Frau Reichwaldt, ich kann Sie überhaupt nicht mehr verstehen. Einen kleinen Augenblick. Ihnen wird nichts von Ihrer Redezeit abgezogen, Sie haben noch genügend Zeit. - Alles beruhigt sich wieder, auch Herr Kollege Klare. - Herzlichen Dank. - Frau Reichwaldt!
In einem offenen Brief an Kultusministerin HeisterNeumann fordert die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros in Niedersachsen:
„Für uns ist es heute in den Zeiten des Gender-Mainstreaming, dem sich die Landesregierung verschrieben hat, nicht zu akzeptieren, dass Geschichte durch eine Männerquote verzerrt wird. Schüler und auch Schülerinnen verdienen einen Unterricht, der der Wahrheit verpflichtet ist, in dem sie sich gleichermaßen wiederfinden können.“
Nun liegt auch ein Änderungsantrag der SPDFraktion vor, der zugegebenermaßen die Schwerpunkte etwas anders setzt. Ich finde in diesem Änderungsantrag nichts, dem ich nicht zustimmen könnte, aber ehrlich gesagt verstehe ich dessen Notwendigkeit nicht.
Der SPD-Antrag lenkt den Blick von der Betrachtung einzelner Frauen in der Geschichte hin zu einem anderen Blick auf die Rollen der Geschlechter in der Geschichte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann nachvollziehen, dass das zunächst irritierend wirkt.
Liebe Kollegin Reichwaldt, ich möchte Sie fragen, ob Sie es für angemessen halten, dass auf Ihre Ausführungen zu Minna Faßhauer aus der CDUFraktion der Zwischenruf kommt: „Und was ist mit Margot Honecker?“
Ich finde das völlig unangemessen und verweise auch hier auf die Verhaltensregeln für Abgeordnete. Aber eigentlich muss ich aus meiner Position als Mitglied einer demokratischen Partei heraus auch sagen: Ich verstehe es einfach nicht!
(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Was haben Sie denn gegen Margot Honecker? Die war doch Ministerin! - David McAllister [CDU]: Die ist doch Mitglied bei Ih- nen!)
Ich fahre fort. Im Ergebnis bleiben beide Anträge gleich richtig. Frauen müssen als Akteure in der Geschichte über alle Epochen hinweg angemessen in ihren verschiedenen Rollen berücksichtigt werden.
Da wir schon bei Dingen sind, die ich nicht verstehe: Was ich wirklich nicht verstehe, ist das Argument, das ich von der rechten Seite dieses Parlaments gehört habe, es sei nicht geklärt, warum Frauen so wenig berücksichtigt sind. Ich will noch eine andere Frau erwähnen; denn sie hat den Weg in die Geschichtsbücher gefunden: Clara Wieck
Schumann, Ehefrau, Mutter von acht Kindern, Frau des Komponisten Robert Schumann. Im Detail wird sehr leicht vergessen und ausgeblendet, dass Clara Schumann nicht nur eine hervorragende Solistin der Klavierkonzerte ihres Mannes war, sondern auch eine in ihrer Zeit durchaus anerkannte Komponistin. Sie hatte es tatsächlich schwer. Für mich ist klar, warum sie nicht in den Geschichtsbüchern ist: Geschichte wurde von Männern geschrieben.
„Clara hat eine Reihe von kleineren Stücken geschrieben, in der Erfindung so zart und musikreich, wie es ihr früher noch nicht gelungen. Aber Kinder haben und einen immer fantasierenden Mann und komponieren, geht nicht zusammen.“
Sie ist als Komponistin in den Geschichtsbüchern vergessen worden. Ich denke, das ist vielsagend. Hier ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Die Kerncurricula müssen überarbeitet werden.
Ich fordere alle in diesem Haus auf, entgegen der Beschlussempfehlung des Ausschusses für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu stimmen.
Danke schön. - Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst stimmt es mich sehr bedenklich, dass die Presseerklärung der Grünen zu dieser Debatte bereits fertig vorlag. Eine Chance ist vertan worden, bevor überhaupt irgendein Argument von irgendeiner der Rednerinnen zu diesen Anträgen gesagt wurde.
