Die Linke fordert nun in ihrem Antrag das Land auf, eine flächendeckende Sozialcard einzuführen. Ich halte das für ein sehr schwieriges Unterfangen. Neben der Tatsache, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kommunen berührt sein könnte, macht ihr Antrag einen Finanzierungsvorschlag, wie das gehen soll, nämlich mit bis zu 75 % Kostenbeteiligung des Landes. Mehr stand zunächst nicht im Antrag. Sie haben heute in Ihrer Rede gesagt, Sie schätzen 95 Millionen Euro, und vorgerechnet, dass auch wieder viel Geld hereinkommt. Das kommt mir an der Stelle vor wie ein Perpetuum mobile. Das sollten wir uns tatsächlich genauer angucken. Es ist nicht erklärt, wie diese Summe vom Land aufgebracht werden kann.
Ich finde überhaupt, dass das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt wird. Denn wir alle wissen - das hat neulich ein Gutachten der HansBöckler-Stiftung bestätigt -, dass der Hartz-IV-Regelsatz falsch ermittelt worden ist.
Die wesentlichen Punkte, die das angewendete Verfahren verfassungsrechtlich problematisch machen, sind u. a. die falsche Abgrenzung der Vergleichsgruppen, die Nichtberücksichtigung langlebiger Verbrauchsgüter sowie das willkürliche Herausrechnen von Konsumausgaben. Das ist aus meiner Sicht der größte Sündenfall, weil es das statistische und das Warenkorbmodell miteinander vermischt hat. Das ist unzulässig. Und es legt normative Setzungen zugrunde. Ursula von der Leyen hat Ihnen in diesem Verfahren quasi als Übermutter der Bedürftigen vorgeschrieben, was Sie zu tun und zu lassen haben und dass Sie nichts untereinander ausgleichen dürfen.
Auch der Mobilitätsbedarf Bedürftiger wurde heruntergerechnet. Statistische Ausgaben beispielsweise für Benzin gingen nicht in die Rechnung ein, weil man sagte, das Existenzminimum könne man auch ohne Auto oder Motorrad bewerkstelligen. Selbst wenn man diese Sicht akzeptieren würde, müsste eine realistische Berechnung berücksichtigen, dass die Referenzgruppe ohne Benzinausgaben Ausgaben für den ÖPNV hätte. Ich finde, hier muss man ansetzen. Die Regelsätze müssen angepasst werden. Das Land kann an dieser Stelle keine Ausfallbürgschaft für den Bund übernehmen. Ich sehe auch nicht ein, dass den Menschen in diesem Land Hungerlöhne bezahlt werden und wir in den Kommunen das dann über Sozialcards oder Ähnliches abfedern sollen.
Wir brauchen Mindestlöhne, und wir brauchen, damit die Kommunen insgesamt günstiger werden können, eine vernünftige Finanzausstattung. Wir brauchen eine Reform der Gewerbesteuer, und wir müssen die Gesamteinnahmen des Staates erhöhen - auch das kommt den Kommunen und dem Land zugute -, indem wir die Leistungsstärkeren in der Gesellschaft stärker an den Ausgaben beteiligen, sprich: Vermögensteuer, höhere Besteuerung von großen Erbschaften, Anhebung des Spitzensteuersatzes.
Danach rufen in diesem Land selbst die Reichen. Sie wollen auch, dass es endlich gerechter zugeht, auch wenn die FDP das nicht verstanden hat. Aber die Leute haben es verstanden und wählen Sie deswegen nicht mehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Riese, ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden. Ich werde ihn im Protokoll nachlesen müssen.
Frau Helmhold, bestimmte Probleme können wir hier lösen, bestimmte auch nicht; da gebe ich Ihnen recht. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es Armut gibt und dass in Niedersachsen viele Menschen von der Mobilität ausgeschlossen sind. Insofern müssen wir tatsächlich darüber diskutieren, inwieweit man Modelle, die es bereits gibt, für Niedersachsen kompatibel machen kann.
Es gibt beispielsweise in Brandenburg ein flächendeckendes Sozialticket. Nun können Sie dagegenhalten, dass es dort auch nicht so viele Verkehrsverbünde gibt. Ich kann Ihnen allerdings entgegnen, dass es in NRW durchaus Bestrebungen gibt, eine flächendeckende Sozialcard einzuführen. Das finden Sie auf Seite 51 des Koalitionsvertrages von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in NordrheinWestfalen, in dem unter dem Titel „Gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen: Sozialticket für NRW“ eine Zeitschiene dargestellt wird, auf der man das flächendeckende Sozialticket einführen möchte. Es gibt also diesbezügliche Überlegungen.
Darüber hinaus betont Oliver Mietzsch vom Deutschen Städtetag, dass es Möglichkeiten für eine Umstrukturierung des öffentlichen Personennahverkehrs gibt und dass man auch die Nutznießer, nämlich die Geschäfte und die Wirtschaft, in die Finanzierung einbeziehen kann. Das alles sind Gedanken, die wir uns machen können. Das alles sind Ideen, über die wir mit Ihnen diskutieren möchten, und darauf freue ich mich. Seien Sie bitte offen!
mir auch gerne das an, was Sie zu den Kosten aufschreiben. Ich bin nur grundsätzlich der Meinung, dass man die Probleme da lösen muss, wo sie anfallen.
