Der furchtbare Fiskalpakt ist bereits Geschichte, ob Sie das nun sehen oder nicht. Weil Sie eben auf den Zwischenruf von Hans-Henning Adler hin einen Ausflug in Ihre humanistische Bildung versucht haben: Ja, pacta sunt servanda. Aber Sie wissen: Das gilt nach der Unterschrift - das bedeutet: nach der Ratifizierung - und nicht vorher. Dann sind Verträge zu bewahren und nicht schon im Ratifizierungsprozess. Das ist doch klar wie Kloßbrühe.
Was ist der Kern des europäischen Projekts? - Der Kern ist die Sehnsucht dieses 8. Mai 1945 nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Weil der Mensch ein Mensch ist, ist er vor allem ein soziales Wesen. Er will kein Objekt von Ausbeutung und imperialen Träumen, keine Schachfigur der Weltpolitik sein. Ihre Europapolitik aber betrachtet wirtschaftlich unsere europäischen Nachbarn vor allem als Absatzmärkte und als Produktionsstandorte mit billigen Arbeitskräften.
Herr Dr. Sohn, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. - Ich wollte darauf hinweisen, dass Filmaufnahmen von der Tribüne aus nicht gestattet sind. - Sie haben das Wort, Herr Dr. Sohn!
Was ist das Ergebnis dieser geschichtsvergessenen Politik, deren Bestandteil unser Ministerpräsident jedenfalls noch bis zum Januar 2013 ist, in Zahlen? - Das kann ich aus der Bundestagsdrucksache 17/9410 zitieren:
„So ist im Jahr 2011 die Wirtschaft in Portugal wiederholt geschrumpft, in Griechenland war dies sogar im vierten Jahr in Folge der Fall. Mit Italien befindet sich inzwischen die drittgrößte Volkswirtschaft der EU in der Rezession. Im Gegenzug nimmt die Zahl der erwerbslosen und armen Menschen zu, wie der jüngste Bericht des EU-Ausschusses für Sozialschutz dokumentiert. Danach stieg die Arbeitslosigkeit in der EU seit Krisenausbruch von 7 auf 10 %. In Ländern wie Irland, Griechenland und Spanien hat sich die Arbeitslosigkeit seit Krisenbeginn annähernd verdoppelt. Jeder zweite bis dritte Jugendliche ist dort erwerbslos. Entgegen dem Ziel der ‚EU-2020-Strategie’ sind immer mehr Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen, im Jahr 2010 bereits 116 Millionen. In Griechenland ergreift die Obdachlosigkeit inzwischen sogar die Mittelschichten.“
Das ist der Trümmerhaufen, über den Sie jetzt die Überschrift setzen: Nur weiter so! - Das ist eine erbärmliche Politik, Herr McAllister.
- Doch, Herr Dürr, das ist das Ergebnis der Politik, die Sie wie Herr McAllister mittragen, für die Sie mitverantwortlich sind. Sie bearbeiten mit Vorschlaghämmern die Säulen, auf denen Europa ruht.
Die Signale aus Athen und Paris sind eindeutig: Hört auf mit der Politik der Eiseskälte, mit der Ihr Europa überzieht! Schafft endlich ein soziales Europa, weil nur ein soziales Europa Zukunft hat!
Sie haben das leider nicht korrigiert - der kalte Satz: Die Landesregierung hat kürzlich die Nachbesetzung der Leitung des EIZ beschlossen. Dies ist ein deutliches Bekenntnis zum EIZ in der Staatskanzlei. - Großartig! Die Nachbesetzung offener Stellen ist „ein deutliches Bekenntnis“. Ich hätte mir gewünscht - das zum Thema „soziale Kälte“, Herr McAllister -, dass Sie an dieser Stelle einmal den Namen Bettina Raddatz erwähnt hätten. Wenn Sie es nicht tun, tun wir es, weil diese Frau eine großartige Arbeit geleistet hat. Es wäre an Ihnen gewesen, ihr an dieser Stelle einmal dafür zu danken.
Wir stehen in völliger Übereinstimmung mit dem Antrag, den u. a. unsere niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Jutta Krellmann in den Bundestag eingebracht haben. Ich zitiere aus diesem Antrag, weil dort präzise beschrieben ist, wie der Kurswechsel auszusehen hat:
„1. Deutschland ratifiziert weder den Fiskalpakt noch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). …
2. Darlehen an notleidende Staaten werden nicht mehr an den Abbau sozialer Standards … gekoppelt. Stattdessen sind die öffentlichen Haushalte der Eurozone von den Finanzmärkten abzuschirmen, indem Kredite über eine öffentliche Bank vergeben werden, um Zinsaufschläge zu verhindern. …
3. Statt Bankenrettung und Sparpakete initiiert die Politik in der EU beschäftigungsschaffende und sozialpolitische Maßnahmen. Dazu gehören ein effektives, europaweites Zukunftsinvestitionsprogramm …, eine … Vermögensabgabe“
4. Das deutsche Lohn- und Sozialdumping des vergangenen Jahrzehnts ist ein maßgeblicher Faktor für die Entstehung von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten und damit der Krise. Es gilt diese Ungleichgewichte zu reduzieren. In Deutschland sind ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung einzuführen.“
Das wären die Maßnahmen, die endlich ein Europa sozialer Gerechtigkeit schaffen würden. Dann kämen die anderen Punkte, zu denen Sie einiges gesagt haben, wobei klar ist: Der Stukkateur wird erst tätig, wenn die Säule repariert und stabilisiert ist. - Das sind also die Grundvoraussetzungen für alles, was noch an europäischem Feinschliff zu tun ist.
