Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Einer muss ja mal anfangen!)

wenn Fakten zählen, CDU und FDP am allerwenigsten.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jens Na- cke [CDU]: Entschuldigen Sie sich für Ihre Äußerung! So etwas Stilloses ha- be ich überhaupt noch nicht gehört!)

Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Adler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alles, was man in eine Verfassung schreibt, ist eine Selbstbindung. Das gilt für die Verfassung genauso wie für die Satzung eines Vereins. Dadurch wird im Falle der Verfassung der

zukünftige Gesetzgeber gebunden. Nun frage ich mich: Warum wollen Sie das eigentlich machen?

(Jens Nacke [CDU]: Juristisches Se- minar, erstes Semester!)

Zunächst einmal schreibt das Grundgesetz schon Bindungen vor, die man in der Landesverfassung ohne Not nicht wiederholen muss, wenn sie denn rechtlich Bestand hätten; aber darauf komme ich noch zu sprechen.

Zusätzlich noch eine Verfassungsbindung hineinzunehmen, ist auf der einen Seite nichts anderes als ein Diener vor einer bestimmten Vorschrift des Grundgesetzes, die man gar nicht übernehmen muss. Zum anderen ist es natürlich auch eine Selbstbindung, die in diesem Fall vom Misstrauen gegenüber dem Souverän zeugt.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Was ist denn das für ein juris- tischer Unsinn, den Sie erzählen? Herr Kollege, das wissen Sie doch besser! Großer Unfug!)

Sie wollen es nicht dem Souverän, dem vom Volk gewählten Parlament der nächsten Legislaturperiode überlassen zu entscheiden, wie es mit Schulden umgeht. Im Grunde gibt es drei Möglichkeiten, denen Sie sich stellen müssen. Wir sind der Meinung, das Volk soll durch die Wahlentscheidung zum Ausdruck bringen, für welche Möglichkeit es votiert. Sie haben die Möglichkeit, Schulden auszugleichen, indem Sie die Einnahmen erhöhen, Sie haben die Möglichkeit, die Ausgaben zu senken, und Sie haben die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. In Bezug auf diese drei Möglichkeiten sollte es nach unserer Auffassung einen politischen Streit geben, und in diesem politischen Streit sollte das gewählte Parlament entscheiden. Das sollte nicht dadurch geschehen, dass es schon vorher durch die Verfassung gebunden ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Was Sie mit der Verfassungsänderung planen, ist nichts anderes als eine Selbstentmachtung des Landtages.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Sie wissen doch, dass das falsch ist!)

Sie von CDU und FDP machen das natürlich aus einer erklärbaren Absicht heraus. Sie haben Angst davor, dass eine andere Regierung nach der nächsten Landtagswahl eine andere Politik macht. Daher wollen Sie dieser anderen Regierung durch

eine Verfassungsänderung jetzt schon Fesseln anlegen. Das ist Ihre Zielsetzung, und deshalb machen Sie das. Ich bin froh, dass die SPD in diese Falle nicht hineintappt und der von Ihnen beabsichtigten Verfassungsänderung nicht zustimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie wollen Sie denn das Problem der Schulden selber lösen? - Wir haben schon mehrfach im Landtag nachgefragt. Einen Sozialabbau wollen Sie angeblich nicht. Die Einnahmen erhöhen wollen Sie auch nicht. Wir hatten mehrere Vorschläge zum Steuerrecht vorgelegt. Die einzige Antwort, die wir von Herrn Bode dazu bekamen, war, dass er gesagt hat: Wir haben ja Wirtschaftswachstum. - Wenn es aber so sicher ist, dass Sie die Schulden aus dem Wirtschaftswachstum heraus abbauen können, dann frage ich mich, wozu wir dann die Verfassungsänderung brauchen. Wenn es so sicher wäre, dann wäre ja alles prima, und dann bräuchten wir diese Regelung nicht. Wenn wir sie aber doch brauchen, dann heißt das nichts anderes, als dass Sie letztlich auf Bildungs- und Sozialabbau hinauswollen. Alles andere geht nämlich gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Johanne Modder [SPD]: Genau!)

Alles andere geht nämlich gar nicht, wenn wir uns die Kompetenzen ansehen, die die Länder nach dem Grundgesetz hinsichtlich der Einnahmeseite haben. Die einzige Steuer, die wir erhöhen können, ist die Grunderwerbsteuer, und die ist schon in erheblichem Umfang erhöht worden. Da ist schon die Grenze erreicht. Aber alle anderen Änderungen mit Blick auf Steuern können Sie nur mithilfe des Bundes vornehmen, auch hinsichtlich der von uns vorgeschlagenen Vermögensteuer. Das heißt, wir sind mit dieser Schuldenbremse in eine Sackgasse manövriert worden. Auf der einen Seite sollen wir von der Verfassung her gezwungen werden, einen Ausgleich zu schaffen, aber sind auf der anderen Seite gehindert, die Einnahmen zu erhöhen. Was übrig bleibt, habe ich ja eben gesagt. Aus diesen Gründen machen wir das nicht mit.

Ich will noch etwas zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Verfassungsänderung sagen, den wir auch nicht akzeptieren können.

(Johanne Modder [SPD]: Ich hatte es geahnt!)

Wenn Sie ihn genau lesen, dann stellen Sie fest, dass das eigentlich grundgesetzwidrig ist, was Sie da reingeschrieben haben.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist richtig!)

