Protokoll der Sitzung vom 27.02.2008

Ich finde es makaber, wenn Sie dann sagen: Das sind sozial verträglich ausgestaltete Studiengebühren. - Ich bitte Sie! Sie können doch nicht einfach sagen: Das geht doch! Da kann man doch ein Darlehen aufnehmen! Das kann man hinterher zurückzahlen! Dann hat man halt 15 000 Euro Schulden! - Sie sagen das ganz einfach. Aber das sind wirklich Gründe, die Leute vom Studieren abhalten.

Ich frage mich: Wie sind Sie eigentlich gestrickt? Wie kriegen Sie es hin, auf der einen Seite jungen Menschen zu sagen: „Na ja, dann haben Sie halt 15 000 Euro Schulden, wenn Sie ins Berufsleben starten“, und auf der anderen Seite, wenn Sie Ihre unsoziale Sparpolitik rechtfertigen wollen, kein Problem damit zu haben, zu sagen: „Man darf nur das ausgeben, was man vorher erwirtschaftet hat“ und „Ein Leben auf Pump können wir uns nicht mehr leisten“? Wie kriegen Sie das eigentlich quasi im gleichen Atemzug gesagt? Das frage ich Sie.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist einfach unglaublich. Ich weiß nicht, wie Sie das in Ihrem Gehirn zur Deckung bringen.

Zur Schulpolitik ist schon einiges gesagt worden: zu G8, zum Thema Unterrichtsversorgung. In Niedersachsen wird nach der vierten Klasse selektiert, wird nach der vierten Klasse beschlossen, welches Kind auf die Hauptschule, welches auf die Realschule und welches aufs Gymnasium geht. Das nennen Sie dann begabungsgerecht und entsprechend differenziert.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wie nennen Sie das?)

Wenn Sie sagen, dass es genau drei Begabungen gibt, nämlich eine, die genau für die Hauptschule passt, eine, die genau für die Realschule passt, und eine, die genau fürs Gymnasium passt - - -

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wer sagt das?)

- Das ist die Aussage Ihres Systems, das genau drei Schularten kennt,

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Es gibt auch noch Förderschulen!)

wenn man von den Sonderschulen einmal absieht.

(Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Sie müssen ja nicht zuhören.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Sie müssen auch keine Ahnung haben! - Karl- Heinz Klare [CDU]: Aber Sie wollen doch, dass wir zuhören!)

- Ich komme nachher noch auf Ihre Bereitschaft zurück.

Sie können sich offensichtlich überhaupt nicht vorstellen, dass es Kinder gibt, die z. B. mathematisch sehr begabt sind und da ohne Weiteres auf

Gymnasialniveau mithalten könnten, die aber in Sprachen - in Deutsch, in Englisch - nicht ganz so gut sind. Nach Ihrer Vorstellung müssen die auf die Realschule gehen, weil sie das Gymnasialniveau bei den Sprachen ja nicht verkraften können. Die werden dann in Mathematik die ganze Zeit unterfordert. Das scheint Sie aber nicht zu stören; denn Sie nennen dieses dreigegliederte Schulsystem begabungsgerecht. Sie wissen ganz genau, dass das an der Realität vorbei geht. Sie wissen auch ganz genau, dass die Menschen in Niedersachsen das wissen.

Deshalb verabreichen Sie eine kleine Beruhigungspille nebenbei und lockern das IGS-Verbot ein bisschen. Gesamtschulen als ergänzende Schulform, wenn der Elternwille nachhaltig und der Bedarf vorhanden ist - Sie machen das richtig schön schwer. Mit dieser billigen kleinen Beruhigungspille können Sie sich dann herausreden: Sie haben Gesamtschulen ja nicht ganz verboten, sondern ein bisschen zugelassen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Woher wis- sen Sie eigentlich, was wir vorha- ben?)

- Ich kenne Sie.

(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das steht alles zwischen den Zeilen! Herr Rös- ler hat das doch gesagt!)

- Das ist das kleine Quiz in diesem Regierungsprogramm, das man noch irgendwie abarbeiten muss.

Herr McAllister, wenn Sie mit Ihrer Aussage, wir könnten diese Schuldebatte ganz schnell beenden, meinen - so habe ich Sie verstanden, und ich glaube, man kann Sie gar nicht anders verstehen -, wir könnten uns ganz schnell einigen, wenn wir uns nur Ihrer Meinung anschlössen, dann haben Sie sich an dieser Stelle ganz einfach geschnitten. Das wird nicht passieren.

(David McAllister [CDU]: Es wäre ganz sinnvoll!)

