(Minister Uwe Schünemann betritt den Saal - Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Er ist schon da! - Björn Thümler [CDU]: Er ist doch schon da!)
- Da ist er. Entschuldigung, Herr Schünemann, ich hatte Sie vermisst. Ich freue mich, dass Sie da sind.
Eigentlich müsste dieses Gesetz nicht diesen umständlichen, fünfzeiligen Titel haben, den wir in der Tagesordnung vor uns sehen. Eigentlich müsste es ganz einfach heißen: Den Bürgerinnen und Bürgern wird ein Recht endgültig genommen. - Das sollte man auch so deutlich formulieren.
Herr Innenminister, Sie lassen doch neuerdings die Gesellschaft für deutsche Sprache über die Gesetzestexte schauen. Vielleicht sollten Sie auch diese fünf Zeilen Titel einmal dorthin geben, damit jeder Mensch versteht, was ihm da genommen wird und was ihm da blüht.
Aber zur Sache! Heute wird etwas endgültig zum Gesetz, was sich in fünf Jahren Erprobungsphase nicht bewährt hat.
Alle Argumente, die von der Landesregierung angeführt wurden, haben sich in der Anhörung überwiegend als falsch oder unvollständig erwiesen. Wir als SPD-Fraktion werden dem Gesetz deshalb natürlich nicht zustimmen. Ich will die wichtigsten Irrtümer hier noch einmal zusammenfassen:
Erster Irrtum: Ziel dieses Gesetzes sei - so steht es in der Begründung - die Umsetzung der Evaluation durch die Leuphana-Universität. - Das, meine Damen und Herren, ist falsch. Der Gutachter empfiehlt Ihnen vielmehr eindeutig, in wesentlichen
Rechtsgebieten - bei Kommunalabgaben, beim Wohngeld, bei der Ausbildungsförderung, beim Studiengangsrecht - das Widerspruchsrecht wieder zuzulassen. Genau das tun Sie nicht.
Deshalb ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass der Gutachter zur Anhörung ohne Angabe von Gründen nicht erschienen ist. Ich denke, man hat bei der Leuphana-Universität gehört, dass der Innenminister in Sachen Verwaltungsreform längst beratungsresistent geworden ist. Da hat man sich gedacht: Diesen Vormittag sparen wir uns.
Zweiter Irrtum: Herr Schünemann, Sie haben gesagt, ein Verschiebebahnhof, eine Klagewelle bei den Verwaltungsgerichten habe nicht stattgefunden. Das Gegenteil ist richtig. Die Zahl der hier betroffenen Verfahren - und nur darum geht es - hat zwischen 2004 und 2008 erheblich zugenommen, nämlich um 47 %.
Das hätte natürlich eine absolute Überlastung der Verwaltungsgerichte bedeutet, wenn nicht gleichzeitig in einem anderen Rechtsgebiet, nämlich dem Asylrecht, die Zahl der Verfahren erheblich zurückgegangen wäre. Davon haben Sie hier aber überhaupt nichts erzählt. Da fragen wir uns natürlich: Herr Minister Schünemann, können Sie keine Statistiken lesen, oder haben Sie vielleicht bei der ersten Beratung versucht, uns als Parlament hinter die Fichte zu führen?
Dritter Irrtum: Die moderne Verhandlungsverwaltung, wie es bei Ihnen so schön heißt, mit Beschwerdemanagement ersetze das Widerspruchsverfahren. - Auch hier muss man sagen: klare Fehlanzeige. Ein Konzept für ein flächendeckendes Beschwerdemanagement in den Kommunen ist auch nach fünf Jahren nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Da habe es bislang, so der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, mal ein Telefonat mit dem Ministerium gegeben, aber Genaueres
Vierter Irrtum: Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens habe die Kommunen deutlich entlastet, wird angeführt. - Auch das ließ sich in keiner Weise belegen. Auch nach fünf Jahren waren die kommunalen Vertreter nicht imstande, eine einzige verwertbare Angabe zu machen. Keine einzige Stelle konnte eingespart werden. Verwaltungsverschlankung? - Pustekuchen! Im Gegenteil: Die Kommunen mussten natürlich häufiger zu Gericht. Es gab mehr Klagen, und die Kommunen haben - auch das ist eine interessante Erkenntnis - diese Prozesse viel häufiger verloren. Wie das mit Entlastung und weniger Arbeit für die Kommunen verbunden wird, müssten Sie uns noch erklären.
Meine Damen und Herren, ich könnte diese Liste fortführen. Zusammenfassend kann man sagen: Das war schon eine Anhörung der besonderen Art. Ich bin noch nicht ganz so lange dabei; ich weiß nicht, ob es das schon einmal gegeben hat, dass die Fachwelt ein Regierungsvorhaben in der Beratung so sehr zerpflückt hat.
