Protokoll der Sitzung vom 20.06.2012

(Jens Nacke [CDU]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat diesen historischen Bezug durchaus im Hinterkopf gehabt, als es die Problematik dieser Sache reflektiert und dann gefordert hat: Wenn man die Sicherungsverwahrung schon macht, muss der gesamte Vollzug darauf ausgerichtet ist, dass die auf diese Weise Eingesperrten so bald wie möglich wieder herauskommen.

(Jens Nacke [CDU]: Haben Sie gera- de die Sicherungsverwahrung in Deutschland mit einer Nazigesetzge- bung verglichen? Denken Sie bitte einmal darüber nach, was Sie gerade gemacht haben!)

Deswegen gibt es jetzt Regelungen im Gesetz über den Begleitausgang, d. h. den Ausgang mit Begleitung und den Ausgang ohne Begleitung. Es gibt den Langzeitausgang bis zu zwei Wochen, und es gibt die Beschäftigung unter Aufsicht außerhalb des Vollzuges oder sogar ohne Aufsicht im Freigang. Es ist also genau das in das Gesetz

hineingekommen, was ich in einer früheren Debatte zu diesem Instrument der Sicherungsverwahrung schon einmal gesagt hatte. Ich hatte gesagt, wir müssen ein Mittelding zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheit haben, damit wir einen fließenden Übergang schaffen und diejenigen, die in der Sicherungsverwahrung sind, nach und nach in die Freiheit entlassen werden können.

(Jens Nacke [CDU]: Erklären Sie das mal den Leuten, dass Sie die draußen herumlaufen lassen wollen!)

- Sie können nur in Schwarz und Weiß denken, Herr Nacke. Das ist für Ihre Polemik charakteristisch. So kennen wir Sie.

(Jens Nacke [CDU]: Sie vergleichen die Sicherungsinhaftierung der Bun- desrepublik Deutschland mit der Nazi- inhaftierung! Sie sind wohl verrückt geworden! Nehmen Sie das bitte zu- rück!)

Das ist Ihr beschränkter Geist.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Nacke, der Gesetzentwurf, den Ihre Fraktion eingebracht hat, ist doch schon weiter als Ihr Denken. Wahrscheinlich ist er auch nicht von Ihnen geschrieben worden, sondern vom Ministerium und vom Bundesverfassungsgericht. Sie hätten ihn sich einmal ordentlich durchlesen müssen; denn dort steht das alles drin: Freigang ohne Aufsicht für Sicherungsverwahrte. - Da hätten Herrn Justizminister Busemann vor einem Jahr noch die Nackenhaare hoch gestanden. Das hätte er doch nie mitgemacht. Das musste ihm das Bundesverfassungsgericht erst ins Stammbuch schreiben.

Herr Kollege Limburg hat völlig recht. Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf muss im Ausschuss noch im Einzelnen beraten werden. Wir brauchen noch einen Feinschliff. Völlig zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass es an einzelnen Passagen noch Kritik gibt. Ich nenne z. B. die Briefkontrolle; das hat der Kollege schon gesagt. Darin ist u. a. die Regelung enthalten, dass Briefe sogar angehalten werden können und dem Betreffenden nicht zurückgegeben werden müssen, wenn dies, wie es heißt, nicht geboten ist.

Herr Kollege, letzter Satz, bitte!

Ich finde, mit solchen Generalklauseln kann man das nicht handhaben. Da muss noch einmal ordentlich rechtsstaatlich drübergeguckt werden, und dann kann man das vielleicht sogar einvernehmlich beschließen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Tonne das Wort.

(Jens Nacke [CDU]: Wie können Sie eine solche Gesetzgebung mit Nazi- gesetzen vergleichen? Das ist eine Unverschämtheit! - Gegenrufe von der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN - Unruhe)

- Meine Damen und Herren, es geht schon wieder los - und ich habe schon wieder den Vorsitz. - Herr Nacke, ich habe die Äußerung von Herrn Adler nicht so empfunden, wie Sie sie empfunden haben; das will ich ganz deutlich sagen. Er hat diesen historischen Bezug hergestellt, aber ich habe keinen Anlass gesehen, einzugreifen. Wenn Sie anderer Meinung sind, können wir das im Ältestenrat klären.

