Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Meine Damen und Herren, dann rufe ich den für heute letzten Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung: Verbotsverfahren für Hells Angels einleiten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/3918

Zur Einbringung hat sich der Kollege Bachmann gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, in der Bremischen Bürgerschaft hat die dortige SPD-Fraktion am 25. August den Entwurf eines Antrags „Verbotsverfahren für Hells Angels einleiten“ vorgelegt. Sie hat uns aufgrund der engen Zusammenhänge mit Niedersachsen darum gebeten - und ist damit bei uns natürlich auf offene Türen gestoßen -, diese Initiative zu unterstützen.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass die erste Initiative von den bremischen Kolleginnen und Kollegen ausging, und zwar aus gutem Grund. In Bremen hat es vor kurzem eine Verhaftung des dortigen Hells-Angels-Chefs gegeben, der mit sei

nen engsten Leuten eindeutig im Zusammenhang mit schwersten Straftaten steht.

Wir befassen uns seit Juli natürlich auch in Niedersachsen mit dem OK-Lagebild und haben sehr genau analysiert, was uns Justizminister Busemann und Innenminister Schünemann beim Lagebild Polizei und Justiz „Organisierte Kriminalität“ an Zahlen und Fakten genannt haben. Wenngleich Herr Schünemann ansonsten mit Mitteln der kreativen Buchführung die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich der Kriminalitätsentwicklung und der Aufklärungsquoten manchmal für sich positiv darstellt, muss er in diesem Zusammenhang auf jeden Fall zugeben, dass wir eine bedrohliche Steigerung von Straftaten haben, die aus der Rockerszene begangen werden. Es besteht also Handlungsbedarf.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der Verhaftung des Chefs der Bremer Hells Angels zeigt sich wieder einmal, dass es sich bei den Hells Angels eben um keine - Herr Briese, weil Sie sich schon so geäußert haben - Hobbymotorradgruppe handelt, um keinen Motorsportverein, und es geht auch nicht um Motorradfahrerromantik. Es ist vielmehr eindeutig festzustellen, dass die Menschen, die sich bei den Hells Angels zu einem Verein zusammengeschlossen haben, in den typischen Deliktfeldern der organisierten Kriminalität auffällig werden. Es geht bei den Hauptaktivitäten neben diversen Gewaltdelikten um BTM-Verstöße, es geht um Waffenhandel und um Schmuggel, es geht um Prostitution und im Rahmen von ChapterKämpfen und Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen um einen vermeintlichen Frieden, der aber nicht dafür gesorgt hat, dass nicht doch in großem Umfang gefährliche Körperverletzungen stattfinden.

Meine Damen und Herren, es ist allemal erforderlich, dass wir es nicht weiter tolerieren, dass eine solche Organisation, ausgestattet mit den Privilegien des Vereinsrechts, diese Straftaten begehen kann. Das ist nicht vertretbar.

(Zustimmung bei der SPD)

Deswegen müssen wir uns im Niedersächsischen Landtag wie in der Bremischen Bürgerschaft - ich hoffe, dass es auch in anderen Bundesländern entsprechende parlamentarische Initiativen geben wird - im bundesweiten Kontext abstimmen. Wir sind der Auffassung, dass es an der Zeit ist, ein Verbotsverfahren der Hells Angels einzuleiten und dieses auch mit den Strafverfolgungsbehörden

anderer Bundesländer, insbesondere mit der Bremer Initiative, abzustimmen.

Weil wir natürlich ernst nehmen, was Herr Schünemann an Bedenken äußert, haben wir den dritten Absatz des Antrages formuliert. Wir sind nicht die operativ Handelnden, und das Parlament ist nicht die Strafverfolgungsbehörde. Deswegen fordern wir im dritten Absatz - nicht sozusagen als Hintertürchen, wie es zum Teil interpretiert wurde, sondern weil es ganz normal ist -, dass uns berichtet wird, wenn es Gründe oder Tatsachen geben sollte, die die Durchführung eines Verbotsverfahrens be- oder verhindern sollten. Das muss im engsten Dialog mit dem Innenausschuss des Landtages geschehen. Ich hoffe, diese Initiative findet Ihre Unterstützung.

Herr Schünemann sagt in seiner Stellungnahme aber auch, ein allgemeines Verbotsverfahren sei aus organisatorischen Gründen kaum möglich. Deswegen gilt es doch dringend zu prüfen, welche Spielräume hier bestehen. Ich glaube, es ist die Pflicht dieses Parlaments, unsere Landesregierung in diese Richtung aufzufordern. In Hamburg gibt es seit 1983 ein Verbot der Hells Angels. Dieses Verbot ist nicht nur durchgehalten worden, sondern vereinsrechtlich auch ausgeklagt.