Wir können den Bund nicht aus der Verantwortung entlassen. Ich bin jederzeit bei jedem, der sagt: Wir müssen die Regelsätze erhöhen, wir müssen soziokulturelle Teilhabe darüber organisieren, dass die Menschen in diesem Land vernünftig bezahlt werden, dass die Menschen, die aus irgendwelchen Gründen aus dem System fallen, eine soziale Unterstützung erhalten, die ihnen eine vernünftige soziokulturelle Teilhabe ermöglicht.
Wir können das Problem aber nicht auf dem Land abladen und sagen: Im Himmel ist Jahrmarkt. Wir führen die Sozialcard überall ein, egal wie viele Millionen es kostet. - Wir haben auch eine Verantwortung für die Haushaltskonsolidierung in diesem Land. Wir haben eine Schuldenbremse, und wir müssen sehen, dass die Probleme da bleiben, wo sie hingehören.
(Beifall bei den GRÜNEN - Patrick- Marc Humke [LINKE]: Mit Mehrein- nahmen! - Gegenruf von Ursula Helmhold [GRÜNE]: Die rechnen Sie mir dann mal vor!)
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neue Melodie der Grünen, die jetzt plötzlich die finanzielle Nachhaltigkeit zu entdecken vorgeben, hat uns schon ein bisschen verblüfft.
und sind sehr gespannt auf den, der in diesem Jahr kommt. Dann werden wir sehen, wie Sie damit umgehen.
Meine verehrten Damen und Herren, der Antragsteller erfindet ein neues Grundrecht: das Grundrecht auf Mobilität. Das ist in der Fachliteratur durchaus sehr umstritten. Mit anderen Worten: Es gibt nur sehr wenige Teilnehmer an der Diskussion, die dieses Grundrecht wirklich konzedieren. Im Antragstext heißt es schon milder: „Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe“. Das ist so warm und weich formuliert, da könnte man sich schon treffen.
Über die Implikationen des Antrags, was kommunale Selbstverwaltung angeht, und auch über die Lage, die wir derzeit im Land Niedersachsen beobachten, hat der Kollege Böhlke schon Wichtiges ausgeführt; das kann ich mir daher sparen. Ich möchte Ihnen allerdings nicht vorenthalten, dass der Antrag so, wie er heute eingebracht wurde, in sich nicht konsistent ist. Selbst wenn er Lösungen anböte, würde er gleichwohl zu neuen Schwierigkeiten führen.
Beispielsweise der Singlehaushalt mit einem Einkommen von 880 Euro, der der Sozialcard teilhaftig wird, wird gefördert. Was wäre mit einem Singlehaushalt, der ein Einkommen von 885 Euro hätte? - Die Probleme entstehen immer an den
Grenzen. Wenn man die soziale Bedürftigkeit bis zu einem bestimmten Punkt feststellt, wie immer man ihn definiert, ist man, sobald man einen Millimeter über der Grenze ist, in Verwerfungen und schafft dort starke Ungerechtigkeiten. Das ist also durchaus ein sehr problematischer Ansatz.
In der Verfassung, meine Damen und Herren, ist eindeutig geregelt, dass die Kommunen ein Recht auf Selbstverwaltung haben. Unser Niedersächsisches Nahverkehrsgesetz weist den Kommunen, Landkreisen und kreisfreien Städten die Aufgabe des Nahverkehrs zu. Das umfasst übrigens - darauf darf ich hinweisen - auch ausdrücklich die Lizenzierung für den Taxiverkehr.
Mobilität wird sich - das muss ich einräumen, Herr Humke; Sie haben das hier angesprochen - natürlich noch nicht allein mit einem Ticket, das relativ preisgünstig angeboten wird, herstellen lassen. Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis: Das hübsche Dörfchen Uttum - es liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen Emden und Norden - ist an den Busverkehr angeschlossen. Hat man ein Auto, kann man sich von Uttum in ungefähr 25 Minuten nach Norden bewegen. Ist man auf den öffentlichen Nahverkehr wie Bus und Bahn angewiesen, beträgt die Fahrzeit - je nach Tageszeit - ungefähr zwischen einer und zwei Stunden. Die letzte Fahrt von Uttum - dem Dorf auf dem Lande - nach Norden ist an einem Wochentag um 19.33 Uhr möglich. Die letzte Fahrt aus der Stadt zurück aufs Dorf ist um 18.08 Uhr möglich.
Darin liegen strukturelle Probleme, die es immer geben wird, wenn man sich im Flächenland Niedersachsen mit dem Nahverkehr beschäftigt. Es wird nicht möglich sein, zu jeder Tages- und Nachtzeit Mobilität auf öffentliche Kosten vorzuhalten.
Diese Situation kann man beklagen, aber dafür gibt es kaum eine grundsätzliche Lösung, wenn wir mit unserem Haushalt im Einklang bleiben wollen. Auch über diese Dinge werden wir uns im - fachlich zwar nicht zuständigen - Ausschuss in der Tiefe unterhalten müssen.