Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich habe zu wenig Zeit, um auf das Thema Neuorientierung der Eingliederungshilfe einzugehen. Leider haben die kleinen Fraktionen ja immer nur die Hälfte der Redezeit. Ein Argument ist jedoch nicht halb so schnell gesagt, nur weil die Fraktion kleiner ist.

(Zuruf von Kreszentia Flauger [LINKE])

Das steht aber auf einem anderen Blatt; darüber werden wir im Januar diskutieren.

Vielleicht könnte mir einmal jemand erklären, warum schon so lange Funkstille beim Heimgesetz

herrscht. Ich fürchte fast, das wird eine ebenso unendliche Geschichte wie das Behindertengleichstellungsgesetz. Dasselbe gilt für die überfällige Änderung der Krankenhausfinanzierung. Der Kollege Schwarz ist darauf eingegangen. Da können die Koalitionsfraktionen ein bisschen mit einem Entschließungsantrag - ich sage es einmal so - herumspielen, eine Anhörung machen, aber bis Butter bei die Fische kommt, wird es noch lange dauern. Auch die Verbände, die sich in der Anhörung öffnen, müssen sich ein bisschen veräppelt vorkommen, wenn man so mit ihnen umgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein weiteres Problem dieser Landesregierung im Sozialbereich ist die Förderung von Doppelstrukturen. Ich will das nur an einem Beispiel deutlich machen. Sie bleiben - ich meine: aus ideologischer Verbohrtheit - bei dem ungeordneten Nebeneinander von Seniorenservicebüros und Pflegestützpunkten. Man kann doch keinem Menschen im Land Niedersachsen erklären, warum er als älterer Mensch oder als Angehöriger eines älteren Menschen erst in das eine Büro und dann in das andere Büro tappen muss, wenn es beide Male um Probleme geht, die auf Menschen zukommen, wenn sie alt und pflegebedürftig werden.

(Roland Riese [FDP]: Tappen? Haben Sie „tappen“ gesagt?)

- Tappen, ja. Man tappt. Ich tappe irgendwo herum. Kennen Sie dieses Wort nicht? Ich kann auch „laufen“ sagen, ich kann auch „gehen“ sagen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das Wort „tappen“ ist sehr negativ besetzt!)

Die Wortfamilie ist in diesem Zusammenhang sehr groß, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Ansgar- Bernhard Focke [CDU]: Sie tappen im Dunkeln!)

Meine Damen und Herren, wir haben heute Morgen über die Krankenhausversorgung gesprochen. Ich möchte noch einen Aspekt herausgreifen. Unter der Hand und schleichend geht die Entwicklung weg von der Wohnortnähe. Kleine Krankenhäuser mussten schließen, Abteilungen wurden zentralisiert. Die privaten Träger gründeten zur selben Zeit sogenannte Portalkliniken oder medizinische Versorgungszentren. Der wesentliche Grund dafür war, Wertschöpfungsketten zu ihren meist von den Landkreisen übernommenen Kliniken zu schaffen. Wir sind der Meinung, dass sich das Land hier mit

Zuschüssen lenkend einmischen sollte. Wir haben 10 Millionen Euro in unserem Haushaltsänderungsantrag eingesetzt, um Krankenhausstandorte auf dem Land so umzunutzen und umzuwidmen, dass sie in Richtung medizinische Versorgungszentren weiterentwickelt werden können. Hier könnte man auch die Unterscheidung zwischen ambulant und stationär, also die Sektorengrenze, mit Unterstützung des Landes aufbrechen und zukunftsweisend neu strukturieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir lesen heute, dass in Niedersachsen weiterhin jeder Siebte und sogar jedes fünfte Kind in Armut lebt.

Frau Pieper, ich hätte Ihre Frage sehr gerne beantwortet und muss darauf einmal eingehen. Im Zeitraum von 2005 bis jetzt stagniert die Armut. Das war die Zeit des Wirtschaftsaufschwungs. Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie es aussieht, wenn wir uns in ein oder zwei Jahren die Zahlen noch einmal angucken? - Dann wird es noch viel schlimmer sein.