Geben Sie doch wenigstens offen zu: Sie wollen keine begabungsgerechte Förderung. Das sieht man auch an der Abschaffung der Lernmittelfreiheit. Ich sage Ihnen: Sparen an der Bildung unserer Kinder ist Versündigung an der nächsten Generation.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben gesagt: Alle Kinder sollen aufsteigen können, unabhängig von der Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern. - Dann sorgen Sie endlich dafür und reden Sie nicht nur darüber!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der schwarz-gelben Koalition, das Stichwort „Privatisierung“ zieht sich durch Ihr Programm wie ein roter Faden. Sie wollen private Bahnen. Sie wollen mehr private Medien; das glaube ich Ihnen im Übrigen sehr gerne, weil die Ihnen auch immer gerne helfen. Frau von der Leyen hat zwar mehrfach versprochen, dass sie die Landeskrankenhäuser nicht privatisieren wird; sie hat es dann aber trotzdem getan - so viel zu Ihrem „Wir halten unsere Versprechen“! Jetzt loben Sie sich für dieses tolle Privatisierungsprojekt im Gesundheitswesen, mit dem Sie die Gesundheit der Menschen zur Ware degradiert haben. Wir rechnen übrigens damit, dass Sie demnächst auch den Strafvollzug privatisieren wollen. Der Versprecher von Herrn Hirche vorhin - von wegen „Justizvollzugsgesellschaft“ - war ja schon ganz bezeichnend.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch ein paar Worte zur Logik solcher Privatisierungsvorgänge. Das läuft ja so: Erst verkaufen Sie etwas oder machen ÖPP oder PPP. Dann freuen Sie sich über den kurzfristigen Geldfluss oder die kurzfristigen Einsparungen. Dann passiert, womit zu rechnen war: An vorderster Front und als erstes Argument stehen nun Gewinne und nicht mehr die bedarfsgerechte Erfüllung der Aufgaben. Dann kommt das, was immer kommt: Die zuständigen Politiker regen sich furchtbar auf. Sie sagen dann: So haben wir uns das aber nicht gedacht. So haben wir uns das nicht vorgestellt. So haben wir das nicht gemeint. Jetzt können wir überhaupt keinen Einfluss mehr nehmen. Jetzt können wir darüber gar nicht mehr mitbestimmen.

Wir sehen das im Energiebereich: Die vier großen privatisierten Energiekonzerne haben ihre Gewinne in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Jetzt geht das Gejammer los. Jetzt kommen nette Appelle wie der, sie sollten die Energie an Hartz-IVEmpfänger billiger abgeben. Wenn das nicht aus Sicht der Betroffenen so traurig wäre, dann könnte man wirklich darüber lachen. Das ist schon fast drollig.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch mit diesem Privatisierungskurs treiben Sie Menschen in die Wahlenthaltung. Wenn Politiker

nichts mehr zu sagen haben, egal ob sie in der Regierung oder in der Opposition sind, dann ist es doch auch wirklich egal, welche Partei man wählt. Wenn sie sich aus sämtlichem Einfluss herausziehen und öffentliche Aufgaben privatisieren - das ist Ihr Text; das Wort „öffentlich“ sagt es doch schon -, dann ziehen sie sich aus demokratischem Einfluss heraus, dann nehmen sie politischen Einfluss weg. Dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn Menschen sagen: Es ist völlig egal, wen ich wähle oder ob ich überhaupt hingehe.

(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie wollen doch das Umgekehrte! Sie wollen doch die Ver- staatlichung!)

- Wir wollen weder staatliche Bäckereien noch staatliche Schlossereien. Das ist alles Blödsinn. Wenn Sie das alles über einen Kamm scheren und sagen, wir wollten alles verstaatlichen,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das tue ich gar nicht! Ich frage ja!)

dann ist das einfach nicht wahr. Dazu komme ich gleich noch einmal. Lesen Sie einmal unser Programm! Dann werden Sie schlauer.

(Nein! bei der CDU)

Das kann nicht schaden.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Frau Wegner teilt nicht in jedem Punkt meine Meinung. Schon gar nicht teile ich in jedem Punkt ihre.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: In welchem denn nicht?)

Das darf ich an dieser Stelle auch einmal sagen.

In der Verkehrspolitik will diese neoliberale Koalition in Niedersachsen alle Fehler fortsetzen, die sie schon in den letzten fünf Jahren gemacht hat. Zum ÖPNV gibt es nur vage Andeutungen: Den kläglichen Rest, der noch übrig geblieben ist, wollen Sie erhalten. Wie Sie das genau machen wollen, sagen Sie nicht. Dafür ist aber viel von landschaftszerstörenden, umweltschädlichen, autofördernden Straßenbauprojekten die Rede. Eine vernünftige Anbindung der ländlichen Räume im Personenverkehr interessiert Sie offensichtlich überhaupt nicht. Jedenfalls ist das da nun wirklich nicht herauszulesen.

Die Verkehrspolitik ist übrigens auch ein gutes Beispiel für die Verzahnung von Landes- und Bundespolitik. Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die alte und neue Landesregierung hat allen sozialpolitischen Skandalen der letzten Jahre zugestimmt. Sie haben mit dafür gestimmt, dass die Rente mit 67 eingeführt wird. Sie haben Hartz IV mit vorangebracht. Sie haben für Zwangsverrentung gestimmt. Sie haben für die Riesterrente mitsamt dem darin enthaltenen Anlagebetrug gestimmt. Sie haben im Übrigen auch dem Krieg in Afghanistan zugestimmt.

Die schlimmste Bedrohung für 8 Millionen Niedersachsen ist der Krieg. Ich sage Ihnen: Wenn dieser Landtag am 22. April tatsächlich zur Applauskulisse für Soldaten, die an die Front ziehen, degradiert werden soll, dann haben Sie an dieser Stelle mit unserem Widerstand zu rechnen. Das machen wir nicht mit.

(David McAllister [CDU]: Bleiben Sie weg! - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Eine Peinlichkeit!)

- Uns wird sicherlich etwas Sinnvolleres einfallen als wegzubleiben.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie können dann ja ausziehen!)