Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Das europäische Jahr des Freiwilligendienstes - Wie sind die Erfahrungen der Landesregierung mit der im Jahre 2007 eingeführten Ehrenamtskarte?

Das Jahr 2011 ist das europäische Jahr des Freiwilligendienstes. Menschen, die sich in ihrer Freizeit freiwillig für andere Menschen und die Gesellschaft ohne finanzielle Gegenleistung engagieren, gebührt der höchste Respekt. Dieses Engagement wird in diesem Jahr in ganz Europa mit verschiedenen Veranstaltungen hervorgehoben.

In Niedersachsen hat das Ehrenamt auf kommunaler, sportlicher und sozialer Ebene eine gute Tradition. So startete Niedersachsen bereits 2003 im Internet den sogenannten Freiwilligenserver, in dem die Daten von Tausenden Vereinen, Selbsthilfegruppen und Initiativen gespeichert sind und der den Menschen Möglichkeiten aufführt, wie sie sich ehrenamtlich engagieren können.

Im Jahr 2007 startete der Niedersächsische Ministerpräsident a. D. Christian Wulff mit den kommunalen Spitzenverbänden die landesweite Ehrenamtskarte. Menschen, die eine ehrenamt

liche Tätigkeit ausüben, erhalten mit dieser Karte Vergünstigungen und sonstige Vorteile. Im vergangenen Jahr konnte Niedersachsen eine Kooperation mit Bremen abschließen, wonach die beiden Bundesländer gegenseitig ihre Ehrenamtskarten anerkennen und Vergünstigungen gewähren.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie sind die Erfahrungen der Landesregierung mit der im Jahre 2007 eingeführten Ehrenamtskarte?

2. Wie viele Gemeinden, Städte und Landkreise beteiligen sich niedersachsenweit an der Ehrenamtskarte, und wie oft wurde sie in Niedersachsen ausgegeben?

3. Bestehen Bestrebungen, auch mit weiteren Bundesländern Kooperationen wie mit Bremen abzuschließen?

Ehrenamtliches Engagement findet in den Städten und Gemeinden statt. Dort werden die Bürgerinnen und Bürger durch konkrete Hinweise und persönliche Ansprache dafür gewonnen. Die große Bereitschaft der Niedersachsen ist sehr ermutigend, sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl zu engagieren. Nach dem Freiwilligensurvey 2009, einer bundesweiten Erhebung zum freiwilligen Engagement, sind 2,8 Millionen Menschen in Niedersachsen bzw. 41 % der Bevölkerung ab 14 Jahre ehrenamtlich aktiv. Das sind 10 Prozentpunkte mehr im Vergleich zur ersten Erhebung 1999. In keinem anderen Bundesland hat es einen höheren Anstieg gegeben. Niedersachsen liegt im bundesweiten Vergleich zusammen mit BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz an erster Stelle.

Damit das ehrenamtliche Engagement nachhaltig ist und weiter ausgebaut werden kann, sind fördernde Rahmenbedingungen und die Anerkennung der Aktiven außerordentlich wichtig.

In den vergangenen Jahren haben die Kommunen, die Trägerorganisationen und die Landesregierung eine „Kultur der Anerkennung“ entwickelt, um den Wünschen der Ehrenamtlichen nach Anerkennung und Wertschätzung nachzukommen. Beispielsweise hat die Landesregierung auf eigene Kosten den Versicherungsschutz für Ehrenamtliche ausgebaut, die Gründung von Freiwilligenagenturen und Bürgerstiftungen unterstützt sowie durch die Auslobung von Preisen zur verstärkten öffentlichen Anerkennung von Ehrenamtlichen beigetragen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die kommunalen Spitzenverbände und die Landesregierung haben 2007 die Initiative ergriffen

und ein Konzept zur Einführung der niedersächsischen Ehrenamtskarte entwickelt. Eckpfeiler des gemeinsam getragenen Konzeptes sind die landesweite Gültigkeit der Karte, ein einheitliches Design und transparente Ausgabemodalitäten. Damit konnte eine neue und attraktive Form der Wertschätzung für die Ehrenamtlichen in Niedersachsen angeboten werden. Die Landkreise, Städte und Gemeinden entscheiden aber eigenständig über die Einführung der Ehrenamtskarte. Sie verleihen die Ehrenamtskarte an die herausragend Engagierten in ihrer Kommune.

