Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Der Hausarzt hat darüber hinaus eine familienärztliche und eine soziale Funktion. Das ist nicht zu unterschätzen.

(Uwe Schwarz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Frau Mundlos, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke.

(Uwe Schwarz [SPD]: Schade eigent- lich! Das hätte zur Aufklärung beitra- gen können!)

Er soll räumlich - also wohnortnah - und auch zeitlich gut erreichbar sein - Stichwort „Hausbesuche“. Glücklich also, wer einen Hausarzt hat und ihn dauerhaft mit einbinden kann. Denn der Hausarzt kennt nicht nur die Krankengeschichte des Patienten, er kennt auch die Familie und kann so besser helfen. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun.

(Zustimmung bei der CDU)

Deshalb muss uns die sich abzeichnende Entwicklung selbstverständlich Sorgen machen. Wir stellen fest, dass der Bedarf an Hausärzten allein auf

grund der demografischen Entwicklung steigt, dass es immer weniger Hausärzte gibt, die im ländlichen Bereich arbeiten wollen. Der Nachwuchs bleibt aus. Auch der Altersdurchschnitt bei den Hausärzten muss uns umtreiben: Zurzeit sind 20 % der Hausärzte 60 Jahre alt und älter. Damit die Versorgungslage mittelfristig nicht in Gefahr kommt, muss also gegengesteuert werden.

Ja, der Sicherstellungsauftrag ist bei der Kassenärztlichen Vereinigung angesiedelt. Gleichwohl muss und soll die Politik helfen.

Ich nenne in Stichworten die Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden: Altersgrenze für Vertragsärzte weggefallen, bundesweites Anreizsystem über Zu- und Abschläge beim Honorar, Koordinierungsstelle zur Förderung der Weiterbildung eingerichtet. Städte- und Gemeindebund wirken auch auf die Kommunen für verbesserte Rahmenbedingungen ein. Die MHH hat einen Modellstudiengang mit einem stärkeren Praxis- und Patientenbezug eingerichtet. Es gibt Existenzgründungsdarlehen und Förderprogramme - damit ist auch der Wirtschaftsminister mit im Boot. Es gibt Richtlinien für die Zuwendungen zur Förderung der ländlichen Entwicklung. Niedersachsen ist entgegen den Ausführungen der Opposition beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf federführend und Vorbild im Bundesgebiet. Auch der Wiedereinstieg nach der Familienphase muss in diesem Zusammenhang genannt werden.

(Zustimmung bei der CDU - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wie bitte? Erster von hinten!)

Im Übrigen gibt es zahlreiche Modelle wie AGnES, MoPras, VERAH und MoNi. Auch daran ist die Landesregierung beteiligt.

(Uwe Schwarz [SPD]: Wer ist denn Moni in der Landesregierung?)

Weitere Forderungen sind zugegebenermaßen: gezielte Studienangebote und Informationen, Potenziale auch der Ärzte mit Migrationshintergrund weiter ausschöpfen, verbesserte Arbeitsbedingungen. Ich verweise aus Zeitgründen auf die Drucksachen 617 und 2132, die hierzu weitere Auskünfte geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viel ist schon erfolgt, viel muss aber noch geschehen. Wir müssen die Dinge natürlich immer wieder auf den Prüfstand stellen, um nachzusteuern und zu schauen, was gut funktioniert und was korrigiert werden muss. Dabei sind aber alle gefordert: die

Kommunen, das Land, der Bund, die Wirtschaft, die Kassenärztliche Vereinigung und natürlich auch die Ärzte selber. Noch zum Stichwort „Wirtschaft“: Hausärzte sind auch ein Standortfaktor.

Wir wollen eine wohnortnahe, menschenwürdige, bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige gesundheitliche hausärztliche Versorgung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden nicht nachlassen, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen. Denn Hausärzte sind eine feste Institution in Niedersachsen im ländlichen Bereich und in den Städten. Genau das sollen die Hausärzte auch bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt liegt eine Wortmeldung von Frau Ministerin Özkan vor. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Ministerin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle fest, dass wir alle uns in einem Punkt einig sind: dass die Menschen in Niedersachsen auch zukünftig bestmöglich und wohnortnah medizinisch versorgt werden wollen und sollen. Das geht nicht ohne Hausärzte. Die Zukunft der hausärztlichen Versorgung hängt aber von zwei Faktoren ab - das wurde eben schon festgestellt -: Zum einen gibt es viele Ärzte, die zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, im Durchschnitt also 55 Jahre. Zum anderen haben wir einen Versorgungsbedarf, der aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung immer weiter steigt.

