffern gibt. Eines ist aber klar: Auch wenn die Zahlen sinken, steigt die Brutalität bei den Taten, die ausgeübt werden.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Die Anzahl dieser jüngsten Gewaltakte hat gezeigt, dass die Jugendgewalt in Deutschland mittlerweile ein gesellschaftliches Problem darstellt. Meine Damen und Herren, durch Verschweigen und Verharmlosen dieser neuen Qualität von jugendlicher Gewalt werden wir zu keiner Lösung kommen. Das ist der falsche Weg.

Die Ursachen für die Jugendkriminalität sind bekanntlich vielfältig: geringer Bildungsstand, soziale Benachteiligung, empfundene Perspektivlosigkeit oder auch familiäre Gewalt. Hier gilt es anzusetzen. Auch die Landesregierung hat hier schon einiges auf den Weg gebracht. Ich nenne beispielhaft die Sprachförderung, die Erhöhung der Ausbildungsfähigkeit von Schulabsolventen und den Ausbau der Ganztagsangebote. Ich könnte das weiterführen.

Darüber hinaus müssen die Normen für das Zusammenleben verinnerlicht werden. Familien bilden dabei nach wie vor das entscheidende Fundament für diese Wertevermittlung und die Vermittlung von sozialer Kompetenz. Fehlen dieser Halt und diese Bindung, muss es gezielte Fördermaßnahmen geben.

Um gewaltbereite Jugendliche frühzeitig zu erkennen, müssen Schulen, Jugendämter, Polizei und Justiz eng zusammenarbeiten. Dies geschieht schon in vielen Fällen, kann meines Erachtens aber noch weiter ausgebaut werden. Ein weiterer wichtiger Baustein ist auch der erfolgte Aufbau von Präventionsräten in Niedersachsen und deren erfolgreiche Arbeit.

Meine Damen und Herren, alle präventiven Maßnahmen werden letztlich allein nicht zum Ziel führen. Der Staat muss auch auf repressive Maßnahmen zurückgreifen, insbesondere dann, wenn der Betroffene oder sein Umfeld vorbeugenden Maßnahmen nicht zugänglich ist. Präventive und repressive Maßnahmen müssen sich dabei natürlich sinnvoll ergänzen; denn es muss klar sein: Jugendlichen Tätern sind klare Grenzen zu setzen. Es muss dem Täter bewusst sein, dass das eigene Fehlverhalten auch Folgen für ihn hat. Von entscheidender Bedeutung ist dann, dass die Strafe auf dem Fuße folgt; denn nur eine zeitnahe Reaktion beeindruckt den Straftäter.

Natürlich muss auch über weitere Maßnahmen nachgedacht werden. Das sind keine reflexartigen Bewegungen, sondern das ist Ergebnis vernünftiger Diskussionen. Denkverbote sollten Sie da von vornherein ausschließen. Es gibt - das ist uns auch klar - keine Pauschallösung. Es gibt keine Patentrezepte. Aber wir müssen über andere Wege diskutieren. So kann der Warnschussarrest neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, begleitet mit pädagogischen Maßnahmen, vor weiteren Delikten abschrecken. Mit der Einführung eines solchen Warnschussarrestes wird dem Täter deutlicher als bisher die Konsequenz seines Handelns vor Augen geführt. Er erfährt konkret, was es bedeutet - bildhaft gesprochen -, hinter Gittern zu sitzen. Das hat abschreckende Wirkung. Allzu oft wurde doch die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe als Freispruch zweiter Klasse empfunden und vom Täter letztendlich nicht ernst genommen.

Meine Damen und Herren, erstes Ziel muss es sein - das gilt auch für die CDU und die FDP -,

jeglicher Form von Jugendkriminalität entschieden vorzubeugen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die vorhandenen Ängste der Menschen aufgrund der zahlreichen Vorfälle jugendlicher Gewalt müssen ernst genommen werden. Wir nehmen sie ernst. Politik ist hier in der Pflicht zu handeln. Dieser Verantwortung stellen wir uns.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als nächster Redner hat Herr Adler für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Güntzler, Ihre Worte haben mich schon ziemlich erschrocken gemacht. Sie sprachen von der Jugendstrafe als Freispruch zweiter Klasse. Ich denke, Sie haben noch kein Strafverfahren mit einem Jugendlichen mitgemacht. Denn Jugendstrafe bedeutet, für eine vom Gericht festgesetzte Zeit eingesperrt zu werden. Das ist doch kein Freispruch! Wie kann man - Entschuldigung! - so etwas Dummes daherreden!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es auch unverantwortlich, Herr Güntzler, wenn Sie sich darüber beschweren, dass ein Haftrichter in einem Einzelfall eine Haftverschonung gewährt hat.

