Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Meine Damen und Herren, es sind Tatsachen geschaffen worden.

(Ministerpräsident Christian Wulff be- tritt den Plenarsaal - Beifall bei der SPD - Zurufe: Bravo! - Zuruf: Der Kö- nig kommt zurück!)

Die EVU haben davon umfassend Gebrauch gemacht und sich ihres atomaren Mülls bis 1978 entledigt.

Nun gibt es übrigens Helden in dieser CDUFraktion, die der Öffentlichkeit erzählen wollen, es sei Ernst Albrecht gewesen, der durch massives Tun diese Praxis abgestellt hätte.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das war er auch!)

Der Hintergrund, meine Damen und Herren, ist etwas anders.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das war genauso!)

Es gibt seit 1975 ein Atomrecht, und diese Genehmigung ist 1978 ausgelaufen. Allen Beteiligten war klar, dass man für das, was da eingelagert wird, keine Genehmigung bekommen würde. Deshalb hat man überhaupt nicht den Versuch unternommen. Aber - das muss ich ergänzend sagen - alle Beteiligten haben die letzten Monate des Jahres 1978 genutzt, um noch einmal richtig alles hineinzukippen, was ihnen vor der Hacke lag. Das ist die Realität dessen, wie damit umgegangen worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Bezeichnenderweise - um deutlich zu machen, in welchem Selbstverständnis das damals ablief - gab es bis in die 80er-Jahre hinein einen Gesprächskreis Asse. Da saßen die beteiligten Ministerien - Bundesinnenministerium, Bundesforschungsministerium - mit den Vorsitzenden der EVU plus PTB zusammen und haben gemeinsam darüber diskutiert, wie man es hinbekommt, dass die Endlagerung von atomarem Müll in Deutschland in der Asse besonders kostengünstig erfolgt. Das war die einzige Fragestellung, die sie damals bei diesem Thema hatten. Es dreht sich heute einem der Magen um, wenn man das hört und liest.

(Beifall bei der SPD)

Eines war auch klar: Das Thema Rückholbarkeit hat nie jemanden interessiert. Die Belange der Region haben auch niemanden interessiert.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Sie auch nicht!)

Ich will auch noch darauf hinweisen, dass die damals in dem Gesprächskreis Asse Verantwortlichen es nicht einmal für nötig hielten, das Land Niedersachsen an diesen Besprechungen zu beteiligen. So sah das damals aus. Das war damals in Deutschland der Umgang mit atomarem Müll. Wir müssen uns hier gegenseitig überhaupt nichts vorrechnen. Es gab die Vorstellung: Atompolitik ist Zukunftstechnologie. - Das war unstrittig, übrigens nicht nur bei Ihnen. Das war in meiner eigenen Partei genauso. Das galt bis in die 70er-Jahre hinein. Weil man glaubte, man hätte die Technik im Griff

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Bei CDU und FDP gilt das immer noch!)

- ja, bei denen gilt das leider immer noch! -,

(Beifall bei der SPD)

hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, was mit dem Überbleibsel passiert. Das ist so wie mit dem Flugzeug, mit dem man in der Hoffnung losfliegt, dass dort, wo der Sprit ausgeht, schon irgendwo ein Flughafen gebaut werden wird, damit man wieder landen kann, meine Damen und Herren. Verantwortlich ist das nicht. Aber das war damals State of the Art, um es einmal so zu sagen. Darin haben sich damals alle Verantwortlichen nichts genommen. Wenn man in diesem Selbstverständnis handelt, hat man natürlich auch uneingeschränktes Vertrauen zu denen, die als Fachleute mit diesem Thema befasst waren. Das ist leider die Ausgangssituation: geschaffene Tatsachen, mit denen wir uns heute und auch in den letzten 30 Jahren haben befassen müssen. Ich stelle fest: Die einzigen, die bei dieser Veranstaltung richtig gut dastehen, sind diejenigen, die in der Region keine Ruhe gegeben haben, sondern immer wieder gedrängt haben. Es sind ja einige Vertreter der Bürgerinitiative da. Denen ist zu verdanken, dass dieses Thema in Deutschland heute endlich den ihm angemessenen Stellenwert hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Es ist auch unsere Partei, die daran mitgewirkt hat!)

Deren Nachbohren ist es zu verdanken, dass das im Juni auf die Tagesordnung kam und hier, im Umweltausschuss dieses Hauses, mit der Arbeit begonnen worden ist. Aufgrund der durch den Umweltausschuss und den Bundesumweltminister gegenüber dem Umweltminister ausgesprochenen Verpflichtung, einen Statusbericht vorzulegen, wird die Arbeit in der angemessenen Tiefe geleistet, meine Damen und Herren.

Die politische Bewertung ist heute möglich, weil wir diesen Statusbericht rechtzeitig zur Kenntnis bekommen haben, der Statusbericht hinreichend deutlich ist und er inzwischen zu ersten Konsequenzen geführt hat, was ich sehr begrüße. Wenn wir uns die Protokolle über die Sitzungen des Umweltausschusses und den Statusbericht ansehen und eine zusammenfassende Bewertung vornehmen wollen, dann könnte sie in drei Punkten wie folgt lauten:

Erstens. Das ist weiß Gott kein Ruhmesblatt für die Verantwortlichen in der Politik, ob im Bundesumweltministerium, im Bundesforschungsministerium oder auch im Niedersächsischen Umweltministerium, und das gilt für die ganzen letzten Jahrzehnte. Möglicherweise hat das mit Folgendem zu tun: Das Kind war in den Brunnen gefallen. Meriten waren da nicht zu holen. Wenn da nicht Vorgänge kamen, haben vielleicht alle Beteiligten nicht viel nachgebohrt, weil es so war, wie ich es eben beschrieben habe.

