Protokoll der Sitzung vom 08.05.2012

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine Veränderung der Tagesordnung gibt. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen haben sich nämlich darauf verständigt, die abschließenden Beratungen unter den Tagesordnungspunkten 9 und 12 - ich denke, dass ich die einzelnen Themen nicht vorlesen muss - für den Tagungsabschnitt im Juni vorzusehen. Der Beratungsumfang für heute reduziert sich damit um eine gute Stunde.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Abschließende Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung - Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4035 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 16/4748 - Schriftlicher Bericht - Drs. 16/4766

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf verfolgen wir das Ziel, ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität auch in die Niedersächsische Verfassung aufzunehmen. Niemand soll wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden dürfen.

Eine solche Regelung gibt es bereits in verschiedenen Länderverfassungen, z. B. in Brandenburg, in Berlin, in Thüringen, in Bremen und im Saarland. Ein solches Diskriminierungsverbot gibt es auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in nationalen Verfassungen, z. B. von Schweden und Portugal. Ein solches Verbot gibt es auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

An dieser Stelle will ich gleich auf einen Einwand eingehen, der wahrscheinlich kommen wird. Der Einwand wird sein: Wir brauchen das doch gar nicht in der Niedersächsischen Verfassung zu regeln, weil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - einige sagen auch: Antidiskriminierungsgesetz - auch in Niedersachsen gilt. - Aber dieser Einwand ist nicht wirklich überzeugend; denn so betrachten wir die Dinge nicht immer. Der Niedersächsische Landtag hat z. B. einvernehmlich die Verfassung geändert, als es um die Kinderrechte ging. Auch damals hat uns der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst gesagt, eigentlich bräuchten wir das gar nicht, weil das alles bereits durch Gesetze des Bundes geregelt sei. Trotzdem haben wir die Verfassung geändert, weil wir einen Akzent setzen wollten, weil wir etwas ins öffentliche Bewusstsein bringen wollten, was uns wichtig war.

Deswegen kommt es immer auch darauf an, wie man eine solche Frage politisch gewichtet. Wenn man sie politisch hoch gewichtet, dann ist man der Auffassung: Sie gehört in die Verfassung hineingeschrieben. - Das ist der Punkt.

Wie wichtig dieses Thema ist, ist uns vor wenigen Tagen deutlich geworden, als wir von dem Vorgang in Rechterfeld gehört haben. In dieser südoldenburgischen Gemeinde hatte sich ein Lehrer um das Amt des Schulleiters beworben. Dann haben sich irgendwelche Ewiggestrigen zusammengetan, an den örtlichen Priester gewandt und Mobbing gegen den Lehrer betrieben. Schließlich hat der Bewerber seine Bewerbung zurückgezogen. Die Schule in Rechterfeld hat jetzt keinen Schulleiter. Der Bürgermeister von Rechterfeld bedauert dies. Auch die Schule bedauert, dass eine solche Einflussnahme von Ewiggestrigen zu diesem Ergebnis geführt hat.

Das Beispiel Rechterfeld zeigt, wie notwendig es ist, dass der Niedersächsische Landtag hier ein eindeutiges Zeichen setzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Adler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bley?

Selbstverständlich.

Herr Bley, Sie haben das Wort.

Herr Adler, Ihre Ausführungen sind nicht falsch. Aber wäre es nicht sinnvoll, auch zu sagen, dass alle verantwortlichen örtlichen Politiker sich bemüht haben, Einfluss zu nehmen und diesen Schulleiter trotzdem zu gewinnen?

Herr Adler!

Da haben Sie völlig recht. Ich will die örtlich Verantwortlichen überhaupt nicht kritisieren. Sie haben sich sicherlich alle um Schadensbegrenzung bemüht. Aber das ändert doch nichts an meinem Argument, dass ein solcher Schaden eingetreten ist und dass man sich überlegen muss, welche Akzente man als Gesetzgeber dagegen setzt.

Die Diskriminierung von Homosexuellen, Lesben, Transgendern usw. hat eine ganz bittere Geschichte, die wir uns immer wieder vor Augen führen sollten. Im Mittelalter kamen sie auf den Scheiterhaufen. Dann drohte der § 175 mit Zuchthausstrafen. Die Nazis haben die Homosexuellen in Konzentrationslager geworfen; sie wurden dann mit einem rosa Winkel gekennzeichnet. Noch bis 1969 wurde in Deutschland Strafverfolgung betrieben. Die Polizei hat mit Spitzeln im Milieu gearbeitet. Es gab „Rosa Listen“. Alles das wurde erst von Justizminister Heinemann beendet, aber noch nicht einmal vollständig; denn erst Anfang der 90erJahre wurde der § 175 vollständig aufgehoben.

In der DDR war die strafrechtliche Diskriminierung nicht so stark. Aber es gab auch dort Diskriminierung.

