(Ulf Thiele [CDU]: Warum wollen Sie die Schule eigentlich zum Schlacht- feld für den Wahlkampf machen?)
Das widerspricht dem Bildungsauftrag der Schule, die den Schülerinnen und Schülern auch die Grundlagen für ihr Leben als verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vermitteln soll.
- Herr Thiele, melden Sie sich doch zu Wort! Sie haben doch massenhaft Redezeit. Dann brauchen Sie nicht ständig zu stören. Oder beschäftigen Sie sich draußen, wenn Sie die Debatte nicht interessiert.
- Herr Thiele, Sie reagieren ja unglaublich provoziert. Ist bei Ihnen auch etwas abgesagt worden, und Sie haben sich darüber geärgert? Das kann ich mir vorstellen.
Die Frau Ministerin wird sich hier sicherlich gleich wieder hinstellen und sagen, Diskussionen in der Schule seien ja immer möglich, nur nicht gerade vor Wahlen. Das zeigt wieder nur, wie wenig man eigentlich von Schule versteht. Ich habe es eben bereits gesagt: Gerade dann, wenn Politik kurz vor Wahlen sowieso in aller Munde ist, ist es am besten möglich, Schülerinnen und Schüler dafür zu interessieren und deutlich zu machen, was sie daran betrifft. Im pädagogisch angeleiteten Raum Schule muss uns doch gerade das wichtig sein. Oder sollen wir die Schülerinnen und Schüler auf der Straße von extremistischen Propagandavertretern ansprechen lassen, ohne dass darüber in der Schule diskutiert werden kann?
Wie bitter Diskussionen in der Schule nötig sind, zeigt die von Wahl zu Wahl geringer werdende Wahlbeteiligung gerade auch bei jungen Leuten.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie reden immer gern von Eigenverantwortung und Bürokratieabbau. Hier können Sie einmal Wort halten. Hier haben Sie eine Regelung, die absolut entbehrlich ist. Sie schadet mehr, als dass sie nutzt. Schaffen Sie diesen Erlass endlich ab! Übertragen Sie den Schulen selbst die Verantwortung dafür, dass politische Bildung auch kurz vor den Wahlen ausgewogen vermittelt wird! Die nächsten Wahlen finden 2011 statt. Ich denke, Sie werden es schaffen, diesen Erlass bis dahin zurückzunehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der Trend „Erstwähler gleich Nichtwähler“ in Niedersachsen weiter fortsetzt.
Frau Reichwaldt wird für die Fraktion DIE LINKE jetzt den Antrag „Politische Diskussion an Schulen fördern“ einbringen. Bitte schön, Frau Reichwaldt!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An Niedersachsens Schulen können Politikerinnen und Politiker seit vielen Jahren im Rahmen der Unterrichtszeit mit Schülerinnen und Schülern diskutieren.
Eine Begrenzung dieser Regelung während der Unterrichtszeit in den letzten vier Wochen vor kommunalen, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen existiert auch schon länger. Im Rahmen der Kompetenzen der Eigenverantwortlichen Schule konnte davon allerdings abgewichen werden - bis zum August dieses Jahres. Dann wurde per Erlass des Kultusministeriums vor den Bundestagswahlen diese Möglichkeit wieder genommen. Der Protest im Lande war riesengroß. Die Einlassungen, die uns dazu erreichten, waren vielfältig.
Umso merkwürdiger und grenzwertiger erscheint mir die Umgehensweise von Mitgliedern der Landesregierung und auch von Politikern von der Bundesebene mit diesem Erlass. Die Möglichkeiten der Schulen wurden begrenzt. Während der vierwöchigen Sperrfrist tummelten sich allerdings Mitglieder der Landesregierung und z. B. auch Frau Ministerin von der Leyen außerhalb der Unterrichtszeit innerhalb der Schulen. Im Rahmen einer Dringlichen Anfrage wurden bei der letzten Plenartagung schon intensiv Fragen zu diesen Vorgängen gestellt. Ich erinnere nur an den Besuch von Frau von der Leyen an einer Schule hier in Hannover. Der Unterrichtsschluss wurde kurzfristig auf 11.30 Uhr vorverlegt. Die Festveranstaltung fand dann um 13 Uhr statt, und viele Schülervertreter und -vertreterinnen konnten daran teilnehmen.
