Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

- Nein, die brauche ich nicht vorzulesen.

Deswegen finde ich es erstaunlich, dass man sich hier gegenseitig Maßnahmen um die Ohren haut und der jeweiligen Gegenseite vorwirft, diesen oder jenen Punkt vergessen zu haben. Ich glaube, die Sache ist so komplex, dass es in keinem Antrag möglich ist, alle Facetten aufzuschreiben.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU])

Entscheidend ist in unserer Gesellschaft, die nicht sehr technikfreundlich ist, dass von Anfang an Interesse an Technik geweckt wird. Das geschieht nicht sporadisch, sondern in unterschiedlichster Form. Ich muss auch der letzten Rednerin heftig widersprechen, dass dies vom Ort abhängt, also davon, ob man in der Nähe einer Hochschulen lebt.

Ein Beispiel für das, was in den letzten sieben Jahren im Kita-Bereich entstanden ist, ist das Konzept „Haus der kleinen Forscher“. Das ist keine niedersächsische Erfindung, sondern wird bundesweit angeboten, gefördert von der TelekomStiftung und vonseiten des BMBF mit Herrn Mlynek.

Am vorletzten Freitag fand im phaeno in Wolfsburg die Preisverleihung im bundesweiten Kita-Wettbewerb „Forschergeist“ statt. Das hat mir, obwohl das nicht mein Bereich ist, großen Spaß gemacht. Unter den 25 Ausgezeichneten befand sich z. B. ein relativ kleines Dorf mit zwei herausragenden Kitas. Überhaupt kamen die Ausgezeichneten aus

den verschiedensten Ecken Deutschlands. Der Erfolg hängt also nicht von der geografischen Lage ab, sondern von denen, die sich dort engagieren, und davon, wie man die Möglichkeiten des „Hauses der kleinen Forscher“ nutzt. Ich kämpfe auch dafür und bin in den Diskussionen z. B. mit dem nifbe schon so weit, dass wir in Niedersachsen einen Vertrag schließen, wonach das „Haus der kleinen Forscher“ so gut wie flächendeckend in unseren Kitas umgesetzt wird. Es muss nicht zu 100 %, also in allen Kitas, umgesetzt werden, aber der Prozentsatz sollte schon bei über 90 liegen.

Nach der Kita muss es dann in der Schule weitergehen. Ich will Ihnen nicht vorlesen, was in den Schulen schon alles gemacht wird. Sie haben bereits selbst auf die unterschiedlichsten Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Hochschulen - XLAB, Schülerlabore etc. - hingewiesen.

Ich komme nun zum Stichwort Lehrerbildung, zu dem es ja kritische Anmerkungen gab. Sowohl in der Ausbildung als auch in der Fortbildung von Lehrern für den MINT-Bereich wird viel versucht. Ich verweise z. B. auf die Kampagne für Mathematik in Braunschweig, bei der ich Schirmherrin bin. Ich bin auch bei verschiedensten Diskussionen zu diesem Thema gewesen. Von den Handwerkskammern und den IHKs wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Schüler einfach kein Mathe könnten. Das ist in der Tat so: Der Hauptgrund für den Studienabbruch im MINT-Bereich ist die mangelnde Mathematikfreude - ich sage nicht: die mangelnden Mathematikkenntnisse. Wenn Sie sich das genauer anschauen, sehen Sie, dass sie in der Regel in Mathematik durchfallen. Deswegen ist das ein zentrales Thema.

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: Genau!)

Hier kann man aber auch nicht einfach nur auf die Schule schimpfen. Ich persönlich bin im Übrigen der Meinung, dass man den Mathematikunterricht ganz anders gestalten müsste. In diese Richtung laufen didaktische Promotionen an der Universität Oldenburg. Es gibt eine große bundesweite Initiative - finanziert von der Telekom-Stiftung -, den Mathematikunterricht zu verändern, und es gibt auch eine Arbeitsgruppe aller in Mathematik ausbildenden Hochschulen in Niedersachsen und der Mathematikervereinigung. Trotzdem kann man nicht zufrieden sein. Ich persönlich verstehe diese mangelnde Mathematikfreude auch nicht. Mathematik ist ein Fach, das sehr einfach ist, bei dem

man nicht sehr viel lernen muss und das sehr viel Freude machen kann.

(Zustimmung von Dr. Gabriele Hei- nen-Kljajić [GRÜNE])

Ich will einmal ein Beispiel nennen, das zeigt, was insofern in unserer Gesellschaft verkehrt läuft. Wenn ich sage, dass ich von Beruf Mathematikprofessorin bin, dann erfahre ich darauf üblicherweise zwei Reaktionen. Die einen sagen, das ist toll, und zollen mir eine gewisse Anerkennung. Die anderen aber sagen mir - und diese Reaktion ist genauso häufig -, wie schlecht sie in Mathe sind und dass sie das alles nicht können. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand in dieser Bundesrepublik würde zugeben, dass er keine Ahnung von Deutsch oder Geschichte hat, dass er z. B. Goethe nicht verstanden hätte. Aber zu sagen, dass man Mathematik nicht versteht, gehört fast zum guten Ton. Das meine ich, wenn ich sage, dass hier etwas nicht in Ordnung ist.