Für alle Ausgezeichneten gilt, dass die Ehrenamtskarte ein Zeichen des Dankes und der Anerkennung für ein langjähriges und intensives ehrenamtliches Engagement ist. Sie ist eine moderne Form des Ehrenzeichens, und dabei steht der „Dank“ an die Aktiven im Vordergrund.

Mit der Verleihung der Karte ist ebenfalls das Angebot verbunden, landesweit öffentliche und private Vergünstigungen nutzen zu können. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die bemerkenswerte Unterstützungsbereitschaft von privater Seite, indem sie eine beachtliche Zahl von Vergünstigungen für Inhaberinnen und Inhaber von Ehrenamtskarten zur Verfügung stellt. Bis Ende September 2011 konnten die Landesregierung und die beteiligten Kommunen insgesamt 999 öffentliche und private Vergünstigungen einwerben.

Auf zwei landesweiten Veranstaltungen in den Jahren 2009 und 2010 fand ein Erfahrungsaustausch über die Ehrenamtskarte mit kommunalen Vertreterinnen und Vertretern statt. Die Veranstaltungen bezogen sowohl die Kommunen, die bereits die Karte eingeführt haben, als auch die ein, die sich noch nicht am Projekt beteiligen. Auf beiden Veranstaltungen wurde übereinstimmend bestätigt, dass der Verwaltungsaufwand, der mit der Einführung der Ehrenamtskarte anfällt, ohne Schwierigkeiten getragen werden kann. Die Nutzung der Ehrenamtskarte durch die Ausgezeichneten sei bisher problemlos, und es hätten sich keine spürbaren Einnahmeausfälle durch die Gewährung von öffentlichen Vergünstigungen ergeben. Die Ehrenamtskarte wurde durchweg als ein weiterer wichtiger Baustein der „Kultur der Anerkennung“ eingeschätzt.

Der Erfolg der Ehrenamtskarte kann auch daran bemessen werden, dass sich im September 2010 das Land Bremen dem Projekt angeschlossen hat. Die niedersächsische Ehrenamtskarte ist damit

bundesweit die erste Karte, die über Landesgrenzen hinweg genutzt werden kann.

Zu 2: Gegenwärtig wird die Ehrenamtskarte von 34 Landkreisen, kreisfreien Städten und Kommunen verliehen. Der Landkreis Northeim sowie die Samtgemeinde Kirchdorf haben mitgeteilt, dass sie die Ehrenamtskarte demnächst einführen wollen. Bis Ende September 2011 wurden in Niedersachsen 9 502 Ehrenamtskarten verliehen. Darunter waren 5 115 Männer und 4 387 Frauen.

Zu 3: Auf Bund-Länder-Ebene erfolgt zwischen den Fachreferenten ein kontinuierlicher Erfahrungsaustausch über Formen der Kooperation bei der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Dies hat u. a. zur bundesweiten Verbesserung des Versicherungsschutzes auf Länderebene beigetragen. Insoweit kann längerfristig auch eine Kooperation zwischen den Bundesländern im Falle der Ehrenamtskarte möglich werden. Erste konkrete Gespräche wurden zwischen den zuständigen Fachreferenten aus Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und SchleswigHolstein geführt. In Schleswig-Holstein ist bereits eine Ehrenamtskarte eingeführt worden, dagegen gibt es sie in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern nicht. Eine gegenseitige Akzeptanz der Ehrenamtskarten von Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist bisher nicht beabsichtigt. Ob eine partielle Zusammenarbeit bei der Ehrenamtskarte umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.

Anlage 7

Antwort

des Ministeriums für Inneres und Sport auf die Frage 8 der Abg. Dr. Gabriele Andretta und Grant Hendrik Tonne (SPD)

Informiert der Verfassungsschutzbericht 2010 mit falschen Fakten?

