Protokoll der Sitzung vom 07.05.2008

Niemand konnte auch damals wirklich die Qualität der Gesamtschule infrage stellen. Jetzt stehen Sie allerdings vor der Situation, dass Ihr gegliedertes Schulsystem zu zerbrechen droht: Die Hauptschule stirbt. Die Entwicklung der Schülerinnen- und Schülerzahlen fordert oft geradezu die Zusammenlegung von verschiedenen ansässigen Schulformen, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Gymnasien. Denn das Ziel aller sollte doch sein, allen Kindern eine gezielte Bildung von der ersten Klasse bis zum Abitur zu ermöglichen - ohne Ausgrenzung und Benachteiligung.

Jetzt beginne ich, den vorliegenden Gesetzentwurf zur Verhinderung der Gründung von Gesamtschulen besser zu verstehen. Sie wissen ganz genau: Je mehr Gesamtschulen entstehen, je flächendeckender die Versorgung in Niedersachsen wird, desto gefährdeter ist das gegliederte Schulsystem. Eine bedingungslose Aufhebung des Gründungsverbotes gefährdet Ihre eigene Ideologie. Deshalb halten Sie mit Zähnen und Klauen am selektiven Schulsystem fest. Sie verteidigen das elitäre Ausgrenzungsbedürfnis bestimmter sozialer Schichten zulasten Tausender von Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen, die eine bessere und gerechtere Schule wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie das gegliederte Schulsystem für chancengleich und gerecht halten.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Nein, wir sind davon überzeugt!)

Das ist Ihnen aber letztlich egal, um Ihre eigenen Interessen zu schützen. Dafür nehmen Sie in Kauf, Wahlversprechen zu brechen und Tausende von Eltern und Schülern in Niedersachsen zu enttäuschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diesem Gesetzentwurf kann man nicht zustimmen. Er wird die Gesamtschulinitiativen in Niedersachsen trotzdem nicht mutlos machen, ihren Kampf für die Gesamtschule fortzusetzen. Sie müssen sich darauf gefasst machen, dass der Widerstand gegen Ihre Bildungspolitik noch größer wird; denn es ist auch Ihre Schulpolitik der letzten fünf Jahre mit Gesamtschulverbot und Einführung von G8, die den Ruf nach Gesamtschulen immer größer werden lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE darauf hinweisen, dass bei aller Begeisterung und Zustimmung für die Ausführungen Ihrer Kollegin Applaus hier im Parlament unüblich ist.

(Beifall bei der CDU - Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN - Kres- zentia Flauger [LINKE]: Bitte?)

Ich erteile der Abgeordneten Heiligenstadt von der Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Seit Ende Februar dieses Jahres hat Niedersachsen eine neue Ministerin für Kultusangelegenheiten. Diese neue Ministerin hat versprochen, dass sie in erster Linie eines gewährleisten wolle, nämlich Ruhe an den Schulen, um die von ihrem Vorgänger vorgenommenen Veränderungen in Ruhe verarbeiten zu können.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Genau das machen wir auch!)

Sie wollte die Langsamkeit neu entdecken, und sie wollte einen einzigen Gesetzentwurf vorlegen, nämlich den zur Lockerung des Gesamtschulerrichtungsverbotes. Diesen Gesetzentwurf hat sie nun nicht selbst vorgelegt, sondern er ist von den Regierungsfraktionen vorgelegt worden. Ich will aber nicht alle suboptimalen Auftritte aufzählen, die die Ministerin zu Beginn ihrer Amtszeit hatte.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das haben Sie letztes Mal schon gesagt!)

Dass sie es aber schafft, innerhalb von 70 Tagen alle - Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Eltern - gegen sich aufzubringen,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das stimmt ja nicht!)

das ist historisch einmalig.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dass Sie, Frau Heister-Neumann, es schaffen, innerhalb von 70 Tagen zwei Sonderpressekonferenzen einzuberufen, eine 180-Grad-Kehrtwendung vorzunehmen und so nebenbei, en passant, noch drei Wahlversprechen der CDU zu brechen, das ist schon wirklich dreist.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo denn?)

