Protokoll der Sitzung vom 06.12.2011

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema ist sensibel und verdient vielleicht gerade

deswegen eine differenzierte Betrachtung. Ich möchte das machen, indem ich drei Bausteine des Antrags herausgreife.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte die in der Antikorruptionsrichtlinie festgelegten Regelungen zur Veröffentlichung von Sponsoringvereinbarungen ausdehnen. Die Landesregierung - wir also - soll sämtliche Leistungen der Höhe und dem Grunde nach unverzüglich veröffentlichen. Der Sinn dieser dann fast täglichen Informationen - von mir aus über Internet - auch über Bagatellfälle erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht. Die jetzt bestehende Pflicht zur Veröffentlichung von Leistungen ab 1 000 Euro ist meines Erachtens völlig ausreichend.

Durch die jährliche Bekanntgabe der Sponsoringlisten ergibt sich ein guter Blick auf die wesentlichen Spenden und Sponsoringleistungen. Ein kürzerer Takt nähme jeder einzelnen Veröffentlichung ihre Bedeutung und wäre damit kontraproduktiv. Wenn da jeden Tag etwas käme, auch Bagatellbeträge jeden Tag durchs Land geschickt würden, dann würde irgendwann niemand mehr darauf aufpassen. Dann hätte man genau das Gegenteil von dem erreicht, was man sich vielleicht vorstellt.

(Unruhe)

Ein zweiter Punkt - ich bitte um Aufmerksamkeit -: Es stimmt, dass die von Deutschland unterzeichnete UN-Konvention gegen Korruption nicht ratifiziert werden kann, weil der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung nicht weitreichend genug ist, jedenfalls nicht in unserem deutschen Strafgesetzbuch. Es stimmt auch, dass ich mich deswegen bereits im Juli 2008 und erneut im März 2010 in diesem Hause dafür ausgesprochen habe, den Tatbestand neu zu regeln. Ich freue mich, dass diese Ansicht, die heute noch meinem Selbstverständnis entspricht, auch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geteilt wird.

Einig sind wir uns auch darin, dass der Anwendungsbereich des § 108 e des Strafgesetzbuches ausgeweitet werden muss. Gegenüber der geltenden Rechtslage - strafbar ist danach nur der zukunftsgerichtete Kauf und Verkauf von Stimmen bei Wahlen oder Abstimmungen - muss eine Änderung auch Zuwendungen an deutsche Volksvertreter, die der „Landschaftspflege“ dienen, unter Strafe stellen. Deutsche und ausländische Mandatsträger sind gleichzubehandeln. Vereinfacht gesprochen: Wenn ich einen Abgeordneten kaufe, damit er bei der Wahl des Kanzlers oder wann

auch immer in einer bestimmten Weise stimmt, ist das schon strafbar. Wenn ich einen Abgeordneten im Ausland sozusagen „pekuniär anwärme“, damit sein Denken in eine bestimmte Entscheidungsrichtung geht, ist das strafbar. In Deutschland ist das nicht strafbar. Genau das ist die Lücke, von der die UN sagen: Das müsst ihr in Deutschland schließen. - Daran müssen wir also arbeiten.

Übrigens hat auch der Bundesgerichtshof schon auf dieser Linie entschieden. Sie werden sich an die Entscheidung im Wuppertaler Korruptionsskandal erinnern. Auch der Europarat verlangt das vom Bundesgesetzgeber. Wir sollten uns auf den Punkt, was internationale Rechtslage ist, schon verständigen können.

Aber ich sage Ihnen ganz offen: Hier müssen die Akteure selber tätig werden, und das sind die Abgeordneten. Hier ist schon seit 2003, Herr Kollege Tonne, ein eindeutiger Appell an die Abgeordneten des Bundestages zu richten. Wer war 2003 Kanzler in diesem Lande? Zwischendurch hatten wir auch eine Große Koalition. Warum ist seit 8 Jahren nichts passiert? Viele Lager haben Grund, sich bei diesem Thema an die eigene Nase zu fassen.

(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Die Re- de geht erst einmal an Herrn Nacke!)

Das sage ich für die Landesregierung: Wenn hier passende Initiativen kämen, würden wir das in Richtung Berlin auch entsprechend unterstützen müssen, weil es internationale Rechtslage ist.

Ich will einen dritten Punkt ansprechen. Die Antragsteller möchten eine Änderung des Parteiengesetzes bewirken, damit einzelne Spenden an eine Partei künftig auf 100 000 Euro jährlich begrenzt und die Grenzen für die Veröffentlichung von Parteispenden gesenkt werden. Sponsoringeinnahmen sollen denselben Regeln unterliegen wie Parteispenden. Damit solle dem Anschein der Käuflichkeit politischer Entscheidungen vorgebeugt werden.