Im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 wird im Kapitel Linksextremismus ausführlich über gewalttätige Aktionen linksextremistischer Einzelpersonen oder Gruppen berichtet. In diesem Kontext wird wiederholt auf Göttingen als „Autonomen-Zentrum“ Bezug genommen und dabei auf einen bisher ungeklärten Brandanschlag im Kreishaus des Landkreises Göttingen am 22. Januar 2010 verwiesen. Als Begründung für die Einordnung der Tat heißt es: „Für eine linksextremistisch motivierte Tat sprechen neben dem Modus Operandi ein kriminaltechnisches Gutachten, das die Bauart des Brandsatzes der linksextremistischen Szene zuordnet, und ein am Tatort gefundenes Pappschild mit der Aufschrift, Ab

schiebestopp! Wer bleiben will, soll bleiben! Antirassistische Offensive ‚Frühling’!“ (Seite 173). In der Berichterstattung im Göttinger Tageblatt vom 10. August 2011 werden vor dem Hintergrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse diese Behauptungen kritisch hinterfragt. Weder sei das Pappschild am Tatort gefunden worden, noch könnte die Herkunft des Brandsatzes belegt werden. So entsteht der Verdacht, dass der Verfassungsschutzbericht falsch informiert.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Auf welchen Fakten beruht die Feststellung im Verfassungsschutzbericht, dass der Brandanschlag im Kreishaus Göttingen der „linksextremistischen Szene“ zuzuordnen ist?

2. Welche Aussagen werden im technischen LKA-Gutachten zur Herkunft des Brandsatzes und zum Fundort des Pappschildes getroffen?

3. Welche Konsequenzen wird die Landesregierung ziehen, wenn sich Behauptungen im Verfassungsschutzbericht als nicht zutreffend erweisen?

In Göttingen existiert seit Jahrzehnten eine ausgeprägte linksextremistische Szene mit bundesweiter Bedeutung. Sie gehört, wie im aktuellen Verfassungsschutzbericht erwähnt, zu den aktivsten linksextremistischen „autonomen“ Zentren in Niedersachsen.

Zu den linksextremistischen „autonomen“ Gruppierungen Göttingens zählen die aus der im April 2004 aufgelösten Autonomen Antifa [M] hervorgegangene Redical [M], die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und die seit dem Jahr 2008 aktive Jugendantifa Göttingen (J.A.G.). Sie pflegen intensive Kontakte zu linksextremistischen „autonomen“ Gruppierungen im ganzen Bundesgebiet. Dabei nutzen sie die Kontakte über frühere Aktivisten der Autonomen Antifa [M] ebenso wie ihre Zugehörigkeit zu überregionalen Bündnissen.

Die linksextremistische „autonome“ Szene Göttingens ist durch eine zum Teil hasserfüllte Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik, ihrer Institutionen und Repräsentanten geprägt, die sich auch in ihren Selbstdarstellungen widerspiegelt. Diese Einstellung zeichnet sich vor allem durch ein hohes Maß an Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft aus.

Wie niedrig in der linksextremistischen „autonomen“ Szene die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen ist, verdeutlichen die folgenden Beispiele:

Im Rahmen von Gegenprotesten zu einer NPD-Demonstration in Göttingen im Oktober 2005 haben

gewaltbereite linksextremistische „Autonome“ die eingesetzten Polizeikräfte angegriffen. Während dieser Ausschreitungen wurden u. a. auch Feuerwehrleute, die brennende Barrikaden löschen wollten, mit einem Steinhagel massiv attackiert.

In der Nacht vom 11. auf den 12. März 2011 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf das Haus der Göttinger Burschenschaft Brunsviga, indem sie zwei Altpapiertonnen unmittelbar vor der Haustür der Burschenschaft mittels eines unbekannten Brandbeschleunigers entzündeten. Zum Tatzeitpunkt befanden sich neun schlafende Bewohner im Haus. Auch in den Jahren zuvor waren die Verbindungshäuser der Brunsviga und anderer Burschenschaften immer wieder Ziel von Angriffen durch die linksextremistische autonome Szene. Dabei wurde auch die Gefährdung von Menschenleben zumindest billigend in Kauf genommen.