Ich glaube, es ist notwendig, die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich zu verändern. Darum kümmere ich mich auch persönlich, weil mir das sehr am Herzen liegt. Bis jetzt haben wir aber leider noch nicht den richtigen Weg gefunden, um für Mathematik zu begeistern.

Um junge Leute für das Studium der MINT-Fächer zu gewinnen, braucht man gute Angebote seitens der Universitäten. Hier in Niedersachsen gibt es sehr vielfältige und qualitativ sehr gute Angebote, die wir auch noch einmal aufgestockt haben. Im Rahmen des Hochschulpakts werden wir in den nächsten Jahren etwa 750 Millionen Euro für den Ausbau der Studienfächer ausgeben. 40 % bis 45 % werden dabei auf den MINT-Bereich entfallen. In den letzten Jahren haben wir das auch schon getan, da waren es sogar 50 %.

Die Angebote der Hochschulen sind qualitativ hochwert, sind breit gefächert und gehen in die richtige Richtung, nämlich in die Richtung dualer Studiengänge und berufsbegleitender Studiengänge. Damit erreichen wir die jungen Menschen, die normalerweise nicht so schnell an eine Hochschule gehen, also gerade Menschen aus bildungsfernen Schichten, die sich für technische und ingenieurwissenschaftliche Disziplinen interessieren.

Für diese Angebote muss man aber auch Werbung machen. Ich will dazu ein Beispiel nennen und dabei an den erheblichen Einbruch erinnern, den wir in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in den Ingenieurstudiengängen und hier insbeson

dere in der Elektrotechnik und im Maschinenbau hatten. Das war eine absolute Katastrophe. Dieser Einbruch hatte etwas damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit bei den Ingenieuren plötzlich so hoch war wie noch nie und dass viele Ingenieure aus den neuen Bundesländern jahrelang keine entsprechende Arbeit mehr hatten.

Während wir also flächendeckend einen Rückgang um zum Teil 70 % hatten, gab es auf einmal eine Universität, an der das ganz anders war, an der plötzlich wieder 600 Maschinenbauer eingeschrieben waren. Das war die Technische Universität Dresden, und das war das Jahr 1996, 1997 oder 1998; genau weiß ich es gerade nicht. Der Grund dafür war, dass die Firma Siemens, die in Dresden stark vertreten ist, groß annonciert und dafür geworben hatte.

Ich sage in Diskussionen mit Vertretern der Industrie immer: Es mag zwar ungerecht sein, aber die Industrie hat eine größere Wirkung auf junge Leute, was Glaubwürdigkeit und Perspektiven anbetrifft, als der Staat. - Also, in Sachen Werbung für das ingenieurwissenschaftliche Studium können die Hochschulen und das Land sicherlich eine Menge tun. Aber für den Erfolg ist auch wichtig, dass sich auch diejenigen engagieren, die später die Ingenieure einstellen wollen.

Meine Damen und Herren, in Ihren Anträgen werden keine konkreten Forderungen nach mehr Mitteln erhoben. Es finden sich aber Bemerkungen zur Betreuungsrelation. Dazu will ich Folgendes sagen: Die Betreuungsrelation in diesen Fächern ist recht gut. Das liegt auch daran, dass wir hier noch nicht genügend Studenten haben. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre gab es in diesen Fächern nur sehr wenige Studenten - ich habe es gerade schon gesagt -, und daher waren die Betreuungsrelationen natürlich exquisit. Die Professoren waren alle da, aber es gab keine Studenten. Aber bitte glauben Sie nicht, dass deswegen automatisch die Leistungsfähigkeit gestiegen ist oder die Studenten schneller zum Diplom gekommen sind. So einfach ist es nicht. Wir brauchen eine gute Betreuungsrelation, aber das allein ist nicht der Schlüssel, um zum Erfolg zu kommen.

Zum Stichwort „Frauen in Ingenieurberufen“: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das Problem des Mangels an Ingenieuren und Technikern nicht in den Griff bekommen können, wenn es uns nicht gelingt, die jungen Frauen dafür zu gewinnen. Niedersachsen hat hier viel gemacht.

Die letzte Initiative war das NiedersachsenTechnikum, von dem Ihnen Frau Professor Schwarze in der Anhörung sicherlich berichtet hat. Diese unsere Anstrengungen hatten den Effekt, dass Niedersachsen in Bezug auf den Frauenanteil der Studierenden bzw. Absolventen immer in der Spitzengruppe aller Bundesländer und immer über dem Bundesdurchschnitt liegt, das allerdings bei einem starken Gefälle: In Mathematik sind 52 % der Studienanfänger weiblich, in der Biologie gibt es ohnehin viele weibliche Studienanfänger, und in der in Chemie geht es auch noch. Die kritischsten Fächer jedoch sind Maschinenbau und Elektrotechnik. Hier sind wir immer noch am weitesten unten.