Ich finde, vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen muss der Gesetzgeber einen Akzent setzen und angesichts dessen, was Schwulen und Lesben in der Vergangenheit zugefügt wurde, auch zu einem Akt der Wiedergutmachung bereit sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Haase zu Wort gemeldet. Bitte schön, jetzt haben Sie das Wort!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Adler hat es, glaube ich, sehr deutlich gemacht: Wir als Niedersächsischer Landtag könnten heute gemeinsam einen guten Schritt in der Verfassungsentwicklung unseres Landes gehen und damit dem Beispiel vieler anderer Bundesländer folgen, indem wir endlich das Merkmal der sexuellen Identität in Artikel 3 Abs. 3 aufnehmen.

Leider wird es wohl nicht dazu kommen. Die Regierungsparteien verweigern sich - wie schon in der Debatte um die Bundesratsinitiative zum gleichen Thema vor zwei Jahren - diesem für viele Menschen in unserem Land wirklich wichtigen Anliegen. Nicht dass wir im Ausschuss nicht erneut intensiv darüber diskutiert hätten! Nein, es war einfach ein Beharren auf den Positionen von 2009: Diese Änderung sei unnötig, sie regele nichts, was nicht schon gesetzlich oder gerichtlich geklärt sei, und man solle die Verfassung nicht überfrachten.

Meine Damen und Herren, schade, dass die CDU und die FDP in Niedersachsen nicht die Kraft haben, den Beispielen anderer Bundesländer zu

folgen! Berlin, Brandenburg, Bremen, Thüringen und zuletzt das Saarland haben das Merkmal der sexuellen Identität in ihre Verfassungen aufgenommen - das Saarland übrigens mit allen Stimmen der dort vertretenen Fraktionen, also auch mit den Stimmen von CDU und FDP, und zwar zu Zeiten einer schwarz-gelben Koalition. Dies sollte Ihnen zumindest zu denken geben.

Meine Damen und Herren, wir sind uns doch alle einig, dass die Verfassung und insbesondere der Grundrechtekatalog in der Verfassung nur sehr behutsam ergänzt und verändert werden soll und darf. Aber die Nichtaufnahme des Merkmals der sexuellen Identität ist eine Unterlassung, die zu korrigieren ist. Hier ist und bleibt Handlungsbedarf. Herr Adler hat das ausgeführt. Dies wurde im Übrigen auch in der schriftlichen Stellungnahme des LSVD erneut unterstrichen. Und wer kennt nicht die Bilder der jährlichen Demonstrationen von Zehntausenden Lesben, Schwulen und Transgendern, z. B. am Christopher Street Day?

Meine Damen und Herren, das Fehlen des Merkmals der sexuellen Identität ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gerügt bzw. mehrfach angesprochen worden.

Natürlich ist es richtig, dass die europäische Verfassungsrechtsentwicklung in Artikel 13 des EGVertrages und Artikel 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU längst die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität in den Kreis der Diskriminierungsverbote einbezogen hat. Ebenso ist in diesem Hause natürlich unbestritten, dass wir in den deutschen und niedersächsischen Einzelgesetzen - Betriebsverfassungsgesetz, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Beamtengesetz - längst Regelungen haben, die eindeutig und klar die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verbieten, sodass man sagen könnte, es bestehe kein Regelungsbedarf und mit der Ergänzung des Artikels 3 werde weder etwas Neues noch mehr Rechtsklarheit geschaffen.

Ist aber nicht der Umkehrschluss richtig? Ist nicht gerade dies ein Argument für die Ergänzung und Betonung dieses Rechtes? - Weil Recht, auch Verfassungsrecht, nicht statisch ist, sollten wir als Gesetzgeber diese Rechtsentwicklung, die auf europäischer Ebene längst stattgefunden hat, auch in unserer Verfassung deutlich und klar zum Ausdruck bringen. Wir sollten und dürfen dies in Niedersachsen nicht allein der Auslegung der Gerichte und der Interpretation des europäischen Rechts überlassen.

Ich erinnere auch noch einmal daran: Die Verfassungskommission von 1993 hat seinerzeit mit einer Mehrheit von 27 zu 22 Stimmen für die Aufnahme dieses Zusatzes in das Grundgesetz plädiert. Lediglich die FDP, Herr Zielke, hat das damals blockiert.

Meine Damen und Herren, heute könnten und sollten wir zumindest auf Länderebene diese in meinen Augen notwendige Ergänzung vornehmen. Leider aber haben Sie von den Regierungsfraktionen wieder nicht die Kraft und wieder nicht den Mut dazu. Dabei wäre es wirklich ein ganz starkes Zeichen von Akzeptanz und Toleranz. Wir würden endlich das Merkmal der sexuellen Identität gleichrangig neben den Merkmalen Rasse, Herkunft, religiöse und politische Anschauung in der Verfassung festschreiben. Wir würden uns als Gesellschaft rechtlich verpflichten, keine Benachteiligungen wegen der sexuellen Identität mehr zuzulassen. Wir könnten deutlich machen, dass Lesben, Schwule und Transgender in Niedersachsen ohne Angst und ohne Diskriminierung leben können und sollen.