Sie haben dann den merkwürdigen Satz gesagt - ich habe ihn mitgeschrieben -: Wir nehmen die berechtigten Ängste der Bürger auf. - Ich finde, in einer solchen Diskussion müssen Sie den Bürgern sagen, dass Strafen in unserem Rechtsstaat nicht von der Polizei und auch nicht vom Haftrichter, sondern von dem zuständigen Gericht ausgesprochen werden und dass die Freiheitseinschränkungen, die es vorher geben mag und die im Einzelfall auch notwendig sind, auf einer vorläufigen Entscheidung beruhen.

Sie beruhen darauf, dass ein Haftgrund festgestellt werden muss. Wenn Fluchtgefahr erkennbar ist, wird jemand eingesperrt - aber nicht einfach nur, wenn er etwas Schlimmes getan hat, bevor er verurteilt worden ist. Gegen diese Logik, meine ich, müssten Sie aufklärerisch wirken. Das tun Sie nicht, wenn Sie sagen, Sie würden die berechtigten Ängste der Bürger aufgreifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Debatte, die hier angezettelt worden ist - man muss sagen, dass sie auf eine Pressemitteilung von Herrn Thümler zurückgeht -, finde ich wirklich unsäglich. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was der Bundesinnenminister dazu gesagt hat. Vor einem Jahr hat eine Pressekonferenz stattgefunden, auf der über die Kriminalstatistiken bundesweit berichtet worden ist. Damals hat der Bundesinnenminister, Herr de Maizière, festgestellt, dass die Kriminalität, auch die Jugendkriminalität, insgesamt zurückgeht. Er hat auch folgenden Satz gesagt - ich zitiere -:

„Die subjektive Wahrnehmung der Sicherheitssituation ist schlechter als die objektive Lage.“

Das ist ein interessanter Satz.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: So ist es!)

Jetzt lese ich einmal vor, was Sie, Herr Thümler, in Ihrer Presseerklärung gesagt haben - jetzt kommt wieder ein Zitat -:

„Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen hat ein Maß angenommen, das an Brutalität kaum zu überbieten ist.“

Das heißt, dass Sie sich in diesem Fall nicht an die objektiven Tatsachen gehalten haben, sondern an die subjektive Wahrnehmung der Sicherheitssituation. Das ist genau das, was Herr de Maizière gesagt hat.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Ich bin gespannt, was das Opfer zu Ihren Worten gesagt hätte!)

Die Frage ist: Was nehmen Sie eigentlich zum Maßstab Ihrer Politik? Ist es die Wirklichkeit, oder sind es die Vorurteile? Diese Frage müssen Sie sich stellen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Unerhört! Sie sollten sich schämen!)

Es sind die Vorurteile, die Sie mit Ihren Äußerungen bedienen. Es ist nicht die wissenschaftlich begründete Analyse, die Sie zur Grundlage Ihrer politischen Entscheidungen machen. Das finde ich wirklich erbärmlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt auch, in welcher Tradition Sie stehen. Sie stehen in der Tradition der Vorurteile und nicht

in der Tradition der Aufklärung. In dieser Tradition steht unsere Partei.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: In welcher Tradition stehen Sie?)

Jetzt kommt immer der schöne Satz: Ja, die Kriminalität ist zurückgegangen, aber sie ist brutaler geworden. Dann gibt es Bilder, auf denen Jugendliche nachtreten. Es gibt da ganz schreckliche Bilder, wo jemand, der auf dem Boden liegt, noch einmal getreten wird. - Natürlich sind das schlimme Verbrechen, natürlich sind das ganz schlimme Dinge. Nur, Sie können niemandem nachweisen, dass es das nicht auch schon früher gegeben hat. Es gibt heute Videoüberwachungen in U-Bahnen.