Darüber hinaus kam es in Göttingen in den letzten Jahren immer wieder zu Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge. So wurden in der Nacht zum 29. November 2008 durch einen Brandanschlag sechs Fahrzeuge der Stadtwerke Göttingen zerstört oder stark beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von über 150 000 Euro. Im Rahmen der Ermittlungen durch die Polizei fanden die Ermittler an einer Umfriedungsmauer zur Godehardstraße folgenden Schriftzug: „Nieder mit Kapitalismus, Patriarchat und Gewalt gegen Frauen etc. MZ(G)“. Das Kürzel „MZ“ steht für „Militante Zellen“.

Die Zielrichtung und der Modus Operandi dieses Brandanschlages sprechen für einen Zusammenhang mit der Serie mutmaßlich linksextremistisch motivierter Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge in Göttingen in den Jahren 2006, 2007 und 2008, zu denen sich am 15. Januar 2008 in Form eines Bekennerschreibens, das bei verschiedenen Zeitungsredaktionen in Hamburg eingegangen war, eine zum damaligen Zeitpunkt unbekannte Gruppe mit dem Namen „militante Zellen (gruppe) - abgekürzt „m.z.(g)“ - bekannt hatte.

Allgemein ist die Gewaltbereitschaft in der linksextremistischen autonomen Szene in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen. So wurde beispielsweise bei linksextremistisch motivierten Angriffen auf die Polizeiwachen in Hamburg Anfang Dezember 2009 und in Berlin im April dieses Jahres die Gefährdung von Menschen billigend in Kauf genommen.

Ein weiteres Beispiel für die gestiegene Gewaltbereitschaft der linksextremistischen autonomen Szene ist der Angriff von Linksextremisten auf das

Fahrzeug eines NPD-Versammlungsleiters auf dem Weg zu einer NPD-Kundgebung in Buchholz im April 2010. Hierbei erlitt ein Mitfahrer durch einen gezielt durch die Seitenscheibe geschleuderten Pflasterstein einen Schädelbruch.

Während des letzten Castortransportes wurden Sonderfahrzeuge der Polizei durch vermummte Personen angegriffen. Die Personen bewarfen diese mit Steinen und mit in Flaschen abgefüllten brennbaren Flüssigkeiten. Anschließend beschossen sie die Fahrzeuge mit Signalmunition und Feuerwerkskörpern, wodurch ein Fahrzeug in Brand geriet. Als die Fahrzeuginsassen das Fahrzeug verlassen wollten, wurden sie durch Steinwürfe daran gehindert. Der Vorfall wurde von der Staatsanwaltschaft als versuchter Mord eingestuft.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1 bis 3: Zur Beantwortung der o. g. Mündlichen Anfrage verweise ich auf die Antwort auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Pia-Beate Zimmermann und Patrick Humke (LINKE) „Hintergründe des nach Polizeiangaben politisch motivierten Brandanschlages am 22. Januar 2010 auf das Gebäude der Kreisverwaltung Göttingen“ in der Sitzung vom 18. Februar 2010 des Niedersächsischen Landtages (siehe Anlage Nr. 48 zum Proto- koll der 63. Plenarsitzung vom 18. Februar 2010)

Nach den polizeilichen Ermittlungen der zuständigen Polizeidirektion Göttingen kam in dem tatbetroffenen Raum des Landkreisgebäudes eine sogenannte unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) zur Umsetzung.

Die am Tatort gesicherten Spuren wurden durch das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) untersucht und ein kriminaltechnisches Gutachten erstellt. Im Rahmen der kriminaltechnischen Untersuchung wurden an Materialproben Rückstände eines leicht entzündlichen Produktes in der Art eines handelsüblichen Klebstoffes nachgewiesen. Im Ergebnis der Untersuchung lässt sich die Raumexplosion über den Lösungsmittelanteil des Klebstoffes erklären. Im kriminaltechnischen Gutachten des LKA NI werden keine Aussagen zur Herkunft des Brandsatzes und zum Fundort des Pappschildes getroffen. Das Gutachten beschreibt lediglich die Untersuchung von Spuren bzw. Materialproben vom Tatort.

In der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisse und unter Zugrundelegung weiterer Aspekte wurde die Tat von der Polizei als politisch motivier

te Kriminalität im Phänomenbereich Links eingestuft.