Denn das Grundgesetz sieht im Grunde drei Ausnahmefälle vor, in denen vom Kreditaufnahmeverbot abgewichen werden kann: zum einen aus konjunkturellen Gründen, zum anderen in einer außergewöhnlichen Notsituation und drittens bei einer Naturkatastrophe. In Ihrem Gesetzentwurf und in der Begründung dazu sind diese drei Ausnahmen zu finden, aber es kommt noch eine vierte Ausnahme hinzu, die im Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist: nämlich „bei einer strukturellen, auf Rechtsvorschriften beruhenden und dem Land nicht zurechenbaren Änderung der Einnahme- und Ausgabesituation“. Das haben Sie unter „Notsituation“ subsumiert, obwohl der Fall der Notsituation an einer Stelle weiter oben schon genannt ist. Das heißt, die Notsituation ist gleich zweimal enthalten, und dann auch noch mit dieser Ergänzung, die so weitgehend ist, dass sie vom Grundgesetz nicht gedeckt ist.

So lösen Sie das Problem nicht. Die Lösung des Problems ist nur auf eine andere Weise möglich, und die haben wir in unserem Entschließungsantrag vorgeschlagen: Wir müssen die Schuldenbremse, die ins Grundgesetz hineingeschrieben ist - und ich bin der festen Überzeugung, dass sich viele von der SPD noch darüber ärgern werden, was der Struck ihnen da eingebrockt hat -, beim Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist denn da passiert? - Der Bundesgesetzgeber hat dem Landesgesetzgeber in einem föderativen Staat vorgeschrieben, wie er mit Schulden umgehen soll. Wo geht denn das? - Da sind doch Fragen des Föderalismus und der Länderdemokratie tangiert. Denn das Grundgesetz schreibt den Ländern verbindlich eine demokratische Ordnung vor. Und zu einer demokratischen Ordnung gehört ein vom Volk gewähltes Parlament, das die Finanz- und Haushaltshoheit hat und selbst entscheiden kann, wie es mit dem Schuldenproblem umgeht. Darum geht es uns.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: So ein Unsinn!)

Wir haben Ihnen gesagt, wie das Schuldenproblem zu lösen ist. Wenn Sie sich an die Debatte von heute Vormittag erinnern und daran, was Frau von

der Leyen hat verlauten lassen, dann wissen Sie, wo die Möglichkeiten wirklich liegen. Denn zu jedem Schuldner gehört immer auch ein Gläubiger. So ist es auch hier: Den Schulden stehen unermessliche Vermögen gegenüber. Darin liegt die eigentliche Lösung des Problems.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Für FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dürr das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Adler, ich habe schon wieder Angst, wenn Sie hier vorne stehen und über die Verfassungswidrigkeit des SPD-Gesetzentwurfs reden. Denn dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen. Es ist vollkommen richtig: Was die SPD-Fraktion vorgelegt hat, ist verfassungswidrig. Und ich bin erneut zumindest etwas verwundert darüber, dass die Linken da den richtigen Riecher hatten.

(Stefan Schostok [SPD]: Wer stellt das denn fest? Lasst es doch mal prü- fen!)

Lieber Kollege Stefan Schostok, Sie haben hier gerade zehn Minuten lang gesprochen und uns lang und breit erklärt, warum eine Schuldenbremse in der Verfassung nicht geht. Sie wollen - das hat der Kollege Thümler zu Recht gesagt - 4,5 Milliarden Euro neue Schulden machen.

(Olaf Lies [SPD]: Ihr habt 20 Milliar- den Euro gemacht!)

Ich habe das eben spaßeshalber im Kopf mal kurz überschlagen: Ginge das nach Ihren Schuldenplänen, würde das für alle Menschen in Niedersachsen bedeuten, dass künftig innerhalb von zehn Minuten 13 000 Euro mehr - sozialdemokratische - Schulden gemacht würden. Sie sind für dieses Land ein wahnsinnig teurer Redner. Niedersachsen kann sich solche Redner schlicht und einfach nicht leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD und von der LIN- KEN)

Wir haben - genau wie eben - seit anderthalb Jahren nur Ausreden von Ihnen gehört. Wir wären mit der Entscheidung nicht so knapp dran - vier Mona

te vor der Landtagswahl -, wenn die SPD die Verhandlungen nicht teilweise absurd hinausgezögert hätte.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Das waren gar keine Verhandlungen!)

Am 29. März 2011 haben der Kollege Björn Thümler und ich einen Vorschlag für die Verankerung einer Schuldenbremse in der niedersächsischen Landesverfassung vorgelegt.

Am 12. Mai 2011 mahnt Stefan Schostok zum ersten Mal, dass der Staat auch eine - Achtung! - „auskömmliche“ Einnahmenausstattung braucht,

(Stefan Schostok [SPD]: Richtig so!)

und das in einer Zeit von Rekordsteuereinnahmen.

Am 27. Juni 2011 heißt es: Die SPD-Fraktion steht nicht für eine „vorschnelle Verfassungsänderung“ zur Verfügung.

Am 5. Juli 2011 bezeichnet Schostok den aktuellen Doppelhaushalt als „unsolide und fragwürdig“. Gleichzeitig gibt es nicht einen Änderungsvorschlag der SPD im Rahmen der Haushaltsberatungen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Am 20. Juli 2011 verlangt die SPD, bei der Schuldenbremse mögliche Risiken für die Kommunen auszuschließen. - Wir machen genau das mit unserem Vorschlag, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)