Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

(Minister Uwe Schünemann: Ich hatte mich gemeldet!)

- Entschuldigung! - Herr Minister, Sie haben das Wort für die Landesregierung. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechtsextremismus ist eine Gefahr, die die Demokratie in Deutschland vor besondere Herausforderungen stellt. Wir begegnen dem Rechtsextremismus daher mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates. Hierin liegt nicht nur eine Kernaufgabe der Innen- und Sicherheitspolitik des Staates. Es handelt sich hierbei auch um eine moralische Verpflichtung; denn wir wollen und wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsextremisten ihre menschenverachtenden Hassbotschaf

ten widerspruchslos verbreiten oder sich gar mit Mitteln der Gewalt gegen andere wenden. Aber mit staatlichen Aktivitäten allein ist es nicht getan. Demokratie will gelebt sein!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Eintreten gegen Rechtsextremismus ist nur dann erfolgreich, wenn es vom breiten Engagement der Bürgerinnen und Bürger getragen wird. Deshalb darf sich niemand gegenüber rechtsextremistischen Bestrebungen gleichgültig verhalten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es in Niedersachsen ein sehr breites und deutliches Engagement gegen jede Form von Rechtsextremismus gibt, wo immer er in Erscheinung tritt.

Wozu Rechtsextremisten in der Lage sind, hat auf erschreckende Weise die Mord- und Raubserie der Zwickauer Terrorzelle NSU gezeigt. Die vollständige, umfassende Aufklärung der Gewaltverbrechen ist Voraussetzung dafür, verloren gegangenes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zurückzugewinnen.

Aufklärung verlangt aber auch, die Lage sachlich zu schildern. Die Beantwortung der Großen Anfrage gibt hierfür sicherlich eine gute Grundlage.

Mir scheinen vor allem drei Tendenzen von besonderer Bedeutung zu sein.

Erstens. Die Bedeutung des parteigebundenen Rechtsextremismus, namentlich der NPD, hat kontinuierlich abgenommen.

Zweitens. Dagegen hat die Bedeutung von neonazistischen Gruppierungen ohne formale Mitgliedschaften zugenommen.

Drittens. Das Internet wird als Medium und Rekrutierungsmittel für Rechtsextremisten immer bedeutsamer.

Zu dem ersten Punkt: Von den rechtsextremistischen Parteien spielt nur noch die NPD eine Rolle und auch das nur noch sehr eingeschränkt. Ihre Mitgliederzahl ist in Niedersachsen von 650 im Jahr 2007 auf mittlerweile 500 Personen gesunken. Der Landesverband ist zerstritten und finanziell schwach. Eine wirkliche Handlungsfähigkeit der NPD Niedersachsen ist nicht mehr gegeben.

Auch das Verhalten der Neonaziszene gegenüber der NPD ist ambivalent. Einerseits betätigen sich einige Personen aus der Neonaziszene in der NPD, zum Teil mit Führungspositionen. Andererseits steht der größte Teil der Neonaziszene einer

parteipolitischen Vereinahmung strikt ablehnend gegenüber.

Auch der Jugendverband Junge Nationaldemokraten ist kaum existent. Er verfügt über kaum 35 Personen in Niedersachsen.

Bei den Kommunalwahlen errang die NPD landesweit lediglich elf Mandate. Aber das sind elf Mandate zu viel - keine Frage. Das Ziel einer stärkeren Verankerung der Partei auf kommunaler Ebene ist damit erfreulich deutlich gescheitert.

Niedersachsen beteiligt sich aktiv an der Vorbereitung eines NPD-Verbotsantrages. Allerdings ist klar, dass hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit nun wirklich gefragt ist. Die Innenministerkonferenz hat sich bekanntlich auch entsprechend geeinigt. Wir werden im Dezember darüber befinden, ob das gesammelte Material ausreicht, um das AggressivKämpferische der Partei nachzuweisen. Alles andere würde übrigens nur der NPD in die Hände spielen. Das muss auf jeden Fall vermieden werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lassen Sie mich zur zweiten Tendenz etwas sagen. Während der parteigebundene Rechtsextremismus an Bedeutung verloren hat, ist das neonazistische Potenzial angewachsen: in Niedersachsen von 400 Personen im Jahr 2006 auf 420 Personen im Jahr 2011. Die Bundeszahlen zum Vergleich: 4 200 auf 6 000.

Frau Zimmermann hat zu Recht darauf hingewiesen: Insgesamt sind ca. 30 neonazistische Gruppierungen auf örtlicher oder regionaler Ebene tätig. Solche Gruppen schaffen es, große Demonstrationen wie den alljährlichen „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf oder den „Tag der deutschen Zukunft“ in Braunschweig und Hildesheim durchzuführen. Daran nahmen mehrere Hundert Personen teil.

