Protokoll der Sitzung vom 20.01.2012

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Miriam Staudte [GRÜNE]: Zur Finan- zierung haben Sie nichts gesagt! Vizepräsident Hans-Werner Schwarz: Vielen Dank, Frau Kollegin! - Als nächste Rednerin hat sich Frau Tiemann für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen mit- zuteilen, dass mir Frau Modder als Parlamentari- sche Geschäftsführerin mitgeteilt hat, dass der Antrag unter dem letzten Tagesordnungspunkt direkt überwiesen werden soll. Ich gehe davon aus, dass das unter den Fraktionen abgestimmt ist. Frau Tiemann, Sie haben jetzt das Wort. Bitte! Petra Tiemann (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den niedersächsischen Krankenhäusern voranbringen - welch verheißungsvoller Titel! Welch schöne Überschrift! Nichts - das will ich vorausschicken -, was in diesem Antrag steht, ist falsch. Aber bevor überschwängliche Freude aufkommt, muss ich doch etwas Wasser in den Wein gießen.

Unstrittig ist, dass sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Bereich ein Fachkräftemangel auf uns zukommt bzw. bereits da ist. Wir haben an dieser Stelle schon sehr häufig darüber debattiert. Unstrittig ist auch, dass gerade hier in Niedersachsen mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan werden muss. Schön, dass das bei Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, in dieser Dringlichkeit schon angekommen ist.

(Beifall bei der SPD - Roland Riese [FDP]: Sie haben ja nichts gemacht! - Heidemarie Mundlos [CDU]: Wir ha- ben bereits die ganze Zeit etwas ge- macht!)

Meiner Fraktion fehlen in diesem Antrag noch einige Punkte.

Erstens. Die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in puncto Pflege sind nicht nur in den Krankenhäusern zu sehen, sondern sie betreffen genauso die Frauen und Männer, die in der Altenpflege arbeiten, sowohl stationär als auch ambulant.

Zweitens. Wie sollen die Krankenhäuser auf den - ich zitiere - „Aspekt des Ausbaus der betriebsnahen oder der betriebseigenen Kindertagesbetreuung“ eingehen? „Eingehen“ bedeutet „einrichten“, und wenn schon „einrichten“, dann auch „anpassen“. Wer soll das denn bezahlen? Die Krankenhäuser? Die Kommunen? - Über die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen will ich hier gar nicht sprechen - und Sie, meine Damen und Herren von FDP und CDU, wollen das auch nicht. Denn in diesem Antrag ist nichts davon zu lesen. In ihm stehen nur solche wunderbar dehnbaren Begriffe wie „Impulse“, „bitten“, „beachten“, „einrichten“, aber kein Wort davon, wer das wie und wo bezahlen soll.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein guter Antrag würde an dieser Stelle Ross und Reiter nennen, meine Damen und Herren.

Zu klären wäre auch noch, wie das im Arbeitsalltag der Menschen überhaupt aussehen soll. Ich will Ihnen das gern an einem Beispiel aus meinem eigenen Landkreis darstellen. In meinem Landkreis gibt es zwei Krankenhäuser. Sie haben 2 000 Beschäftigte, von denen über 70 % Frauen sind. Allerdings wohnen nur 30 % davon an den Klinikstandorten. Bis zum Grundschulalter mag das Konzept noch aufgehen. Aber wie wollen wir das

Problem lösen, wenn die Kinder in den Hort kommen? Schichtdienst, Nachtdienst - wollen Sie die Kinder 20 km weit mit dem Auto hin und her transportieren lassen? Wie soll das funktionieren? - Das wäre noch zu klären.

Also wäre wohl eher ein weiteres Betreuungsangebot von den Kommunen wichtig, und zwar aus zwei Gründen. Den einen Grund habe ich Ihnen eben genannt. Der andere Grund ist: Das, was Sie im ärztlichen und im pflegerischen Bereich beschreiben, trifft nicht nur auf diese Eltern zu, sondern auch auf viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Niedersachsen. Wir haben das Recht, alle gleich zu behandeln.

(Beifall bei der SPD - Frauke Heili- genstadt [SPD]: Wir haben die Pflicht!)

- So ist es. Die Eltern haben das Recht, das Gleiche zu fordern, und wir haben die Pflicht, das Gleiche einzurichten.

Nun komme ich zum zweiten Bereich Ihres Antrags. Sie schreiben:

„Die Situation der Mitarbeiter“

- wahrscheinlich sollte es „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ heißen, aber das nur am Rande -

(Roland Riese [FDP]: „Mitarbeiter“ bedeutet „Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter“!)

„mit pflegebedürftigen Angehörigen ist zu beachten.“

Das ist eine gute und richtige Forderung. Ein paar Probleme gibt es dabei allerdings.

Erstens. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf eine Familienpflegezeit. Viele Grüße an Herrn Bahr! Viele Betriebe - Krankenhäuser sind Betriebe - fürchten die Personalkosten. Woher sollen sie das Geld nehmen? - Wir lesen zurzeit täglich von Krankenhäusern und wissen, wie es um ihre finanzielle Situation bestellt ist. Darauf gibt Ihr Antrag im Übrigen auch keine Antwort.

Wie sollen die Frauen und Männer, die in Teilzeit arbeiten - die meisten prekären Beschäftigungsverhältnisse finden wir übrigens in der Pflege, um das einmal klarzustellen -,

(Roland Riese [FDP]: Nein, sondern im Service!)

das auch noch bezahlen?