Meine Damen und Herren, Herr Schünemann redet ja nicht mit allen Polizeigewerkschaften. Er redet z. B. nicht mit der GdP.

(Uwe Schünemann [CDU]: Das ist falsch!)

Wir reden mit allen. Wir reden mit der DPolG, mit der GdP und auch mit dem BDK. Ich will Ihnen nicht vorenthalten, dass der Landesvorsitzende des Niedersächsischen Bundes der Kriminalbeamten mir nach dem Bekanntwerden unserer parlamentarischen Initiative folgende E-Mail geschickt hat:

„Vor dem Hintergrund einer sich immer weiter ausdehnenden Rockerszene ist nach aktuellen Vorfällen in Hannover“

- die heute in der Presse stehen, die hier jetzt aber nicht Thema sind, weil sie zwar in einem mittelbaren, aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen -

„jetzt dringend Handlungsbedarf geboten. Wo soll es noch hinführen, wenn kriminelle Motorradgangs einige Rotlichtbereiche dominieren“

- ich zitiere Herrn Küch! -

„und die Polizei tatenlos zusehen muss. Ich komme daher auf unser neulich geführtes Gespräch zurück und freue mich, dass Sie entsprechend parlamentarisch initiativ werden.“

Aus der Pressemitteilung des BDK will ich Ihnen wenigstens den letzten Absatz nicht vorenthalten, der noch deutlicher wird:

„Dabei wird es eine konsequente politische und juristische Lösung im Umgang mit diesen ‚Rockergruppen’ nur dann geben, wenn sich hier die Einsicht bei unseren Volksvertretern“

- damit sind wir gemeint; der BDK sagt das -

„durchsetzt, dass unsere Gesellschaft sehr gut auch ohne diese Motorradgangs auskommt, denn sie werden immer wieder versuchen, ihr durch Gewalt erkämpftes Territorium auch mit Gewalt zu verteidigen. Nicht anders sind die gegenseitigen blutigen Übergriffe der Vergangenheit und Gegenwart zu deuten.“

Der BDK fordert schon seit Jahren das konsequente Verbot auffälliger und krimineller Rockergruppen. Wo sind wir mittlerweile angekommen, wenn selbst unsere Presse bestimmte Stadtteile in manchen Städten nicht mehr betreten kann? Wie sieht es an diesen Orten mit dem staatlichen Gewaltmonopol tatsächlich aus? Finden dort ein polizeilicher Schutz und eine kriminalpolizeiliche Beobachtung dieser Missstände überhaupt noch statt?

Diese Fragen stelle ich hier nicht als Oppositionspolitiker, diese Fragen stellt vielmehr der Leiter einer großen kriminalpolizeilichen Dienststelle dieses Landes, der im Ehrenamt Vorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten in Niedersachsen ist, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Hans-Dieter Haase [SPD])

- Ja, ich habe ja die Hoffnung, dass Herr Schünemann auf ihn hört, weil das einer seiner akzeptierten Gesprächspartner ist. An der Stelle muss er ihn doch ernst nehmen, wie auch wir ihn ernst nehmen. Meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund dieses Antrages, nicht mehr und nicht weniger.

Wir haben hier zur ersten Beratung einen SPDAntrag vorliegen. Heute signalisiert die CDU durch verschiedene Kanäle, dass sie den Konsens sucht. Herr Thümler machte das gegenüber der Presse, wie wir erfahren haben. Der Kollege Ahlers hat mir gegenüber formuliert, wir müssten doch das Ziel haben, zu einem gemeinsamen Beschluss zu kommen.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesen Antrag mit den dargelegten Begründungen an den Innenausschuss zur federführenden Beratung zu überweisen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass es uns gelingt, nicht nur eine Debatte zu führen, sondern mit einem zielorientierten Beschluss diesem Bandenunwesen auch durch ein vereinsrechtliches Verbot ein Ende zu bereiten und damit die Menschen in diesem Land und den gesellschaftlichen Frieden zu schützen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN - Unruhe)

Meine Damen und Herren, es tut mir leid, wenn ich Sie bei Ihren Gesprächen stören muss, aber wir haben noch ein paar Redner.

