Energiewende: Kennt Wirtschaftsminister Bode den Entwurf des Energiekonzepts der Landesregierung nicht? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 16/4249
Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) titelte am 30. November 2011: „Minister warnt vor Abbau der Industrie“. Bezug hierzu ist das bundesweite Betriebsrätetreffen, das im Wilhelm-Gefeller-Haus, dem Tagungszentrum der IG BCE, stattgefunden hatte. Thematisiert wurden u. a. vom Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Ardagh-Gruppe, HansGeorg Diekmann,
- Hans-Georg Diekmann - die ökologischen Vorteile der Glasverpackung, die von der Politik nicht hinreichend gewürdigt werden, sowie die Befürchtung steigender Strompreise und Nachteile der heimischen Glasindustrie gegenüber ausländischen Hütten. Die HAZ berichtete: „Unter seinen Zuhörern saß als Gast auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP). Er musste einräumen, dass viele Fragen, die die geplante Energiewende aufwirft, noch nicht zu beantworten seien. ‚Wie bekommen wir die Energiewende hin, ohne in eine Phase der Deindustrialisierung zu kommen?’, fragte der Minister - und schob die Antwort nach: ‚Das ist nicht geklärt’.“
1. Wie hat sich Minister Bode nach der Katastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 im Kabinett zum Atomausstieg und zu der Energiewende in Niedersachsen positioniert?
2. Inwieweit sind Minister Bode die Inhalte des Energiekonzeptes „Verlässlich, umweltfreundlich, klimaverträglich und bezahlbar - Energiepolitik für morgen“, das am 20. September 2011 im Kabinett beschlossen worden ist, bekannt, und welchen Beitrag hat das niedersächsische Wirtschaftsministerium unter seiner Leitung hierzu geliefert?
3. Nach welchem Konzept kann aus Sicht des Wirtschaftsministers Bode die politisch beschlossene Energiewende in Niedersachsen durchgeführt werden, ohne Arbeitsplatzverluste zu riskieren?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Somfleth und Kollegen von der SPD, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Dringliche Anfrage, weil sie die Gelegenheit bietet, den Entwurf des Energiekonzeptes der Landesregierung „Energiepolitik für morgen“ hier noch einmal vorzustellen und Ihnen zu zeigen, wie gelungen er tatsächlich ist.
Wie in der Anfrage richtig wiedergegeben wurde, habe ich an diesem zitierten Betriebsrätetreffen der IG BCE teilgenommen. Ebenfalls treffen die in der HAZ zitierten Äußerungen zu, ich habe sie so getätigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir wurden dort von den Teilnehmern noch einmal die Sorgen der Beschäftigten in energieintensiven Branchen vor Augen geführt, die sie mit den Unwägbarkeiten der Energiewende verbinden - gerade im Hinblick auf Versorgungssicherheit und steigende Strompreise. In der Diskussion konnten wir eine große inhaltliche Übereinstimmung feststellen.
Die Teilnehmer wie auch ich waren davon positiv überrascht, da man ja nicht davon ausgehen kann, dass ein liberaler Wirtschaftsminister und eine Gewerkschaft immer auf der gleichen Linie sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben der Veranstaltung der IG BCE gibt es eine Reihe weiterer Veranstaltungen, bei denen ich als Wirtschaftsminister über dieses Thema diskutiert habe, beispielsweise mit den Unternehmerverbänden. Dies ist aber auch immer wieder Thema der Wirtschaftsministerkonferenz.
Das alles zeigt mir, dass die Landesregierung, weil es dort diese Übereinstimmung in den Inhalten gegeben hat, mit ihren energiepolitischen Vorstellungen - zumindest aus Sicht der IG BCE - nicht so ganz falsch liegen kann.
Ferner möchte ich klarstellen, dass sich das Energiekonzept der Landesregierung noch im Stadium des Entwurfs befindet. Jetzt haben alle gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit, sich in die Diskussion dieses Energiekonzepts einzubringen. Es sind auch schon zahlreiche Stellungnahmen eingegangen, die nun in das Konzept eingearbeitet werden müssen. Der Kabinettsbeschluss zum endgültigen Konzept ist für das kommende Jahr geplant.
Ich sage das so, weil Sie in Ihrer Anfrage manchmal mit dem Entwurf und dem fertigen Konzept durcheinander kommen; Sie schreiben mal das eine und mal das andere. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass Sie in Ihrer Dringlichen Anfrage den Entwurf meinen; denn das Konzept kann ich noch nicht kennen, da es erst im nächsten Jahr abschließend beschlossen wird.