Ich halte das für nicht sehr klug. Ich habe den Eindruck, Sie werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass Sie dieses Thema für Ihre parteipoli
Jetzt zu dem Antrag der Grünen, über den die Grünen heute im Gegensatz zu den Beratungen im Ausschuss, wo sie eigentlich gescheitert sind, übrigens auffällig wenig gesprochen haben. In dem Antrag der Grünen wird im Wesentlichen moniert, dass in den Kerncurricula Geschichte für die Klassen 5 bis 10 der Gymnasien von den genannten 59 historischen Figuren lediglich 8 Frauen sind. Ich kann verstehen, wenn Sie enttäuscht sind, dass Frauen in der Geschichte der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Vielleicht sitzen wir auch deshalb im Landtag, Kolleginnen der anderen Fraktionen, und fangen einmal an, uns gegenseitig den nötigen Respekt zu zollen, weil wir das ändern wollen. Wir werden sehen.
Zu den von Ihnen monierten Namen. Sie sind beispielhaft für Epochen. Manchen Epochen ist überhaupt kein Name zugeordnet. Wo Hildegard von Bingen für das Spätmittelalter steht, fehlen die ganzen politisch bedeutsamen Männer. Stellen Sie sich da also nicht so an. In der Renaissance, in der es sehr viele bedeutende Politiker gab, ist lediglich Gutenberg genannt. Der war Handwerker, wenn auch ein ganz bedeutender, der Erfinder der Buchdruckerkunst.
Aber ich gebe zu: In der Vergangenheit waren es in der Tat weniger Frauen als Männer, die Geschichte gemacht haben.
Im Übrigen sind etliche der Vorschläge, die Sie gemacht haben und die heute teilweise gar nicht mehr gefallen sind, bezeichnenderweise längst feste Bestandteile von Schulunterricht. Es gibt nämlich noch etwas mehr als den Geschichtsunterricht z. B. Hannah Arendt, die immer noch gelesen wird. Sie nennen in Ihrem Antrag Maria Montessori. Das passt fantastisch in das Fach Werte und Normen, allerdings in der Oberstufe. Dann nennen Sie Golda Meir und Indira Gandhi. Die kommen mit Sicherheit immer im Politikunterricht vor, allerdings
Wissen Sie, welchen Eindruck ich habe? - Die, die den Antrag geschrieben haben, haben von niedersächsischer Schulwirklichkeit so viel Ahnung nicht.
Man fragt sich, was die Grünen denn dann mit ihrem Antrag eigentlich wollen. Sie wollen ein - Sie haben es heute übrigens auch nicht erwähnt, weil es superpeinlich ist, ich erwähne es aber - „ausgeglichenes Geschichtsbild“. Jedem Historiker dreht sich bei diesem Begriff der Magen um. Was ist ein ausgeglichenes Geschichtsbild? Wann ist ein Geschichtsbild nicht ausgeglichen? - Ich sage Ihnen eines ganz klar: Wenn Sie mehr Frauen zur Bedeutung in der Geschichte erheben, als es objektiv gab - so sehr wir das bedauern mögen -, dann erhalten Sie kein ausgeglichenes Geschichtsbild, sondern ein verfälschtes.
- Der Respekt der Frauen gegenüber einander fängt damit an, dass sie sich ausreden lassen und sich zuhören.
Lassen Sie sich eines ganz deutlich sagen: Nicht das Frauenbild in unseren Geschichtsbüchern zeugt von mangelnder Gleichberechtigung - darüber sollten wir alle einmal nachdenken -, sondern es ist der Lauf der Geschichte selbst, so sehr wir das bedauern mögen.
Nun sagen Sie, Sie wollten mehr identitätsstiftende Möglichkeiten für Mädchen. Ich sage Ihnen: Jede Lehrerin, jeder Lehrer ist frei, vorbildliche, für den Unterricht ganz ergiebige Frauengestalten in den Unterrichten einzubringen. Ist Ihnen Marie Curie kein Begriff? - Sie ist im Deutschunterricht phantastisch zu behandeln, und das auch bei jüngeren Schülern, bei denen das zum Teil schwieriger ist. Aber wie gesagt: Von der niedersächsischen Schulrealität haben die heute hier Diskutierenden nicht so viel Ahnung.
Im Ausschuss selbst - übrigens heute noch mehr - sind Sie erheblich zurückgerudert, nämlich weil der Antrag deutliche Schwächen hat. So wollen Sie - dies ist auch heute gesagt worden - „weitere Frauen als Akteurinnen in der Geschichte“ aufnehmen. Im öffentlichen Teil der Ausschusssitzung - deswegen kann ich es zitieren - ist gesagt worden, das könnten auch Sklavinnen und Bäuerinnen sein. Ich sage Ihnen eines ganz klar: Unter Akteurinnen in der Geschichte verstehe ich etwas anderes als Sklavinnen und Bäuerinnen.