(Heiterkeit)

Ich würde gern Herrn Briese das Wort erteilen, aber erst dann, wenn Sie die Gespräche eingestellt haben. - Herr Briese, bitte!

Besten Dank, Herr Präsident. - Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, niemand hier im Haus hat etwas gegen Motorradfahrer und das Motorradfahren oder auch gegen Motorradvereine, wenn sie sich einigermaßen zivil, wie ich einmal sagen will, benehmen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung wäre vielleicht für das eine oder andere Motorrad angebracht, aber die meisten Motorradfahrer wollen einfach nur das ganz besondere Lebensgefühl des Easy Riders leben, und dagegen hat auch niemand etwas.

Aber um diese Motorradfahrer und diese Vereine geht es in dieser Debatte ja gar nicht. Es geht vielmehr um ganz spezielle Motorradvereine - davon haben wir hier vier -, die ein sehr sonderbares Verständnis von den Begriffen Freiheit, Abenteuer und Recht haben. Es geht um Clubs und Vereine, die zumindest partiell - das besagen die Lagebilder der Polizei eindeutig - mit dem organisierten

Verbrechen verbandelt sind und die nach ihrem eigenen Selbstverständnis auch über dem Gesetz stehen. Denn nicht anders ist es zu verstehen, wenn zu den ungeschriebenen Regeln der Hells Angels oder auch der Bandidos gehört, niemals mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Ich finde, das ist ein ganz sonderbares Selbstverständnis, was überhaupt nicht geht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Aber ich finde, Herr Bachmann, dass man, wenn wir über das Phänomen Rockerkriminalität sprechen, über die vier großen Motorradgangs sprechen muss, die sich als Outlaw-Motorradgangs verstehen. Da reicht es nicht, eine Debatte nur über die Hells Angels zu führen. Denn was haben wir davon, wenn wir die Hells Angels verbieten und in die entsprechende Lücke die Bandidos, Gremium MC, die Mongols, die Red Devils oder irgendwelche andere Gangs treten?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit ist das Problem ja nicht ansatzweise gelöst. Also müssen wir über die gesamte Bandbreite dieser Motorradclubs sprechen.

Diese Motorradclubs versuchen zum Teil, sich ein karitatives Mäntelchen umzuhängen, indem sie hier und da mal eine Spendenaktion durchführen, und versuchen auch, über Sicherheitsdienstleistungen, Tattoostudios oder anderes in das ganz normale Gewerbe einzusickern. Das ist auch nicht verboten und sollte trotzdem Anlass zur Skepsis geben. Ich finde, in mancher Kommune in Niedersachsen ist das Bewusstsein in den Verwaltungen hier und da noch nicht richtig ausgereift, dass man sehr vorsichtig sein sollte, mit dem Sicherheitsgewerbe von Rockerclubs zusammenzuarbeiten. Da sollte das Innenministerium vielleicht etwas stärker Handlungsanweisungen geben, dass Kommunen und Verwaltung nicht Dienstleistungen einkaufen, die von bestimmten Rockervereinen angeboten werden. Da besteht also ein bisschen Aufklärungsbedarf.

Ich will hier deutlich sagen, dass unsere Solidarität mutigen Kommunalpolitikern und auch mutigen Journalisten gehört, die wir in Niedersachsen haben und die das immer wieder zum Thema machen. Da sollte sich der Landtag solidarisch erklären, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Ich habe gesagt, dass wir ziemlich eindeutige Lagebilder des Bundeskriminalamtes und auch des niedersächsischen Landeskriminalamtes haben, dass es bei bestimmten Motorradgangs zumindest partiell - man muss ja sehr vorsichtig sein, wie man hier rechtlich argumentiert - eindeutige Verbandlungen mit der Organisierten Kriminalität gibt. Es gibt auch Aussteigerbücher von verschiedenen Leuten der Hells Angels, die sagen: Die ganze Vereinigung der Hells Angels oder auch anderer Motorradclubs dient eigentlich nur dazu, durch illegale Machenschaften Profit zu erwirtschaften.

Also, ganz klar: Es ist richtig, dass wir diese Diskussion heute hier im Landtag führen und dass wir diese Motorradclubs sicherheitspolitisch auf dem Radar haben.

Der SPD-Antrag fordert ein Verbotsverfahren. Ich kann dazu nur sagen, Herr Bachmann: Wenn die Lageerkenntnisse in Niedersachsen durch das LKA für ein Verbotsverfahren ausreichend sind, dann soll man es machen, dann soll man es versuchen.