Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ja!)

Sie bleiben jeden Beweis schuldig, dass wirklich ein Problem droht. Man hat eher den Eindruck, die SPD, aber auch die Linke und die angeblich so liberalen Grünen wollten ein Scheinproblem hochreden, damit sie ihren Hang zu staatlichen Maßnahmen, Regulierungen und Gesetzgeberei ausleben können, immer zum vermeintlichen Schutz der kleinen Leute.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das wird überall diskutiert, nicht nur hier im Parlament!)

Bei der bisherigen Entwicklung des Internets war es immer so, dass es einen schrittweisen Ausbau des Netzes von den Großstädten in die Fläche gab, dass es unterschiedliche Tarife für unterschiedlich schnelle Übertragungen gab und dass der Ausbau der Netzkapazitäten immer parallel zur Zunahme der Netznutzung verlaufen ist. Wenn ich vor 15 Jahren ein Bild von 40 kB auf meinen PC herunterladen wollte, so war das eine Geduldsprobe. Heute empfange ich die hundertfache Datenmenge im Handumdrehen. Mit dem Glasfaserkabel wird die Geschwindigkeit noch einmal um den Faktor 50 wachsen. Mit anderen Worten: Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es keine grundsätzli

chen oder dauerhaften Unterkapazitäten geben, aber immer wieder mag es auch zu lokalen temporären Engpässen kommen.

Das neue Internetprotokoll IPv6 ist nun in der Lage, in solchen Engpasssituationen Datenpakete nach Transportklassen im Headerbereich, also ohne Inhaltskontrolle, Herr Siebels, zu sortieren und zu priorisieren. Dies kann durchaus sinnvoll sein, ähnlich wie die Priorisierung von Notrufnummern beim Telefon. Oder beim Cloud Computing mag es für eine Firma, die ihre Daten zu einem ITBetreiber auslagert, existenziell wichtig sein, immer unmittelbaren Zugang zu ihren Daten zu haben. Solange der prinzipielle Zugang zu allen Daten im Internet für jeden User gesichert bleibt, ist doch nichts dagegen einzuwenden, dass sich unterschiedliche Ansprüche und Wünsche des individuellen Users, auch zeitbezogene Wünsche, in unterschiedlichen Vertragsgestaltungen mit den Serviceprovidern widerspiegeln können.

Und wenn es doch Probleme gibt? Wenn ich bei eBay nicht mehr erfolgreich mitsteigern kann, weil die Verbindung stockt? Wenn das vielen Usern so geht, weil der Provider schlecht priorisiert, dann seien Sie sicher, dass eBay, aber auch die interessierten Kunden dem Provider auf die Finger hauen. Das nennt man Markt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dafür brauchen wir keine Netzneutralitätsüberwachungsbehörde. Wo überwacht werden kann, ist Regulierung nicht weit. Schon wenn definiert wird, welche Arten von Inhalten auf keinen Fall warten dürfen, sollten Warnlampen angehen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Man kann die Freiheit der Kommunikation im Internet auch totschützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Limburg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Professor Zielke, man hat in den letzten Jahren manchmal lesen dürfen, dass sich mit der Internetpolitik vermeintlich auch alte politische Grenzen auflösen, dass alles verschwimmt und dass die alte Zuordnung gar nicht mehr stimmt. Ihre

Rede hat bewiesen, dass das nicht stimmt, sondern das alles noch wie früher ist.

(Christian Dürr [FDP]: Weil Sie auf dem falschen Weg sind!)

Die FDP als Partei der Großkonzerne, der Großverdiener, der der freie Zugang der breiten Bevölkerung vollkommen egal ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Das ist so lächerlich! Da muss er selbst lachen! Da muss er selbst grinsen!)

Sie führen in der Netzpolitik das fort, was Sie in anderen Politikbereichen in den letzten Jahrzehnten in diesem Land getan haben.

Wenn Sie ernsthaft der Auffassung sind, dass die SPD eine ideologische Scheindebatte startet,

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Nein, das ist ein pawlowscher Reflex bei Ihnen!)

schlage ich Ihnen vor, Herr Professor Zielke, dass Sie Ihren Blick einmal nach Berlin richten. Dort tagt z. B. zurzeit eine Enquetekommission - das hat der Kollege Mindermann gerade angesprochen -, die sich sehr engagiert gerade auch mit dem Thema der Netzneutralität beschäftigt.

(Wittich Schobert [CDU]: Und er hat gesagt, man soll das Ergebnis besser abwarten!)

Herr Professor Zielke, vorhin habe ich Ihre Parteifreunde aus den Niederlanden sehr kritisiert. An dieser Stelle muss ich sie einmal loben. Ich würde Ihnen vorschlagen, sich einmal mit Ihren Parteifreunden aus Den Haag zu unterhalten; denn das niederländische Parlament hat gerade - das begrüßen wir Grüne ausdrücklich - ein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität verabschiedet. Etwas Ähnliches strebt die SPD auch für Deutschland an. Unsere Unterstützung hat sie dabei, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zur Frage des Zeitpunkts, Herr Kollege, bin ich ganz anderer Auffassung als Sie. Der Zeitpunkt dieses Antrags ist gerade richtig. Gerade jetzt läuft die Diskussion, gerade jetzt, Herr Mindermann, haben wir noch Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Wenn die Entscheidungen auf Bundesebene erst einmal gefallen sind, dann können wir hier in

Niedersachsen sozusagen nur noch nachvollziehen, was oben entschieden worden ist. Aber gerade weil das Thema für Niedersachsen, in der Fläche, für jede einzelne Kommune, Bedeutung hat, müssen wir uns damit intensiv auseinandersetzen.

