Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

Dies gilt nicht nur für die Exzellenzuniversität Göttingen - übrigens die einzige Exzellenzuniversität nördlich des Mains und ganz nebenbei meine Alma Mater -,

(Zustimmung von Dr. Stephan Siemer [CDU])

sondern für alle Hochschulen unseres Bundeslandes. Richtig ist aber auch: Durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen ist gerade die akademische Lehre in wesentlich größerem Maße als zuvor gefordert. Auch und gerade in Niedersachsen erhöhen die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren und die Aussetzung der Wehrpflicht die Intensität der Betreuung in der Lehre.

Deshalb stehen - so auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in einer Veröffentlichung vom 21. Mai 2007 für den damaligen Zeitraum - die Hochschulen in der Bundesrepublik insgesamt vor der Aufgabe, ihre Lehrkapazitäten quantitativ zu steigern, ohne an Qualität einzubüßen. Insoweit stimmen wir mit dem, was Frau Dr. Andretta gesagt hat, überein.

Deshalb, so die Wissenschaftlichen Dienste weiter, hätten Vorschläge viel Interesse gefunden, die auf eine kostenneutrale Stärkung der Lehre durch Einführung neuer Personalkategorien abzielen, deren Schwerpunkt stärker in der Lehre als in der Forschung liegt. In ihrem Antrag fordert die SPDFraktion zunächst eine Ausweitung der Zahl der Stellen für Juniorprofessoren. In der Tat führt das Amt des Juniorprofessors ein Aschenputteldasein. Im Jahre 2009 gab es knapp 1 000 Juniorprofessoren in Deutschland - gegenüber 22 000 Lebenszeitprofessoren. Seit 2002, dem Jahr der Einführung der Juniorprofessur, ist der Anteil dieser Stellen auf gerade einmal 0,4 % in der Hochschulpersonalstatistik angestiegen.

Das liegt nicht nur an der Besoldung, nämlich dem W-1-Tarif, vergleichbar mit A 13. Juniorprofessuren sind in der Tat zunächst auf drei und nach erfolgreicher Zwischenevaluation auf insgesamt sechs Jahre befristet. Hier muss etwas für mehr Attraktivität getan werden.

Eine bloße Ausweitung der Zahl der Stellen ohne Verknüpfung der Stellen mit dem sogenannten Tenure Track, also die Möglichkeit der Berufung auf eine Lebenszeitprofessur an derselben Hoch

schule ohne Ausschreibung, macht nach meiner Auffassung wenig Sinn. Hier obliegt es in der Tat den Hochschulen, die bereits vorhandenen Instrumente zu nutzen.

Sie fordern weiterhin die Einrichtung von Lehrprofessuren, vergleichbar den Senior Lecturers im angelsächsischen Raum. Schon 2007 hat der Wissenschaftsrat hierzu allerdings moniert - ich zitiere -, eine durch sehr hohe Lehrdeputate bedingte ausschließliche Konzentration auf die Lehre stünde dem notwendigen Forschungsbezug der Universitätslehre und der permanenten Aktualisierung der Lehrinhalte entgegen.

(Victor Perli [LINKE]: Das sieht auch DIE LINKE so!)

Die GEW hat harsch von einer Mogelpackung gesprochen. Zudem hätte ein Arbeitsbeschaffungsprogramm „Lehrprofessur“ voraussichtlich dieselben Nebenwirkungen wie alle umgesetzten ähnlichen Programme, es würden nämlich die regulären Arbeitsplätze - volle Professorenstellen - verdrängt und die Lehrprofessoren würden rasch zum Professor zweiter Klasse herabgestuft.

Nicht sachgerecht wäre es im Übrigen, ohne Weiteres Anreize für die Schaffung unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Die Hochschulen selbst müssen entscheiden, wo die Einrichtung von zusätzlichen Dauerarbeitsplätzen sinnvoll ist. Im Übrigen bringen Einzeleingriffe in die Struktur die Gefahr mit sich, mit der Umwandlung von befristeten Arbeitsverhältnissen in Lebenszeitstellen einem temporären Bedürfnis nachzukommen, für die Zukunft aber dann leistungsfähige junge Bewerber abweisen zu müssen, weil die Stellen auf 30 Jahre besetzt sind.