Zu den öffentlichen Banken - Sie haben diese thematisiert - werden wir am Donnerstagabend ausführlich im Plenum debattieren, weil die Linke, wie Sie wissen, einen ausführlichen Antrag zur Stärkung von Sparkassen und Genossenschaftsbanken vorgelegt hat, zur Stärkung der Institutssicherung, auch zur Frage der unsinnigen Regulierung, die sich gegen Kleinkunden richtet, usw. Ich kann mir das hier sparen.
Zur NORD/LB: Mir ist unklar, was Sie in Ihrem Redemanuskript eigentlich mit „weiteren Kapitalumwandlungen“ meinen. Vielleicht kann Herr Möllring das präzisieren. Sind das die Maßnahmen, die schon beschlossen sind, oder sind das weitere? Wir wissen alle, dass die NORD/LB mit ihren umfangreichen Schiffs- und Flugzeugfinanzierungen von einer stabilen Konjunktur abhängig ist, also von dem, was Sie mit Ihrer Politik gerade untergraben.
Dass VW ein Erfolgsmodell ist, darin sind wir uns einig. Aber manchmal hat man den Eindruck, Sie glauben, dass das Erfolgsmodell mit dem Antritt Ihrer Regierung und nicht 1946 begonnen hat.
Aber wir dürfen nicht bei der Verteidigung von VW stehen bleiben. Das Erfolgsmodell addiert sich ziemlich einfach: Starke Gewerkschaften und sozial gut abgesicherte Belegschaften bauen gute Autos. Das ist der Kern des Erfolgsmodells.
Diese Kombination von Mitbestimmung und Standortsicherheit ist das Exportmodell, das wir uns wünschen. Es ist ein besseres Exportmodell als Ihr elendes Kreditverbot. Insofern fordern wir ein VW-Gesetz für alle, mindestens in Deutschland. Das hätte auch Beispielwirkung für Europa.
Kein Redeteil war bei Ihnen so voll mit Fremdwörtern und blumigen Unverbindlichkeiten wie der zur Kohäsionspolitik, Herr McAllister. Der Grund ist ziemlich schlicht: Sie brauchen Nebel. Merkel und Sarkozy waren nämlich für den Ausbau sogenannter makroökonomischer Konditionalitäten, die konservative Mehrheit im EU-Parlament aber war dagegen. Folglich eiern Sie zwischen Ihren beiden konservativen Fraktionen gepflegt herum.
Unser Kurs - damit meine ich den Kurs aller linken Kräfte in allen Parlamenten, soweit ich sie überblicken kann - ist klar: Die Kohäsionspolitik darf nicht jene bestrafen, die ohnehin wirtschaftlich schwach sind. Das ist nämlich der Kern der Politik, die Sie damit bezwecken.
Der unsoziale schwarze Faden Ihrer Koalition wird auch in der Agrarpolitik deutlich. Sie setzen die Politik der sozialen Spaltung tatkräftig fort. In Ihrer ganzen Rede findet sich für die Bauern Europas kein Jota sozialer Gerechtigkeit.
Herr McAllister, diese Rede ist ein weiterer gescheiterter Versuch, Ihr Amt mit mehr zu füllen, als nur Schirmherr jedes neuen VW-Modells oder Vorkoster jeder neuen schottischen Whiskysorte zu sein - wie jüngst in Peine. Nun versuchen Sie sich in Europa und, mit Blick auf Afrika, sogar in der Weltpolitik. Allerdings hat sich Niedersachsen mit der Partnerschaft mit dem Südsudan in der Vergangenheit nicht wirklich als Kontinente rettender Stabilitätsfaktor erwiesen.
Aber wenn Sie schon von Afrika reden, Herr Ministerpräsident: Europa gedeiht nicht als eine Festung gegen den Rest der Welt, vor deren Küsten die Elenden Afrikas zu Hunderten ersaufen. Von Völkerverständigung zu reden und das zuzulassen und zu fördern, ist Zynismus, Herr Ministerpräsident.
Diese Regierungserklärung ist eine doppelte Beleidigung: gegenüber dem Parlament in ihrer Inhaltsarmut und gegenüber der Idee der europäischen Solidarität in ihrer sozialen Kälte.
(Jens Nacke [CDU]: Jetzt reißen Sie sich mal ein bisschen zusammen, Herr Dr. Sohn! Was ist das für eine Wortwahl?)
Wir werden daran arbeiten, darauf im Januar in Niedersachsen ähnlich zu antworten, wie es vor drei Tagen in Griechenland und Frankreich geschehen ist, nämlich durch das Herankämpfen an Mehrheiten für einen Politikwechsel zu mehr sozialer Gerechtigkeit und europäischer Solidarität der Völker.
(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Das ist ja peinlich! Schämen Sie sich für solche Auftritte!)
Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Frau Polat noch zu Wort gemeldet. Sie hat noch zwei Minuten.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Europaminister McAllister, auch ich muss sagen: Ich bin sehr enttäuscht von Ihrer Regierungserklärung. Anstatt mit dem 8. Mai, dem Tag der Befreiung und der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, zu beginnen, wie es der Kollege deutlich gemacht hat, fangen Sie damit an, dass man das Europapolitische Konzept von der Internetseite der Staatskanzlei herunterladen kann und die Parlamentarischen Geschäftsführer es per E-Mail übersendet bekommen. Ich muss schon sagen: Das ist ein Tiefpunkt der europapolitischen Debatte hier im Niedersächsischen Landtag.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: So schwach, Frau Kollegin, Sie sind so schwach! Die Bezeichnung „Europa- minister“ ist ein Tiefpunkt!)