- Frau Polat, ich kann mir nicht erklären, warum Sie heute Morgen so rege sind. Aber ich freue mich darüber. Das war durchaus ernst gemeint.
- Frau Heiligenstadt, wir müssen doch gleich auch Herrn Jüttner aufmerksam zuhören. Da sind Sie gleich doch noch einmal gefordert.
Von besonderer Bedeutung für den Zusammenhalt ist auch das Sicherheitsgefühl, nicht nur im klassischen Sinne innerer Sicherheit, sondern auch in dem umfassenderen Sinne sozialer Sicherheit, über den wir im Jahr 2020 ganz anders sprechen werden.
Mich hat gestern die Debatte um Bildung sehr beschäftigt. Mit sehr einfachen Erklärungsmustern wurde da über einen Skandal gesprochen, den sich Deutschland seit Jahrzehnten leistet. Der Skandal, den wir uns seit Jahrzehnten leisten, ist der, dass die soziale Herkunft über die Bildungschancen eines Menschen nachhaltiger als in nahezu jedem anderen Land der Welt zu entscheiden scheint.
- Sie werfen ein: „Das ist Ihnen erst gestern aufgefallen?“ Wissen Sie, ich bin über manche dieser Einlassungen völlig ratlos, weil wir 2003, als wir hier angefangen haben, in diesem Land auf dem Feld von Kinderkrippen, Tagesmüttern, Ganztagskindergärten überhaupt nichts vorgefunden haben. Es gab nichts.
Niedersachsen ist 2003 mit dem geringsten Prozentsatz der Versorgung mit Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige auf Platz 16 aller Bundesländer gewesen. Es brauchte erst Ursula von der Leyen und meine Bereitschaft für die Ministerkonferenz, um hier in Niedersachsen 1,3 Milliarden Euro in 45 000 Betreuungsplätze zu investieren.
Der Bund investiert hierbei 398 Millionen Euro, wir investieren 470 Millionen Euro und die Kommunen 430 Millionen Euro. Daraus ergeben sich die 1,3 Milliarden Euro.
- Weil wir dann schneller zu Herrn Jüttner kommen und Sie mich nicht so viel Zeit kosten, wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir uns das einmal in aller Ruhe anschauen würden.
Ich glaube, es geht darum, die Kausalketten zu durchbrechen. Sie haben gesagt, die Studienbeiträge seien schuld. Das erscheint mir schon deswegen ziemlich absurd, weil wir wenige Arbeiterkinder an unseren Universitäten vor allem zu der Zeit hatten, zu der es keine Studienbeiträge gab, während dort, wo ein Studiensemester 40 000 Dollar kostet, in Amerika nämlich, viel mehr Arbeiterkinder an Universitäten sind als in Deutschland, wo es nichts kostete.
Das kann also nicht die Erklärung sein, sondern die Erklärung ist, dass wir in Deutschland insbesondere auch in den 13 Jahren bis 2003, in denen Sie hier regiert haben, an der Tatsache festgehalten haben, dass Kinder erst mit sieben Jahren in die Grundschule kamen, dass sie in der Grundschulzeit nur in eine Halbtagsgrundschule kamen und dass sie damit mit zehn Jahren - nach zehn Jahren größter Aufnahmefähigkeit - den gegenüber der Situation in jedem anderen Land der Welt geringsten Anteil an öffentlicher Bildung erlebt haben. Diesen Luxus konnten wir uns nicht leisten.
- Vielleicht darf ich es einmal im Zusammenhang ausführen, damit Sie mitbekommen, wie ernst es uns damit ist, dass niemand mehr verloren geht. Ein Kind, dessen Mutter in der Schwangerschaft regelmäßig Alkohol trinkt, hat ein um 1,5 kg geringeres Gewicht als Kinder gesunder Mütter, die keinen Alkohol in der Schwangerschaft trinken. Überwiegend fehlt es den kleinen Kindern, die auf die Welt kommen, an Hirnvolumen, wenn in der Schwangerschaft nicht Gesundheit an erster Stelle steht. Deswegen muss man die Kausalkette während der Schwangerschaft durchbrechen.
