Wenn es stimmt, dass das Niedersächsische Kultusministerium die Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz zur Umsetzung der UN-Konvention leiten wird,
Meine Damen und Herren, das Recht der Kinder mit Behinderungen auf Integration ist unteilbar. Wollen Sie verantworten, dass seine Verwirkli
chung tatsächlich immer weiter mit Winkelzügen verhindert wird? Für eine individuelle Förderung aller Kinder- der behinderten genauso wie der nichtbehinderten Kinder - brauchen wir eine ganztägige, gemeinsame Schule. Für diese Schule werden wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier heute über Selbstverständlichkeiten. Wir reden über die Selbstverständlichkeit, dass jedes Kind anders ist und als Individuum betrachtet werden muss. Wir reden über die Selbstverständlichkeit, dass es die Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen ist, jedes Kind als einzigartig anzunehmen, zu akzeptieren, zu fordern und zu fördern. Wir reden auch über die Selbstverständlichkeit, dass wir in einer Gesellschaft leben, die niemanden ausschließt und in der es Konsens gibt, dass Menschen mit Behinderung unserer besonderen Solidarität und Unterstützung bedürfen.
Doch die Realität bildet diese Selbstverständlichkeiten leider nicht ab. Daher begrüßt meine Fraktion die vorgelegte Initiative von Bündnis 90/Die Grünen zur inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Regelungen im Niedersächsischen Schulgesetz stellen die Betroffenen in der Tat vor große Hürden und befördern ein Aussortieren und Abschieben vieler dieser Kinder und Jugendlichen.
Wieder einmal besonders betroffen von dieser Form des Sortierens sind die ausländischen Schülerinnen und Schüler. Im Jahr 2007 besaßen 6,5 % unserer Schülerinnen und Schüler keinen deutschen Pass. In den Förderschulen betrug der Anteil jedoch 9 %, an den Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen sogar 18,5 %. Dies zeigt nicht nur das Versagen des aktuellen Bildungssystems in Integrationsfragen, sondern es zeigt auch, wer wieder einmal überdurchschnittlich unter getrennten Strukturen und Aussortieren zu leiden hat. Die Überarbeitung des Systems der Förderschulen ist auch vor diesem Hintergrund dringend geboten.
Ein zentraler Punkt für eine vielfältige und lebendige Gesellschaft ist die Akzeptanz des Menschen in seiner Unterschiedlichkeit. Das schließt Toleranz gegenüber Fremdem, Anderem, Unbekanntem ein. Es schließt ebenso die Hilfestellung der Stärkeren für die Schwächeren ein, die aktive Solidarität mit Hilfebedürftigen anstatt einer Politik des Wegschauens und Ignorierens.
Doch in Niedersachsen passiert genau das Gegenteil. Wir sind bundesweit Schlusslicht bei der inklusiven Beschulung mit einer Quote von etwa 5 %; in Bremen liegt sie bei über 45 %. So werden Integrationsklassen sogar wieder geschlossen, da die Schülerinnen und Schüler nicht mehr angemessen pädagogisch betreut werden können. Eine solche Entwicklung ist nicht hinnehmbar. Ich hoffe, dass der Zug jetzt in eine andere Richtung fährt.
(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Haben Sie sich einmal überlegt, warum das so ist?)
Vielleicht brauchte es ja die Ratifikation der UNKonvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung, der auch Niedersachsen im Bundesrat zugestimmt hat, um die niedersächsischen Landesverfassung hier endlich ernst zu nehmen. Hier heißt es in Artikel 3 Abs. 3: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Wir müssen dies auch im Bildungssystem ohne jegliche Diskriminierung verwirklichen.
Deshalb müssen Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in den Bereichen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache zwingend inklusiv an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden, wie es die vorliegenden Anträge fordern. Ebenso muss weitestgehend umgesetzt werden, dass der Zugang zu allgemeinen Bildungseinrichtungen körperlich, motorisch oder geistig in der Entwicklung eingeschränkten Kindern uneingeschränkt ermöglicht wird.
Insofern müssen wir uns über die Frage, wann und wo Kompetenzzentren für den Bereich geistige, motorische und körperliche Entwicklung noch not
wendig sind, in den kommenden Beratungen sehr differenziert auseinandersetzen. Dort sollte auch über den geforderten uneingeschränkten Elternwillen bei der Schulwahlentscheidung noch einmal genau diskutiert werden. Wir brauchen hier zumindest ein institutionell verankertes Unterstützungs- und Beratungssystem.
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf die Finanzierung eingehen. In den Anträgen wird von einer weitgehenden Kostenneutralität geschrieben. Ich kann mir vorstellen, dass am Anfang auch mehr Geld in die Hand genommen werden müsste, weil es einfach notwendig ist. Ich denke, es wäre an dieser Stelle auch gut angelegt.
Wir können jetzt schon sagen, dass wir den Gesetzentwurf und den Entschließungsantrag in ihrer Tendenz unterstützen würden, dass wir uns an einigen Stellen, wie schon gesagt, aber vielleicht noch Änderungen vorstellen können.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende März 2007 hat die Bundesregierung die UNKonvention über die Rechte Behinderter paraphiert. Der Bundestag und der Bundesrat haben im November und im Dezember 2008 der Konvention per Gesetz zugestimmt. Seit Januar 2009 ist diese Konvention damit geltendes Recht. Nunmehr geht es in der Sonderpädagogik nicht mehr allein um die Frage, wie Behinderte am besten zu unterrichten sind - diese Frage wird hier im Haus ja unterschiedlich beantwortet -, sondern jetzt geht es um ihr Recht, und dieses Recht - Frau Kollegin Korter hat es gesagt - ist unteilbar. Wir begrüßen diese Konvention über die Rechte Behinderter sehr.
