Protokoll der Sitzung vom 16.02.2010

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Kollegin Reichwaldt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen heute über einen oder vielleicht auch zwei Anträge zum Zustand der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedersachsen ab - über einen Antrag der SPD und über einen Antrag der Regierungskoalition. In beiden Anträgen steht: Kein Kind und kein Jugendlicher darf aufgegeben werden. Jedes Kind und jeder Jugendliche muss schnell und ortsnah alle notwendigen medizinischen Leistungen erhalten. - Ich gehe noch weiter: Der Erfolg der Behandlung und der Rehabilitation

darf nicht durch die unzureichenden Bedingungen gefährdet werden. Ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedersachsen ist notwendig.

Bei dem neuen, verwässerten Antrag der CDU und der FDP vermute ich zumindest, dass auch Sie den Handlungsbedarf erkennen. Immer mehr Mädchen und Jungen sind verhaltensauffällig. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen sozialem Status und dem Auftreten psychischer Probleme. Kinder mit Migrationshintergrund sind dabei erheblich häufiger betroffen.

Der Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen und das Handbuch für Psychiatrie zeigen auf: Zwar ist die Zahl der Planbetten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gestiegen; es gibt aber immer noch erhebliche Unterversorgung in weiten Bereichen. Es gibt inzwischen mehr Krisenbetten für Kinder und Jugendliche in akuter Selbst- und Fremdgefährdung; trotzdem sind oft weite Wege erforderlich. Außerdem kommt es immer noch zu Aufnahmen auf Erwachsenenstationen. Kinder- und Jugendpsychiatrie aber erfordert andere Behandlungssettings. Eine Versorgung in der Erwachsenenpsychiatrie wird den Kindern und Jugendlichen mit Sicherheit nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die ambulante fachärztliche Versorgung hat sich zwar verbessert, bleibt aber aufgrund des steigenden Bedarfs ohne Wirkung. Diese Unter- und Mangelversorgung muss beseitigt, und regionale Ungleichgewichte müssen ausgeglichen werden. Wir dürfen den Zusammenhang zwischen der steigenden Zahl psychischer Störungen und der sich ausbreitenden Kinder- und Familienarmut nicht länger ignorieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir dürfen die Stressfaktoren durch Leistungsdruck, zu große Klassen und fehlende Perspektiven in den Schulen als auslösendes Element nicht ignorieren.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])

Die steigende Zahl psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ist ein Alarmsignal. In einem schlüssigen Gesamtkonzept muss der Schwerpunkt auf der ambulanten Versorgung liegen; denn jeder, wenn auch notwendige stationäre Aufenthalt birgt nach der Gesundung Risiken für

einen erfolgreichen Wiedereinstieg. Doch gerade in der ambulanten Versorgung gibt es gravierende regionale Lücken.

In ein schlüssiges Gesamtkonzept gehören auch Bereiche wie eine ausreichende Versorgung mit Schulpsychologen und Beratungsmöglichkeiten für Familien ebenso wie die Aufstockung des Krankenhausunterrichts für die betroffenen Kinder und Jugendlichen in stationärer Behandlung.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Ina Korter [GRÜNE])

Kinder und Jugendliche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben keine Lobby. Sie sehen sich wie die erwachsenen Betroffenen mit enormen Berührungsängsten der Gesellschaft konfrontiert.

Auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie benötigen wir eine bessere Verzahnung von stationärer und ambulanter Versorgung. Hier zeigt sich für mich ein Grundproblem unseres Versorgungsangebotes für Menschen in psychischen Krisensituationen insgesamt: Es gibt kaum Angebote zwischen ambulanter und stationärer Behandlung.

Der Antrag der SPD ist notwendig und eindeutig. Ich fordere die Mehrheitsfraktionen auf, ihm zuzustimmen. Der erneuerte, verwässerte Antrag wird der Problematik nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Reichwaldt. - Für die FDPFraktion hat Herr Kollege Riese das Wort.

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD-Fraktion hat in der Tat sehr lange im Ausschuss gelegen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Es ist aber nicht so, dass sich der Ausschuss mit diesem Antrag nicht intensiv beschäftigt hätte.

Wenn es zur Erhellung des Sachstandes notwendig wäre und ich nicht wüsste, dass Sie den Inhalt des § 72 Abs. 2 des SGB V ganz genau kennen, würde ich Ihnen diese Vorschrift jetzt vorlesen. Dort ist geregelt, wer für die medizinische Versorgung zuständig ist. Es sind die Verbände der Kassen, und es ist die Kassenärztliche Vereinigung. Die Versorgung hat so gestaltet zu werden, dass sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist.

