Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

... das Strafrecht,“

- Bundessache -

„die Gerichtsverfassung,“

- der Bund hat ausgeübt: Bundessache -

„das gerichtliche Verfahren“

- also die jeweilige Verfahrensordnungen; der Bundesgesetzgeber hat davon Gebrauch gemacht. Jetzt kommt der entscheidende Satz:

„ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs...“

Es ist eine Auslegungsfrage, was „Untersuchungshaftvollzug“ heißt. Das Oberlandesgericht Oldenburg sagt: Ich möchte noch einmal ein bisschen zwischen Untersuchungshaftrecht - gleich Bund - und Untersuchungshaftvollzug - gleich Land Niedersachsen - unterscheiden. - Diese Differenzierung können wir dem Gesetzestext in dieser Form nicht entnehmen. Wir haben diese Frage erkannt,

sie im Zusammenwirken mit dem GBD erörtert und sind zu der Auffassung gekommen, dass wir zuständig sind.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist: Das Verfassungsgericht sagt - wir begrüßen es im Übrigen, wenn eine schnelle Entscheidung kommt; wir werden uns nicht dagegen wehren, dass dies möglicherweise in Form einer einstweiligen Anordnung geschieht -, dass wir nicht zuständig sind. Dann hilft Ihre Forderung, die Sie eben erhoben haben, gar nichts. Sie sagen, es sei verfassungswidrig, dass wir es überhaupt gemacht hätten, und im nächsten Satz sagen Sie: Lasst es uns so schnell wie möglich ändern. - Wenn nicht wir zuständig sind, sondern wenn der Bund zuständig ist, dann dürfen wir es nicht ändern. Es ist also eine strikt logische Folge, diese Rechtsfrage zunächst vom Verfassungsgericht klären zu lassen und dann, je nach Zuständigkeit, zu handeln und sich der Sache anzunehmen. Das werden wir auch tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Letzter Punkt: Sie haben die Mehrfachbelegung noch einmal angesprochen. Das ist ja bereits des Öfteren thematisiert worden. In der Öffentlichkeit kommt mir die tatsächliche Rechtslage manchmal etwas zu kurz. Der Justizminister hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, dass ein Blick in das Gesetz häufig die Rechtslage klärt. In § 20 des Justizvollzugsgesetzes heißt es:

„Die oder der Gefangene wird während der Ruhezeit allein in ihrem oder seinem Haftraum untergebracht.“

Wir haben den Grundsatz der Einzelbelegung. Die Mehrfachbelegung ist die Ausnahme. Gegen den Willen eines in Haft Befindlichen ist die Mehrfachbelegung nur sehr eng zulässig, und zwar nur dann, wenn es erforderlich ist. Woran Sie sich möglicherweise am meisten stören, ist, dass die Mehrfachbelegung zulässig sein kann, wenn die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Das sind aber nur vorübergehende Zeiträume.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: In einer Haftanstalt gibt es vier Trakte. In einem Trakt fällt die Heizung aus. Wollen Sie die Leute dann nach Hause schicken? Oder wollen Sie die Zellen vorübergehend mehrfach belegen, auch gegen den Willen der Gefangenen, bis dieser Mangel behoben ist? - Um solche Fälle geht es. Andere Fälle sind damit nicht gemeint.

Die Frage der Belegung mit mehr als zwei Personen wird man in der Tat noch einmal prüfen müssen. Es leuchtet zunächst einmal ein zu sagen: Wenn wir eine Situation bekommen, dass drei Personen da sind, dann kann es immer die Situation 2 : 1 geben, das kann per se gefährlich sein. - Das leuchtet mir zurzeit ein. Ich würde anhand von Vorkommnissen in der Vergangenheit aber ganz gerne einmal untersucht wissen wollen, ob das tatsächlich so ist. Wenn sich dort ein Handlungsbedarf zeigt, dann kann ich mir vorstellen, dass wir uns in diesem Bereich durchaus in Ihrem Sinne bewegen können und sagen: Das sollte man in der Tat für die Zukunft ausschließen.

Ich appelliere an Sie alle: Das Gesetz ist im Dezember letzten Jahres beschlossen und verkündet worden. Es ist seit dem 1. Januar in Kraft, also seit gut drei Monaten. Wir müssen dem Gesetz auch die Chance geben, sich in der Praxis zu bewähren. Da es Neuland für uns ist, weil wir erst jetzt die Kompetenz für dieses Gebiet bekommen haben, wissen wir, dass wir immer wieder prüfen müssen - wie immer im Strafvollzug -, ob das, was wir gesetzlich geregelt haben, in Ordnung ist, ob es praxistauglich ist und ob es auch zukünftig in dieser Form zu verwenden ist.

