Verabredungsgemäß rufe ich nun Tagesordnungspunkt 16 als letzten Tagesordnungspunkt vor der Mittagspause auf:
Erste Beratung: Maritime Wirtschaft in der Krise zukunftsfähig gestalten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1635
Eingebracht wird dieser Antrag vom Kollegen Lies von der SPD-Fraktion. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Lies.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Maritime Wirtschaft in der Krise zukunftsfähig gestalten“: Hart am Wind Widrigkeiten trotzen und dem Sturm die Stirn bieten - so würde man wahrscheinlich in der maritimen Sprache darüber sprechen. Aber es gibt auch andere Beschreibungen dafür: Wenn das Wetter schön ist, hat es ein Kapitän leicht, sein Schiff zu steuern. Die eigentliche Bewährungsprobe für einen guten Kapitän besteht jedoch darin, den richtigen Kurs eines Schiffes bei Stürmen und Unwettern zu bestimmen - so gesagt vom Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Dr. Philipp Rösler.
Ich bin allerdings noch nicht davon überzeugt, dass wir den richtigen Kurs gefunden haben. Insofern bin ich gespannt, ob es uns mit diesem Antrag
Sich trotz der Krise zukunftsfähig aufstellen: Der erste Schwerpunkt - ich denke, das haben wir alle in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen - muss das Sichern der Arbeitsplätze sein: 7 000 Arbeitsplätze in den Werften, bis zu 18 000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie, 6 500 Beschäftigte in der Reedereiwirtschaft. Arbeitsplätze zu erhalten bedeutet gleichzeitig aber auch, das Know-how der Beschäftigten zu erhalten. Wir dürfen nicht abwarten, sondern müssen das Mittel der Kurzarbeit nutzen, Entlassungen verhindern und - das ist vor allem nach dem Mangel der Vergangenheit wichtig - Qualifizierungsprogramme für die Beschäftigten in der Kurzarbeit auflegen. Wir müssen den Wandel der Aufgaben im Blick haben mit den Themen Offshore, Meerestechnik und Spezialschiffbau. Das geht in enger Zusammenarbeit mit unseren Hochschulen. Das geht auch in enger Zusammenarbeit mit dem Land. Deswegen müssen wir uns so aufstellen, dass wir nach der Krise im Wettbewerb konkurrenzfähig sind. Wir dürfen nicht nur zuschauen; das alleine reicht nicht aus. Ich erwarte vielmehr von einem Kapitän, dass er das Schiff der Arbeitsplatzsicherheit auch lenkt und das Sichern der Arbeitsplätze in Angriff nimmt.
Der zweite Schwerpunkt ist die Stärkung des Schiffsbaus. Anders als in der Reedereiwirtschaft liegen dort strukturelle Probleme vor uns. Es herrscht am Markt eine große Überkapazität von über 50 %. 80 % der Kapazitäten im Schiffsbau liegen inzwischen in China, Korea und Japan.
Hinzu kommt ein dramatischer Rückgang der Aufträge. Es stellt sich die Frage: Hat der Schiffbau in Deutschland noch Zukunft?
und zwar durch Innovation, durch Umweltfreundlichkeit, durch Energieeffizienz und auch durch den Spezialschiffbau. Ich meine, das findet sich sowohl in der Aussage des Ministers wieder als auch in dem Gutachten, das uns vorgestellt wurde.
Aber wo ist der Ansatz, wie kann das geschehen? - Das sind doch die entscheidenden Fragen. Welchen Kurs fahren dieses Ministerium und diese Landesregierung bei der Beantwortung dieser Frage? - Kompetenz- und Innovationszentren - im Bereich Luft- und Raumfahrt haben wir unsere Erfahrungen damit gemacht - sind eine Möglichkeit, in enger Verbindung mit den Hochschulen und enger Verzahnung mit den Werften dafür zu sorgen, dass die Werften leistungsfähig und innovationsfähig sind und bleiben. Das ist und bleibt eine Landesaufgabe. In diesem Bereich muss das Land aktiv werden, das wollen wir sehen. Wir wollen dafür sorgen, dass Innovationsfähigkeit auch wirklich gelebt wird.
