Meine sehr geehrten Damen und Herren von CDU und FDP, fassen Sie sich ein Herz und machen Sie weiter! Belassen Sie es nicht nur bei den Änderungen im Bereich U-Haft, sondern wagen Sie sich an weitere Änderungen und Verbesserungen! Resozialisierung muss wieder alleiniges bzw. vorrangiges Vollzugsziel werden. Der geschlossene Vollzug ist mittlerweile Regelvollzug. Wir fordern, den offenen Vollzug wieder in den Vordergrund zu stellen.
Der Jugendvollzug braucht ein eigenes Gesetz, um individueller auf die Bedürfnisse von Heranwachsenden im Vollzug eingehen zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Vollzugsgesetz gibt einen rechtlichen Rahmen. Dieser Rahmen wird mit den Änderungen etwas verbes
sert. Bis er aber optimal ist, braucht es noch einen langen Weg. Investieren Sie endlich ausreichend in marode Anstalten wie Hannover, und stellen Sie mehr Mittel für die soziale Infrastruktur und für ein vernünftiges Übergangsmanagement in den Anstalten zur Verfügung! Wir wollen keinen Verwahrvollzug. Stärken Sie die Bewährungshilfe nicht nur organisatorisch mit JustuS, sondern auch mit einer angemessenen personellen Ausstattung! Stellen Sie den Menschen vor ein übersteigertes Sicherheitsdenken in den Anstalten!
Wir fordern Sie auf, endlich neue Strategien zur Haftvermeidung zu entwickeln und mehr Mittel für Prävention und Bildung zur Verfügung zu stellen. Dann können wir uns auch den Bau neuer teurer Haftplätze sparen. Zeigen Sie, dass Sie an erfolgreiche Resozialisierung glauben, und zeigen Sie uns, dass Sie es mit den Änderungen im Vollzugsgesetz ernst meinen!
Herzlichen Dank, Herr Brunotte. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Kollege Adler zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier über ein Reparaturgesetz zu einem völlig verunglückten Strafvollzugsgesetz aus der letzten Legislaturperiode zu beraten und zu entscheiden.
Zumindest hinsichtlich der Zuständigkeitsregelungen des Amtsgerichts ist dieses Gesetz sehr unpraktisch, wie von mehreren Richtern bestätigt worden ist. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg ist es auch verfassungswidrig. Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierzu ist es nur aus formalen Gründen nicht gekommen. Aber in der Sache ist es eigentlich schon damals verfassungswidrig gewesen.
Nun versuchen Sie eine Reparatur. Aber diese Reparatur ist sehr unzulänglich. Der Kollege Brunotte hat schon auf ein paar Schwächen hingewiesen. Eigentlich hätte er dann auch sagen müssen, dass die SPD-Fraktion nicht zustimmen kann.
Ich will das auf einen Punkt zuspitzen und damit erläutern, weshalb wir nicht zustimmen. Eigentlich ist nach § 119 der Strafprozessordnung, die Bundesrecht ist, der jeweilige Richter zuständig. „Die nach diesen Vorschriften erforderlichen Maßnahmen ordnet der Richter an“, heißt es in § 119 Abs. 6 Satz 1 der Strafprozessordnung. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf bedarf aber der Richter der Zustimmung des Leiters der Vollzugsbehörde, wenn er Zuständigkeiten auf die Vollzugsbehörde überträgt. Das schränkt die richterliche Unabhängigkeit und die richterliche Souveränität, in Haftsachen zu entscheiden, ein. Das ist deshalb meiner Ansicht nach rechtsstaatswidrig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über die Änderung des Justizvollzugsgesetzes, das leider keinesfalls zu den Sternstunden der Rechtspolitik gehört.
Bei den Regelungen, die heute beschlossen werden, bleiben weiter verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Schon kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes - die Kollegen haben das gerade bereits ausgeführt - hat sich gezeigt, dass die Eile, mit der die damalige Justizministerin Heister-Neumann das Gesetz durchgepeitscht hat, sich rächt. Es zeigte sich schnell, dass das Gesetz erhebliche Mängel aufweist - was, wie wir alle wissen, bei dieser Landesregierung leider durchaus häufiger vorkommt.
Schon bei der Beratung des Gesetzes in der vergangenen Wahlperiode gab es viel grundsätzliche Kritik. Immer wieder ist vor allem die Verfassungsmäßigkeit einiger Regelungen zur Untersuchungshaft infrage gestellt worden. Doch die Beratungsresistenz dieser Landesregierung ist beeindruckend. Die Rechnung dafür müssen leider immer wieder die Betroffenen zahlen.