Im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzentwurfs haben wir gerade die Praktiker ganz besonders einbezogen und haben vor allen Dingen diejenigen gehört, die im Vollzug tätig sind. Danach haben wir das Gesetz ausgerichtet. Deshalb enthält § 189 die Evaluationsklausel. Das heißt, wir werden das Gesetz laufend auf seine Praxistauglichkeit hin überprüfen. Das wird auch geschehen. Da, wo wir Handlungsbedarf sehen, werden wir entsprechend reagieren. Aber eine Chance muss man dem Gesetz in der Praxis schon geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Kollege Adler zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann gleich an die Ausführungen des Kollegen Dr. Biester anknüpfen. Der Landtag hat ja in der gestrigen Sitzung beschlossen, zu dem Verfahren, das durch den Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichtes Oldenburg zustande gekommen ist und jetzt beim Bundesverfassungs

gericht hängt, keine Stellungnahme abzugeben. Nun sagen Sie: Es wäre gar nicht schlecht, wenn wir eine einstweilige Anordnung bekämen. - Ich räume ein, das würde die Sache in der Tat beschleunigen. Aber dann hätten wir in die Stellungnahme ja auch schreiben können: Bitte bescheidet uns mit einer einstweiligen Anordnung, damit wir endlich wissen, woran wir sind.

Zum Hintergrund der zeitlichen Abfolge müssen Sie Folgendes wissen: Am 8. Oktober 2007 ist jemand in Untersuchungshaft gekommen. Er hat Briefe geschrieben. Diese sind dann zwischen den Gerichten, zwischen dem Amtsgericht Meppen und dem Landgericht Aurich, hin und her gegangen. Die Gerichte haben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zugeschoben und gesagt, dass keines von beiden zuständig sei. Dann haben sie die Sache logischerweise dem Oberlandesgericht Oldenburg vorgelegt. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat gesagt: Auch ich kann die Frage nicht entscheiden, weil das Gesetz, nach dem ich entscheiden müsste, verfassungswidrig ist. - Somit hat bis jetzt - nach inzwischen vier Monaten! - noch immer keine Briefkontrolle stattgefunden. Das ist doch der Skandal! Es ist doch total bekloppt, wenn sich die Gerichte wegen der Zuständigkeit nicht einigen können und wenn wir keinen Weg wissen, um aus dem Dilemma herauszukommen.

Ich kann Ihnen sagen, wie der Weg wäre: Man bräuchte nur das niedersächsische Strafvollzugsgesetz zu ändern und den Satz hineinzuschreiben: Die Frage der Zuständigkeit der Briefkontrolle richtet sich nach der Strafprozessordnung. - Punkt, aus. Dann wäre die Frage geklärt. Dann hätten wir das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr. Die Briefkontrolle, die stattfinden müsste, könnte stattfinden, und die Korrespondenz der Gefangenen könnte klargehen. Das wäre doch wirklich eine einfache Lösung des Problems. Ich verstehe nicht, weshalb man sich dieser Lösung versperrt.

Des Weiteren möchte ich noch etwas zu dem Antrag der Grünen sagen, in dem gefordert wird, das Strafvollzugsgesetz an einer Stelle zu ändern. Die Grünen schlagen vor, dass eine Zusammenlegung von Strafgefangenen nur auf deren nachdrücklichen Wunsch erfolgen soll. In § 20 Abs. 2 des Gesetzes steht: „Ohne Zustimmung der betroffenen Gefangenen …“ Nun frage ich mich natürlich: Was ist der Unterschied zwischen „nachdrücklichem Wunsch“ und „ohne Zustimmung“? Ich kann da, ehrlich gesagt, keinen großen Unterschied erkennen. Deshalb bin ich der Meinung, dass die

Gesetzesänderung gar nicht so sehr der Punkt ist, auf den es ankommt, sondern es kommt auf die Vollzugspraxis an. Zudem kommt es darauf an, wie viele Haushaltsmittel bereitgestellt werden, um einen humanen Strafvollzug zu gewährleisten. Ich würde wirklich wünschen, dass wir dahin kämen, dass die Zweifachunterbringung die Ausnahme ist und die Dreifachunterbringung überhaupt nicht mehr stattfindet.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das der Minister hier zusagen sollte und wenn wir das tatsächlich nachprüfbar umsetzen könnten, dann wären wir einen Schritt weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Dr. Biester gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einen Satz sagen, damit der Kollege Adler nachvollziehen kann, was wir gestern beschlossen haben. Wenn eine Verfassungsbeschwerde eingelegt wird, dann nimmt die Landesregierung innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist Stellung. Dies ist geschehen. Zu der Frage, die wir gestern entschieden haben, nämlich ob zusätzlich zur Stellungnahme der Landesregierung auch der Landtag als solcher - über den GBD - eine Stellungnahme abgibt, haben wir gesagt: Davon kann Abstand genommen werden. - Aber die fristgemäße Antwort der Landesregierung auf die Verfassungsbeschwerde ist natürlich herausgegangen. Insofern hat sich das Land Niedersachsen durch die Landesregierung positioniert und hat es in dem Verfahren entsprechend Stellung genommen.