Das ist übrigens nicht von mir, sondern vom Präsidenten des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes in seiner schriftlichen Stellungnahme.
Er hat das mit seinen Kollegen zusammen bekräftigt. - Das ist ja nichts Schlechtes, Herr McAllister. Das zeigt ja, dass das ein vernünftiger Mann ist.
Meine Damen und Herren, wir als SPD-Fraktion haben hier schon vor längerer Zeit einen Entwurf eingebracht, der heute mitbehandelt wird. Wir haben gefordert, die Ergebnisse der Evaluation, der Bewertung, ernst zu nehmen und die Abschaffung zumindest da rückgängig zu machen, wo die größten Probleme entstanden sind. Wir waren zu einer konstruktiven Diskussion bereit, die Regierungsmehrheit aber leider nicht. Man wollte das hier durchpeitschen, vielleicht auch weil man wusste,
Jetzt bekommen wir ein Gesetz, das erstens die Stellung des Bürgers gegenüber Kommunen und Behörden schwächt, das zweitens - das finden wir besonders schlimm - gerade viele sozial schwache Menschen davon abhält, ihr Recht zu erstreiten und auf ihrem Recht zu bestehen
- das ist der Punkt -, und das drittens die Verwaltungsgerichte weiter auf Trab hält. Das hat mit Verwaltungsmodernisierung nichts zu tun, das ist nicht gerecht, und das ist auch nicht bürgerfreundlich. Das ist leider nur ein weiterer Beleg dafür, mit welcher Mischung aus Ignoranz und Arroganz Sie dieses Land regieren.
(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN sowie Zustimmung bei den GRÜNEN - Johanne Modder [SPD]: Dem ist eigentlich nichts hinzuzufü- gen!)
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sagen Sie einfach, er hat recht! - Gegenruf von Björn Thümler [CDU]: Das wird er nicht tun!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, glaube ich, nicht die Chance, jetzt den geschätzten Herrn Kollegen Krogmann
davon zu überzeugen, dass er mit seiner Position falsch liegt. Dafür ist gerade die Position der SPD zum Thema Widerspruchsverfahren in den letzten Jahren zu festgefahren gewesen, als dass man wirklich registriert hätte, was beispielsweise der Evaluationsbericht tatsächlich aussagt.
- Herr Tanke, Ihnen würde ich empfehlen, den einmal zu lesen - lesen soll ja bilden -, anstatt immer nur Zwischenrufe zu machen. Das wäre für die Sache vielleicht hilfreich.
Ich will versuchen, diese scheinbaren Irrtümer, die hier angesprochen worden sind, im Einzelnen aufzugreifen.
Erstens stelle ich fest - physikalisch-biologisches Wunder -: Wir saßen im gleichen Raum, und doch haben wir an verschiedenen Anhörungen teilgenommen. Sie haben an einer Anhörung teilgenommen, bei der acht oder neun Anzuhörende gefragt worden sind. Ein Teil - das war bemerkenswert - hat darauf verzichtet, sich zu äußern. Das kann man jedenfalls nicht als Beleg dafür werten, dass ihnen das in besonderer Weise wichtig gewesen wäre. Ein Teil hat schriftlich Stellung genommen. Wir als Parlamentarier sind aufgefordert, nicht nur zuzuhören, sondern auch zu lesen. Ein Teil der Anzuhörenden war da. Wenn Sie die Ausführungen gegenüberstellen, stellen Sie nach der Anhörung eines ganz deutlich fest: Diejenigen, die 2004 in der Beratung dieses Parlamentes im damaligen Anhörungsverfahren aus den unterschiedlichsten Gründen das Widerspruchsverfahren in diesen 174 Rechtsgebieten nicht abschaffen wollten, sind bei ihrer Meinung geblieben. Das betrifft das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, namentlich Herrn van Nieuwland, den Verband der niedersächsischen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter, den Deutschen Gewerkschaftsbund.
Diejenigen, die sich eher positiv geäußert hatten, fühlen sich von den Ergebnissen der Evaluation bestätigt. Ich verweise auf die ausführliche Stellungnahme des Oberverwaltungsgerichts aus Nordrhein-Westfalen,
auf die Hinweise des Deutschen Beamtenbundes und auf die Hinweise der kommunalen Spitzenverbände, die sehr deutliche Ausführungen gemacht haben. Festzustellen ist also: Die Anhörung hat nicht weit überwiegend Kritik erbracht, sondern sie hat mit wohlformulierten Argumenten die hinlänglich bekannte Rechtsposition deutlich gemacht.