Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Danke schön, Herr Hocker. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Reichwaldt zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am letzten Freitag hat der niedersächsische Umweltminister Sander die hannoversche Feinstaubregelung durch fachliche Weisung zum Teil außer Kraft gesetzt, obwohl das Umweltministerium als Träger öffentlicher Belange 2007 an der Einführung beteiligt war.

Lassen Sie mich einige Schlagzeilen und Zitate der letzten Tage anführen: „Stadt, Land, Frust“. - „Dicke Luft in der Umweltzone“. - Hannovers Um

weltdezernent Mönninghoff sagte: Das ist ein umweltpolitischer Amoklauf. - Hannovers Oberbürgermeister Weil: Minister macht Chaos komplett.

Der Minister dagegen behauptet, die strengen Feinstaubregelungen in Hannover nützten eh nichts, und so häufig kämen die Überschreitungen des zulässigen Grenzwerts ja gar nicht vor. Der Kollege der FDP hat dies vorhin auch behauptet.

Meine Damen und Herren, nach neuester Statistik, Stand 18. Januar 2010, gab es in Hannover im Jahr 2010 bereits sieben Überschreitungen. Bitte rechnen Sie das einmal auf das Jahr hoch. Ab 35 Überschreitungen sind Maßnahmen notwendig, so z. B. Fahrverbote.

Die hannoversche Ratsfraktion der Linken hat aus umwelt- und gesundheitspolitischen Gründen 2007 im Rat für die Umweltzone gestimmt, sich aber mehr Ausnahmen für sozial Schwache, kleine Handwerksbetriebe und Selbstständige gewünscht. Sie hat im Rat auch den Antrag gestellt, diejenigen zu unterstützen, die eine Umrüstung ihrer Fahrzeuge nicht eigenständig finanzieren können.

Allerdings gilt auch, dass keine noch so gute Feinstaubregelung einen gut ausgebauten Personennahverkehr ersetzen kann, an dem alle entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten teilhaben können. Auch insofern verweise ich auf unsere Initiativen in Stadt und Region Hannover.

Ein Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 19. Januar 2010 war für mich besonders interessant. Danach stützt sich Minister Sander bei seiner Weisung vor allen Dingen auf ein altes Gutachten aus dem Jahr 1996. Das bezieht sich allerdings nicht auf Pkws, sondern nur auf Busse. Man hörte auch, Fachleute aus dem Umfeld des Ministers hätten ihm abgeraten, diese Weisung zu erteilen. Weisungen entgegen des Rates der eigenen Experten - das erinnert mich fatal an Vorgänge des letzten Jahres, die wir hier sehr intensiv diskutiert haben, ein anderes Kabinettsmitglied betreffend.

Zurück zum aktuellen Konflikt. Es ist ein Unding, dass Minister Sander die Verantwortung für die Umsetzung der EU-Feinstaubrichtlinie erst den Kommunen überlässt und sie dann wieder an sich zieht, weil ihm das Ergebnis nicht gefällt. Die Orientierung an nicht mehr aktuellen und nicht übertragbaren Gutachten ist zumindest unprofessionell, wenn nicht sogar bewusst tendenziös. Andere Studien - z. B. aus Berlin - weisen nach, dass

durch solche Umweltzonen die Zahl der KruppNeuerkrankungen bei Kindern erheblich gesenkt wird.

Viele Bürgerinnen und Bürger Hannovers sind über das Hin und Her der Politik zu Recht verunsichert. Diejenigen, die sich vor Kurzem für 900 Euro einen Rußfilter haben einbauen lassen, sind zu Recht erbost, weil er nun doch nicht notwendig ist. Die beiden zuletzt genannten Punkte sorgen für weitere Politikverdrossenheit. Kfz-Handwerksbetriebe bleiben jetzt auf den extra nachbestellten Filtern sitzen. Der Stadt Hannover entstehen zusätzliche Kosten, weil sie u. a. Gebühren für Ausnahmegenehmigungen zurückzahlen muss.