Lassen Sie mich für meine Fraktion herausstellen: Die schlichte Adaption von Laufbahnen und Bezeichnungen insbesondere aus den Hochschulbereichen in Großbritannien und den USA auf niedersächsische Hochschulstrukturen wäre naiv und unsachgemäß.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Sehr rich- tig!)

Ich erinnere daran, dass vor allem aus diesem angelsächsischen Raum im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts Deutschland nachdrücklich geraten wurde, neue Strukturen in der Volkswirtschaft einzuführen, wegzukommen von der industriellen Produktion, hin insbesondere zu Dienstleistungen - und auch zu Finanzdienstleistungen. Wirtschaftspolitiker aus Großbritannien

standen in der ersten Reihe dieser Ratgeber. Nun, in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts, gilt die produzierende Wirtschaft Deutschlands als dessen Stärke. Über Nacht ist das zum Vorbild insbesondere für die Länder jenseits des Rheins und des Ärmelkanals geworden.

Strukturen und Modelle sind nicht deshalb per se besser, weil sie englische Namen tragen oder Städtenamen aus der Lombardei. Einige Protagonisten der angelsächsischen Wissenschaftsstrukturen sind offenbar allzu leicht und allzu schnell bereit, das humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre über Bord zu werfen.

Bleibt die Forderung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern. Das allerdings ist mittlerweile fast Gemeinplatz. Für die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehen die Bundesministerinnen Schröder, von der Leyen und Schavan sowie unsere Landesministerinnen Özkan und Wanka.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Sehr gut!)

Sie merken, dass diese Aufzählung mir Vergnügen bereitet.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Wir haben mit Vergnügen zugehört!)

Ihre Anträge werden wir ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Noack. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Dr. HeinenKljajić das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte eine Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler schaffen. Fünf Jahre später müssen wir feststellen, dass das Gesetz zu Fehlsteuerungen geführt hat, die - jedenfalls aus unserer Sicht - eine Reform erforderlich machen.

Die Kollegin Andretta hat auf die Zahlen bereits hingewiesen. Eine HIS-Studie belegt, dass 83 % der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten, die Hälfte davon mit einer maximalen Vertragslaufzeit von einem Jahr oder kürzer.

Wer den Karriereweg als Nachwuchswissenschaftlerin und Nachwuchswissenschaftler einschlägt, geht ein hohes Risiko ein. Wer trotz guter Leistungen nicht den Sprung auf eine Professur schafft, landet mit Mitte 40 schlicht in einer beruflichen Sackgasse.

Daher muss die Personalstrukturreform an den Hochschulen, die unter Rot-Grün seinerzeit z. B. mit Einführung der Juniorprofessur begonnen wurde, aus unserer Sicht weitergeführt werden. Für Daueraufgaben in Forschung und Lehre sind neben der Professur mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Die Tarifvertragssperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss fallen. Die Möglichkeiten der Juniorprofessur müssen häufiger genutzt werden.

Der SPD-Antrag enthält eine Reihe kluger Vorschläge, wie die beschriebene Schieflage korrigiert werden könnte. Ich will die einzelnen Forderungen, die Frau Dr. Andretta ausgeführt hat, hier nicht wiederholen, sondern möchte nur noch auf die Punkte eingehen, die wir als Änderungsvorschlag eingebracht haben und die die Antragstellerin dann auch übernommen hat.