Es ist unbestritten, dass das Wissen um politische Prozesse und das Einmischen in diese Vorgänge von zentraler Bedeutung für eine lebendige und demokratische Gesellschaft sind.
Vor allem durch Politikerrunden in den Schulen wird es ermöglicht, dieses Wissen zu erweitern. Vor allem innerhalb der vier Wochen vor Wahlen ist das Interesse besonders groß, aber auch die Konfrontation mit politischen Inhalten besonders vielfältig. Das kann Schülerinnen und Schüler auch überfordern. Sie brauchen Begleitung. Warum soll es gerade dann keine Diskussionsrunden in den Schulen geben - natürlich unter der Voraussetzung der Ausgewogenheit? In den Politikerrunden, an denen ich beteiligt war, war die politische Ausgewogenheit gewahrt. Schülerinnen und Schüler haben davon profitiert.
Wichtig ist aber eine kompetente Vor- und Nachbereitung solcher Veranstaltungen in der Schule, nicht außerhalb. Unter dieser Prämisse machen solche Diskussionsrunden in Schulen gerade in dem angesprochenen Zeitraum Sinn.
Ich kann auch dem Argument in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen folgen, wonach der Erlass § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes widerspricht. Der Bildungsauftrag im Niedersächsischen Schulgesetz fordert, Schülerinnen und Schüler dazu zu erziehen, ihre staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen. Wo gibt es dafür bessere Möglichkeiten als in der Schule, vor allem in den vier Wochen vor Wahlen? Warum also dieser Erlass?
Könnte es sein, dass Sie als Koalitionspolitiker in den letzten Monaten in Diskussionsrunden in den Schulen oder bei Diskussionen über Schulpolitik eher einen schweren Stand hatten? Liegt darin der eigentliche Grund für diesen Erlass?
Man konnte in den letzten Monaten durchaus den Eindruck haben, dass Regierungshandeln auch von solchen Argumenten geprägt ist. Meine Damen und Herren aufseiten der Regierungskoalition, fördern Sie die politische Willensbildung unserer Schülerinnen und Schüler! Dieser unsinnige Erlass muss geändert werden. Ich denke, die beiden vorliegenden Anträge bieten dafür eine gute Grundlage.
Zu den zur Beratung anstehenden beiden Tagesordnungspunkten hat sich Herr Borngräber von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Borngräber!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die „Partei“ der Nichtwähler ist zweitstärkste Partei geworden. 26,7 % der Wahlberechtigten in Niedersachsen - ich habe beim NLS noch einmal nachgeschaut - haben nicht gewählt. Dabei blieben besonders viele Jugendliche den Wahlurnen fern. Trotzdem dürfen Politikerinnen und Politiker in Niedersachsen vier Wochen vor der Wahl nicht im Unterricht auftreten. Ina Korter hat es gesagt.
(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist der ausschlaggebende Grund, warum sie nicht zur Wahl gegangen sind!)
Das wirkt - so stand es auch in der HAZ zu lesen - in Zeiten, in denen aus Erstwählern oft Nichtwähler werden, grotesk. Herr Klare, es ist klar: Zwar dürfen 18-jährige Schüler - bei Kommunalwahlen sogar schon die 16-Jährigen - schon wählen, aber die Schule darf ihnen die zur Wahl stehenden Personen in der heißen Wahlkampfphase nicht präsentieren.
Frau Ministerin Heister-Neumann, ich sage es Ihnen ganz deutlich: Ihr ministerieller Maulkorb ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung.
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Das ist seit 60 Jah- ren so!)