Meine Damen und Herren, natürlich wäre das auch ein symbolischer Akt, aber ein wichtiger. Herr Adler sprach von einer Akzentsetzung. Mir ist wie allen anderen klar, dass ein Verfassungstext das eine, die gelebte Realität oftmals eine andere ist. Das von Herrn Adler genannte Beispiel spricht Bände. Umso wichtiger ist es aber doch für uns als Landtag - für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ohnehin -, dass wir mit dieser Änderung deutlich machen: Schwule, Lesben und Transgender verdienen den gleichen Respekt und die gleiche Akzeptanz wie alle anderen Menschen in der Gesellschaft.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie sind Bürgerinnen und Bürger wie wir alle mit gleichen Rechten und Pflichten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wirklich schade, dass die Mitglieder der Regierungsfraktionen immer noch nicht den Mut haben oder die Kraft aufbringen - ich weiß nicht, warum das so ist -, unsere Verfassung wirklich aktuell weiterzuentwickeln. Das Thema wird doch auf der Tagesordnung bleiben. Meine Hoffnung ist, dass Sie ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktionen in anderen Ländern irgendwann aus der Opposition heraus endlich mitstimmen und gemeinsam mit den anderen Parteien diese Ergänzung beschließen, damit auch Niedersachsen eine Verfassung hat, die up to date ist, die en jour

ist. Die Schwulen, Lesben und Transgender in unserem Land, aber auch viele darüber hinaus dürfen dies zu Recht von uns allen, insbesondere auch von Ihnen, erwarten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Haase. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Frau Kollegin Twesten zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ursprünglich wollten wir diesen Antrag bereits im November-Plenum des letzten Jahres beraten, genauer gesagt am 9. November, jenem Tag, der als Reichspogromnacht in die Geschichte eingegangen ist. Herr Dinkla hat seinerzeit auf die Bedeutung des Datums mit Blick auf die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung bis hin zur systematischen Verfolgung und Vernichtung hingewiesen. Dem konnte in unserem Land erst 1945 ein Ende bereitet werden.

Neben Juden und Behinderten gab es eine weitere Bevölkerungsgruppe, die zuerst diskriminiert und später ebenso systematisch verfolgt wurde. Nach der Verschärfung des § 175 StGB im Jahre 1935 und der Einrichtung der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung wurden Schwule zu Hunderttausenden juristisch verfolgt und in die Konzentrationslager verschleppt. Viele kamen zu Tode. Diese organisierte Form der Verfolgung endete mit der Befreiung vom Nationalsozialismus, die gesetzliche Diskriminierung hingegen nicht. Man kehrte am 11. Dezember 1957 lediglich zu einer Variante des § 175 zurück, wie sie vor 1935 bestand. Homosexualität galt weiter als sittenwidrig.

Dann dauerte es fast vier Jahrzehnte, bis der sogenannte Schwulenparagraf 1994 abgeschafft wurde. Das bedeutete jedoch nicht, dass es von da an keinerlei Diskriminierung mehr gab. Jüngstes unwürdiges Beispiel für die alltägliche Diskriminierung ist die Ächtung eines schwulen Bewerbers für einen Grundschulleitungsposten im Oldenburger Land, in Rechterfeld. Die taz titelte „Schwulenfeindlichkeit in Reinkultur“. Nicht nur Schwule, sondern auch Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle, Transgender und Transsexuelle sehen sich alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt. Zwar hat in den letzten Jahren ein gesellschaftlicher Wandel

eingesetzt, aber das hatte bisher nicht zur Folge, dass diese Personengruppen auch vor dem Gesetz gleich sind. Nein, noch immer besteht eine Ungleichbehandlung. Wirklich bedenklich für unser Zusammenleben ist, wie das Beispiel Rechterfeld zeigt, die offensichtlich zur Schau getragene gesellschaftliche Unfähigkeit und Feigheit, diesem Thema zu begegnen. Sie lassen diesen Vorfall so unglaublich werden.

Meine Damen und Herren, mit Aufnahme einer entsprechenden Formulierung, wie sie der LSVD angeregt hat, würden wir uns in Niedersachsen nicht nur mit den Ländern Berlin, Bremen und Brandenburg sowie dem Saarland gleichstellen, sondern eine klare Aussage treffen: Die Diskriminierung, Benachteiligung und Herabsetzung von Menschen wegen ihrer sexuellen Identität ist Unrecht. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die alltägliche Diskriminierung in den Köpfen durch die vorgeschlagene Ergänzung allein nicht verschwinden wird. Ich bin mir aber sicher, diese Formulierung wird ein entscheidender Bestandteil einer wirksamen Strategie sein, durch die eine Veränderung der Einstellungen und Verhaltensweisen erreicht werden kann. Wir bekommen damit ein Instrument an die Hand, durch das wir allen und jedem einen Spiegel vorhalten können, wenn es zu ähnlichen Ereignissen kommt. Wir können dadurch unsere offenbar immer noch vorhandene gesellschaftliche Unfähigkeit vor Augen führen, mit Homosexualität umzugehen.

Diskriminierungsverbote sind Leitlinien, die deutlich machen, welches Verhalten in einer Gesellschaft akzeptiert wird und welches nicht. Wir werden der Forderung, ein Benachteiligungsverbot in Artikel 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung aufzunehmen und die Verfassung um diesen Passus zu ergänzen, zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Twesten. - Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Kollegin Ross-Luttmann das Wort. Bitte schön!