Herr Ministerpräsident, ich darf kurz unterbrechen. - Die Aussprache zu der Regierungserklärung findet nicht in den Reihen der Fraktionen statt, sondern von hier vorne aus. Alle Fraktionen haben noch Gelegenheit, ihre Positionen deutlich zu machen. Ich bitte, das zu berücksichtigen, und möchte, dass jetzt im Plenarsaal mehr Ruhe einkehrt.
Wir verstehen natürlich die Aufregung. Die größte Aufregung gibt es immer dann, wenn man am wundesten Punkt getroffen ist.
Wenn wir mit Ihnen ernsthaft darüber diskutieren, welche Versäumnisse es gab, ist das schmerzhaft für Sie. Wenn wir Ihnen vortragen, welche Maßnahmen wir ergriffen haben und wie erfolgreich Bernd Busemann und Elisabeth Heister-Neumann in den letzten sieben Jahren als Kultusminister waren, dann ist das für Sie noch schmerzhafter. Trotzdem ist es Freiheit der Rede, dass dies hier gesagt werden darf.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)
- Herr Tanke, was sollen Ihre Wähler von Ihnen denken? - Die erwarten von Ihnen, dass Sie hier zuhören und dann Vernünftiges sagen, und nicht, dass Sie erst nicht zuhören und dann auch noch dummes Zeug erzählen!
Wir schaffen jetzt landesweit Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Wir haben die Sprachförderung vor der Einschulung verpflichtend gemacht. Deswegen kommt es zu dem starken Rückgang der Zurückstellungen. Wir schaffen immer mehr Ganztagsschulen. Als wir anfingen, waren es 155. Demnächst werden es in Niedersachsen weit über 1 100 sein. Wir sorgen dafür, dass verschiedene Wege zu universitären Studien führen. Kein Bundesland wird demnächst so viele Berufstätige an den Universitäten haben wie Niedersachsen, weil wir mit unserem Modell der Offenen Hochschule auch denen, die nicht klassisch das Gymnasium oder die Gesamtschule besucht haben, die Möglichkeit zu akademischen Weihen, zu akademischen Studien vermitteln. Das schafft Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit und führt dazu, dass demnächst 50 % eines Jahrgangs die Hochschulzugangsberechtigung erwerben.
Niedersachsen ist heute mit dem Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung in Osnabrück Aushängeschild in Sachen frühkindlicher Bildung.
Frau Professor Zimmer, die Leiterin dieses Instituts, ist gerade Professorin des Jahres in Deutschland geworden.
Dieses nifbe hat in Niedersachsen ein landesweites regionales Netzwerk geschaffen, in dem frühkindliche Bildung eine ganz herausragende Bedeutung hat.
Wir wollen aber auch mit den jeweiligen Schulträgern den Rückgang der Schülerzahlen verantwortlich gestalten. Dabei steht für die Landesregierung ein flächendeckendes gegliedertes Bildungswesen nicht zur Disposition.
Gerade mit den Kommunen können wir hier pragmatisch zum Nutzen aller Strukturen schaffen, die die optimale Förderung jeder und jedes Einzelnen ermöglichen. Gerade Bernd Althusmann steht als neuer Kultusminister dafür, nicht mit Ideologie heranzugehen.
Weil auch da immer Schlachten in den Gräben geführt werden, möchte ich Ihnen sagen, dass zwischen 1990 und 2003 in Niedersachsen zu Ihren Regierungszeiten 30 Gesamtschulen entstanden sind. Wir haben 2003 ein Errichtungsverbot für Gesamtschulen in das Schulgesetz geschrieben, weil wir das gegliederte Bildungswesen endlich fair behandeln und stärken wollten - mit überragendem Erfolg.
Als wir 2003 hier angefangen haben, erfüllten in Niedersachsen 10,5 % eines Jahrgangs die Schulpflicht, ohne einen Schulabschluss erlangt zu haben. 10,5 % nach 13 Jahren roter und rot-grüner Schulpolitik in Niedersachsen!