Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, hat auf unserem Parteitag in Erfurt vor wenigen Tagen gesagt - Zitat -:
„Der Bau der Mauer und die vollständige Abriegelung der Grenze wurden mit unverzeihlichen Opfern bezahlt, Todesopfern, langjährigen Gefängnisstrafen bei gescheiterten Fluchtversuchen, getrennten Familien und dem Verlust der Reisefreiheit für die Bevölkerung eines ganzen Landes. Der Bau der Mauer steht deshalb symbolhaft für den gescheiterten Versuch, Sozialismus ohne Entfaltung der Demokratie und ohne Beachtung der Menschenrechte zu errichten.“
weil die Freiheitsbeschränkungen angeblich zum Schutz eines sozialistischen Projekts notwendig waren. Begründet wurde das letztlich mit der Logik: Der Zweck heiligt die Mittel!
Die führenden Politiker der SED, die sich immer gern auf Marx berufen haben, hätten einmal nachlesen sollen, was Karl Marx 1842 in seinem Artikel
über die Pressefreiheit geschrieben hat - Zitat -: „Aber ein Zweck, der unheiliger Mittel bedarf, ist kein heiliger Zweck...“
Der Antrag von CDU und FDP wirft ein grundsätzliches Problem auf: Ist es Aufgabe des Landtags, Geschichtsdeutungen vorzunehmen und mit den jeweiligen Mehrheiten zum Beschluss zu erheben? - Parteien unterscheiden sich häufig auch und gerade in ihrer Sicht auf historische Vorgänge.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: Zu Beginn dieses Plenums hat der Landtagspräsident an den 9. November erinnert, und zwar an den Tag des Falls der Mauer und an die Reichspogromnacht. Beides ist richtig. Aus unserer Geschichtssicht wäre es aber auch angemessen gewesen, wenn der Präsident auch an den 9. November 1918 erinnert hätte, also an den Tag, an dem in Deutschland die demokratische Republik begann und der Monarchie ein Ende bereitet wurde.
Zurück zum vorliegenden Antrag. Unsere politische Bewertung des Mauerbaus ist eindeutig. Es wird aber zulässig sein, sich die Frage zu stellen, welche politischen Bedingungen zum Bau und zum Fall der Mauer beigetragen haben. Unsere These ist, dass die Konfrontation des Kalten Krieges zur Errichtung der Mauer beigetragen und die Entspannungspolitik in Europa
- wir erinnern uns an die Worte Egon Bahrs: Wandel durch Annäherung - zu einer politischen Konstellation geführt hat, die den Fall der Mauer ermöglichte. Dieser Gedanke fehlt im vorliegenden Antrag, auch im Änderungsantrag von SPD und Grünen.
Ich erinnere daran, dass die in unserem Entschließungsantrag angesprochenen Entscheidungen in den 50er-Jahren, z. B. das Ausschlagen des damaligen Angebots der Sowjetunion auf gesamtdeutsche freie Wahlen,
Hinsichtlich der Enteignungen im Zusammenhang mit der Bodenreform in der damaligen SBZ hatte der Zwei-plus-Vier-Vertrag einen Schlussstrich gezogen und deren Ergebnisse garantiert. Dagegen gerichtete Verfahren betroffener Großgrundbesitzer bzw. deren Erben wurden vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen.
Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von CDU und FDP dazu verfasste Passage bezeichnete der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Sachsen im Bundestag, Dr. Michael Luther, als überflüssig wie einen Kropf. Dem können wir uns anschließen.
Meine Damen und Herren, den Standpunkt der SPD-Fraktion trägt nun Frau Weddige-Degenhard vor. Bitte!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Jahre nach Einbringung des Antrages diskutieren wir heute Änderungsanträge. So ganz eilig hatten Sie es nicht. Der Antrag sollte wohl mehr eine politische Deklaration sein.