Das sind drei wunderbar auslegungsfähige, aber etwas unbestimmte Rechtsbegriffe, und genau um die Interpretation dieser Begriffe geht es im Einzelfall natürlich. Allerdings muss dies, wie gesagt, zwischen den im SGB V genannten Vertragspartnern erfolgen. Insofern ist eine unmittelbare Verantwortung des Landtages für die gesundheitliche Versorgung auch im Bereich der Psychiatrie und der Jugendpsychiatrie nicht gegeben. Das ist sehr wichtig.

Richtig ist auch, dass der Ausschuss für die Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung nicht erst in seinem 24. Tätigkeitsbericht, sondern auch schon vorher bestimmte Mängel gerügt hat. Das sind aber eher Einzelfälle. Der Kollege Brunotte hat darauf hingewiesen, dass der 24. Bericht auf den 23. Bericht und der 23. Bericht auf den 22. Bericht verweist.

Den 22. Bericht möchte ich an dieser Stelle doch noch einmal ansprechen; denn in ihm ist dargestellt, dass es schon im Jahr 2006 seltener dazu kam, dass ältere Jugendliche, bei denen Selbst- oder Fremdgefährdung besonderen Schutz und Freiheitsentziehung erforderten, in Einrichtungen der Allgemeinpsychiatrie aufgenommen werden mussten, wenn die dafür vorgesehenen Betten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie voll ausgelastet waren. Seit diesem 22. Tätigkeitsbericht hat sich diese Situation tatsächlich nicht verschlechtert. Seitdem sind keine gegenläufigen Tendenzen berichtet worden.

Am Grundsatz - das möchte ich auch für die FDPFraktion noch einmal betonen - kann es keinen Zweifel geben: Insbesondere für Kinder und Jugendliche muss es die notwendige psychiatrische Versorgung wohnortnah und ohne lange Wartezeiten geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir hoffen trotzdem, dass Sie Verständnis dafür haben, dass die Mehrheit dieses Landtages die Arbeit der Landesregierung nicht rügt, sondern vielmehr unterstützt.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Kein Ver- ständnis dafür!)

Ich bin dem Kollegen Herrn Brunotte sehr dankbar dafür, dass er hier endlich etwas genauer ausgeführt hat, was diese geheimnisvolle Zeile zur Sozialberichterstattung in der Praxis eigentlich bedeuten soll. Im Ausschuss haben Sie den Antrag im Wesentlichen vorgelesen. Heute haben wir dazu aber etwas mehr gehört.

Wenn Sie allerdings im Internet lesen - ich kann das jedem sehr empfehlen; denn dort stehen viele Dinge, die einen klüger werden lassen -, dann empfehle ich Ihnen www.amtliche-sozialberichterstattung.de. Unter dieser Adresse stellen die statistischen Ämter des Bundes und der Länder umfassende Daten zu sozialen Indikatoren bereit. Zu der Thematik, die Sie angesprochen haben, ist zudem der Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Land Niedersachsen - immerhin aus dem Jahr 2008; also relativ aktuell - lesenswert. Mit diesem Bericht werden wir uns morgen ja noch etwas näher beschäftigen.

Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP ist der bessere Antrag, weil er nämlich klarer darstellt, wer bei dieser Aufgabe Ross und wer Reiter ist.

(Beifall bei der FDP)

Ich hoffe zuversichtlich auf eine breite Zustimmung des Hauses zu diesem Antrag.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Riese. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst stimmen wir über den Antrag der SPDFraktion unter Tagesordnungspunkt 13 ab. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/188 ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag der SPD-Fraktion abgelehnt worden.

Sie haben vorhin gehört, dass Frau Kollegin Prüssner für die Fraktionen der CDU und der FDP beantragt hat, die zweite Beratung und damit die Entscheidung über den Antrag in der Drs. 16/2181 sofort anzuschließen. Sie wissen, dass wir dies tun können, wenn nicht mindestens 30 Mitglieder des Landtages für eine Überweisung des Antrages an einen oder mehrere Ausschüsse stimmen.

Deshalb frage ich entsprechend unserer Geschäftsordnung zunächst einmal, ob Ausschussüberweisung beantragt wird. - Herr Kollege Schwarz, Herr Kollege Bartling und Frau Flauger nicken. Das heißt, dass Ausschussüberweisung beantragt wird.

Wer für Ausschussüberweisung stimmen möchte, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Nach Gegenstimmen brauche ich nicht zu fragen, weil es eindeutig mehr als 30 Mitglieder des Landtages waren.

Der Ältestenrat hat Ihnen vorgeschlagen, den Antrag an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen sehe ich nicht. - Stimmenthaltungen sehe ich auch nicht.

Ich danke Ihnen für Ihre Disziplin. Wir haben heute bis ungefähr 19.30 Uhr getagt. Morgen früh um 9 Uhr geht es weiter.

Ich wünsche allen, die mich jetzt noch hören oder sehen, einen wunderschönen Abend. Bis morgen früh um 9 Uhr. Tschüss!

Schluss der Sitzung: 19.26 Uhr.