Die Kultusministerkonferenz hat sich aufgrund dieser Rechtslage bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt. Niedersachsen sitzt der entsprechenden Arbeitsgruppe der KMK vor, hat dort also die Federführung. Die Arbeitsgruppe heißt „Ad-hoc-AG Überarbeitung der Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung“. Sie hat drei Jahre Zeit, auf die neue Rechtslage zu reagieren.
Darüber hinaus haben die Bundesregierung und die Bundesländer die Pflicht, über den Stand der Entwicklung bzw. den Stand der Umsetzung der Konvention zu berichten. Das heißt, es wird ähnlich wie bei den PISA-Ergebnissen presseöffentlich kommuniziert werden, wie die einzelnen Bundesländer reagiert und/oder umgesetzt haben. Wir halten auch die Pflicht zur Berichterstattung für wichtig, da sonst bereits jetzt Umsetzungsprobleme vorprogrammiert wären.
Was sagt aber die Konvention in Artikel 24, in dem es um die Bildung geht? - Dazu rauschen gewaltige Missinterpretationen durch den gesamten deutschen Pressewald. Auch die Grünen reagieren in ihrem Antrag, der im Übrigen sehr differenziert und sehr konstruktiv ist, liebe Kollegin Korter, an der einen oder anderen Stelle parallel zur Wirklichkeit.
Die UN-Konvention favorisiert ein egalitäres inklusives Schulsystem, aber sie schließt besondere pädagogische Maßnahmen in speziellen Institutionen nicht aus. In § 24 Abs. 2 der Konvention ist niedergelegt, dass die Mitgliedstaaten behinderten Schülern den Zugang zu einer inklusiven wohnortnahen Schule ermöglichen sollen.
Inklusion ist z. B. weit mehr als eine Einheitsschule. Inklusion ist eine umfassende konzeptionelle Weiterentwicklung des gesamten Bildungssystems im Hinblick auf die Verantwortung für behinderte Schülerinnen und Schüler und ihre Rechte. Der in der Konvention verwendete Begriff „inclusive education“ ist nicht mit „integriertes Bildungssystem“ zu übersetzen, wie es leider immer wieder fälschlich und irreführend gemacht wird. Unrichtig ist auch, wenn in der deutschen Veröffentlichung der Interpretation der UN-Konvention zu lesen ist: „In Artikel 24 wird der Einrichtung von Sonderschulen eine Absage erteilt.“ Das ist schlicht falsch. Das sagt die Konvention nicht. Dort werden - ich sagte es bereits - besondere pädagogische Maßnahmen in speziellen Institutionen ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Wir wollen zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung im Kultusausschuss mit allen relevanten Verbänden und Institutionen durchführen, um uns so ein Bild darüber zu machen, wo die Fachverbände, die betroffenen Eltern, die Wissenschaftler und die Praktiker vor Ort notwendigen Verände
Wir behalten uns auch vor, zusätzlich noch ein Symposium mit nationalem und internationalem Sach- und Fachverstand durchzuführen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier in Niedersachsen in der sonderpädagogischen Förderung immer und ausschließlich das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt. Nicht irgendwelche Ideologien, nicht irgendwelche Dogmen waren und sind Maßstab unserer Entscheidungen in diesem sensiblen Bereich. Wir haben hier - das wissen die Kolleginnen und Kollegen aus dem Kultusbereich sehr genau, und ich sage das hier jetzt auch gar nicht pathetisch - mit sehr viel Herzblut gearbeitet. Wir haben hier wirklich viel getan.
Wir haben immer wieder mit neuen Finanzmitteln Verbesserungen in der Unterrichtsversorgung vorgenommen und für zusätzliche Stellen für pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesorgt. Ich führe das hier aus, um noch einmal klarzumachen - oder um zumindest zu versuchen, es klarzumachen; das gelingt mir nicht immer bei allen -, dass wir in Niedersachsen auch im Hinblick auf die UN-Konvention gerade bei der Integration schon jetzt gut aufgestellt sind.
In § 4 unseres Schulgesetzes ist klar und deutlich festgelegt, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf grundsätzlich an allgemeinen Schulen unterrichtet werden sollen.
Wir beginnen bereits bei den Jüngsten mit der Integration. Jede dritte Grundschule in Niedersachsen ist mit einer sonderpädagogischen Grundversorgung für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung ausgestattet. Hier werden die Angebote für die Kinder in den allgemeinen Schulen, in denen sie dann sind, durch die Angebote aus den Förderschulen ergänzt.
Durch diese Ausweitung und die Kombination der Förderangebote ist z. B. auch die Anzahl der Kinder an den Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen um 22 % von 26 000 im Jahr 2003 auf 19 000 im Jahr 2008 gesunken. Die Anzahl der Integrationsklassen ist gestiegen. Auch die Anzahl der Kooperationsklassen ist gestiegen und liegt jetzt im dreistelligen Bereich. Seit 2005 haben wir die regionalen Konzepte zur sonderpädagogischen Förderung in unserem gesamten Flächenland konsequent aufgewertet.