Erstens schlagen wir vor, den Befristungsgrund wegen Drittmittelfinanzierung erst dann anzuwenden, wenn der 12- bis 15-jährige Befristungsrahmen während der Qualifizierungsphase bereits ausgeschöpft wurde. Ich gebe zu: eine juristisch komplizierte Materie. Hier geht es darum, die Möglichkeit der sogenannten sachgrundlosen Befristung voll ausschöpfen zu können. Das wird beispielsweise dann relevant, wenn es darum geht, Fristverlängerungen wegen Elternzeit zu beantragen.

Zweitens soll nicht wissenschaftliches und nicht künstlerisches Personal aus der Befristungsbegründung wegen Drittmittelfinanzierung herausgenommen werden.

Drittens soll eine Verlängerung der Befristungsdauer wegen elterlicher Verantwortung nicht wie bisher nur möglich sein, sondern es soll ein Rechtsanspruch auf eine Verlängerung geben.

Schließlich sollen Drittmittelprogramme Anreize für unbefristete Stellen schaffen. Ein sogenannter Risikoaufschlag wird entweder pauschal an die Hochschulen gezahlt, wenn diese eine befristete in eine unbefristete Stelle verwandeln, oder der Aufschlag wird an den ehemaligen Stelleninhaber der befristeten Stelle gezahlt, um die Zeit bis zur Übernahme in eine unbefristete Stelle zu überbrücken.

Meine Damen und Herren, ein Abgleich mit anderen Hochschulsystemen wie in den USA, Großbritannien und Frankreich zeigt: Die Perspektiven und Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs müssen dringend verbessert werden.

Herr Noack, wir sind nicht gegen Befristung; aber deren Praxis muss sich ändern.

Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die Augen vor dieser Problematik verschließen, zeigt, dass Sie auch an den Hochschulen problematische Zeitarbeitsverhältnisse gesundbeten, statt mitzuhelfen, Alternativen zu finden.

Wir bedauern, dass der SPD-Antrag keine Mehrheit findet. Herr Noack, all die von Ihnen gerade in Ihrer Rede aufgeworfenen Fragen hätten wir konstruktiv im Rahmen einer Ausschussberatung, im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss beraten und besprechen können. Dem haben Sie sich leider Gottes verweigert. Daher sind Ihre Ausführungen, die Sie hier eben gemacht haben, schlicht und ergreifend zu spät gekommen. Wir jedenfalls werden dem SPD-Antrag zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön, Frau Dr. Heinen-Kljajić. - Für die FDP-Fraktion hat sich Frau von Below-Neufeldt zu Wort gemeldet Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beide Anträge haben wir im Ausschuss beraten, und beide Anträge lehnen wir als Regierungsfraktionen ab. - Ich will es kurz machen und auf die Punkte hinweisen, die mir als Liberale ganz besonders wichtig sind.

Erstens: die Studienbeiträge. Wir haben zurzeit 160 000 Studenten. Jeder Student bezahlt pro Semester 500 Euro an Studienbeiträgen.

(Victor Perli [LINKE]: 500 Euro zu viel!)

Sie sind finanzierbar. Die Gelegenheit, darauf noch einmal hinzuweisen, lasse ich nicht aus. Sie sind finanzierbar und damit de facto nachgelagert.

(Victor Perli [LINKE]: Deswegen gehen jedes Jahr 10 000 weg!)

Wie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung herausfand, führen Studienbeiträge nicht zu einer Sozialauswahl. Das sagen Sie als Opposition ja immer gern und oft. Aber auch oft und gern Gesagtes wird damit nicht richtiger.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Mit den Studienbeiträgen werden jede Menge Stellen im Hochschulmittelbau finanziert. Sie dienen der Verbesserung der Lehre.

(Victor Perli [LINKE]: Was für Stellen?)

Ohne die Studienbeiträge lassen sich diese Stellen ohne neue Schulden nicht finanzieren.

Vorschläge zur Kompensation liegen wenigstens von der SPD nicht vor. Aber schaut man einmal in die SPD-Musterländer,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo sind die denn? - Dr. Stephan Siemer [CDU]: SPD-Musterländer gibt es nicht! Nicht von der SPD!)