Protokoll der Sitzung vom 20.03.2012

Artikel 1 einschließlich Anlage. - Unverändert.

Artikel 2. - Unverändert.

Gesetzesüberschrift. - Unverändert.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wurde gefolgt. Damit ist der Gesetzentwurf vom Landtag so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 und 9 vereinbarungsgemäß zusammen auf.

Abschließende Beratung: Kommunalwahlrecht für alle Einwohnerinnen und Einwohner! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2403 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 16/4430

Erste Beratung: Doppelte Staatsbürgerschaft erleichtern - Mehrstaatigkeit nicht nur für Ministerpräsident McAllister! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4584

Zu Tagesordnungspunkt 8 empfiehlt Ihnen der Ausschuss, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zur Einbringung des Tagesordnungspunktes 9 erteile ich jetzt Frau Dr. Lesemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Vor knapp zwei Jahren erfolgte die erste Beratung zu diesem Antrag. Ein Abschluss der Beratungen deutlich vor den Kommunalwahlen hätte natürlich Sinn gemacht. Aber an Aktualität hat die Forderung nach einem Kommunalwahlrecht für alle Einwohnerinnen und Einwohner nichts eingebüßt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir meinen, Ausländer, die dauerhaft in Deutschland leben, sollten auch über die Belange in ihren Dörfern, Städten und Landkreisen mitbestimmen dürfen. Wir wollen, dass die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten bei Wahlen zur kommunalen Selbstverwaltung in Kreisen, Städten und Gemeinden wahlberechtigt und wählbar sind.

Die Möglichkeit, an der politischen Willensbildung am Wohnort teilzunehmen, ist ein wesentlicher Bestandteil bürgerschaftlicher Rechte und vertieft auch die Bindung zum Wohnort. Ein kommunales Wahlrecht für langjährig hier lebende Ausländer aus Drittstaaten ist im Sinne von wirklicher Teilhabe und Integration unverzichtbar.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Filiz Polat [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, nun ist es so, dass viele Migrantinnen und Migranten trotz guter Sprachkenntnisse, gesellschaftlichem Engagement und beruflichem Erfolg von der politischen Teilhabe in Deutschland ausgeschlossen bleiben. Der Hauptgrund hierfür ist die Verknüpfung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft. Grundsätzlich dürfen sich nur deutsche Staatsbürger an Wahlen beteiligen.

Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet jedoch in der Regel die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft. Das ist zugegebenermaßen ein sehr hoher Preis.

Seitens der CDU wird nun immer angeführt: Wer sich einbürgern lässt, erhält auch das Wahlrecht. - Das ist sachlich vollkommen richtig. Aber wenn Sie unserer Forderung nach erleichterter Einbürgerung

unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit - die sogenannte doppelte Staatsbürgerschaft - nachgekommen wären, dann hätten wir hier schon wesentlich mehr Wahlberechtigte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Natürlich können wir darüber reden, wie wir Einbürgerung erleichtern, und auch über das Thema doppelte Staatsbürgerschaft. Hierzu bringen wir jetzt auch einen Antrag ein. Wir wollen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft auch von Drittstaatlern angenommen werden kann.

Mehrstaatigkeit ist die Folge hoher Mobilität in einer globalisierten Welt. Stellen Sie sich doch endlich den Realitäten und Notwendigkeiten! Was der Ministerpräsident in Anspruch nimmt, sollte auch für andere gelten.

Interessant ist übrigens die Position von Frau Sozialministerin Özkan hierzu. Sie ist der Meinung, wer hier lebe und wer in Deutschland geboren sei, der könne sich zu gegebener Zeit für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Frau Ministerin Özkan, haben Sie das eigentlich auch schon dem Ministerpräsidenten geraten?

(Beifall bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Sie sollten die persönlichen Verhältnisse nicht thematisieren, Frau Kollegin! Das ist unprofessionell!)

Was die Aufhebung des Optionszwanges angeht, so hat sich die Berliner CDU im Koalitionsvertrag mit der SPD dafür ausgesprochen. Ihr Partner FDP ist hier auch zu vernünftigen Einsichten gekommen. Nehmen Sie sich daran doch endlich einmal ein Beispiel!

(Zustimmung von Andrea Schröder- Ehlers [SPD])

Wir fordern die Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Abschaffung des Optionszwanges; denn der bürokratische Aufwand ist enorm. Komplizierte Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverfahren sind vorprogrammiert. Vor allem aber ist das integrationspolitische Signal fatal: Ihr gehört nicht dazu. Ihr seid Deutsche auf Abruf. - Das verunsichert nicht nur die Betroffenen selbst, es verunsichert auch ihre Familien und Freunde und birgt die Gefahr, die Integrationspolitik insgesamt unglaubwürdig zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes geht es um ein urdemokratisches Anliegen, um das Prinzip „one woman, one vote“ oder „one man, one vote“. Aus demokratietheoretischer Sicht besteht ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung schon deshalb, weil kein Staat es auf Dauer hinnehmen kann, dass ein zahlenmäßig bedeutender Teil der Bevölkerung über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemeinschaft steht. Jedes demokratische Staatswesen muss ein Interesse an einer weitgehenden Deckungsgleichheit von Staatsvolk und Wohnbevölkerung haben.

