Protokoll der Sitzung vom 07.12.2011

Als Erstes erteile ich dem Kollegen Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wieso? Ich habe mich schon vor zwei Stunden zu Wort gemeldet!)

Was willst du mir damit sagen, Norbert?

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab meinen herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums für die gute Vorbereitung und die zügige Nachlieferung der erbetenen Unterlagen! Das sind wir alljährlich gewöhnt. Deshalb auch in diesem Jahr herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der FDP)

Bei der Einbringung des Haushaltes sagte Frau Ministerin Özkan: Wir sorgen weiter für ein soziales Niedersachsen. - Ich frage mich, meine Damen und Herren: Wo? - Die Realität sieht jedenfalls gänzlich anders aus. Der Sozialhaushalt umfasst 15 % des Gesamthaushaltes. Würden in dieser Größenordnung Kürzungen über die globale Min

derausgabe vorgenommen, wären das ca. 15 Millionen Euro pro Jahr. Tatsächlich werden allein über die globale Minderausgabe im kommenden Jahr 30 Millionen und im übernächsten Jahr 40 Millionen Euro im Sozialetat gekürzt. Auf diese Weise haben Sie dem Sozialhaushalt seit 2004 fast 300 Millionen Euro entzogen. Bei dieser Landesregierung muss immer zuerst die Sozialpolitik bluten, damit Sie Ihre Klientel bedienen können!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dennoch hat dieser Doppelhaushalt eine Deckungslücke von mehr als 1 Milliarde Euro. Spätestens wenn der Staatsgerichtshof den Haushalt für verfassungswidrig erklärt, ist dieser Spuk zu Ende. Dann hat Ihr Haushalt nur noch Altpapierwert.

Niedersachsen braucht dringend einen grundlegenden und nachhaltigen Perspektivwechsel in der Sozialpolitik. Stattdessen jedoch wird die Bugwelle unerledigter Themen im Sozialministerium immer gigantischer. Seit sechs Jahren bekommen Sie trotz wiederholter Ankündigungen noch nicht einmal so ein lächerliches Detail wie die Pflicht zum Einbau von Rauchmeldern in Wohnungen geregelt. Ein Konzept in der Kinder- und Jugendpsychiatrie fehlt seit Jahren.

40 000 Krebsneuerkrankungen haben wir jährlich. In manchen Regionen Niedersachsens gibt es eine auffällige Häufung von Krebserkrankungen. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt hat der Landtag die Ministerin einmütig aufgefordert, ein Gesetz vorzulegen, auf dessen Grundlage Ursachen schneller erkannt werden können. Seit nunmehr anderthalb Jahren vertröstet uns Frau Özkan jedoch mit immer neuen Ankündigungen.

Frau Özkan, wo ist in der Familienpolitik Ihre vor anderthalb Jahren angekündigte Bündelung der Beratungsangebote?

Zwölf Monate lang haben Sie es nicht geschafft, eine Kinderschutzbeauftragte zu berufen, auch wenn von der CDU dafür im Haushalt der gewaltige Jahresetat von immerhin 5 000 Euro vorgesehen ist.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt - so darf man den Medien entnehmen - hat Ihr Kabinett den Vorschlag völlig von der Platte gefegt. Ich frage mich: Was ist das eigentlich für ein ungeheurer Umgang mit dem Haushaltsge

setzgeber und im Übrigen auch mit den eigenen Landtagsfraktionen?

Ihre ungeliebte Integrationsbeauftragte sind Sie dagegen erstaunlich schnell losgeworden, sogar ohne Kabinettsbeschluss. Handlungsorientierte und entschlossene Sozialpolitik, Frau Özkan, sieht nach meiner festen Überzeugung gänzlich anders aus als das, was Sie praktizieren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Laut Ihrer Antrittsrede sollte Familien- und Generationenpolitik einer Ihrer Schwerpunkte sein, Frau Özkan. Wie sieht die Realität aus?

(Roland Riese [FDP]: Das steht im Haushalt!)

Abschaffung des Landesjugendamtes, Umwandlung des Landesjugendhilfeausschusses in einen kompetenzlosen Beirat, bei Hinweisen über große Mängel bis hin zu Missbrauchsvorwürfen bei Jugendmaßnahmen im Ausland erklären Sie sich für unzuständig, Fehlentscheidungen beim geschlossenen Kinderheim Lohne.

Sie loben die Erziehungslotsen, bezahlen dürfen sie die Kommunen. Die Städte und Landkreise brechen personell und finanziell unter der Last der Jugendhilfe zusammen. Das Land als oberste Jugendbehörde hingegen erklärt sich überall für unzuständig.

Frau Özkan, Ihre Jugendpolitik ist mit Sicherheit kein Schwerpunkt - er ist eine einzige Bankrotterklärung dieser Landesregierung! Das ist die Realität.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Kinderarmut lag bei Ihrer Regierungsübernahme 2003 bei 13,6 %. Das war viel zu hoch. Aktuell liegt sie allerdings laut Statistischem Landesamt bei 19,4 %. Das heißt, jedes fünfte Kind unter 18 Jahren lebt in Niedersachsen zwischenzeitlich in Armut. Und Ihre Antwort, Frau Sozialministerin? - Schrittweise Kürzung der Landesmittel für die niedersächsischen Jugendwerkstätten! Von 2012 bis 2014 wird die Förderung von Jugendwerkstätten und damit die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit um rund ein Drittel von 15,2 Millionen Euro auf 10,2 Millionen Euro in der Mipla abgesenkt. Das erfolgreiche NiKo-Projekt der Jugendsozialarbeit für benachteiligte Jugendliche in sozialen Brennpunkten wird zum Jahresende ersatzlos eingestellt.

