Jetzt kommt immer der schöne Satz: Ja, die Kriminalität ist zurückgegangen, aber sie ist brutaler geworden. Dann gibt es Bilder, auf denen Jugendliche nachtreten. Es gibt da ganz schreckliche Bilder, wo jemand, der auf dem Boden liegt, noch einmal getreten wird. - Natürlich sind das schlimme Verbrechen, natürlich sind das ganz schlimme Dinge. Nur, Sie können niemandem nachweisen, dass es das nicht auch schon früher gegeben hat. Es gibt heute Videoüberwachungen in U-Bahnen.
(Editha Lorberg [CDU]: Das kann man nicht mit anhören! Solche Gemeinhei- ten hier zu verbreiten! - Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)
Es gibt heute Video-Überwachungen in U-Bahnstationen, die es früher nicht gegeben hat. Von daher können Sie gar nicht ausschließen, dass es solche schrecklichen Vorgänge früher nicht auch schon gegeben hat. Wer wie ich längere Zeit als Strafverteidiger tätig war, der weiß, dass es solche unerfreulichen Straftaten auch früher schon gegeben hat.
Ich möchte an dieser Stelle auf eine Untersuchung der Universität Oldenburg hinweisen. Darin hat sich Professor Helge Peters mit der Wahrnehmung von Kriminalität durch die Medien befasst, nicht durch die Bild-Zeitung, sondern durch seriöse Zeitungen. Er hat untersucht, in welchem Umfang über Kriminalität berichtet worden ist. Zu diesem Zweck hat er einfach nur die Zeilen der jeweiligen Zeitungsartikel ausgezählt. Diese Untersuchung führte zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die Kriminalität als solche nicht gestiegen ist, wohl aber die Wahrnehmung in der Medienberichterstattung.
Das ist ein interessanter Fakt. Mit solchen Fakten müssten Sie sich einmal auseinandersetzen und überlegen, was sich wirklich verändert hat. Und dann wäre es meines Erachtens die Aufgabe der Politiker aller Parteien, in der Bevölkerung vorhandene Vorurteile nicht auch noch zu verstärken, sondern ihnen mit Aufklärung über die wirklichen
Fakten entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass die Jugendkriminalität nicht steigt, sondern zum Glück sinkt, und dass die Sanktionsmittel, die wir dafür zur Verfügung haben, völlig ausreichend sind.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich die Überschrift dieser Aktuellen Stunde las - „Jugendkriminalität vorbeugen - Angstkampagnen vermeiden“ -, habe ich mich zunächst gefragt: Wie aktuell ist das denn? - Jugendkriminalität vorzubeugen ist ganz sicher eine ständige Aufgabe, und von einer Angstkampagne bezüglich Jugendkriminalität habe ich in letzter Zeit nichts bemerkt.
Trotzdem ist es natürlich gut, wenn wir uns mit dem Thema Jugendkriminalität im Landtag befassen. Relativ aktuell ist in der Tat die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes für das Jahr 2010. Die Zahlen für Niedersachsen liegen leider noch nicht in ähnlich übersichtlicher Form vor.
Die Bundesstatistik weist aus, dass von 2009 auf 2010 die Straftaten von Jugendlichen insgesamt deutlich, um fast 5 %, gesunken sind, und zwar durchgehend in allen Alterskohorten. Mit Ausnahme der unter Sechsjährigen, dort sind sie um 8,5 % gestiegen, aber das mag ein Sonderphänomen sein.
Von besonderem Interesse ist für uns die Entwicklung in Niedersachsen. Auch in Niedersachsen sind die Straftaten Jugendlicher in ähnlicher Weise gesunken.
Noch aufschlussreicher ist es, einzelne Deliktbereiche zu betrachten. Da war der Trend in Niedersachsen nämlich recht unterschiedlich, wenn wir die Zahlen von 2010 mit denen von 2009 und diese wiederum mit denen von 2008 vergleichen. Straftaten gegen das Leben, Körperverletzung, Stalking und Vermögens- und Fälschungsdelikte sind bei Jugendlichen von 2008 auf 2009 gestie
gen, Diebstähle dagegen seltener geworden. Von 2009 auf 2010 sind alle diese Delikte bei Jugendlichen zurückgegangen, absolut und relativ.
Das ist natürlich ein Erfolg, zu dem viele Akteure beigetragen haben. Aber es ist ein differenziertes Bild, eigentlich zu früh für die Diagnose eines Trends und weder ein Anlass zur Beruhigung noch zu hektischem Aktionismus.