Die große Bedeutung der Netzneutralität für die Entwicklung des Internets und für die Kommunikation ist bereits betont worden. Ich möchte das nicht wiederholen, sondern möchte mich dem nur ausdrücklich anschließen.

Ich möchte aber noch einmal das unterstreichen, was Frau Flauger gerade über die Revolutionen in Nordafrika gesagt hat. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass wir uns hier in Westeuropa darüber freuen und begrüßen, wie sehr das Internet Demokratisierung in der arabischen Welt und in Teilen ja z. B. auch in China ermöglicht, aber gleichzeitig die Augen davor verschließen, inwieweit demokratische Meinungsbildung in Zukunft gefährdet sein kann, wenn wir eine starke Stellung der Konzerne haben, die dann möglicherweise entscheiden können, welche Inhalte verfügbar sind.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE] - Wittich Schobert [CDU]: Aber nicht in Nordafrika!)

Vor solchen Entwicklungen können wir doch die Augen nicht verschließen. Vielmehr müssen wir uns im Interesse der Meinungsvielfalt und im Interesse des gleichen Zugangs aller zum Internet für die Netzneutralität einsetzen, und zwar jetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Herrn Kollegen Siebels das Wort. Die Restredezeit für die SPD-Fraktion beträgt 5:14 Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur einige kurze Ergänzungen vornehmen.

Erstens. Herr Mindermann, in Ihrem Beitrag haben Sie aus meiner Sicht einige technische Dinge durcheinandergeworfen. Wenn es nämlich darum geht, dass bestimmte Anbieter mit bestimmten Geräten Situationen herstellen, in denen Dinge nicht mehr kompatibel sind, so ist das zunächst keine Frage der Netzneutralität. Die Frage der

Netzneutralität ist ein anderes Thema, so wie ich dies gerade beschrieben habe.

Zweitens. In der Tat - das hatte ich in meinem Redebeitrag erwähnt - kann es eine Ungleichbehandlung im Interesse der Nutzer geben. Dagegen hat die SPD und haben auch alle anderen Fraktionen nichts. Sie haben zu Recht das Beispiel genannt, dass eine Gesprächsverbindung, die Sie über das Internet herstellen, für den Nutzer, der gerade vor dem Rechner sitzt, Vorrang vor dem Download einer PDF-Datei oder vor etwas anderem hat. Das ist aber auch keine Frage der Netzneutralität, sondern da bestimmt ja der User selbst, was er tut.

Insofern glaube ich nicht, dass unser Antrag verfrüht ist, und ich will auch deutlich darauf hinweisen, dass ich mich in meinem vorangegangenen Redebeitrag jedenfalls nach Kräften bemüht habe, eine unideologische Rede zu halten.

Jetzt will ich alles tun, um diesen Eindruck zunichte zu machen.

(Zurufe)

Herr Professor Zielke, ich will es ganz deutlich sagen: In Ihrem Beitrag sind Sie inhaltlich auf einer völlig falschen Spur gelandet. Bei der Frage der Netzneutralität geht es nicht darum, dass wir insgesamt über eine Verbesserung der Netze reden. Wenn Sie also erlebt haben, dass Sie vor zehn Jahren ein etwas langsameres Internet hatten, als wir es heute haben, dann ist das keine Frage der Netzneutralität, sondern diese Entwicklung ist für alle gleich. Die Frage der Netzneutralität stellt sich dann, wenn es eine Veränderung gegenüber dem jetzigen Zustand gibt. Jetzt funktioniert es so, dass all das, was zuerst hineingeht, auch zuerst wieder herausgeht. Das ist Netzneutralität.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Diese gibt es nicht mehr, wenn der Anbieter die Datenpakete priorisieren, also in eine Reihenfolge bringen, kann. Das ist dann keine Netzneutralität mehr, und das wollen wir nicht. Das hat nichts damit zu tun, wie schnell das Internet insgesamt ist. Deshalb sage ich - jetzt verlasse ich sozusagen den unideologischen Pfad -: Die FDP wird in der Tat ihrem Ruf gerecht, alles immer dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Ach Gott! - Christian Dürr [FDP]: Ein so junger Kollege mit einer so alten Re- de! Sehr schade!)

Bei einer so wichtigen Sache wie dem Internet, das schon heute einen so großen Einfluss auf die Gesellschaft hat und in Zukunft noch stärker haben wird, ist es wesentlich, dass der Gesetzgeber regelnd eingreift und eben nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlässt. Das ist der Unterschied zwischen den vier Fraktionen in diesem Hause und der FDP-Fraktion.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Schon so vergangenheitsverliebt! So schnell wird man bei Ihnen alt! Scha- de, schade!)

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Professor Zielke das Wort.

(Detlef Tanke [SPD]: Ich würde es nicht machen, Herr Kollege! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Siebels, es geht ja nicht darum, dass wir irgendwelche großen Konzerne im Auge hätten. Was wir im Auge haben, ist: Was ändert sich für den einzelnen User? - Dem ist es ziemlich egal, aus welchen Gründen er auf die Übertragung seiner Daten warten muss oder nicht warten muss.