Nun wird und muss leider wieder Flickschusterei betrieben werden, weil die einstigen Fehler nicht völlig korrigiert werden können. Es ist gerade bereits ausgeführt worden: Der Bund ist weiterhin der Meinung und war es auch schon vor der Verabschiedung dieses Landesgesetzes, dass er die Gesetzgebungskompetenz für die wesentlichen Bereiche der Untersuchungshaft hat. Wir als Landesgesetzgeber stehen nun vor dem Dilemma, dass wir die Gesetzgebungskompetenz nicht einfach auf den Bund rückübertragen können. Diese Möglichkeit hätte nur das Bundesverfassungsgericht, wenn es die Regelungen des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes aufheben würde. Auch mit Urteilen aus Karlsruhe und zuletzt auch aus Bückeburg hat diese Landesregierung leider bereits häufiger Erfahrungen gemacht. Daher befürchte ich, dass wir uns in Zukunft erneut mit diesem Gesetz werden beschäftigen müssen.
Fest steht also, dass die Probleme in dem Gesetz vermeidbar gewesen wären, wenn es sorgfältiger beraten worden wäre und die Landesregierung nicht so beratungsresistent gewesen wäre. Fest steht aber auch - jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt -, dass die jetzt zu beschließenden Regelungen in Gänze wesentlich praktikabler sind als die alten Regelungen.
Sinnvoll und von uns auch schon lange eingefordert ist die Neuregelung der Zuständigkeit im Bereich der Post- und Besuchskontrolle.
Sinnvoll ist weiterhin, die gerichtliche Zuständigkeit weitgehend an die Vorschriften der Strafprozessordnung anzugleichen, damit zukünftig - Herr Kollege Dr. Biester hat das ausgeführt - wieder das Gericht für den Vollzug der Untersuchungshaft zuständig ist, das auch über den Erlass und Fortbestand des Haftbefehls nach Bundesrecht entscheidet.
Praktikabel erscheint uns die Möglichkeit der Übertragung der Zuständigkeit für Maßnahmen im Vollzug vom Gericht auf die Staatsanwaltschaft bzw. auf andere Behörden. Damit werden wir in Niedersachsen Neuland betreten; denn weder in der Untersuchungshaftvollzugsordnung noch im bisherigen Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz gab es eine solche Möglichkeit. Sie ist allerdings aus unserer Sicht nicht ganz unproblematisch, weil hier auch ein sehr sensibler Bereich, nämlich die Möglichkeiten der Inhaftierten zur Kommunikation mit der Außenwelt und zur Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Kontakte, betroffen sein kann. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat auf Bundes
ebene - das will ich hier nicht verschweigen - vergleichbare Regelungen im neuen StPO-Entwurf entschieden abgelehnt. Das ist eine sehr gewichtige Stimme, die wir alle hier nicht ignorieren sollten. Wir Grüne werden sehr genau hinschauen, ob sich diese neue Regelung bewährt oder ob sie verstärkt Beschwerden provoziert.
Zweifelsfrei notwendig und ausschließlich begrüßenswert sind die neuen, ausgeweiteten Regelungen zum Beschwerderecht.
Deshalb werden wir unter dem Strich diesem Gesetzentwurf zustimmen, um den Anforderungen der Praxis gerecht zu werden, obwohl, wie gesagt, Bedenken bestehen bleiben.
Herzlichen Dank, Herr Limburg. - Für die FDPFraktion haben Sie, Herr Professor Dr. Zielke, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Änderungsgesetz ist ein gutes Gesetz; denn es ist ausgewogen und praktikabel. Der Entwurf der Koalitionsfraktionen ist durch die Vorschläge unseres Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes noch optimiert worden. Dem GBD gebührt auch deswegen an dieser Stelle ein besonderer Dank, weil er trotz enormer Arbeitsbelastung sehr zügig gearbeitet hat.
Mir ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal einige liberale Grundlinien der Untersuchungshaft nachzuzeichnen. Es gab und gibt ja durchaus Tendenzen, zu meinen, ob Strafgefangene oder Untersuchungsgefangene, das sei weitgehend egal; denn beide säßen schließlich hinter Gittern, in einer Justizvollzugsanstalt. Wir sind überhaupt nicht dieser Meinung. Deshalb - das sage ich hier ganz offen - hätte ich es lieber gesehen, wenn wir für den Strafvollzug und die Regelung der Untersuchungshaft zwei eigenständige Gesetze gemacht hätten.
Was ist der Kern der U-Haft, die Untersuchung oder die Haft? - Die Untersuchung ist Sache des unabhängigen Gerichts, der Judikative. Die Haft ist Sache der Vollzugsanstalt, die Exekutive. Aber die Untersuchungshaft ist in keiner Weise Selbstzweck, sondern einzig und allein Mittel zum Zweck, die Durchführung des Strafverfahrens durch das Gericht zu ermöglichen. Sie hat also eine dienende Funktion. Sie dient dazu, die Findung von Wahrheit und Gerechtigkeit zu unterstützen. Deshalb gilt jeder Untersuchungsgefangene zwar als verdächtig, aber - das ist der entscheidende Kern - als unschuldig, anders als Strafgefangene, die rechtskräftig als schuldig verurteilt sind.