Deutlich ist ein Abrücken von tradierten Organisationsformen wie den Kameradschaften zu erkennen. Aktionsorientierte, lockere Zusammenschlüsse nach dem Muster der Autonomen Nationalisten werden immer attraktiver. Deren Angebot spricht Jugendliche, die mit rechtsextremistischen Ideen sympathisieren, weit mehr an als die Gremienarbeit in der Partei. Mit anderen Worten: Jugendliche sind mehr an der Aktion als an der Organisation interessiert. Die persönliche Bekanntschaft, die auch über das Internet in Foren gepflegt wird, zählt weit mehr als eine Mitwirkung in Gremien oder offiziellen Strukturen. Auf diese Weise entstehen Personengeflechte einer ganz eigenen Art, die den

Sicherheitsbehörden die Einschätzung des Rechtsextremismus erschweren. Die Gruppierung „Besseres Hannover“ ist für diesen aktionsorientierten, offensiv auftretenden und für bestimmte Jugendliche attraktiven Rechtsextremismus ein treffendes Beispiel.

Besorgniserregend ist die wachsende ideologische Verhärtung. Vorurteile und Überzeugungen verfestigen sich in erschreckender Weise zu Ideologien des Hasses. Breivik und der NSU sind die erschütternden Beispiele dieses menschenverachtenden Hasses. Das Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus ist in dieser Szene völlig ohne Skrupel. Der Wahn vom Führerstaat und von der rassistisch verstandenen Volksgemeinschaft lebt hier fort. Darin kommt der Hass gegen Fremde zum Ausdruck. Ihnen wird mit Abschiebung oder sogar mit Erschießung gedroht. Das alles ist völlig unakzeptabel. Deshalb betone ich auch hier an dieser Stelle: Der Staat hat gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern - egal, welcher sozialen Herkunft, Religion, Abstammung oder Hautfarbe sie sind - seine Schutzpflicht wahrzunehmen - konsequent und auch unbeirrt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich komme zur dritten Tendenz. Das Internet als virtueller Ort der Begegnung und der Kommunikation spielt für Rechtsextremisten eine immer größere Rolle. Es ist heute das wohl wichtigste Instrument für rechtsextremistische Propaganda und wird ganz gezielt zur Gewinnung von Nachwuchs eingesetzt. In einer rechtsextremistischen Publikation bezeichnete der Autor das Internet als eine unverzichtbare und grenzenlose Waffe.

Das Internet bietet die Möglichkeit, die Saat des Hasses aus der Anonymität heraus massenhaft zu verbreiten - weit über den Bereich extremistischer Parteien und Gruppierungen hinaus. Dadurch vervielfacht sich die Radikalisierungsgefahr in einem Maß, wie es noch vor einigen Jahren völlig undenkbar erschien. Dies ist eine neue Dimension von Herausforderung, der sich die Sicherheitsbehörden gegenübersehen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung verfolgt eine differenzierte Bekämpfungsstrategie gegen Rechtsextremismus. Kernstück ist unsere Gesamtkonzeption im Verantwortungsbereich des Innenministeriums. Sie enthält ein breites Bündel repressiver und präventiver Instrumente der Sicherheitsbehörden, die wir beständig fortentwickeln und der Gefahrenlage auch anpassen.

Wichtige und seit Jahren praktizierte Ansätze der operativen Bekämpfung sind vor allem ein permanenter Verfolgungsdruck auf die Szene, die Nutzung aller rechtsstaatlichen Mittel, um Aufmärsche, Demonstrationen und Konzerte zu verhindern, und eine umfassende Beobachtung der Szene mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

Künftig werden wir den Schwerpunkt der Informationserhebung von der Organisation vor allem auf die gewaltbereiten Personen verlagern. Wir wollen jeden Rechtsextremisten mit Namen kennen und ihn oder sie aus der Anonymität herausholen.

Ein hoher Überwachungs- und Kontrolldruck erschwert die Bildung, Verfestigung und Existenz rechtsextremer Gruppierungen sowie ihre Rekrutierungsmöglichkeiten deutlich.

Selbstverständlich werden wir unsere zahlreichen präventiven Ansätze, wie sie von der Polizei und vom Verfassungsschutz verfolgt werden, fortsetzen und ausbauen. Dabei arbeiten wir eng mit zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen, wie z. B. mit dem Landespräventionsrat, dem Zentrum Demokratische Bildung in Wolfsburg, dem Landessportbund und dem Landesfeuerwehrverband, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie wissen, dass wir hier ja auch zusätzliches Geld zur Verfügung stellen.

Meine Damen und Herren, die Bekämpfung des Rechtsextremismus sowie die Bekämpfung auch anderer Formen des Extremismus werden auch in Zukunft höchste Priorität für diese Landesregierung haben. Das sind wir dem Prinzip der wehrhaften Demokratie und den Menschen in unserem Land schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In der Reihenfolge ist jetzt Frau Leuschner dran. Sie haben das Wort, Frau Leuschner. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihr Beitrag hat mich sehr nachdenklich gemacht. In vielen Punkten bewegen Sie sich eindeutig, aber das hat ja auch eine Vorgeschichte. Wir haben in den letzten Monaten und Jahren vielfach darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Bekämpfung des Rechtsextremismus auch mit sozialpolitischen, gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Maßnahmen zu flankieren. Das

ist leider aus Ihrer Sicht vielfach nur in Einzelaspekten betrachtet worden.

