Man fragt sich doch überhaupt, wieso ausgerechnet der niedersächsische Innenminister sich berufen fühlte, in dieser Debatte Laut zu geben. Wenn sich der Wehrbeauftragte oder Verteidigungs- und Außenpolitiker zu Wort melden, so leuchtet das ein. Aber von allen deutschen Ministern ausgerechnet der niedersächsische Innenminister?
Herr Schünemann, ist es nicht in Wirklichkeit so, dass diese Bischöfin Sie mit ihrem engagierten Einsatz für Flüchtlinge, für mehr Menschlichkeit, für
echte Härtefallentscheidungen schon lange ärgert? War es da nicht einfach zu verlockend, jetzt auch einmal die vermeintlich moralische Keule schwingen zu können, Herr Schünemann?
Könnte es nicht daneben auch noch sein, dass dieselbe Predigt, gehalten von einem Mann, nicht zu diesem erregten und im Duktus oft schwer daneben liegenden Protest gereizt hätte? Wissen Sie, Herr Schünemann, Max Weber ist für Politikerinnen und Politiker immer ein guter Ratgeber, wobei ich Sie allerdings eher bei Carl Schmitts Begriff des Politischen angesiedelt sehe.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Wolfgang Jüttner [SPD]: Die Regel und die Ausnahme - er ist die Ausnahme!)
Hätten Sie die von Ihnen zitierte Weber’sche Verantwortungsethik doch selbst an den Tag gelegt, nämlich Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit, Verantwortlichkeit und Augenmaß - ich bin sicher, dann hätten Sie sich anders verhalten. Tun Sie es doch jetzt wenigstens nachholend und entschuldigen Sie sich bei Frau Käßmann!
Meine Damen und Herren, Bundespräsident Köhler hat Frau Käßmann am vergangenen Freitag ermuntert - ich zitiere -:
„Ich mache mir nicht alle Ihre Worte zu eigen. Aber unser Land braucht solche Beiträge. Das ist eine überfällige Debatte.“
Mit ihrer Neujahrspredigt, so Köhler, habe sie „uns allen einen Dienst erwiesen“. Das stimmt. Das sehen wir ganz genauso wie der Bundespräsident.
„Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden.“
So hat es Frau Bischöfin Käßmann in ihrer Neujahrspredigt gesagt. Dass es in Afghanistan nicht gut steht, kann man doch nicht ernsthaft infrage stellen. Ja, die EKD-Ratsvorsitzende hat recht, wenn sie aus Sorge um unsere Soldaten, wie sie gesagt hat, eine Exit-Strategie anmahnt.
Herr Schünemann, ich kann es eigentlich kaum treffender ausführen, als es die Hannoversche Allgemeine Zeitung in einem Kommentar dazu geschrieben hat - ich darf auch das zitieren -:
„Wie viel Zeit will sich Herr Schünemann noch lassen, ehe er den nächsten logischen Schritt tut und in geschmackloser Gemeinheit vom Dolchstoß an der Heimatfront spricht?“
„Käßmann ist weit davon entfernt, den deutschen Soldaten, die in Afghanistan Dienst tun, in den Rücken zu fallen. Im Gegenteil, sie ist voller menschlicher Zuwendung. Ihre Anteilnahme gilt den Soldaten, aber auch der Zivilbevölkerung.“
Am Ende dieses Kommentars mahnt die Hannoversche Allgemeine den Ministerpräsidenten an, Herrn Schüneman doch zur Ordnung zu rufen:
Wenige Tage später erscheint dann ein Artikel von ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der mir wie eine Schadensbegrenzung vorkommt. Sie sprechen dort nicht mehr von „in den Rücken fal
Aber in der Sache haben Sie nichts zurückgenommen. Sie bemühen stattdessen Max Weber mit der Unterscheidung zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik oder, anders ausgedrückt, die Zwei-Reiche-Lehre aus der Bibel, die auf Römer 13 zurückgeht. Aber damit werden Sie dem theologischen Verständnis von Frau Käßmann überhaupt nicht gerecht; denn diese Unterscheidung trifft nicht ihre Position. Diese Trennung macht sie in ihrer Theologie gerade nicht; denn Frau Käßmann argumentiert durchaus verantwortungsethisch.
Ich darf sie noch einmal zitieren: Sie hat die Frage aufgeworfen, ob nicht mehr Entwicklungshelfer wirksamer zur Bekämpfung des Terrorismus sind als noch mehr Soldaten: Haben wir denn die Opfer der Zivilbevölkerung vergessen, die der Angriff auf den Tanklastzug hervorgebracht hat? Oder die mehrfachen Bombardierungen von Hochzeitsfeierlichkeiten durch US-Truppen? Diese Art der Kriegsführung erzeugt Verbitterung, Ohnmacht und Hass. Und das ist der Nährboden für Terrorismus.
Terrorismus kann man nämlich nicht mit Krieg bekämpfen. Dieser Satz ist sowohl gesinnungs- wie auch verantwortungsethisch richtig. Deshalb macht die Unterscheidung, die Sie, Herr Schünemann, da angebracht haben, überhaupt keinen Sinn.
Der Verdienst von Frau Käßmann in dieser Frage ist ein doppelter Tabubruch. Erstens wurden in der deutschen Geschichte militärische Einsätze und Kriege von der offiziellen Kirche eigentlich nie kritisiert. Damit hat sie gebrochen. Der zweite Tabubruch ist: Sie hat das zum richtigen Zeitpunkt getan. Sie hat das nämlich genau zu dem Zeitpunkt getan, zu dem Guttenberg und Westerwelle die deutsche Bevölkerung auf eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes vorbereiten wollen, um den Anforderungen der US-Politik gefügig zu folgen.
Nun wirft allerdings nicht nur der Innenminister, sondern auch der Wehrbeauftragte, Herr Robbe, Frau Käßmann politische Fundamentalkritik vor. Auch hierzu kann ich nur die Hannoversche Allgemeine Zeitung zitieren, die geschrieben hat, dass
Wenn demnächst eine weitere Ausweitung des Bundeswehreinsatzes auf der Tagesordnung steht, dann hat die SPD-Bundestagsfraktion die Chance, ihre bisherige Politik zu ändern und sich auf das zu besinnen, was Willy Brandt gesagt hat:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass dies ein Thema ist - das hat die bisherige Diskussion gezeigt -, das den Wert der Auseinandersetzung nicht richtig deutlich macht. Hier den Streit darüber zu führen, ob die Aussagen von Herrn Schünemann vor dem Hintergrund der Situation in Afghanistan in jeder Formulierung angemessen sind, ist eigentlich das, was unangemessen ist.
- Es muss doch noch möglich sein, dass man bei einem solchen Thema ein paar Sätze im Zusammenhang vortragen darf. - Wir sollten uns lieber einmal die Situation vor Ort vor Augen führen.
Eben habe ich mich Folgendes gefragt: Ich war dabei, als jemand, der in Afghanistan mit dem Hubschrauber abgestürzt ist, beerdigt wurde. Ich habe die Frau und Kinder gesehen. Ich habe über Weihnachten erlebt, wie Familien zusammen saßen, deren Söhne in Afghanistan Dienst taten, die jetzt wieder da sind. Ich frage mich manchmal, was die von dieser Auseinandersetzung halten, ob Herr Schünemann immer die richtige Formulierung gefunden hat oder nicht. Ich sage nur eines: Sie halten sicherlich sehr viel davon, wenn eine Bischöfin in einer Predigt auch einmal so formuliert, dass