Die Kassenärztliche Vereinigung hat dazu Zahlen herausgegeben, die besagen, dass wir in zehn Jahren in Niedersachsen ca. 1 000 Ärzte brauchen werden - Sie haben eben bereits festgestellt, dass sich das in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich darstellen wird. Dieser Tatsache sind wir uns bewusst. Es darf und wird nicht so weit kommen, dass die Ärzte dort, wo sie dringend gebraucht werden, nicht zur Verfügung stehen.

Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Das heißt, das ist eine Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Natürlich weiß ich, dass der originäre Sicherstellungsauftrag bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen liegt, aber - deshalb muss ich Ihnen widersprechen, Herr

Schwarz - wir schaffen die nächsten Schritte nur gemeinsam, wenn wir uns wirklich zusammensetzen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das war der Erfolg des runden Tisches meiner Vorgängerin. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen, welche ersten Erfolge schon erzielt worden sind. Ich muss Ihnen widersprechen: Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, haben es ausdrücklich begrüßt, dass man 2008 begonnen hat, sich zusammenzusetzen und weit, bevor diese Themen jetzt auf den Tisch gekommen sind, Maßnahmen zu ergreifen und sich zu koordinieren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Was kann das Land tun? - Das Land kann unterstützen, die Beteiligten zusammenbringen und gemeinsam Ansätze entwickeln, um zum einen das Medizinstudium, zum anderen die Weiterbildung sowie die Tätigkeit als Hausarzt in Niedersachsen insgesamt attraktiver zu machen. Das ist ein abgestuftes Gesamtpaket.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die Hausärzte in Niedersachsen künftig entlastet werden sollen. Das ist einer der ersten Schritte, den wir angehen werden. Zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen ist ein Delegationsmodell mit dem Namen MoNi entwickelt worden - Frau Mundlos hat darauf hingewiesen. „MoNi“ steht für ein „Modell Niedersachsen“, das im Herbst in der Region Vechta und in SoltauFallingbostel an den Start geht. Ziel des Modells ist es, Hausärzte vor allem in ländlichen Regionen von arztfremden Tätigkeiten zu entlasten, und zwar durch qualifiziertes Praxispersonal, um ihnen den Freiraum zu gewähren, den sie brauchen, um ihre Verantwortung zu übernehmen und ihre Aufgaben als Hausärzte zu erfüllen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wir möchten aber auch, dass die Aus- und Weiterbildung zum Allgemeinmediziner attraktiver wird. Der Hausarztberuf selbst, das berufliche und das private Umfeld, müssen wieder erstrebenswert erscheinen. Ein erster wichtiger Schritt dazu ist, dass junge Ärzte, die eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin absolvieren, seit Anfang des Jahres eine verbesserte finanzielle Unterstützung erhalten. Sie bekommen auch im ambulanten Teil ihrer Weiterbildung die im Krankenhaus übliche

Vergütung und haben damit keine finanziellen Nachteile bei einem Wechsel von einem stationären Weiterbildungsabschnitt im Krankenhaus in eine Hausarztpraxis.

Auch der organisatorische Aspekt des Wechsels von der stationären in die ambulante Weiterbildung ist von Bedeutung - das ist vorhin bereits erwähnt worden. Mit der Einrichtung und Besetzung einer entsprechenden Koordinierungsstelle bei der KVN ist auch insoweit ein bemerkenswerter Fortschritt erzielt worden. Hier soll gezielt unterstützt und gecoacht werden, damit angehende Ärztinnen und Ärzte den richtigen Weg einschlagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung fokussiert sich vor allem aber auch auf das Handlungsfeld Medizinstudium. Wir sind davon überzeugt, dass wichtige Richtungsentscheidungen bereits im Studium gefällt werden. Wir wollen daher mit Maßnahmen bereits in der Ausbildung ansetzen. So werden wir den Versuch unternehmen, im Praktischen Jahr aus dem derzeitigen Wahlfach Allgemeinmedizin einen Pflichtabschnitt zu machen. Der Allgemeinmedizin würde man damit den Stellenwert für die breite Versorgung der Menschen einräumen, den sie in der täglichen Praxis ohnehin hat.