Niedersachsen verfügt über ein breites Spektrum an Präventionsmaßnahmen ebenso wie an Programmen zur Resozialisierung auch straffälliger Jugendlicher. Diese Programme haben sich offenbar bewährt. Ich bin insbesondere gespannt, wie sich das Landesrahmenkonzept „Minderjährige Schwellen- und Intensivtäter“, das es seit August 2009 gibt, entwickelt hat bzw. entwickeln wird. Trotzdem, glaube ich, sollten wir vorsichtig damit sein, wenn wir Erfolge vermelden oder Ursachen feststellen wollen.
Zu der Kriminalstatistik 2010 hat der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Professor Pfeiffer, erklärt, der wesentliche Grund für die Abnahme sei der demografische Wandel. Das heißt nicht, dass Programme nichts bewirken. Aber man sollte ihre Wirkung immer sorgfältig einschätzen.
Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung zu Herrn Güntzler. Da möchte ich doch korrigieren: U-Haft ist keine Strafhaft und auch kein vorweggenommener Strafersatz.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hans-Dieter Haase [SPD]: Wenigs- tens er hat mal ein bisschen Ahnung!)
Mir liegt jetzt noch eine Wortmeldung vor, und zwar die von Herrn Minister Schünemann. Bitte schön, Herr Minister!
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder- und Jugendkriminalität ist etwas, was uns ganz besonders berühren muss; denn sie kann schon in ganz frühen Jahren zur Folge haben, dass die eigenen Zukunftsperspektiven stark eingeschränkt werden. Deshalb hat die Landesregierung nach Übernahme der Regierungsverantwortung sehr schnell reagiert und ein Maßnahmenpaket geschnürt.
gerade um diejenigen Kinder und Jugendlichen, die straffällig geworden sind, intensiv kümmern müssen. Das ist auch absolut richtig. Deshalb haben wir im Zuge der Umorganisation der Polizei spezielle Kräfte in Fachkommissariaten zusammengezogen, um landesweit das Wohnort- und Patenprinzip umzusetzen. Das heißt: Wenn Jugendliche straffällig geworden sind, sollen sie immer von ein und demselben Sachbearbeiter betreut werden. Denn wenn sie dann erneut auffällig werden, weiß man gleich ganz genau, welche speziellen Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Zudem ist es wichtig, dass wir in jeder Schule Kontaktbeamte haben und gemeinsam mit den Schulen Präventionsmaßnahmen entwickeln. Diese Maßnahmen haben hervorragende Wirkung gezeigt. Außerdem haben wir die kommunalen Präventionsräte gestärkt und spezielle Präventionsprogramme auf den Weg gebracht.
Ich kann nur unterstreichen, was hier von allen Rednerinnen und Rednern gesagt worden ist: Wenn Jugendliche straffällig geworden sind, dann muss die Strafe, wenn irgend möglich, auf die Tat folgen. Deshalb ist das vorrangige Jugendverfahren im Bereich der Justiz auch sinnvoll. Dazu müssen Richter, Staatsanwälte sowie Rechtsanwälte und Verteidiger aber auch kooperieren. Dort, wo es in Niedersachsen möglich ist, wird dieses Verfahren schon umgesetzt: Nach sechs Wochen sollen die Anklage und möglichst auch die Bestrafung erfolgen. Das ist der richtige Weg.
Eine Ursache ist hier ebenfalls schon angesprochen worden, nämlich der Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen. Das, was wir dort in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist beängstigend, und deshalb müssen auch die Kontrollen verschärft werden. Wenn 12-, 13- und 14-Jährige nach Mitternacht mit 1,3, 1,4 oder gar 2 Promille aufgefunden werden, dann müssen sie von der Polizei nach Hause gebracht werden, und es muss nachgeschaut werden, ob das Elternhaus seine Verantwortung noch wahrnimmt. Sollte das nicht der Fall sein, müssen wir Sozialarbeiter in die Familien schicken. Verantwortlich für ihre Kinder sind immer noch die Eltern, und ich muss Ihnen sagen: Wenn Kinder im Alter 12, 13 oder 14 Jahren nachts um 1 Uhr mit 1,3 Promille aufgegriffen werden, dann müssen sich die Eltern schon fragen lassen, worum sie sich eigentlich gekümmert haben.
haben. Im Jahr 2002 hatten wir noch etwa 56 000 Straftaten von Kindern und Jugendlichen; heute sind es nur noch 49 000. Das ist auf jeden Fall die richtige Richtung.