Aber solange der Zwang zur Option besteht, solange es keine doppelte Staatsbürgerschaft für Nicht-EU-Angehörige gibt, wird es nötig sein, ein Kommunalwahlrecht für Drittstaatler zu fordern; denn EU-Ausländer haben ein Kommunalwahlrecht. Es ist doch völlig ungerecht, wenn EU-Bürger, die seit drei Monaten in Deutschland wohnen, an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, aber nicht deren Nachbarn aus Drittstaaten, die beispielsweise schon 40 Jahre in derselben Gemeinde wohnen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft sind seit 1992 bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. Es besteht eine Ungleichbehandlung zu den Drittstaatlern. Und gibt es relevante Unterschiede zwischen EU-Ausländern und anderen Ausländern? - Sie dürften kaum vorliegen.

Den Ländern sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Ungleichbehandlung zwischen Bürgern der EU und den übrigen Ausländern zu beseitigen.

Laut geltendem Recht haben bereits hier lebende Ausländer aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union das aktive und passive Wahlrecht in den Kommunen, soweit dies das EU-Recht vorsieht. In bisher fünf europäischen Staaten wurde neben der Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürger ein solches Wahlrecht, sofern es noch nicht bestanden hat, auf Nicht-EU-Bürger ausgedehnt, nämlich in Irland, Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden. Dort haben die Nicht-EU-Bürger das kommunale aktive und passive Wahlrecht.

(Beifall bei der SPD)

Hinzu kommen Belgien, Luxemburg und Ungarn, die zumindest ein aktives Wahlrecht für Drittstaatsangehörige haben.

Der politische Wille und die politische Durchsetzbarkeit sind hier gefragt. Ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländerinnen und Ausländer geht nur mit einer Änderung des Grundgesetzes, was eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat voraussetzt. Das Grundsatzprogramm der SPD fordert das seit 1989.

Änderungen in den Landesverfassungen der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, die 1989/90 ein solches Wahlrecht einführen wollten, wurden in einem einstimmigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts für verfassungswidrig erklärt. Zentrales Argument des Gerichts war, dass dem Volk die letztgültige Entscheidungskompetenz zukommt und das Grundgesetz das Volk eindeutig als „deutsche Staatsangehörige“ definiert. Dem Argument, dass kommunale Vertretungsorgane nicht den Parlamenten zuzuordnen sind, sondern der Verwaltung, wollte das Gericht nicht folgen.

Es ist davon auszugehen, dass es in Deutschland zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die keine EU-Bürger sind, einer Verfassungsänderung und damit einer Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag bedarf.

Wenn wir sie hätten, könnten wir das Kommunalwahlrecht auf Landesebene einfachgesetzlich regeln. Das werden wir über kurz oder lang auch auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind jedenfalls dazu bereit und werden uns in diesem Sinne weiterhin einsetzen. Darauf dürfen Sie sich verlassen.

Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt der Kollegin Polat das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche erst zum Antrag „Doppelte Staatsbürgerschaft erleichtern“.

Sehr geehrte Damen und Herren, Deutschland hat im EU-Vergleich die schlechtesten Einbürgerungs

quoten. Das ist Fakt. Jeder Neunte in Deutschland hat keinen deutschen Pass. Das sind Zahlen von 2010. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Einbürgerungsquoten auch deshalb so niedrig sind, weil wir, wie Frau Dr. Lesemann gesagt hat, ein sehr restriktives Staatsbürgerschaftsrecht haben, das die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nicht zur Regel macht.

Das wollen wir ändern, meine Damen und Herren. Deswegen unterstützen wir sowohl auf Landesebene - schon mehrfach - als auch auf Bundesebene den Antrag der Fraktion der SPD.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2010 wurden 53,1 % unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert. Eine andere Zahl ist aber auch entscheidend. Wir haben zwar eine hohe Anzahl von Menschen, bei denen die Mehrstaatigkeit aufgrund von Härtefallregelungen hingenommen wird. Wir sehen aber auch, dass die größte Bevölkerungsgruppe unter den Immigranten, die der Türkischstämmigen, hier sehr stark benachteiligt ist. Im Jahr 2008 waren nur 18 % der türkischstämmigen Bevölkerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert worden. Das ist ein eklatanter Unterschied. Im selben Jahr waren insgesamt 96 % unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit eingebürgert worden.