In der Untersuchungshaft finden sich nicht nur so offensichtlich schuldige Täter wie jene Bankräuber, die auf der Flucht einen ganzen Bus samt Fahrgästen kidnappten, Geiseln erschossen und während ihrer Flucht den Medien Liveinterviews gaben. Nein, es haben auch die Journalisten Conrad Ahlers und Rudolf Augstein etliche Wochen in U-Haft verbracht, weil sie seinerzeit verdächtigt wurden, durch die Veröffentlichung eines Artikels in dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel Landesverrat begangen zu haben. Die Exekutive in Person des Bundeskanzlers Adenauer sprach damals von einem Abgrund an Landesverrat. Der Bundesgerichtshof hat dann immerhin zwei Jahre später abgelehnt, das Hauptverfahren zu eröffnen, weil es keine Beweise für Landesverrat gab.
Ein U-Haft-Gesetz muss für alle gelten. Es ist ein Sieg der Rechtsstaatlichkeit, dass in unserem Gesetz die Priorität der Verantwortung bei den unabhängigen Gerichten verbleibt.
Eine andere Problematik im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz bleibt trotz intensiver Beratungen aus meiner Sicht letztlich ungeklärt. Niedersachsen hat Inseln, aber Niedersachsen ist keine Insel. Offensichtlich betrifft die U-Haft Dinge, die Landesgrenzen überschreiten, etwa wenn ein in Bayern oder von der Bundesanwaltschaft mit Haftbefehl Gesuchter in Niedersachsen festgenommen wird. Was ist, wenn der bayerische Haftrichter oder der Bundesrichter es ablehnt, sich auf Verhandlungen mit dem niedersächsischen Vollzugsrichter beispielsweise darüber einzulassen, ob und welche Beschränkungen des Telefonverkehrs zur Abwehr einer Verdunkelungsgefahr erforderlich sind, mit der Begründung, für sie gelte kein niedersächsisches Recht, sondern nach wie vor die Strafprozessordnung mit der alten U-Haft-Vollzugsordnung als ihrer Präzisierung?
Als die Mütter und Väter der Föderalismusreform beschlossen, den Justizvollzug in die Hoheit der Länder zu geben, haben sie möglicherweise die Feinheiten der Untersuchungshaft nicht zentral im Blick gehabt, oder sie haben sie womöglich gar nicht als Teil des Justizvollzuges betrachtet. Wir in Niedersachsen haben das hingegen getan. Der GBD hat uns kurz vor Abschluss der Beratungen unseres ersten Vollzugsgesetzes die Augen für die verfassungsrechtlichen Komplikatessen geöffnet, die sich aus der Kompetenzbeanspruchung durch Niedersachsen ergeben können.
Auch der Niedersächsische Richterbund hat den potenziellen Konflikt gesehen und eine ganz einfache Lösung vorgeschlagen, nämlich die bisherige Regelung, soweit sie andere Bundesländer und den Bund berühre, schlicht zurückzunehmen, dann gelte insoweit wieder die vertraute und eingespielte bundeseinheitliche Regelung. Aber unser Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat uns diesen Weg scharfsinnig und trotzdem bedauerlicherweise sofort wieder versperrt. Er argumentiert, Niedersachsen habe nun einmal die durch die Föderalismusreform eröffnete Gesetzgebungskompetenz an sich gezogen. Eine Rücknahme der Kompetenz sei im Grundgesetz im Rahmen dieser Reform nicht vorgesehen.
Mich erinnert das etwas an die Schöpfungsgeschichte: Die Schlange hat uns verführt, in den Apfel der Föderalismusreform zu beißen, die Unschuld ist hin, und nun müssen wir im Schweiße unseres Angesichts das Feld der U-Haft beackern -
mindestens so lange, bis der Bund den Teil der U-Haft-Regelung, der seiner Meinung nach in seiner Kompetenz verblieben ist, durch Gesetz regelt. Wenn sich der Bund dabei an unserem Gesetz orientiert - umso besser. Wenn sich dagegen Konflikte mit unserem Gesetz ergeben sollten, wird möglicherweise das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben.
Immerhin, Klarheit rückt näher: Die Bundesregierung hat dem Bundestag vor einigen Wochen ein Gesetz zur Änderung der U-Haft zugeleitet. Es ist dort vor genau einer Woche in erster Lesung behandelt worden.