Nun werden zwar weniger Jugendliche straffällig, aber unter denen, die straffällig werden, befinden sich welche, die immer brutaler vorgehen, die in einer Art und Weise vorgehen, die man sich nicht vorstellen kann. Auch darauf muss man reagieren. Dafür braucht man ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Einzelne Maßnahmen von vornherein schlichtweg auszuschließen, halte ich für falsch. Prävention und Repression gehören zusammen. Dies darf nicht ausgeblendet werden, und neue Maßnahmen müssen in diesem Zusammenhang nicht nur erprobt, sondern auch durchgesetzt werden. Das ist ein wichtiger Punkt.
Herr Minister, die Maßnahmen, die Sie hier beschreiben, sind zum Teil sehr richtig und werden auch von uns ausgesprochen begrüßt. Aber würden Sie uns bitte den Gefallen tun und hier nicht immer den Eindruck zu erwecken versuchen, als sei das alles Ihr Werk? Würden Sie bitte klarstellen, dass Sie das fortsetzen, was unter sozialdemokratischen Innenministern begonnen wurde,
und dass Sie an diesen Stellen Einigkeit im Parlament sehen? Würden Sie bitte nicht so tun, als seien Sie der Erfinder alles Guten, während alle anderen nur versagt haben?
Die letzte Frage, die ich Ihnen stellen möchte, lautet: Könnte die Rückläufigkeit der Kriminalität von Jugendlichen - die auch wir begrüßen -, nicht auch etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun haben und nicht ausschließlich an Ihren Fähigkeiten liegen, Herr Minister?
Also: Die Umorganisationen der Polizei im Jahre 2004, in der wir die Jugendsachbearbeiter zusammengezogen haben, haben Sie bekämpft. Für die Einführung von Alkoholkontrollen bin ich von Ihnen beschimpft worden. Und mir wurde gesagt: Wenn die Kinder mit der Polizei nach Hause gebracht werden, würde man die Eltern diskreditieren. Ich habe das trotzdem eingeführt.
Natürlich, Herr Bachmann, ist nicht alles auf unserem Mist gewachsen; das ist gar keine Frage. Aber ich darf hier doch wohl einmal darstellen, welche politischen Weichenstellungen wir vorgenommen haben. Sie haben die Maßnahmen bekämpft. Wenn Sie sie jetzt begrüßen, freue ich mich. Dann haben auch Sie dazugelernt. Vielen Dank, Herr Bachmann.
Zu Herrn Adler muss ich sagen: Es ist schwer erträglich, wenn Sie hier lapidar darauf hinweisen, dass es solche brutalen Übergriffe auch schon früher gegeben hat. Was sagen Sie eigentlich den Opfern, was sagen Sie den Verwandten, die so etwas im Radio hören, im Fernsehen sehen oder in der Tageszeitung lesen? - Es kann doch nicht sein, dass man das einfach nur zur Kenntnis nimmt. In dem Bereich geht es nun einmal nicht nur mit Sozialarbeitern! Jugendliche, die völlig durchgeknallt sind - Sie haben die Bilder selbst geschildert -, muss man vor sich selbst schützen können. Dazu muss man sie auch einmal in geschlossenen Heimen unterbringen können. Dort werden sie rund um die Uhr betreut und auf den richtigen Weg gebracht. Ich sage Ihnen: Wer 20-, 30-, 40-mal so brutal vorgegangen ist, darf nicht nur eine Bewährungsstrafe bekommen, sondern der muss auch einmal spüren, dass das bedeutet, tatsächlich hinter Schloss und Riegel gebracht werden zu können.
- Was sagen Sie denn den Opfern? - Wir haben uns die Intensivtäter angeguckt; Herr Zielke hat darauf hingewiesen. Wir haben uns genau angeguckt, wer die Straftaten begangen hat und wie oft sie begangen worden sind. Wir haben im Jahre 2009 116 Intensivtäter identifiziert. Wir betreuen sie mit Gefährderansprache und allem Drum und Dran.
Das hat durchaus dazu geführt, dass wir im Jahre 2010 weniger Straftaten hatten. Aber im Prinzip haben diese Gefährderansprachen, diese Fallkonferenzen nichts gebracht.
Wir haben einige wenige solcher Intensivtäter. Sie, Herr Adler, sagen, die Gesellschaft muss das hinnehmen. Ich hingegen sage, ich will das auf keinen Fall hinnehmen. Deshalb müssen wir so etwas wie einen Warnschussarrest haben.