Eine hochinteressante Ausschussanhörung gab es im April 2010. Danach passierte erst einmal gar nichts. Im August 2011 erreichte uns dann ein Änderungsvorschlag der einbringenden Fraktionen. Zusammen mit der Fraktion Bündnis90/Die Grünen erarbeiteten wir einen Änderungsvorschlag mit dem Ziel, einen gemeinsamen Antrag zu erreichen. Es freut mich, dass wir das geschafft haben. Wir haben uns in der Sicht auf die Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg im Großen und Ganzen einigen können. Darauf hat Frau RossLuttmann hingewiesen. Es war uns wichtig, Hinweise auf die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und auf den Charakter der Blockparteien, deren Rolle im Laufe der Geschichte noch weiterer kritischer Aufarbeitung bedarf, mit einzubringen.
gewünschten sechsten Punkt. Bei diesem geht es um das Infragestellen der Enteignungen von 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone mit dem Ziel, Alteigentümern einen bevorzugten Erwerb von in staatlichem Besitz befindlichen Grundstücken zu ermöglichen.
Wir haben in der Anhörung interessante Details zu diesem Themenkomplex gehört. Dies hat allerdings nicht dazu geführt, dass wir uns der Meinung anschließen, dass dieses in den Zwei-plus-VierVerhandlungen unter der Regierungsverantwortung von CDU/CSU und FDP im Zuge der Wiedervereinigung vereinbarte Paket wieder aufgeschnürt werden müsste.
Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte von früheren Eigentümern hatten im Übrigen keinen Erfolg. Die von der FDP betriebene Vereinbarung der schwarz-gelben Koalition, den Flächenerwerb in den neuen Bundesländern im Sinne der Alteigentümer zu ändern, würde zu einer erneuten Verunsicherung der derzeitigen Pächter der Flächen führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre Mauerbau, 22 Jahre Mauerfall - Traumata bleiben zum Teil ein Leben lang, vor allem wenn man ehemaligen Peinigern wieder begegnet. Ein Beispiel dafür konnte man gestern Abend in einem Film mit anschließender Dokumentation in der ARD sehen. 22 Jahre nach dem Mauerfall ist die Aufarbeitung der DDR-Geschichte noch immer nicht abgeschlossen. Im Frauengefängnis Hoheneck wurden Tausende Frauen wegen des Versuchs der Republikflucht inhaftiert, von ihren Kindern getrennt und gefoltert. Für uns Westdeutsche ist schwer vorstellbar, wie sich Menschen nach der Erfahrung der Nazizeit zu derartigen Misshandlungen von Menschen gewinnen lassen konnten.
Verpflichtung für uns alle bleibt, alles dafür zu tun, dass Gewaltregime auf deutschem Boden nie wieder eine Chance haben.
Deshalb ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen, die die DDR nur aus dem Geschichtsbuch kennen, dieser Teil der deutschen Geschichte auch durch Zeitzeugen nahegebracht wird. Dafür brauchen die Schulen jedoch Zeit, Herr Kultusminister - er ist nicht da -, damit sie derartige Veranstaltun
gen angemessen in den historischen Kontext einbetten können. Eine Landeszentrale für politische Bildung könnte Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützen. Aber Sie haben sie ja abgeschafft.
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Jens Na- cke [CDU]: Läuft da vielleicht eine Wette, diesen Begriff hier möglichst oft zu nennen? - Astrid Vockert [CDU]: Wir machen das über das niedersäch- sische Zentrum für Erwachsenbil- dung!)
Eine Anmerkung noch zum Änderungsantrag der Linken. Ich erspare es mir, auf die weiteren Punkte einzugehen. Aber wenn dieser CDU/FDP-Antrag wieder einmal als ideologische Keule gegen die Linke gedacht war, was man nur vermuten kann, so gehen Sie mit Ihrem Zitat aus dem Programm des Spartakus-Bundes von 1918 der Regierungskoalition voll auf den Leim. Die „große Mehrheit der proletarischen Masse“ - Ende des Zitats - werden Sie damit nicht begeistern können.
Eine Diffamierung des demokratischen Sozialismus, Frau Ross-Luttmann, lassen wir Sozialdemokraten jedoch auch nicht zu.