(Beifall bei den GRÜNEN - Roland Riese [FDP]: Wir sind nicht wesentlich ärmer geworden, Frau Helmhold!)

Was tun Sie gegen diese Armut im Lande? - Halbherzige Bundesratsentschließungen und warme Worte. Harte Fakten sehen wir bei Ihnen z. B. bei der Erhöhung des Kindergeldes. Jedes fünfte Kind in Niedersachsen ist arm, kriegt von Ihnen aber keinen einzigen Cent, die anderen dagegen erhalten 40 Euro. Das ist für mich weiterhin skandalös. Das kann man gar nicht oft genug sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Landessozialministerinnen und -minister haben sich bei den Verträgen zur Lieferung von Impfmitteln gegen die Schweinegrippe offenbar über den Tisch ziehen lassen. Wegen der Abnahmepflicht sitzt das Land jetzt auf den vielen Impfdosen fest. Fachleute wie z. B. der Pharmaexperte Professor Glaeske sprechen von Fehlentscheidungen, weil sich die Politik hat sehr stark unter Handlungsdruck setzen lassen. Das freut die Pharmaindustrie, die eine Ausstiegsklausel erfolgreich abwehren konnte.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wo waren die denn, als die Entscheidung getroffen wurde? Hinterher ist man immer schlauer!)

Ich kann den Ärger des Finanzministers an diesem Punkt gut verstehen, finde allerdings, er sollte sich, statt hinterher seine Kollegin zu beschimpfen, beim nächsten Mal vielleicht gleich mit an den Verhandlungstisch setzen und mit verhandeln, um Schaden vom Landeshaushalt abzuwenden. Es wäre schön, wenn wir dieses Geld selbst behalten könnten.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zur Frauenpolitik: Abgesehen vom Gewaltschutz findet sie ja fast nicht mehr statt. Das Wortgeklingel, auch des Ministerpräsidenten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Frauenanteil überall, insbesondere in Führungspositionen, stagniert. Wir müssen ja sogar hier im Plenum über die Diskriminierung von Frauen in Landesbehörden diskutieren. Sie wollen die Frauenabteilungsleitung aufgeben, und die Förderung von Frauenhäusern bleibt im Haushalt nur gesichert, weil es massive Proteste gab. Meine Damen und Herren, ambitionierte Frauenpolitik sieht anders aus, ambitionierte Sozialpolitik auch.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön, Frau Helmhold. - Jetzt hat Frau Staudte, ebenfalls von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Landesamt für Statistik aktuelle Zahlen über die Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen. Im Jahr 2008 kam es im Vergleich zum Vorjahr zu einer Steigerung von 31 %, und im Jahr vorher gab es auch schon einmal 7 % mehr Inobhutnahmen. In den konkreten Situationen waren das sicherlich richtige und wichtige Entscheidungen im Sinne des Kindeswohls. Aber Inobhutnahmen sind immer auch ein Zeichen dafür, dass präventive Maßnahmen vorher nicht ausreichend genutzt worden sind.

Doch nicht jede präventive Maßnahme ist gleich effektiv. Ich nenne als Beispiel das umstrittene Einladewesen, das ja im kommenden Jahr erstmals im Landeshaushalt zu Buche schlagen wird, im Übrigen auch in den Haushalten der Kommu

nen, die sich ja mit allen Mitteln eigentlich dagegen gewehrt haben. Beim Land verursacht dieses Projekt 700 000 Euro Personalkosten und 550 000 Euro Portokosten. Auch die Landesregierung selbst hat ja inzwischen schon erkannt, dass sie damit wohl keine Lorbeeren ernten kann.