Die Innovationsbeihilfen - das muss unser gemeinsames Ziel sein - müssen auftragsunabhängig sein. Wir können jetzt in der Krise des Schiffbaus nicht auch noch auf auftragsabhängige Innovationshilfen bauen, sondern wir müssen uns jetzt generieren und neu aufstellen. Die Förderquote muss deutlich höher sein als die bisherigen 20 %. Das ist durchaus ein langfristiger Weg.
Lassen Sie mich an dieser Stelle nur kurz ein Beispiel nennen, das uns morgen noch einmal beschäftigen wird: Am Standort Emden - Stichwort „Sicherung der ThyssenKrupp Marine Systems“ - muss der Schiffbau fortgesetzt werden. Es muss uns gelingen, dort ein erstes Zeichen zu setzen. Die für den Marineschiffbau geplanten Schiffe müssen dort weiter gebaut werden. Das muss unser gemeinsames Interesse sein.
Sie dienen auch dem Übergang und dem Erhalt der Kompetenz, die für uns dringend notwendig ist. Wir müssen auch deutlich machen, dass sich ein Unternehmen nicht willkürlich über eine politisch getroffene Entscheidung hinwegsetzen kann, nämlich einen Ausgleich der Aufträge zwischen Niedersachsen und Hamburg zu erreichen.
Aber wo ist in den Verhandlungen das Team, das Schiff, die Mannschaft? Welche Gespräche führen Minister Rösler oder Ministerpräsident Wulff mit Frau Merkel oder Herrn Jung? - Fehlanzeige! In diesem Bereich muss es politische Aktivitäten geben,
Ein positiver Blick, meine Damen und Herren, richtet sich aber auf den Investor. Der Investor SIAG Schaaf baut uns eine Brücke und macht deutlich, dass es in der Kombination Offshoretechnik mit Meerestechnik, mit Spezialschiffbau eine Zukunft auch für diese Werft in Emden gibt. Es gibt eine Zukunft für den Werftbau in Niedersachsen. Dafür müssen wir kämpfen.
Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel nennen, das mich sehr nachdenklich gemacht hat, und zwar das Beispiel der Firma Bard. Das Schiff, das für die Installation von Offshorewindanlagen gebaut wird, wird eben nicht - und das wäre möglich gewesen - gleich in der Nachbarschaft in der Emder Werft gebaut, sondern es wird in Klaipeda gebaut.
Uns fehlt an der Stelle das Land, das die Innovationsfähigkeit der deutschen und niedersächsischen Werften ausbaut und so dafür sorgt, dass diese Aufträge zukünftig nicht mehr nach Klaipeda gehen, sondern in Deutschland und Niedersachsen ausgeführt werden.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt sind die Reeder. Anders als bei den Werften gibt es in diesem Bereich konjunkturelle Probleme: Die Werften wünschen sich nämlich mehr Aufträge, aber die Reeder sagen: Wir wären froh, wenn wir weniger Schiffe hätten. - Rapider Charterverfall: inzwischen 1 400 Auflieger weltweit. Wir werden dafür sorgen müssen, dass mit anderen Darlehen gearbeitet werden kann. Diejenigen, die im Ausschuss dabei waren, werden sich vielleicht daran erinnern, wie das dargestellt wurde: Wenn ein Reeder eine KfWFörderung erhalten will, dann muss er heute über
acht Jahre Charternachweise führen. Da fragt man sich ernsthaft, wie in der Zeit einer Krise etwas Derartiges möglich ist. Wenn wir nicht aufpassen, dann passiert etwas ganz Dramatisches, dann verlieren wir nämlich auch einen großen Teil unserer Reedereiwirtschaft - mit den Beschäftigten, mit der Kompetenz hier in Europa und hier am Standort in Niedersachsen.