Zweitens. Es ist haarsträubend, was sich Betreiber und Fachaufsicht hier haben leisten können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Drittens. Hierauf möchte ich, obwohl es in den Berichten keine so große Rolle spielt, ausdrücklich hinweisen: Das Ergebnis ist peinlich für die Fachwissenschaft, die mit ihren Prognosen und wissenschaftlichen Begleitungen in allen Jahrzehnten präsent war, meine Damen und Herren.

Die Erkenntnisse aus den bisherigen Darstellungen sind für uns:

Erstens. Der bisherige Betreiber ist seit langer Zeit ungenehmigt mit radioaktiven Stoffen umgegangen.

Zweitens. Die Dokumentationsstandards bei Strahlenschutzanweisungen wurden nicht eingehalten.

Drittens. Der Betreiber hatte keine ausreichende Fachkunde im Atom- und Strahlenschutzrecht.

Viertens. Der Betreiber hat durch Maßnahmen im Bergwerk, durch Baumaßnahmen, neue Risiken geschaffen.

Fünftens. Der Betreiber hat Maßnahmen ohne ausreichende Kenntnisse über Rückwirkungen auf die Störfallsicherheit und Langzeitsicherheit durchgeführt.

Sechstens. Die Kommunikation des Landesbergamtes mit der vorgesetzten Strahlenschutzbehörde war unzureichend.

Siebtens. Das Landesbergamt ist den atom- und strahlenschutzrechtlichen Anforderungen nicht gerecht geworden.

Achtens. Die vorgesetzte Strahlenschutzbehörde, nämlich das niedersächsische Ministerium, duldete Defizite, z. B. die fehlende Störfallanalyse, die mangelnde Prüfung der Vorgehensweise nach Atom- und Strahlenschutzrecht, und hat die vorgelegten Berichte entweder schlampig oder gar nicht gelesen und einen entscheidenden Vermerk aus dem Juni 2006, nämlich den ersten, aus dem das hervorgeht, schlicht überlesen, meine Damen und Herren. Das alles geschah im Umgang mit dem gefährlichsten Material, das es in unserer Gesellschaft gibt. Das alles ist wirklich noch viel schlimmer, als wir alle im Juni vermuten konnten.

Deshalb ist es gut, dass die ersten Konsequenzen sofort gezogen worden sind. Das HelmholtzZentrum war nicht in der Lage, diese Arbeit zu leisten. Ob es dabei um persönliche Schuldzuweisungen geht, ist an der Stelle ziemlich egal. Aus guten Gründen wird dieser Einrichtung der Betrieb entzogen. Es findet ein Betreiberwechsel statt. Die Vorbereitungen laufen im Detail. Zum 1. Januar nächsten Jahres wird das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Dort ist eine deutlich andere Fachkompetenz. Wir haben den Wechsel schon vor Wochen gefordert. Wir finden es gut, dass diese Entscheidung so schnell getroffen worden ist und das Bundesamt die Arbeit dort schon aufgenommen hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nach meiner Einschätzung war es der Hauptfehler der Politik, dass man es zugelassen hat, dass das über einen so langen Zeitraum auf der Grundlage des Bergrechts bearbeitet worden ist. Das Atomrecht hätte eine andere Qualität gebracht.

(David McAllister [CDU]: Das war auch Ihr Fehler!)

- Herr McAllister, das haben Sie richtig gesagt. Das war auch mein Fehler,

(David McAllister [CDU]: Wohl war!)

wiewohl nicht entscheidend, weil das Land darüber nicht entscheiden kann. Ich habe im Focus gelesen, ich sei für Bergrecht und Trittin für Atomrecht und ich hätte mich gegen Trittin durchgesetzt.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das kann ich mir gar nicht vorstellen!)

Ich habe keine Probleme damit, mich gegen Trittin durchzusetzen. Aber im Atomrecht gelten die Prinzipien, die beim Kartenspiel gelten. Das heißt: Ober sticht Unter. - Von daher hat man als Landesminister keine Chance gehabt, sich in dem Punkt durchzusetzen.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Sie ha- ben offensichtlich gepokert!)

Das gilt für alle, wie sie auch heißen. Das gilt für Schavan, das gilt für Rüttgers, das gilt für Merkel, das gilt für Gabriel, Griefahn, Jüttner: Alle haben in der Beziehung kein Ruhmesblatt abgeliefert. Sie alle haben im Zweifel zu sehr auf die Fachleute vertraut. Fachleuten zuhören muss man. Ihnen zu vertrauen ist aber nicht immer richtig, wie man mitunter merkt. Ich sage das ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die zweite Entscheidung ist: Es wird in Zukunft das Atomrechtsregime zur Anwendung gebracht, was dringend notwendig ist und was ich sehr begrüße.

Drittens. Es wird mit dem Thema der Rückholbarkeit jetzt endlich angemessen umgegangen. Es gibt Gutachten; die ersten werden in wenigen Wochen auf dem Tisch liegen. Das Helmholtz-Zentrum hatte nur eine Idee, nämlich schnell zu fluten. Das ist jetzt anders. Ergebnisoffener Optionenvergleich ist zugesagt. Ich gehe - auch weil die Region darauf ein wachsames Auge haben wird - davon aus, dass das auch gewährleistet wird.

Die nächste Konsequenz wird sein - hier sind wir bereits auf dem Wege -, im Umweltausschuss die weitere Aufklärung zu betreiben; denn dort ist bekanntlich das verabredet, was noch auf den Tisch kommen soll.

Meine Damen und Herren, es gibt aber noch andere Konsequenzen, die heute ebenfalls schon erkennbar sind, bei denen sich jedoch ein Teil der Politik weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: PUA z. B.!)