Außerdem hat sich Sander laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung über das gültige Urteil des Verwaltungsgerichts hinweggesetzt, nach dem die hiesige Umweltzonenregelung rechtmäßig sei.

Zu fragen ist auch, warum Minister Sander dies erst jetzt tut. Hätte er es schon Mitte des vergangenen Jahres getan, wären die nachteiligen Folgen nicht aufgetreten.

Im Übrigen ist der niedersächsische Umweltminister bundesweit der einzige, der sich bei dieser Frage einmischt. Das leitet zu der letzten und wichtigsten Kritik an dieser einsamen Entscheidung von Minister Sander über. Er hatte es den Städten überantwortet, sich selbst um saubere Luft zu kümmern. Mithin ist diese Weisung ein direkter Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung. Das muss zurückgewiesen werden.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Minister Sander bleibt seiner unrühmlichen Tradition treu. Vom Atom-TShirt über die vielfach erwähnten Kettensägen geht es nun gegen umweltgeschädigte Kinder mit dieser seltsamen Entscheidung. Ich frage: Wann wird dieser Umweltminister endlich ausgetauscht?

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Schostok.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Sander, am Ende des vergangenen Jahres hatte ich den Eindruck, dass Sie

ganz gemütlich am Tannenbaum sitzen und über Ihre umweltpolitischen Fehlleistungen der vergangenen sechs Jahre ausführlich nachdenken konnten.

(Zustimmung bei der SPD)

Stattdessen haben Sie sich für das Jahr 2010 aber offenbar überlegt, noch einen draufzulegen, nämlich einen richtigen politischen Amoklauf.

(Beifall bei der SPD)

Was ist in Hannover geschehen? - Vor drei Jahren unterbreitete das Umweltministerium den Städten Hannover, Braunschweig, Osnabrück, Göttingen und anderen einen Vorschlag für einen Aktionsplan, verbunden mit der Aufforderung, entsprechende Vorschläge zurückzumelden. An diesem Vorschlag wurde gemeinsam mit dem Umweltministerium gearbeitet. Ich betone: gemeinsam mit dem Umweltministerium. Erst als Sie im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bemerkt haben, dass es Ärger gibt und dass das Ganze eine äußerst unpopuläre Aufgabe ist, haben Sie die Aufgabe der Luftreinhaltung an die Kommunen übertragen.

Das Kabinett hat das am 13. März 2007 beschlossen. Herr Wulff hat daran frei nach dem Subsidiaritätsprinzip mitgewirkt. Wir erinnern uns sehr gut an die monatelangen Auseinandersetzungen und die Kritik vor allem des Handwerks. Herr Sander, Sie schrieben damals als Begründung für die Presse: „Aktionspläne können am besten vor Ort aufgestellt werden.“

Vor einem halben Jahr hat das Verwaltungsgericht Hannover die Rechtmäßigkeit des hannoverschen Handelns festgestellt und bestätigt. Meine Damen und Herren, der hannoversche Weg ist nach guter Abwägung von Pro und Kontra voll und ganz bestätigt worden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Am 1. Januar 2010 begann dann Ihr Schauspiel. An diesem Tag ist die dritte und letzte Stufe in Kraft getreten, und am 15. Januar kippte sie das Umweltministerium durch Erlass. Die Folgen sind: Autos mit besonders hohem Schadstoffausstoß dürfen wieder in das Stadtgebiet und in die Stadtteile fahren. Bürgerinnen und Bürger werden zu teuren Investitionen verleitet, um ihre Mobilität aufrechtzuerhalten. Die Kfz-Werkstätten bleiben jetzt auf ihren Filtern sitzen. Herr Abgeordneter Dr. Hocker, hier gehen in Wirklichkeit sehr viele Arbeitsplätze verloren. Lesen Sie das bitte in der

heutigen Ausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nach.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der LINKEN)