Das heißt, wenn wir für eine Balance zwischen Werften und Reedern sorgen wollen, dann brauchen wir eine Verringerung des Bestands. Diese erreichen wir über eine Erhöhung der Umweltstandards und der Sicherheitsstandards. So schaffen wir einen Markt für neue, effizientere, energieärmere Schiffe. Diese Perspektive zeigt sich. Wer weiß, wie durch das Verbot der Einhüllentanker im Jahr 2010 die Nachfrage nach neuen Tankern steigt, der weiß auch, dass wir diesen Markt beleben können. Das muss unser gemeinsames Interesse sein. Das Stichwort „Abwrackprämie“ wird immer wieder von den Werften genannt.
Aber auf diesem Schiff in rauer See, auf dem wir uns befinden, gibt es einen vierten Schwerpunkt, nämlich Häfen und Wertschöpfung. Ich möchte dazu zwei Punkte nennen - wir wollen den Kopf nicht in den Sand stecken -: Erstens. Wir wollen nicht an den schon jetzt geplanten Investitionen sparen und kürzen; daran müssen wir im Landtag gemeinsam festhalten.
Zweitens müssen wir zeitnah die Ausbaustufe des JadeWeserPorts angehen. Wir müssen die Planungen angehen. Ich rede nicht davon, dass wir morgen bauen, sondern ich rede davon, dass wir mit dem, was bei der Realisierung eines neuen Hafens heute am längsten dauert, zeitnah beginnen. Wir müssen zeitnah in die Planungen einsteigen und Planfeststellungsverfahren beginnen, damit wir, wenn wir erkennen, dass in 2015/2016 der vorherige Stand der maritimen Wirtschaft, des Containerverkehrs erreicht ist, sofort mit der Bauphase loslegen können und keine Zeit verlieren und im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben.
Meine Damen und Herren, wichtig dabei ist im gleichen Maße die Wertschöpfung. Der neue Hafen, der in Kalabrien in Italien gebaut wurde, hat eine Wertschöpfungsquote unter eins. Das ist nicht unsere gemeinsame Erwartungshaltung im Land an diesen neuen Hafen. Wir brauchen eine hohe
Wertschöpfungsquote. Wir brauchen eine Vernetzung der handelnden maritimen Partner. Wir brauchen vor allem eine Wissensvernetzung. Ich denke, es ist auch in dem Gutachten deutlich geworden, dass wir darauf sehr viel stärker bauen müssen. Wir wollen die Feederquote gering halten, um die Wertschöpfungsquote vor Ort zu erhöhen. Dafür ist eine aktive Wirtschaftspolitik notwendig. Dafür muss man wissen, welcher Kurs gefahren wird. Ich hoffe und denke, dass wir darüber im Ausschuss entsprechend beraten werden. Ich hoffe auch, Herr Minister, dass Sie diesen Kurs dann auch aufnehmen werden.
Der fünfte Schwerpunkt ist die Verkehrsinfrastruktur - die Hafenhinterlandanbindung. Dabei kommt immer wieder - auch in den Diskussionen während der Aktuellen Stunde - der Hinweis auf das Sonderprogramm.
Ich möchte hier einmal mit einer Legende Schluss machen: Natürlich ärgert es auch mich, dass ein Großteil der Mittel nicht zur Anbindung der niedersächsischen oder norddeutschen Häfen genutzt wurde. Anders als die Landesregierung frage ich mich allerdings, wo die Landesregierung bei den Verhandlungen war, als sie sich dafür hätte einsetzen sollen und müssen, dass genau dieses Konjunkturpaket verstärkt dem Norden zugute kommt.
- Wenn Sie dabei waren, dann kann ich nur mit Enttäuschung feststellen, dass nichts dabei herausgekommen ist.
Ich denke, wir sind uns im Hinblick auf die Probleme einig, die dort im Wesentlichen bei der Bahn zu suchen sind. Trotzdem muss Schluss sein mit Sonntagsreden. Es kann nicht sein, dass immer nur eines passiert: Klappt es, ist die Regierung verantwortlich, klappt es nicht, sind die anderen schuld.