Zu Frage 1: Wie hat sich Minister Bode nach der Katastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 im Kabinett zum Atomausstieg und zu der Energiewende in Niedersachsen positioniert? - Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie wissen, sind Kabinettssitzungen vertraulich. Insofern darf ich nicht aus konkreten Sitzungen berichten. Ich verstehe Ihre Dringliche Anfrage allerdings so, dass Sie an meiner politischen Grundhaltung interessiert sind und wissen möchten, wie ich mich im Kabinett, aber auch in öffentlichen Veranstaltungen zu diesem Thema eingelassen habe.
Ich glaube, dass wir alle von den Ereignissen in Japan im März dieses Jahres gleichermaßen geschockt waren. Die Berichte von Explosionen, über
austretende Radioaktivität, verstrahlte Lebensmittel, Reportagen über Kinder mit Dosimetern, ausgekofferte Schulhöfe - niemand konnte sich vorstellen, dass so etwas nach der schrecklichen Katastrophe von Tschernobyl noch einmal wiederkehrt - und noch dazu in einem Hightechland wie Japan. Ich trage daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, ebenso wie alle anderen Kabinettsmitglieder die Beschlüsse zur Energiewende mit. Allerdings bedarf es der Feinsteuerung im eingeschlagenen Kurs, auch angesichts des Tempos, mit dem er beschritten wurde; denn Energie ist die Lebensader unserer Wirtschaft. Die Versorgung muss sicher und bezahlbar sein. Wir haben in unserem niedersächsischen Energiekonzept, das im Moment, wie gesagt, noch einen Entwurf darstellt, eine Vorstellung entwickelt, wie wir künftig Strom ohne Kernenergie und möglichst CO2-arm produzieren wollen.
Darin haben wir ebenfalls festgehalten, welche zusätzlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dies technisch zu ermöglichen. Das ist erstens der Netzausbau: 4 500 km Leitungen sind bis zum Jahr 2025 in ganz Deutschland zu bauen. Bislang sind nicht einmal 100 km davon gebaut. Sie alle kennen die gerade auch in Niedersachsen vorhandenen Sorgen der Bevölkerung, die von Leitungsvorhaben betroffen ist.
Zweitens geht es um moderne Regelkraftwerke. Im Moment zögern die Investoren, weil nicht absehbar ist, ob sich diese über einen Zeitraum von mindestens 25 Jahren rentabel betreiben lassen. Auch hier muss die Politik einen verlässlichen Rahmen setzen.
Drittens geht es um effiziente Speicher. Abgesehen von flächenintensiven Pumpspeicherkraftwerken fehlen derzeit wirtschaftliche Technologien. Hier muss intensiv Forschung betrieben werden.
Was den Strompreis angeht: In den vergangenen Jahren ist die EEG-Umlage auf 3,5 ct/kWh angestiegen. Nach den Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber ist nicht ausgeschlossen, dass es in den kommenden Jahren durchaus noch weiter nach oben geht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Unterstützung für die Energiewende, aber nicht ohne die kritischen Punkte bzw. die Herausforderungen zu benennen - dies war und ist meine Haltung in dieser Sache, und die vertrete ich auch im Kabinett.
Zur zweiten Frage. Natürlich kenne ich die Inhalte des Entwurfs des Energiekonzeptes. Nur, ich glaube, wir sollten nicht so vermessen sein zu behaupten, dass sich mit diesem Entwurf alle eben von mir dargestellten Probleme im Handumdrehen lösen lassen. Das Konzept beschreibt den niedersächsischen Beitrag zur Energiewende. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Rahmenbedingungen maßgeblich von der Energiepolitik des Bundes und zum Teil auch von der Europäischen Union abhängen. Hiernach entscheidet es sich, ob die Anreize für die Wirtschaft, für die Energieversorger wie auch für sonstige Investoren, was erneuerbare Energien angeht, richtig gesetzt wurden, um die hochgesteckten Ziele, nämlich 35 % aus erneuerbaren bis zum Jahr 2020, zu erreichen. Die Landesregierung wird hier entsprechend ihrem Konzept flankieren, z. B. im Bereich Onshorewindkraft durch den Verzicht auf pauschale Abstandsregelungen und auf Höhenbegrenzungen, was gerade auch für das Repowering wichtig ist.