Das Chaos und der Legitimationsverlust von Politik und Verwaltung sind von Ihnen auf die Spitze getrieben worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, das Schlimmste aber sind die folgenden beiden Dinge:

Zum einen ist Ihr Erlass fehlerhaft. Der Ausstoß des Schadgases NO2 wird entgegen der Behauptungen in dem Erlass durch den Einsatz von Partikelfiltern um mehr als 30 % gesenkt. Das hat sogar der ADAC anerkannt; lesen Sie das bitte auf den entsprechenden Internetseiten nach. Insofern ist Ihre Behauptung falsch, dass die NO2-Problematik in Hannover durch den Einsatz von Filtern verschärft werde.

(Beifall bei der SPD)

Zu der im Erlass genannten Aussage, das Umweltbundesamt beziehe sich lediglich auf den Einsatz in Bussen, muss ich Ihnen sagen, dass Sie falsch recherchiert haben. Ansonsten spricht sich auch das Umweltbundesamt für den Einsatz von Partikelfiltern aus. Woher nehmen Sie eigentlich Ihre Expertise?

Außerdem ist die Aussage falsch, dass das Fahrverbot unverhältnismäßig sei. Bereits zu Beginn dieses Jahres wurde der Grenzwert in Hannover an sieben Tagen überschritten. Das gibt das Umweltbundesamt bekannt. Dabei bezieht sich das Umweltbundesamt auf Daten von Herrn Minister Sander. Ich bin gespannt, wie im weiteren Verlauf des Jahres 2010 die gesetzliche Vorgabe eingehalten werden soll, dass die Grenzwerte an nicht mehr als 35 Tagen überschritten werden.

Ganz verblüffend ist dabei, dass laut mir vorliegenden Informationen das niedersächsische Umweltministerium im Mai 2006 in dem Entwurf für einen Aktionsplan noch schärfere Regelungen vorgeschlagen hat. Ich habe das Dokument hier.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Hört, hört, das ist ja interessant!)

Ich darf auf die Seiten 7 und 8 verweisen, in denen die Einrichtung von Umweltzonen vorgesehen ist. Dort findet sich auch der Vorschlag, dass bereits zum 1. Januar 2008 die gelbe Plakette und ab dem

1. Januar 2010 die grüne Plakette gelten sollte. Demnach hätten die Sanderschen Dieselkraftfahrzeuge schon seit 2008 gar keine Chance mehr gehabt. Die Stadt hat diese Vorgabe des Umweltministeriums somit entschärft.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Sie sehen, dass das ganze Verfahren mit heißer Nadel gestrickt und mit Falschinformationen garniert worden ist. Als Krönung kommt hinzu, dass dies ohne jegliche Verfahrensbeteiligung geschehen ist.

Herr Sander, wie gehen Sie eigentlich mit niedersächsischen Kommunen um?

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ihr Vorgehen ist respektlos und rechtsstaatlich absolut zweifelhaft. Nach sechs Jahren im Amt sind Ihre politischen Leistungen ein Armutszeugnis. Beim Bürger wird der Eindruck erweckt, dass sich die Landesverwaltung und ihre Bürokratie unkalkulierbar, unzuverlässig, willkürlich und obrigkeitsstaatlich verhalten. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sie so tun, als ob Sie Schaden von Hannover und den Bürgern abwenden müssten. In Wirklichkeit ist Ihr umweltpolitisches und gesundheitspolitisches Handeln eine Katastrophe.

Wie wollen Sie alternativ mit den europaweit vorgeschriebenen Grenzwerten für Stickstoffdioxide umgehen? Diese Frage lassen Sie unbeantwortet.

Meine Damen und Herren, Herr Sander steht bundesweit unter den Umweltministern völlig alleine da getreu dem Motto: Hans-Heinrich allein zu Haus.

Vielen Dank.