(Glocke des Präsidenten)

Dazu ist auch die Änderung der Approbationsordnung in die Überlegungen mit einzubeziehen, und dazu gehört auch die Definition eines Lernzielkatalogs, wie es an der Universitätsmedizin Göttingen als einer der ersten Universitäten geschieht. Auch die Möglichkeit des vorgezogenen praktischen Anteils in der Ausbildung, den die Approbationsordnung vorsieht, wird schon genutzt, und zwar von der MHH und der Universitätsmedizin Göttingen. Insofern ist Niedersachsen hier schon sehr weit vorangeschritten.

Ganz konkret wollen wir bereits zum Wintersemester 2010/2011 Medizinstudenten unterstützen, die sich während ihres Praktischen Jahres, also des PJ, für das Wahlfach Allgemeinmedizin entscheiden. Dafür nehmen wir Geld in die Hand, weil auch die Krankenhäuser die PJler in der Regel entschädigen. Es darf kein Nachteil sein, wenn man sich für das Fach Allgemeinmedizin entscheidet. Dies tun wir als Niedersächsische Landesregierung schon vorab.

Darüber hinaus warten wir ab, welche Vorschläge vom Bund kommen werden. Ich werde in der

nächsten Woche mit dem Bundesgesundheitsminister und den anderen Gesundheitsministern der Länder in Berlin zusammentreffen. Dort werden wir uns die Vorschläge und Ideen anhören und sie für Niedersachsen auswerten. Wir werden schauen, was wir davon schon veranlasst haben und was wir kurzfristig umsetzen können. Das werden wir in unsere weitere Planung einbeziehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn es uns also gelingt, die Rahmenbedingungen von der Studienplatzbewerbung bis zur praktischen Tätigkeit Schritt für Schritt zu verbessern - dazu gehören auch die Rahmenbedingungen in den Kommunen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade im ländlichen Bereich sicherzustellen -, dann werden wir in Zukunft die angehenden Ärzte und Ärztinnen für den Hausarztberuf begeistern können, sodass sie eine Zukunft auch im ländlichen Raum sehen.

Dazu gehören die Frauen. Wir sehen heute schon, dass 50 % der Medizinstudierenden Studentinnen sind. Dieses Potenzial müssen und werden wir ausschöpfen. In Kommunen ist ein Umdenken schon längst eingetreten; wir haben dort Versorgungszentren und darauf abgestimmte Kitaplätze. Daran werden wir weiterarbeiten. Ich bin davon fest überzeugt, dass wir es schaffen werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um zusätzliche Redezeit hat Herr Schwarz von der SPD-Fraktion gebeten. Zwei Minuten, Herr Schwarz!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Mundlos, Ihr allumfassender Beschluss vom 27. März 2009 hatte zwei wesentliche Punkte: Erstens. Die Landesregierung wird gebeten, bis zum 31. Dezember 2009 dem Landtag einen Bericht darüber vorzulegen, wie es mit der hausärztlichen Versorgung weitergeht. Jetzt haben wir Mitte 2010, und der Bericht liegt nicht vor. Vielleicht könnte uns wenigstens einmal das mitgeteilt werden, was die Ministerin eben vorgelesen hat. Zweitens. Der Landtag hat beschlossen, die Landesregierung solle einen runden Tisch fortführen.

Das waren Ihre revolutionären Vorschläge, um dem Hausärztemangel in Niedersachsen zu begegnen. Grandios, kann ich dazu nur sagen. Alle

Alternativvorschläge der SPD, die damals schon auf dem Tisch gelegen haben, haben Sie abgebügelt und abgelehnt.

Eine zweite Bemerkung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Sie müssen doch nicht der Opposition glauben; das tun Sie sowieso nicht. Aber da wir nun vor zwei Tagen gemeinsam beim Parlamentarischen Abend der Ärztekammer gewesen sind, sollten Sie doch einfach zur Kenntnis nehmen, was die Präsidentin gesagt hat. Es war genau das, was ich hier vorgetragen habe: Es gibt einen riesigen Fehlbedarf bei der Problematik von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, verursacht durch diese Landesregierung.

(Widerspruch von der CDU)