- Darauf komme ich noch zu sprechen. Herr McAllister, in diesem Hause gab es im September zu diesem Thema heftige Wortgefechte. Anlass der Debatte war, wie schon mehrfach gehört, die Absage mehrerer paritätisch besetzter Diskussionsrunden mit Bundestagskandidaten, etwa in Hildesheim und in Schneverdingen. In Göttingen hatte Kultusministerin Heister-Neumann eine politische Diskussionsrunde des Goethe-Gymnasiums namens „Go vote“ untersagt, die der Stadtjugendring seit Jahren an den Göttinger Schulen durchführt. Die Ministerin kündigte ferner an, sie wolle auch Besuche von Schulklassen bei Parteiständen auf dem Markt in Dannenberg überprüfen lassen. Sollten diese während der Unterrichtszeit stattgefun
den haben, läge ein eindeutiger Verstoß gegen den Erlass vom 10. Januar 2005 vor. Die Anwendung dieses Erlasses wurde mit der Einführung der Eigenverantwortlichen Schule zunächst den Schulen überlassen. „Deregulierung“ hieß das auf Neudeutsch. Das sollte den neu gebildeten Schulvorständen vorbehalten bleiben. Seit Sommer 2009 ist das nun aber nicht mehr so, ist der Politikerbesuchserlass den Schulen wieder entzogen.
Meine Damen und Herren, bevorstehende Wahlen und damit verbundene Wahlstände der Parteien sind wunderbare pädagogische außerschulische Lernorte im Rahmen des Politikunterrichts. Dort können Schülerinnen und Schüler geballt alle großen Parteien aufsuchen und auf der Grundlage der mit der zuständigen Lehrkraft vereinbarten Aufgaben Befragungen durchführen oder dort auch Material einschließlich der Regierungs- und Parteiprogramme erhalten. Das ist gut, meine Damen und Herren. Das ist förderungswürdig. Das ist Teilhabe, und das macht Demokratie aus.
Es kommt aber noch pikanter, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die CDU/FDP-Landesregierung mitsamt ihrer Ministerin auf Abruf misst Schulen bei politischen Veranstaltungen mit zweierlei Maß. Meine Vorrednerinnen haben es schon gesagt: Die niedersächsische Spitzenkandidatin der CDU, Ursula von der Leyen, trat bei einem Schuljubiläum in Hannover auf.
Diese parteipolitisch höchst einseitige Veranstaltung wurde aber nicht verboten. Die Schülerinnen und Schüler bekamen sogar frei, um der Ministerin bei ihrem Zwischenstopp auf ihrer Wahlkampftour zuhören zu können. Freiwillig, versteht sich. Und auch diese Kultusministerin besuchte vor der Wahl verschiedene Schulen - ganz neutral, ohne CDUParteibuch, versteht sich.
Ich fasse noch einmal etwas anders zusammen und frage: Da kommt eine Ministerin, Herr Klare, und die Schüler bekommen Wahlkampfgeschenke in Form von schulfrei? Alles ganz neutral? - Das ist doch nur noch peinlich, meine Damen und Herren. Peinlich!
Für die letzten vier Unterrichtswochen vor einer Wahl zum Deutschen Bundestag, zum Niedersächsischen Landtag oder zur kommunalen Vertre
tung des Schulträgers dürfen Einladungen nicht ausgesprochen werden. Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern aller Parteien mit nachfolgender Auswertung unter pädagogischer Begleitung bleiben also verboten. Was für ein Unsinn, meine Damen und Herren. Was für ein Unsinn!
Selbst Ihr Parteifreund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel, äußerte seine Zweifel zum Verbot der Schneverdinger Podiumsdiskussion. Ich zitiere einmal aus der Böhme Zeitung vom 15. September 2009. Dort war Folgendes zu lesen: So etwas kann man machen, wenn es nicht einseitig ist. Er, Grindel, hätte gegen die geplante Veranstaltung nichts einzuwenden. Die Gefahr der Einseitigkeit bestand für ihn nicht. Im Gegenteil. Heranwachsende dürften Politik nicht nur aus Schulbüchern kennenlernen, sondern sollten die Gelegenheit haben, deren Repräsentanten kennenzulernen, persönlich zu erleben. Hier sei vielleicht eine gute Gelegenheit vertan worden, Politik handfest zu machen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite dieses Hauses: Ich bin nun wirklich nicht als Freund Reinhard Grindels verdächtig, aber ich muss hier sagen: Recht hat der Mann. Recht hat er!