Danke schön. - Herr Kollege Adler möchte antworten. Sie haben eine Redezeit von anderthalb Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Biester, erklären Sie mir doch einmal, weshalb der Landtag einen entsprechenden Brief des Bundesverfassungsgerichts bekom

men hat, in dem steht, dass auch er Stellung nehmen könne. Wenn das so ist, dann können wir doch die Gelegenheit nutzen. Diese Gelegenheit muss man doch nicht nutzlos verstreichen lassen. - Das ist alles.

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Kollege Brunotte zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Getretener Quark wird breit, nicht stark. - So konnten wir bereits gestern von einer unglaublichen Erfolgsgeschichte des Justizvollzugs in Niedersachsen Kenntnis nehmen.

(Björn Thümler [CDU]: So ist es!)

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die keine Grenzen kennt - eine Erfolgsgeschichte solchen Ausmaßes, dass nicht nur der Erfolgsminister Busemann nach der Landtagswahl das Ressort wechselte, sondern auch die Erfolgsministerin Heister-Neumann einen neuen Bereich bekam!

(Beifall bei der SPD)

Mit diesen Erfolgsgeschichten und deren Hinterlassenschaften darf sich nun der neu gewählte Landtag befassen.

Zum Erbe der Erfolgsgeschichte der letzten Legislaturperiode gehört das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz, ein mit heißer Nadel gestrickter Schnellschuss, dessen negative Auswirkungen im Vollzug, von Gerichten, Anwälten und Inhaftierten kritisiert werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Minister Busemann, ich freue mich, dass Sie gerne mit vielen Bediensteten des Strafvollzugs sprechen. Auch ich habe als Anstaltsbeirat der JVA Hannover vielfältige Kontakte mit Bediensteten. Ihre Motivation ist hoch, und von ihnen wird unter schwierigsten Rahmenbedingungen eine hervorragende Arbeit geleistet.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Die Stimmung in Bezug auf den durch das Land gesetzten Rahmen ist aber deutlich schlechter, als Sie meinen. Scheinbar haben wir hier sehr unterschiedliche Gesprächspartner.

Das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz weist deutliche Mängel in der Praxis auf, die bereits im Gesetzgebungsverfahren von den Oppositionspar

teien und auch bei der Anhörung im Unterausschuss im Detail angesprochen wurden. Beratungsresistenz spielt in diesem Zusammenhang nur scheinbar eine Rolle. Bisher waren die mit den Verfahren betrauten Ermittlungsrichter für den Bereich der Post- und Besuchskontrolle der Untersuchungshäftlinge zuständig. Seit dem 1. Januar 2008 funktioniert dieses System nicht mehr. Die am jeweiligen Gefängnisstandort zuständigen Amtsgerichte müssen über die Telefon- und Besuchsgenehmigungen entscheiden und die Post- und Briefkontrolle durchführen. Dies führt zu einer deutlichen Überbelastung der betrauten Amtsgerichte und einer sehr deutlich kritisierten Abkoppelung von Strafverfahren und Postkontrolle. Die Ergebnisse sind deutlich: Die Amtsgerichte sind überfordert. Die Weihnachtspost der Inhaftierten kam teilweise erst zu Ostern an. Das kann nicht sein!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei den GRÜNEN)

Auch der Deutsche Richterbund findet in seiner Stellungnahme vom Januar 2008 deutliche Worte: Der Fünfte Teil des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes ist verfassungswidrig. - Warten wir das anstehende Gerichtsurteil ab. Schließlich hat das Oberlandesgericht Oldenburg Ihr Gesetz dem Bundesverfassungsgericht wegen Zweifeln an der Verfassungsgemäßheit zur Prüfung vorgelegt. Es ist wohl das Beste, die Regelungen für die Untersuchungshaft und den Erwachsenenvollzug ersatzlos zu streichen,

(Zustimmung bei der SPD)