Frau Heinen-Kljajić sagte, es sei wichtig, dass eine Frau vorne steht. Das ist richtig: Die Praxis überzeugt häufig mehr, als wenn man immer nur theoretisch sagt, Frauen können es auch. Deswegen ist das Professorinnenprogramm, das Annette Schavan initiiert hat, so erfolgreich. Niedersachsen hat im Professorinnenprogramm überproportional positiv abgeschnitten; wir haben alle Anträge, die qualifiziert gestellt wurden, realisieren können.

Von meinen Vorrednern wurden Vergleiche mit anderen Ländern angestellt, beispielsweise mit Südafrika. Dazu muss man aber sagen, dass man die Zahlen nicht einfach nebeneinanderlegen kann. Der Anteil der Professorinnen in der Mathematik liegt in Deutschland bei 10 %, in Frankreich bei 30 % und in Südafrika bei 45 %. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass der Status des Professors in diesen Ländern keinen so hohen Stellenwert hat wie in Deutschland. Wäre er auch dort so hoch wie in Deutschland, würde sicherlich genauer aufgepasst; dann wäre der Wettbewerb um diese Plätze kritischer. Gleichwohl ist richtig, dass wir uns in Deutschland, was Ingenieurinnen anbetrifft, in einer Ausnahmesituation befinden.

Schaut man auf die Zahl der Bauingenieure, sieht man, dass es in der Türkei prozentual mehr davon gibt als in Deutschland oder Griechenland. Hier muss Deutschland seine Strategie verändern.

Niedersachsen tut hier sehr viel. Das zeigt sich daran, dass sich die Anzahl der Studierenden in den MINT-Fächern in der Zeit von 2006 bis 2011 um 30 % gesteigert hat, in den Ingenieurdisziplinen sogar um 42 %. Das zeigt, dass wir in diesem Bereich erfolgreich sind. Wir wissen, dass wir hier ein dickes Brett bohren müssen, und ich bin dankbar, dass die vorliegenden Anträge dazu geführt

haben, dass der Landtag eine Diskussion zu diesem eminent wichtigen Thema führt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zu den Abstimmungen.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung zu Nr. 1 der Beschlussempfehlung. Wer der Nr. 1 der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der sich aus der Beschlussempfehlung ergebenden geänderten Fassung annehmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Wir kommen zur Abstimmung zu Nr. 2 der Beschlussempfehlung. Wer dieser zustimmen und damit den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/4444 ablehnen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung zu Nr. 3 der Beschlussempfehlung. Wer dieser zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/4448 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung zu Nr. 4 der Beschlussempfehlung. Wer dieser zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/4503 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist auch der Antrag der Fraktion der SPD abgelehnt.

Ich rufe jetzt, wie vorhin bereits angekündigt, den eingeschobenen Tagesordnungspunkt 45 auf:

Erste Beratung: Berufliche Bildung endlich ernst nehmen - Masterplan berufliche Bildung für Qualität und für zukunftssichere regionale Angebote - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4812

Zur Einbringung hat sich Herr Kollege Poppe von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Betonung, wie besonders wichtig die berufliche Bildung sei, gehört zum festen Bestandteil vieler Sonntagsreden, gerade bei konservativen Politikern. Leider klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei der Niedersächsischen Landesregierung seit Jahren weit auseinander.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei der Übertragung der Ergebnisse des Schulversuchs ProReKo auf alle berufsbildenden Schulen zeigt sich das in besonders eklatanter Weise. Es ging darum, den berufsbildenden Schulen ein großes Maß an Selbstständigkeit zu garantieren und sie alle zu regionalen Kompetenzzentren weiterzuentwickeln. Sie sollen flexibel auf regionale Bedarfe reagieren können und vor Ort Vermittler zwischen Schule, Handwerk und Industrie sein.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: So machen wir das!)

Der Landtag hat hierzu in großer Einmütigkeit Forderungen als Gelingensbedingungen formuliert, die ich hier nur in Stichworten nenne: zusätzliche Verwaltungsleitungen, Zuweisungen von IT-Administratoren, Bewirtschaftung eines gemeinsamen Budgets, Unterstützung für eine Übergangszeit, größere Eigenverantwortung.

Tatsächlich aber ist viel von dem ursprünglichen Schwung verloren gegangen und im täglichen Kleinklein steckengeblieben. Wir haben uns gefragt: Warum eigentlich? Die Antwort lautet: Die berufsbildenden Schulen werden bei der Umstellung von dieser Regierung im Stich gelassen.

(Zustimmung bei der SPD)

Über die Organisationsformen der größeren Selbstständigkeit gibt es auch nach zwei Jahren immer noch keine Klarheit. Unklar ist auch, auf welcher Grundlage das gemeinsame Budget bewirtschaftet werden soll und Stellenausschreibungen vorgenommen werden sollen, ob es überhaupt zusätzliche Verwaltungsleitungen gibt, wer für die IT-Administration verantwortlich ist usw. Natürlich gibt es Gründe für Verzögerungen, z. B. zähe Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden. Aber dass nach so langer Zeit immer noch kein Ergebnis vorliegt, ist a) ein eklatantes Versäumnis und zeigt b), dass der ganze Streit auf

dem Rücken der berufsbildenden Schulen ausgetragen wird.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU)

- Sprechen Sie mit ihnen!