So ernsthaft der Umgang von Parteien mit Spenden auch zu erfolgen hat, so wenig ist eine Änderung des geltenden Rechts aktuell geboten, meine Damen und Herren. Deutschland verfügt über ein transparentes Parteiengesetz, das die Staatengruppe gegen Korruption ausdrücklich gelobt hat. Es stelle nämlich ein intelligentes Gleichgewicht zwischen privater und staatlicher Parteienfinanzierung her und trage so zur Konsolidierung der Parteifinanzen bei.

Zur Transparenz gehört aber auch die gebotene und vorhandene Abgrenzung zwischen Spenden- und Sponsoringeinnahmen. Eine Differenzierung ist hier, denke ich, zwingend geboten; denn im Gegensatz zur Spende werden Sponsoringleistungen gerade deshalb erbracht, weil ihnen eine Gegenleistung zugrunde liegt. Das kann ganz offen angesprochen werden. Wenn jemand eine Spende gibt, sagt er zum Verein: Werde damit selig, und tue etwas für deinen Vereinszweck! - Wenn er aber sagt: „Ich gebe euch 100 Euro für Trikots“, dann sagt er ausdrücklich, was er damit bewegen will. Das ist in Ordnung, wenn es dabei transparent zugeht.

Ob es erforderlich ist, Änderungen am Parteiengesetz vorzunehmen, hat auch die Abgeordneten des Bundestages beschäftigt. Dort ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Handlungsbedarf besteht. Genau das haben auch die Ausschussberatungen im Niedersächsischen Landtag ergeben. Es gehört zur Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft, dass sie die selbstverständliche Freiheit haben sollen, sich durch Zuwendungen zu finanzieren. Das ist so gewollt. Das dürfen wir auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein vertreten. Natürlich sind die Parteien dazu verpflichtet, über die Herkunft ihrer Mittel Auskunft zu geben. Dabei ist allerdings ein vernünftiges Maß geboten, was die Auskunftserteilungspflicht anbelangt.

Übersteigen Spenden im Einzelfall die Höhe von 50 000 Euro, sind sie dem Präsidenten des Bundestages unverzüglich anzuzeigen und von diesem unter Angabe des Zuwenders zeitnah zu veröffentlichen. Diese Daten stehen dann, wie Sie wissen, für alle im Internet zur Verfügung.

Auch geringere Spenden ab einem Wert von 10 000 Euro sind mit Namen und Anschrift des Spenders im Rechenschaftsbericht anzugeben. Sie alle haben Parteitagserfahrung. Es ist ein Wonne eigener Art, wenn man einmal Zeit hat, den Rechenschaftsbericht der Schatzmeister durchzusehen und festzustellen, wer in welcher Höhe und wann etwas gegeben hat.

Von weitergehenden Veröffentlichungspflichten wären vor allem natürliche Personen betroffen, die sich in ihrem Recht auf Unterstützung politischer Parteien eingeschränkt sehen dürften. Wer zur Vermeidung unbotmäßiger Einflussnahme noch striktere Regelungen verlangt, riskiert, dass irgendwann das ganze bewährte System der Parteienfinanzierung Schaden nimmt und niemand

mehr spendet, obwohl wir es eigentlich so gewollt haben.

Letzte Bemerkung: Die Transparenzregelung ist im deutschen Parteiensystem gelebte demokratische Praxis, die es allen ermöglicht, nachzuvollziehen, woher die Zuwendungen an die Parteien stammen. Für eine weitergehender Rechenschaftspflicht besteht, denke ich, nach meinen Ausführungen kein Anlass.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/2294 ablehnen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abschließende Beratung: Mobilität ist ein Grundrecht - Mobilität und soziokulturelle Teilhabe gewährleisten - Flächendeckende Sozialcard in Niedersachsen etablieren - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/3855 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration - Drs. 16/4196

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Als erstem Redner erteile ich Herrn Kollegen Humke das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute finden wir in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung auf der Titelseite einen Einspalter mit dem Titel

„Kluft zwischen Arm und Reich wird größer - Deutschland schneidet im Vergleich schlecht ab.“

Die Autoren beziehen sich hierbei auf eine gestern veröffentlichte OECD-Studie, deren Kernaussage ist, dass die oberen 10 % der Einkommensskala im Jahr 2008 etwa achtmal so viel verdient hätten wie die unteren 10 %.

