Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

wo 200 000 Kinder in Niedersachsen komplett leer ausgehen werden, wo mit einer Mehrwertsteuersenkung Lobbyinteressen auf Kosten der Allgemeinheit bedient werden.

Das Gesetz, dem Sie, Herr Ministerpräsident, morgen im Bundesrat zustimmen wollen, treibt die Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft weiter voran.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr McAllister, Sie haben uns am Montag in Ihrer hitzigen Rede vorgetragen, für wen Sie, für wen die CDU in Niedersachsen Politik machen will.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Ei- ne gute Rede!)

Sie haben von der schweigenden Mehrheit gesprochen, die in Zukunft mehr netto vom Brutto haben soll. Sie haben aufgelistet, wer alles Ihrer Meinung nach dazugehört.

Haben Sie eigentlich darüber nachgedacht, welche Konsequenzen sich aus solch einer Aufzählung ergeben? Sie sprechen von jungen Menschen, die heiraten, als ob andere Lebensideale oder andere Partnerschaften nicht die gleiche Anerkennung verdienen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sprechen von denen, die morgens aufstehen, als ob die anderen alle ganz faul den ganzen Tag im Bett herumliegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie nennen die, die ihre Kinder in die Kindertagesstätte fahren, als ob die, die keinen Platz bekommen oder die ihn nicht bezahlen können, nicht wollen, dass ihre Kinder gut betreut werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Ganz genau!)

Sie meinen die, die arbeiten gehen, als ob denen, die keine Arbeit haben, kein Platz in unserer Gesellschaft zusteht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie nennen die, die abends mit ihren Kindern die Hausaufgaben machen, als ob die, die dies nicht schaffen - beispielsweise wegen Schichtarbeit -, nur Rabeneltern sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ingrid Klopp [CDU]: Das haben wir nie gesagt! Das ist alles aus dem Zusammenhang genommen!)

Meine Damen und Herren, die schweigende Mehrheit in unserer Gesellschaft soll mehr netto vom Brutto haben. Was ist mit den Langzeitarbeitslosen, den Geringverdienern, den Leiharbeitern, den Aufstockern, den Praktikanten, den Schulabbrechern,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Den Menschen mit Behinderung!)

den Ungelernten, den Berufsunfähigen, den Einwanderern und Flüchtlingen, den Pflegebedürftigen und den Kranken?

Meine Damen und Herren, Sie sagen „Leistung soll sich wieder lohnen“. Wir sagen: Gerechtigkeit muss zentrale Richtschnur der Politik in diesem Lande sein!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ein ehrlicher und ungetrübter, parteipolitisch neutraler Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt: Immer noch sieht man die im Lichte besser, und die im Dunkeln sieht man nicht.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Bertolt Brecht, zweiter Aufzug!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben mit 4,6 Milliarden Euro neuen Schulden die Hand zum Offenbarungseid gehoben und reklamieren jetzt die Alternativlosigkeit dieser Politik.

Sie haben viel zu lange gebraucht, um sich über das Ausmaß der Krise bewusst zu werden. Aber das lag wahrscheinlich auch daran, dass es um eine Krise Ihrer Wertesysteme ging, die hier

zugleich mit betroffen waren. Sie glauben auch heute noch immer an die selig machende Wirkung des ewigen Wachstums. Mit Ihren zu optimistischen Wachstumserwartungen treiben Sie uns noch tiefer in die Neuverschuldung!

(Ingrid Klopp [CDU]: Besser Optimist als Pessimist!)

Ihre Schwerfälligkeit und auch Ihre Mutlosigkeit im Umgang mit der Krise liegen auch daran, dass Sie sich den wirklichen Herausforderungen in diesem Lande - in der Klimapolitik, in der Bildungspolitik, in der Migrationspolitik - nicht ernsthaft stellen.

Sie plündern die Staatskasse, verteilen damit Geschenke an Ihre Klientel und konservieren alte Strukturen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben dabei auch Ihre eigenen selbst gesteckten Ziele hinter sich gelassen, sowohl bei dem Vorhaben, keine neuen Schulden zu machen, als auch dabei, den Schuldenberg abzubauen. Jetzt stehen Sie vor Ihrer eigenen, selbst gebauten Eigernordwand. Mit der schlecht aufgestellten Seilschaft Ihrer Minister werden Sie diese Herausforderung nicht meistern,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

auch deshalb nicht, weil Ihnen die Kraft für eine längst überfällige Kabinettsreform fehlt.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, vor uns liegt eine Abstimmung über den Haushalt 2010. Hinter uns liegen teilweise recht turbulente Tage. Ich glaube, dass es richtig ist, heute auch eine Einschätzung zu den Ereignissen der letzten drei Tage zur Sprache zu bringen.

Meine Damen und Herren, es ist gut, dass sich das Präsidium mit den Fraktionen gleich zu Beginn des neuen Jahres Zeit nimmt, um über Verbesserungen im Umgang miteinander zu sprechen.

(Lachen bei der CDU - Klaus Krumfuß [CDU]: Das höre ich gerade!)

Was auch immer zur Diskussion stehen mag, eines steht fest: Wenn es Probleme gibt, dann werden diese Probleme vom Parlament zu lösen sein und nicht von den Ministern und vom Ministerpräsidenten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Um es klar zu sagen: Herr Wulff, Ihre Intervention am Montag war überflüssig, wenn nicht gar unzulässig. Das haben wir uns nicht ausgedacht, Herr McAllister, sondern das steht so in der Verfassung.

(Wilhelm Hogrefe [CDU]: Er ist auch Abgeordneter!)

Sie, Herr Wulff, und Ihre Regierung haben laut Verfassung - das ist der Wortlaut - Zutritt zu den Sitzungen des Landtages, aber Sie unterstehen - auch das ist Wortlaut der Verfassung - der Ordnungsgewalt des Landtagspräsidenten. Sie können erwarten, dass Sie hier freundlich und fair behandelt werden.

(Lachen bei der CDU)

Gleiches erwarten auch wir. Herr Wulff, Sie sitzen dort oben nicht auf einem Thron und haben hier nichts anzuordnen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie wissen ganz genau, dass zur Arbeit hier im Parlament leidenschaftliche Debatten gehören,

(Zuruf von der CDU: Aber kein Twitter!)

in denen es auch immer einmal wieder zu einer falschen Wortwahl kommen kann. Dafür haben wir unsere Regeln, dazu gehören die Ordnungsrufe. Auch Herr Dinkla hat damit durchaus seine Erfahrungen gemacht, schließlich ist er nicht als Landtagspräsident auf die Welt gekommen.

Auch Sie, Herr Ministerpräsident, sind in dieser Hinsicht, wenn ich es einmal so formulieren darf, nicht gerade ein Kind von Traurigkeit. Auch Sie haben als Abgeordneter schon Ordnungsrufe für Beleidigungen wie „Lügner“ oder „Dreckschleuder“ kassiert. Nicht zuletzt war es ein Abgeordneter Ihrer Fraktion, der vor einigen Jahren den damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel mit genau der gleichen Vokabel belegt hat, die am Montag für so viel Aufregung gesorgt hat.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, dieser Landtag ist keine Hafenkneipe, aber er ist auch keine Klosterschule. Daran, dass er ein lebendiger Ort, voller spannender Debatten und harter, aber - das ist mir sehr wichtig - fairer Auseinandersetzungen bleibt, müssen wir alle immer wieder hart arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)