Armut hat in Niedersachsen zunehmend ein Kindergesicht. Dies wollen und werden wir nicht akzeptieren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

In einer Pressemitteilung von Ihnen - sie ist relativ jung; deshalb werden Sie sich vielleicht darin erinnern können - schreiben Sie: „Nicht alle Kinder stehen auf der Sonnenseite des Lebens.“ Das stimmt. Aber die Politik dieser Landesregierung sorgt dafür, dass diese Kinder niemals dorthin kommen werden!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Noch schlimmer ist meines Erachtens allerdings der Umgang mit Menschen mit Behinderung. Wir stellen seit Jahren einen stark steigenden Bedarf an Ausbildungs- und Förderangeboten, differenzierten Wohnangeboten und zusätzlichen Werkstattplätzen und Beschäftigungsangeboten fest. Anstatt die Probleme entschieden anzupacken, ist die Behindertenhilfe seit Jahren vordringliches Objekt der finanziellen Begierde des Herrn Finanzministers. Von 2003 bis 2007 und erneut 2011 wurden den Einrichtungen der Behindertenhilfe die Übernahme der jährlichen Tarif- und Sachkostensteigerungen verweigert. Das macht in der Größenordnung die gigantische Kürzungssumme von 86 Millionen Euro für die niedersächsischen Behinderteneinrichtungen aus.

Diese Ihre Politik hat nachweislich zu Stellenstreichungen, Sachkostenreduzierungen und Flucht aus Tarifverträgen geführt - alles auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbesondere der betroffenen Menschen!

(Beifall bei der SPD)

Es ist schon erstaunlich, wenn sich diese Regierung jetzt damit rühmt, 2012 den Einrichtungen wieder einmal die ihnen rechtlich zustehenden Tarifsteigerungen ausnahmsweise zu überlassen. Solche Aussagen sind bei dieser Vorgeschichte nur noch dreist und zynisch.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Die längst überfällige Überarbeitung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes wird mit Hochdruck verzögert. Eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode ist nahezu unmöglich. Ein Landesaktionsplan zur Umsetzung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach der UN-Konvention wird ständig mit immer neuen fadenscheinigen Argumenten

verschoben: Mal ist der Bund schuld, mal ist die Vorlage gerade in Arbeit, mal ist sie in Ressortabstimmung. Fertig werden Sie seit zwölf Monaten nicht.

Die Wahrheit ist ganz einfach: Inklusion ist ein langfristiger Prozess in allen gesellschaftlichen Bereichen. Er kostet vor allem viel Geld. Wenn die Ministerin am 16. November 2011, also vor wenigen Tagen, in der Presse erklärt - ich zitiere - „Wir brauchen Barrierefreiheit“ - diese Meinung teile ich übrigens - und die Fraktionen der CDU und der FDP dann 40 000 Euro in den Haushalt mit der Begründung einstellen - ich zitiere -, „Die Theaterpädagogik ist ein guter Baustein, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen“, dann muss das bei den fast 1 Million Menschen mit Behinderung in Niedersachsen zu Recht als Verhöhnung ihrer Rechtsansprüche angesehen werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Karl- Heinz Klare [CDU]: Ein kleiner Bau- stein!)

- Wollten Sie mir eine Zwischenfrage stellen?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Nein, ich mache nur einen Zwischenruf!)

- Dann können Sie auch ruhig sein. Ansonsten können Sie mir gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich beantworte sie Ihnen.

Frau Özkan ist zu Beginn ihrer Amtszeit schwungvoll gestartet, vor allem mit den Themen, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lagen: erst mit der Debatte über Kruzifixe in Klassenzimmern, dann mit dem Vorschlag einer Mediencharta, die als Einschränkung der Pressefreiheit begriffen wurde.

(Norbert Böhlke [CDU]: Mal den Blick nach vorne, Herr Kollege!)

Ihre Durchsetzungsmöglichkeit scheint seither in der Landesregierung auf dem Nullpunkt zu sein. Das gilt übrigens auch für die eigene Domäne des Integrationsbereichs. Gerade heute Morgen hat der Innenminister wieder von sich selbst als Integrationsminister gesprochen. So benimmt er sich auch. Er schiebt die Menschen ab - Sie schweigen. Ich finde, das ist eine wirklich beschämende Rollenverteilung in dieser Regierung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ausführungen zum Thema „Krankenhäuser“ will ich Ihnen heute weitgehend ersparen. Wir werden im Januar noch ausreichend Gelegenheit haben,

darüber zu sprechen, wenn nach acht Jahren endlich ein neues Krankenhausgesetz verabschiedet wird. Die Aussagen des Landesrechnungshofes zu Ihrer Krankenhauspolitik sind dabei an Deutlichkeit schon heute kaum zu überbieten, insbesondere was die fehlenden Bedarfskriterien bei immerhin 1 Milliarde Euro Investitionsstau betrifft.

(Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

- Wissen Sie, Herr Rolfes, Ihre Zwischenrufe haben noch nicht einmal phonetischen Wert.

(Beifall bei der SPD - Heinz Rolfes [CDU]: Unverschämtheit!)

- Offensichtlich habe ich bei Ihnen mal wieder die richtige Stelle getroffen. Kümmern Sie sich doch einmal um den Haushalt und sehen Sie zu, dass da ein bisschen Geld reinkommt, anstatt es immer nur rauszuziehen!