Aus Mangel an Zeit möchte ich in diesem Zusammenhang nicht auf alle Gründe und Einzelheiten eingehen, die in der Studie dargestellt werden. Sicher ist nur, dass die Empfänger staatlicher Transferleistungen mit ihrem Einkommen von diesen oberen 10 % noch bedeutend weiter entfernt sind als alle anderen, von denen dort gesprochen wird. Das ist für die Linke nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf diese Klientel ist unser Antrag zur Einführung einer Sozial- und Mobilitätskarte ausgerichtet. Zudem sind die Kosten errechnet und die Einnahmen von uns im Laufe der Debatte sowohl hier im Landtag als auch im Ausschuss beziffert worden. Innerhalb kurzer Zeit könnten wir ein konkretes Angebot machen, um dem Grundrecht auf Mobilität näher zu kommen und nicht nur Politik in Phrasen zu machen, wie es besonders die Fraktionen auf der rechten Seite dieses Hauses tun.

Der politische Wille der anderen Fraktionen, konkret etwas für die Mobilität der Menschen zu tun, die auf Transferleistungen angewiesen sind oder nur mit einem kleinen Taschengeld in Altenheimen leben, und damit deren Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben zu verbessern, scheint hier im Moment eher marginal zu sein. Das bedauern wir ausdrücklich.

Wie kann man es sonst erklären, dass Sie für diesen wichtigen Punkt, Verbesserungen für die ärmsten Bürgerinnen und Bürger erreichen zu wollen, eine Debatte von nur 15 Minuten vorgesehen haben, während für alle anderen Themen mindestens 30 Minuten vorgesehen sind. Das spricht nicht gerade für Sie und die Politik.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Jens Nacke [CDU]: Das wurde im Äl- testenrat einstimmig beschlossen!)

Sie sollten aber berücksichtigen, dass es sich hierbei um einen Personenkreis von etwa 900 000 Menschen handelt, wie etwa Leistungsempfängerinnen und -empfänger nach dem SGB II und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder auch

Wohngeldempfänger. Diese Betroffenen könnten für ein Entgelt von etwa 18,50 Euro - das ist der Anteil des Hartz-IV-Regelsatzes, der für Mobilität vorgesehen ist - diese Karte monatlich erwerben, den öffentlichen Personennahverkehr nutzen und auch andere öffentliche Einrichtungen wie Bäder, Museen etc. vergünstigt nutzen. Damit ließen sich Einnahmen von bis zu 16 Millionen Euro im Monat generieren, sodass sich diese Karte nach einer Übergangszeit selbst tragen würde und darüber hinaus auch nennenswerte Mehreinnahmen erzielt werden könnten.

Die Region Hannover hat es mit einer „Mobilitätskarte light“ - so möchte ich sie einmal bezeichnen - vorgemacht. Die Nutzerinnen- und Nutzerzahlen des öffentlichen Personennahverkehrs sind auf der Basis dieses Angebots stark gestiegen, und es konnten innerhalb eines Jahres Mehreinnahmen von 5,6 Millionen Euro pro Jahr erzielt werden,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Geht doch!)

während die Einnahmen des Einzelticketverkaufs im gleichen Zeitraum nur um 70 000 Euro zurückgegangen sind. Auch wenn man die Ausgleichsabgabe der Region an die Üstra von 1,4 Millionen Euro mit berücksichtigt, können selbst Sie nicht die darüber hinaus übrig gebliebenen Millionen von Mehreinnahmen leugnen.

Sie sehen, dass dieses Konzept gefüllt werden kann, wenn die Mehrheit es denn nur auf den Weg bringen wollen würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Treten Sie endlich mit uns zusammen mit den Verkehrsverbünden in Verhandlung! Werben Sie mit uns für ein solches Konzept! Das Geld, das Sie für einen kurzen Übergangszeitraum auch zur Unterstützung der teilnehmenden Kommunen und Verkehrsverbünde in die Hand nehmen, kriegen Sie vielfach wieder zurück. Und die Menschen in diesem Lande, die am untersten Ende der Einkommensskala stehen, haben einen echten Gebrauchswert davon.

Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie! Und lassen Sie solche Äußerungen, wie wir sie vonseiten der CDU in der Vergangenheit hören mussten, dass die Regelsätze und damit die Kosten für Mobilität von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssten. Das ist aus unserer Sicht menschenverachtend und entspricht nicht dem Sozialstaatsgedanken oder gar christlichem Gedankengut.