Sie hatten ferner nach dem konkreten Beitrag des Wirtschaftsministeriums zum Energiekonzept gefragt. Wir haben uns natürlich, wie andere Ressorts auch, umfassend an der Erstellung des Entwurfs beteiligt. Mitarbeiter aus allen Abteilungen des Wirtschaftsministeriums haben die Inhalte intensiv geprüft, sich thematisch eingebracht und zahlreiche Formulierungsvorschläge unterbreitet. Mein Haus hat sich insbesondere bei der Frage nach bezahlbarem Strom für energieintensive Unternehmen eingebracht. So haben wir etwas zur Energieeffizienz im betrieblichen Bereich beigesteuert. Wir haben etwas zur notwendigen Marktintegration von erneuerbaren Energien gesagt, zu mehr Wettbewerb um die Netze, aber auch zu Zukunftsthemen wie Elektromobilität oder Geothermie, wo wir als Land im Übrigen Steuerungsmöglichkeiten haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sollten wissen, dass dieses Konzept gemeinsam von allen beteiligten Ressorts erarbeitet wurde. In den energiepolitischen Fragen bin ich mir mit meinem
Kollegen Hans-Heinrich Sander vollkommen einig. Auch die Fachleute in unseren beiden Häusern stehen im regelmäßigen Austausch miteinander. Zwischen unseren Häusern besteht auch in der Energiepolitik eine sehr hohe Übereinstimmung.
Zu Frage 3. Ich sage es hier gerne noch einmal: Der Entwurf des Energiekonzepts der Landesregierung ist auch mein Konzept. Ich stehe sozusagen voll dahinter. Natürlich müssen wir auf diesem Weg immer bereit sein, die erreichten Zwischenstände zu überprüfen und - je nachdem, welche Ergebnisse man sieht - Anpassungen oder auch Veränderungen vorzunehmen.
So hat es auch die Wirtschaftsministerkonferenz gesehen und dies mit dem Monitoring der Energiewende als Dauertagesordnungspunkt auf die Tagesordnung genommen.
Dieses Monitoring, das bei der Energiewende vorgesehen ist, wurde durchaus schon mit dem Weg der Amerikaner zum Mond verglichen. Im Jahr 1961, kurz nach dem ersten bemannten Raumflug der Sowjetunion, hatte Präsident Kennedy angekündigt, bis zum Ende des Jahrzehnts den ersten Menschen zum Mond und zurück fliegen zu lassen. Man wusste am Anfang noch nicht, wie dieses Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden würde. Seitens der Nasa hatte man zehntausend Probleme identifiziert, die es zu lösen galt. Die entscheidenden Bausteine bei diesem gesamten Weg waren ein kontinuierliches Monitoring und ein Anpassen der Konzepte, die man am Anfang dafür aufgestellt hatte. Es wurde also in kurzen Zeitabständen überprüft, inwieweit die abzuarbeitenden Probleme beseitigt wurden und ob man sich noch im Fahrplan befand. Bei Abweichung wurde entsprechend nachgesteuert. Entweder wurden für eine Herausforderung mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt, oder es wurde überlegt: Gibt es Dinge, die wir zusätzlich machen können, um dieser Aufgabenstellung Herr zu werden?
Nur durch diese regelmäßige Überwachung und auch durch eine schnelle Reaktion beim Erreichen von Zwischenständen ist es möglich, derart große Veränderungen, große Projekte, wie die Energiewende eines für unser Land ist, tatsächlich umzusetzen. Dieses Monitoring und auch das Reagieren auf Ergebnisse des Monitoring sind dringend geboten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Sorge gilt hier insbesondere der Versorgungssicherheit und bezahlbaren Strompreisen. Wir müssen den Anteil der erneuerbaren Energien an der
Stromproduktion erhöhen, gleichzeitig die damit verbundenen technischen Probleme lösen und dabei auch die Strompreise stabil halten. Ich sage Letzteres gerade vor dem Hintergrund, dass einige manchmal den Eindruck erwecken, man könne mit höheren Strompreisen auch Arbeitsplätze schaffen. Ich kann Ihnen nur sagen: Fragen Sie ruhig einmal die IG BCE, was passiert, wenn beispielsweise die Grundstoffchemie aufgrund zu hoher Energiekosten das Land verlässt. Dann zieht nämlich eine Vielzahl von Spezialbetrieben gleich mit. Dadurch verlieren wir eine Menge qualifizierter und gut bezahlter Arbeitsplätze, und diese Arbeitsplätze kommen, wenn sie einmal weg sein, nicht wieder.