Dieser Beschluss wurde still und klammheimlich zu später Abendstunde hier im Plenum durchgedrückt. Die Experten der ersten Kinderschutzkonferenz lehnten den Vorschlag rundweg ab, der Landkreistag warf die Frage auf, ob es sich nicht um reine Alibibürokratie handele, der Landesbeirat für Kinder- und Jugendhilfe sah keine zwingende Notwendigkeit für diese Maßnahme, und auch die Wohlfahrtsverbände äußerten Unverständnis und fragten, warum gerade für diese Maßnahme Gelder vorhanden sein sollen. Auch wir von Bündnis 90/Die Grünen teilen dieses Unverständnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir lehnen dieses Projekt ab und wollen die 1,25 Millionen Euro für andere erprobte Maßnahmen einsetzen, z. B. für Kinderschutzprojekte wie in Delmenhorst oder in Dormagen. Dort wird ein Babybegrüßungspaket an Familien ausgehändigt. Die Jugendämter bekommen so auch Zugang zu schwierigen Familien. Dafür wollen wir 400 000 Euro zur Verfügung stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen weiterhin die Familienhebammen, die ja immer erwähnt und gelobt werden, mit 1,5 Millionen Euro bedenken. Es gibt wirklich kein Projekt, das von der Landesregierung so häufig als Vorzeigeprojekt genannt wird, insbesondere auch vom Ministerpräsidenten, das aber gleichzeitig vom Land so marginal nur mit sporadischer Projektförderung unterstützt wird. Diese 1,5 Millionen Euro für die Familienhebammen sind wirklich mehr als überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch fordern wir mit unserem Haushaltsänderungsantrag die Einführung des Projektes der Berliner Charité zur präventiven Arbeit mit Pädophilen. Mit 80 000 Euro jährlich werden in Berlin mehrere hundert Beratungsgespräche mit Männern durchgeführt, die ihre pädophilen Neigungen von sich aus bekämpfen wollen, bevor sie Täter werden. Wir haben im Ausschuss dazu eine Unterrichtung beantragt. Die Vorteile wurden deutlich. Doch auch in diesem Fall verharrt die Landesregierung in Regungslosigkeit. Wenn mit einem solchen Projekt der sexuelle Missbrauch auch nur eines Kind ver

hindert werden könnte, wäre das mit Geld nicht aufzuwiegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zum Dauerthema „Jugend und Alkohol“: Hier wird der Innenminister ja nicht müde, repressive Bekämpfungsstrategien in den Vordergrund zu stellen. Dass der Mittelansatz für die Suchtbekämpfung seit Jahren trotz Tarifsteigerungen auf 7 Millionen Euro eingefroren ist, scheint niemanden zu stören. Die Sozialministerin lobt stattdessen lediglich das erfolgreiche HaLT-Projekt. Doch auch hier schießt die Landesregierung keinen einzigen Cent mehr zu, sondern überlässt die Finanzierung ganz allein den Krankenkassen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Unglaublich!)

Wir Grünen hingegen bieten mehr als warme Worte. Wir wollen die flächendeckende Einführung des HaLT-Projekts in Niedersachsen. Dafür stellen wir in unserem Haushaltsantrag 300 000 Euro zur Verfügung.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wo nehmen Sie das Geld denn her?)

- Zum Beispiel aus dem verbindlichen Einladewesen, wie ich gerade ausgeführt habe.

Der Vollständigkeit halber noch einige weitere Stichpunkte aus unserem Haushaltsantrag. Derzeit befindet sich ein Antrag meiner Fraktion zur besseren Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Beratung. Wir wollen 200 000 Euro bereitstellen, um die Gemeinschaftsaktion „Niedersachsen - ein Land für Kinder“ zu reaktivieren. Wir wollen auch, dass die Jugendarbeit wieder einen größeren Stellenwert hat. Wir wollen einen Innovationspool mit 150 000 Euro einführen. Außerdem wollen wir die 2003 gestrichenen Ferienkostenzuschüsse für bedürftige Familien und ihre Kinder wieder einführen. Bei dieser Maßnahme kommt das Geld wirklich dort an, wo es notwendig ist - anders als bei der sinnlosen Kindergelderhöhung; Frau Helmhold hat es schon ausgeführt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alles in allem wollen wir 2,75 Millionen Euro für mehr Prävention in der Kinder- und Jugendpolitik bereitstellen. Das sind 2,75 Millionen Euro für ein sozialeres und gerechteres Niedersachsen. Dafür stehen wir als grüne Landtagsfraktion.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Staudte. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Humke-Focks das Wort.