Ich fasse zusammen: Das ist ein Antrag, in dem nichts Falsches steht. Er enthält viel Lyrik, viele Bitten, viele Absichtserklärungen, aber wenig Substanzielles. Vielleicht können wir das in der Beratung noch ändern, oder - meine Fraktionskollegin Ulla Groskurt hat es gestern hervorragend ausgedrückt - lassen Sie uns gleich über diesen Antrag abstimmen, dann können wir uns im Ausschuss mit substanzielleren Anträgen beschäftigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Zu dem Beitrag von Frau Tiemann gibt es einen Antrag auf Kurzintervention von Frau Schwarz für die CDU-Fraktion. Bitte schön, Sie haben anderthalb Minuten.

Danke. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens. Eben ist von Frau Tiemann erwähnt worden, dass familienfreundliche Arbeitszeitregelungen nicht nur in den Krankenhäusern, sondern genauso auch in anderen Berufsfeldern notwendig wären. Man muss aber eines feststellen: In den Krankenhäusern gibt es noch heute wesentlich stärker hierarchische Strukturen. Dort ist der Handlungsbedarf wesentlich größer. Ich denke, das wissen Sie ebenso gut aus eigener Erfahrung.

Zweitens. Die Beratung des Krankenhausgesetzes hat aufgezeigt - der Marburger Bund hat darauf hingewiesen -, dass ein Bedarf an familienfreundlicheren Strukturen und anderen Arbeitszeitregelungen besteht. Von Ihrer Seite ist dazu nichts weiter eingebracht worden. Tun Sie also nicht so, als wenn immer nur wir das machen sollten; Ihnen steht es genauso frei.

Drittens. Flexiblere Arbeitszeiten sind das A und O. Man kann nicht alles ausschließlich mit der 40Stundenwoche regeln, sondern ich habe in meiner Rede aufgezeigt, dass wir weitaus kreativere Lösungen brauchen, weil die Beschäftigten in den Krankenhäusern niedrigere Arbeitszeitvolumen auf mehr Köpfe verteilen wollen. Ich glaube, da sollte man ansetzen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Tiemann möchte antworten. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Schwarz, ich habe gesagt, in diesem Antrag steht viel Richtiges. Aber es steht einfach zu wenig Substanzielles darin. Wenn wir heute über den Antrag abstimmen, stimmen wir dem Antrag zu.

(Roland Riese [FDP] spricht mit An- nette Schwarz [CDU])

- Frau Schwarz, vielleicht könnten Sie meiner Erwiderung zuhören. Es war Ihre Kurzintervention.

In diesem Antrag fehlen Lösungen. Alles, was Sie an Problematiken in dem Antrag erwähnen, ist völlig korrekt. Aber es fehlen die Lösungsansätze. Es ist keine Substanz vorhanden. Er enthält nur viel Lyrik. Wir können zustimmen - das habe ich zweimal gesagt -, es steht nichts Falsches darin, aber leider auch keine Substanz.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste Beitrag kommt von Frau Helmhold für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag ist ein netter Appell. In einer Zeit, in der verschiedene Branchen einen Fachkräftemangel beklagen, macht er sich gut. Allerdings sieht es für uns ein wenig so aus, als versuchten CDU und FDP, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Denn erst am Ende einer längeren Kausalitätskette fehlen die Fachkräfte im Krankenhaus und in der Pflege, aber auch in vielen anderen Branchen, die in Ihrem Antrag nicht erwähnt werden.

Berufstätige Eltern werden nicht selten zwischen der Forderung, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, als wären sie ungebunden, dem massiven Mangel an Betreuungsplätzen und dem Anspruch, dem Kind gerecht zu werden, zerrieben. Eltern und ihre Kinder sind in Niedersachsen sogar mehr als in anderen Bundesländern auf sich selbst zurückgeworfen. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis schwarz-gelber Politik. Wir haben in Niedersachsen nicht die ausreichende Kinderbetreuung, die eine Grundvoraussetzung wäre, um überhaupt über Arbeit nachzudenken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Niedersachsen liegt weit unter bundesdeutschem Niveau. Mit gut 19 % haben wir die zweitniedrigste Betreuungsquote im ganzen Land. Nur gut 16 % aller Kindergartenkinder in Niedersachsen haben einen Ganztagsplatz. Junge Eltern können ein Lied davon singen, wie schwierig das ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Insofern ermahnen Sie mit Ihrem Antrag Ihre eigene Regierung und sich selbst, Ihre längst überfälligen Hausaufgaben zu machen.

Berufstätigkeit kann nicht ohne ausreichende Betreuung gedacht werden, und ebenso meiden Menschen mit Kinder- und Berufswunsch Branchen und Berufe, in denen sie zu wenig verdienen und in denen andere existenziell wichtige Rahmenbedingungen wie anständige Arbeitszeiten nicht gegeben sind. Wie in vielen anderen Branchen läuft auch in der Pflege, die Sie explizit in Ihrem Antrag erwähnen, trotz Mindestlohns ein gnadenloser Billiglohnkampf, nämlich über das Instrument der Leiharbeit. Eltern können es sich aber schlicht nicht leisten, in unterbezahlten Berufen zu arbeiten; denn dann können sie die Betreuung nicht mehr bezahlen. Dafür gibt es dann aber ja von Ihnen das Betreuungsgeld. Ich finde Ihre Politik an dieser Stelle, gelinde gesagt, schizophren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, mir fehlt in dieser Debatte, dass die Handelnden in diesem Land Verantwortung übernehmen. Mir fehlt ein ehrlicher Umgang mit dem Thema. Die Mär von der Vereinbarkeit gaukelt Vätern, Müttern und pflegenden Angehörigen ohnehin vor, dass das alles mit links unter einen Hut zu bringen sei. Das ist falsch. Wir haben es immer allenfalls mit einem Kompromiss zu tun. An diesem Kompromiss müssen sehr viele mitwirken. Da müssen sich alle Akteure verantwortlich fühlen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)