Jetzt hat Herr Tonne das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute im Niedersächsischen Landtag mit der Diskussion über ein Gesetz zur Neuregelung der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung beginnen, dann ist das mit Sicherheit richtig und wichtig.

Man kann aber auch sagen: Endlich beginnen wir diese Diskussion auf der Grundlage eines Gesetzentwurfes. Dafür ist es nämlich allerhöchste Zeit. Das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben Bund und Ländern zwar in unterschiedlicher Deutlichkeit, aber mehrmals ins Stammbuch geschrieben, dass Grundlagen und Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung schlicht und einfach rechtswidrig sind. Wir befinden uns lediglich in einer zugestandenen Übergangsfrist von zwei Jahren. Jetzt könnte man zwar sagen, dass man schon einen Gesetzentwurf hat, man könnte aber auch darauf hinweisen, dass schon ein Jahr verstrichen ist.

Die Verfassungsrichter stützen ihre Argumentation im Wesentlichen auf das Abstandsgebot, also darauf, dass sich Strafhaft und Sicherungsverwahrung qualitativ unterscheiden müssen und dass dies auch und insbesondere in der Ausgestaltung zum Ausdruck kommen muss.

Die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung ist Ländersache. Das bedeutet nichts anderes, als dass die derzeit betriebene Politik bezüglich der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung - auch gestützt vom Justizminister - rechtswidrig ist.

Sie stellen sich jetzt hier hin und tun so, als ob Sie gerade die Welt verbessert hätten. Tatsächlich haben Sie aber erst gehandelt - Herr Biester hat das ja vorsichtig angedeutet -, nachdem Ihnen das Bundesverfassungsgericht eine Nachhilfestunde in Sachen Rechtsstaatlichkeit erteilt hat. Ich finde das ziemlich peinlich, meine Damen und Herren.

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Das ist hier ganz genau so wie in an- deren Bundesländern, Herr Tonne!)

Die Niedersächsische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten seit etlichen Jahren Anlass gehabt, das Thema Sicherungsverwahrung anzugehen.

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Wie andere Länder auch!)

- Wir reden aber über Niedersachsen, Frau Kollegin.

Seit Jahren prangern Juristen, Psychologen und zahlreiche weitere Experten die Missstände im Bereich der Sicherungsverwahrung an.

Und jetzt kommen wir zu einer niedersächsischen Besonderheit: Ich erinnere mich noch gut an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. Man hätte sich mit dem Inhalt des Urteils auseinandersetzen können, aber stattdessen erging sich der Justizminister in oberflächlichen Sprüchen, und zwar reichlich. Wenn man jetzt den Gesetzentwurf liest, dann ist er offensichtlich von den eigenen Leuten eingefangen worden.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem das Urteil aus Karlsruhe feststand, ging der Fingerzeig als allererstes zum Bund. Der Bund sei gefordert, hieß es. Ich sage Ihnen: Alle diese Äußerungen und Kunststücke deuten nur auf eines hin, nämlich darauf, dass Sie den Gesetzentwurf nicht vorgelegt haben, weil sie von ihm inhaltlich

überzeugt sind, sondern weil Sie das Bundesverfassungsgericht Sie dazu gezwungen hatte.

Wir werden im Rahmen der anstehenden Gesetzesberatung unser Augenmerk insbesondere darauf richten, ob die von Ihnen vorgeschlagene Neuregelung den Anforderungen an das rechtsstaatliche und therapiegerichtete Konzept, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, genügt, und zwar nicht auf Grundlage dessen, was hier niedergeschrieben worden ist, sondern anhand der tatsächlichen Ausgestaltung. Das wird ja auch noch einmal eine sehr spannende Frage. Denn, Frau Kollegin Heister-Neumann, es ist doch immer wieder Ihre Fraktion, die die Prämisse postuliert, man müsse Täter nur schnell und lange wegsperren. Ich finde, das ist nicht nur falsch, sondern das ist Populismus.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin wirklich froh darüber, dass sich das Verfassungsgericht Ihnen dabei in den Weg gestellt hat.

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Das stimmt nicht!)

- Frau Kollegin, Sie können es nachlesen.