Auch Ihre Einschätzung zum NPD-Verbotsverfahren teilen wir schon, aber wir meinen, da müssen Sie energischer und schneller vorangehen. Wir haben einen Antrag eingereicht, und aus unserer Sicht reichen die Erkenntnisse, dass die NPD antidemokratisch ist, völlig aus. Die V-Leute in den Führungsebenen müssen abgezogen werden, und wir wollen im Kontext mit den anderen Ländern das NPD-Verbotsverfahren schneller energisch vorantreiben. Ich glaube, es hat auch Erfolg.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir uns jetzt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Neonazismus in Niedersachsen“ anschauen, müssen wir feststellen, dass alle 60 Fragen von der Landesregierung zumindest umfangreich beantwortet worden sind. - Vielen Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! - Aber gleichwohl ist mir auch aufgefallen - wir haben das auch in der Fraktion diskutiert -, dass einzelne Antworten ganz anders eingeschätzt werden, als es Sichtweise der SPDFraktion ist. Vieles ist sehr oberflächlich beantwortet worden, vieles geht aus unterschiedlichen Gründen nicht konkret auf die Sachverhalte ein.

Mein Kollege Dieter Möhrmann hat sich beispielsweise zum Heidekreis geäußert. Dazu sind keine konkreten Angaben über Zahl und Namen der handelnden Personen vorhanden, und es sind auch teilweise keine Erkenntnisse dazu vorhanden, in welchen Funktionen diese stehen. Das sollte man ja wissen, wenn dort Ratsmitglieder tätig sind.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das steht aber in der Antwort drin!)

Das Gleiche gilt für Ihre Einschätzung zum Thema „Besseres Hannover“. Ich teile Ihre Einschätzung, dass von den neuen Rechten erhebliche Gefahren ausgehen und dass sie ganz andere Strukturen der Provokation gerade auf junge Menschen ausüben. Aber „Besseres Hannover“ ist aus meiner Sicht eine der aktivsten Gruppen, die Menschen massiv einschüchtern. Dagegen müssen wir insgesamt ganz konkret vorgehen.

Ich sage das vor einem besonderen Hintergrund. Ich selbst bin von „Besseres Hannover“ betroffen gewesen. Die haben mich verunglimpft, haben mich grob beleidigt. Da standen Sachen drin wie: „War Paulchen denn schon bei Ihnen vor Ort?“.

Das hat mich sehr eingeschüchtert. Im Endeffekt habe ich Anzeige erstattet. Was kam dabei heraus? - Diese ganzen Sachen laufen über einen Server, der in den Vereinigten Staaten steht. Man kann rechtlich überhaupt nichts machen.

Jetzt hat „Besseres Hannover“ wieder Aktionen am 1. Mai gemacht. Sie provozieren, sie stören, sie stören Sitzungen von Bezirksräten, öffentliche Anhörungen. Und was ist jetzt das Neuste? - Sie machen Hausaufgabenhilfe unter der Überschrift „Deutsche für Deutsche“. Das ist doch im Grunde genommen rassistisch, und das können wir doch nicht dulden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Deswegen denke ich, dass wir als Parlament uns gerade beim Vorgehen gegen Organisationen wie „Besseres Hannover“ erheblich mehr anstrengen müssen und auch ein bisschen mehr tun müssen.

Herr Minister, Sie sind auf Ihr Handlungskonzept eingegangen, indem Sie gesagt haben, Sie haben ein Handlungskonzept gegen Rechts. Wir haben Ihnen ein anderes vorgelegt. Wir haben gesagt, das muss umfangreicher, nachhaltiger und interdisziplinär gemacht werden. Ihr Handlungskonzept ist aus unserer Sicht mehr im repressiven Bereich angesiedelt. Sie haben das ja auch gesagt: Schwerpunkt ist das Innenministerium. Warum zieht man denn nicht mehrere zivilgesellschaftliche Akteure gleichberechtigt mit hinzu, warum stattet man sie nicht vernünftig mit Geld aus, warum kontrolliert man diese dann auch noch durch eine Klausel, in der sie sich von anderen Gruppierungen im Grunde genommen abgrenzen müssen, und warum wird dann nicht auch noch gesagt, dass wir den Opferbegriff mehr in den Vordergrund stellen müssen? - Ich glaube, das ist immer vernachlässigt worden. Wir müssen die Opfer von rechter Gewalt schützen, und wir müssen auch die Bevölkerung aufklären. Das ist unser Anliegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)