Und nun zum Elternwillen. Wenn man das Wort „Elternwille“ im Regierungsprogramm der CDU zur Landtagswahl 2008 sucht, dann muss man bei sich im Computer leider Fehlanzeige vermelden. „Elternwille“ findet in Ihrem Regierungsprogramm überhaupt nicht statt. Das Wort ist schlicht nicht existent. Aber immerhin: Sie haben einen Flyer. - Herr Althusmann, man kann manchmal gucken, und man kann auch etwas dazulernen.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Ich ha- be doch gar nichts gesagt!)

In dem Flyer ist zu lesen - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -: Wir stehen für den freien Elternwillen bei der Auswahl der Schulform für Ihre Kinder. Herr Ministerpräsident Christian Wulff.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das ist ein guter Ministerpräsident!)

Und was machen Sie mit diesem freien Elternwillen? Sie schränken ihn ein mit einem Errichtungsverbot, das Sie nur minimal lockern und das es den Eltern in diesem Jahr nicht ermöglicht, ihre Kinder in die Schulform einer Gesamtschule einschulen zu lassen, dass sie - - - Entschuldigung, jetzt habe ich das Konzept verloren.

(David McAllister [CDU]: Das ist sym- ptomatisch für die Niedersachsen- SPD! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das Konzept war bei Ihnen schon immer schwer zu finden!)

- Das kann doch auch einmal passieren!

Sie brechen Ihr Versprechen, das die 4 000 Schülerinnen und Schülern, die darauf warten, in diesem Schuljahr dort eingeschult werden. Sie brechen das Wahlversprechen, das es in allen Bereichen, in denen Eltern es wollen, eine Lockerung geben könnte.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verärgern Sie kommunale Schulträger, weil diese nun nicht mehr in der Lage sind, selbst darüber zu entscheiden, wie viele Züge ihre Schulen vor Ort haben können, und Sie verärgern Eltern, weil nun nicht mehr der Elternwille, sondern der politische Wille eines Landrates oder eines Kreistages zählt, ob sie dem Elternwillen nachkommen wollen.

Zum Thema „Elternwille“ vielleicht noch folgendes Zitat des Landeselternrates vom 6. Mai 2008:

„Keine der Forderungen, Wünsche und Hoffnungen des Landeselternrates sind in dem jetzigen Fraktionsentwurf enthalten.“

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das sagt alles!)

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin HeisterNeumann wollte Ruhe in die Schule bringen und die Langsamkeit neu entdecken. Sie hat dagegen Elternwillen nicht berücksichtigt und alle gegen sich aufgebracht. Sie hat damit innerhalb kürzester Zeit die niedersächsische Bildungspolitik zu einer politischen Dauerbaustelle gemacht, und das in einem Politikfeld,

(Astrid Vockert [CDU]: In dem Sie immer versagt haben!)

in dem es um die Zukunft unserer Kinder und die Zukunft unseres Landes Niedersachsen geht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dieser Dauerbaustelle in Niedersachsen steht eine Ministerin vor, die ihr Handwerk nicht gelernt hat.

(Beifall bei der SPD)

Sie befindet sich ja noch in der Probezeit, innerhalb der ersten 100 Tage. Aber der Ministerpräsident hat ja sicherlich Frau Ministerin HeisterNeumann beauftragt, diese Dauerbaustelle, die zum Teil natürlich auch von ihrem Vorgänger ver

ursacht worden ist, voranzubringen. - Ich, Frau Ministerin, würde zu Ihnen sagen, wenn Sie auf meiner Baustelle arbeiten würden: Sie haben Ihre Probezeit nicht erfüllt.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin, ich muss darauf hinweisen, dass Sie schon mehr als fünf Minuten gesprochen haben.

Ich frage daher den Ministerpräsidenten: Herr Wulff, wie lange wollen Sie denn Frau HeisterNeumann noch auf dieser Dauerbaustelle arbeiten lassen und dadurch möglicherweise die Zukunft unserer Kinder gefährden?

Aber der Ministerpräsident dieses Landes duckt sich lieber weg, orientiert sich eher nach Berlin und tut so - das hat er in den letzten fünf Jahren immer gemacht, wenn seine Minister Probleme verursacht haben -, als hätte er damit nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich kann nur sagen, Frau Heister-Neumann hat ihre Probezeit nicht bestanden, und das sollte ein guter Regierungschef auch erkennen.