Den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern kann man nur dann gewährleisten, wenn die Gefährlichkeit durch ein sehr gutes quantitatives wie auch qualitatives Behandlungsangebot soweit wie möglich minimiert wird und oberstes Ziel ist, der Bevölkerung und den Betroffenen bei Rückkehr in die Gesellschaft bestmöglich geholfen zu haben. Wer die Ängste der Bürgerinnen und Bürger vor entlassenen Sicherungsverwahrten ernst nimmt und nicht nur mit ihnen spielt, der legt alle Kraft auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung der Betroffenen.

Ich will gerne zugeben: Wenn man den Gesetzentwurf liest, hat man den Eindruck, dass etliche Vorschriften in die richtige Richtung gehen. Aber ich glaube, wie so häufig steckt der Teufel im Detail.

Zwar werden auf den ersten Blick sehr großzügige Regelungen aufgestellt; Kollege Limburg hat die eine oder andere zitiert. Aber jede dieser Regelungen enthält weitreichende Ermessenspielräume, die es im Einzelfall immer wieder ermöglichen, jede zugestandene Verbesserung wieder einzukassieren. Ich nenne nur die Stichworte „Langzeitbesuche“, „Paketempfang“, „Telekommunikation“ oder „Freizeitgestaltung“. Wir werden großen Wert darauf legen, dass Ihre Worte und Ankündigungen

mit Ihren Taten übereinstimmen. Da prognostiziere ich Beratungsbedarf im Ausschuss.

Wir werden die Qualität des Gesetzentwurfes auch daran messen, ob für die Ankündigungen auch Umsetzungsmöglichkeiten in personeller und sachlicher Hinsicht bestehen. Vielleicht wird uns der Justizminister, der sich sicherlich gleich zu Wort melden wird, auch erzählen, warum es so große Schwierigkeiten gibt, ausreichend Personal für die neue Anstalt zu gewinnen. Vielleicht erzählt er uns auch etwas zu den angekündigten Arbeitsbedingungen für die Bediensteten, die so gut wie niemanden freiwillig dorthin kommen lassen werden.

Wir erwarten eine ordentliche Beratung im Rechtsausschuss. Ich kündige bereits jetzt an, dass wir eine mündliche Anhörung erwarten. Ich sage das schon heute, weil ich über die Ankündigung der CDU erstaunt war, man wolle zeitnah nach den Sommerferien abschließend beraten. Wir haben nichts dagegen. Aber dann erwarten wir von Ihnen einen realistischen Zeitplan, der eine detaillierte Beratung zulässt. Alles andere wäre Pfusch, und das tragen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Zusammenhang - das ist auch Teil des Gesetzentwurfs - müssen wir uns auch mit der Frage der Strafvollzugspolitik auseinandersetzen. Viel zu lange lag der Fokus auf der Steigerung der Mittel nur für das Wegsperren, nicht aber für die eigentliche Sicherheit für die Bevölkerung schaffende Resozialisierungsarbeit.

Dieser Gesetzentwurf ist daher auch ein richtiger Ansatz für mehr Anstrengungen für ernsthafte Entlassungsvorbereitungen, für ein gut durchdachtes Übergangsmanagement, für längerfristige Nachsorgeangebote und damit auch für eine zunehmende Verhinderung von Sicherungsverwahrung im Strafvollzug.

(Jens Nacke [CDU]: Wir mussten die Einrichtung doch überhaupt erst ein- mal bauen! Das mussten wir doch al- les selber tun! Vor zehn Jahren war das alles noch eine Katastrophe! Die Insassen haben sich in den Haftan- stalten gestapelt! Es mussten doch erst einmal die Gefängnisse dafür ge- baut werden! - Gegenruf von Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Ich an Ihrer Stelle würde einmal um den Block ge- hen, um mich zu beruhigen!)

- Herr Kollege, wer macht denn das? - Das ist doch Quark!

Wir werden uns das sehr genau angucken. Nur in Kombination mit mehr Therapie im Strafvollzug werden wir es schaffen, Sicherungsverwahrung, wie vom Gericht gefordert, zu verhindern. Die Praxis ist dazu längst bereit und fähig. Man muss sie nur machen lassen und nicht von der Spitze aus bremsen.

(Jens Nacke [CDU]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von der Pra- xis!)