Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

Ich möchte ein Beispiel aus der Wirklichkeit einer Optionskommune anführen: So soll gerade zwischen dem Landkreis und der Stadt Göttingen eine Heranziehungsvereinbarung zur Fortsetzung des Optionsmodells und der damit verbundenen Umsetzung des SGB II beschlossen werden, die die Zustimmung der SPD, der Grünen und der CDU findet. Der FDP gehen diese Regelungen nicht weit genug. Nur die Linken im Stadtrat und Kreistag stimmen gegen diese Vereinbarung, und zwar aus gutem Grund. Es wird nach diesem Vertrag - er liegt mir vor; Sie können also auch einmal hineinschauen - Personal im Fallmanagement und in der Sachbearbeitung abgebaut, die Fallzahlen werden deutlich erhöht, das Controlling wird deutlich zulasten der Eingliederungsmittel ausgebaut, Kinderbetreuung und psychosoziale Betreuung im Zusammenhang mit dem § 16 a des SGB II wird nicht vertraglich sichergestellt, der politische Einfluss der Gremien wird beschnitten und anderes mehr - und dies mit einer Mehrheit aus CDU und Grünen seit fast einem Jahrzehnt.

Das ist für uns Grund genug, von einer Glorifizierung des Optionsmodells abzusehen und eine Fortsetzung abzulehnen. Das findet mittlerweile auch die Unterstützung durch eine ganze Reihe von Ihren Parteikollegen im Rat der Stadt Göttingen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist an der Zeit festzustellen, dass das SGB II selbst aus der eigenen Logik heraus nicht funktioniert und mit Mängeln behaftet ist. Da hilft es aus unserer Sicht auch nicht, hier mit einer Debatte über die Fortführung eines Optionsmodells abzulenken. - Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wir Linke werden uns natürlich weiterhin für soziale Gerechtigkeit und für das repressionsfreie bedarfsorientierte Grundsicherungsmodell einsetzen. Auch Sie kennen - letzte Bemerkung - unsere Grundlagen: www.linksfraktion.de. Dort können Sie unsere Alternativen nachlesen. Das sage ich zu denjenigen, die sich dem bisher verweigert haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe Sie ja nicht unterbrochen, Herr HumckeFocks. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Helmhold das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Herr Humcke-Focks, so richtig verstanden habe ich das nicht. Ich habe hier Ihren Antrag in der Drucksache 1872. Darin fordern Sie unter Nr. 2, „die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Optionskommunen zur Sicherung ihrer Aufgabenwahrnehmung … anzustoßen und sich nach Möglichkeit für ihren Bestandsschutz einzusetzen“. Ich finde, dass das ziemlich deutlich dem widerspricht, was Sie hier soeben vorgetragen haben. Sie haben sich in Ihrem Vortrag relativ stark gegen Optionskommunen ausgesprochen. Für mich passt das nicht zusammen.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Die Aus- weitung! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Die Glorifizierung!)

Mit der heutigen Abstimmung über den gemeinsamen Änderungsantrag von Grünen, CDU, FDP und SPD geht ein leider zu seltenes Beispiel konstruktiver Zusammenarbeit in diesem Landtag seinem guten Ende entgegen. Es hat hier im Haus schon sehr lange einen großen Konsens über die Zukunft der Jobcenter gegeben, der leider zwischenzeitlich in Berlin mit dem Koalitionsvertrag aufgekündigt wurde. Glücklicherweise ist dieser Streit um die Trägerschaft auch dort endlich entschieden, weil sich CDU und CSU dem geballten Druck von Kommunen, Ländern, Verbänden und Fachleuten beugen mussten. So ist die Rückkehr zur getrennten Trägerschaft glücklicherweise vom Tisch.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir sind sehr froh, dass die Hilfe aus einer Hand bleibt und wir ein zentrales grünes Ziel erreicht haben, nämlich eine Grundgesetzänderung, die die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen in den Jobcentern dauerhaft verfassungsmäßig absichert. Ich werte das als Erfolg grüner Politik; denn wir waren die Ersten, die nach dem Verfassungsgerichtsurteil öffentlich für diese Verfassungsänderung plädiert und daran festgehalten haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch bestehen Verbesserungsmöglichkeiten im Verfahren, auf die wir mit dem gemeinsamen An

trag noch einmal hinweisen wollen. Wir wollen eine völlige Wahlfreiheit für die Option und halten die 110er-Grenze bei den Optionskommunen für falsch, ebenso übrigens wie das kommunale Zweidrittelvotum. Beide Regelungen beschränken aus unserer Sicht die kommunale Entscheidungsfreiheit unangemessen.

(Roland Riese [FDP]: Recht so!)

Verbesserungsmöglichkeiten gibt es aus grüner Sicht auch noch bei der Stärkung des kommunalen Einflusses auf die Arbeit der Jobcenter und für eine bessere Einbeziehung der Wohlfahrtspflege in die dort stattfindenden Prozesse und die Beteiligung in den Gremien. Klärungsbedarf gibt es wahrscheinlich auch noch bei der Regelung der Personalübergänge in die Optionskommunen. Offen sind auch noch andere Rahmenbedingungen, die allerdings nicht mit den jetzt zu beratenden Gesetzentwürfen auf der Bundesebene abgedeckt sind, sei es die vereinbarte Entfristung der 3 200 Stellen in den Jobcentern oder sei es die Planungssicherheit bei den Mitteln für Personal und Eingliederung. Diese Stellschrauben werden auch in Zukunft die Arbeit der Jobcenter und der kommunalen Träger erheblich mitbestimmen. Die Absicht der Bundesregierung, bis 2014 bei der Arbeitsförderung 6 Milliarden Euro zu sparen, wird sich dabei wahrscheinlich noch als schwere Hypothek erweisen. Wir werden sehen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Antrag, den wir hier gleich gemeinsam beschließen, in dem, was er fordert, noch in die Beratungen auf der Bundesebene Eingang finden möge. Es hat lange genug gedauert. Ich hätte ihn lieber schon in der letzten Landtagssitzung beschlossen. Aber sei es drum - wir werden das heute zu einem guten Abschluss bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Helmhold. - Zu einer Kurzintervention auf Sie hat sich Herr Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben anderthalb Minuten!

(Zuruf von Ulrich Watermann [SPD])

Lieber Uli, du bist ja gleich dran. - Frau Präsidentin! Frau Helmhold, über den Sachstand unseres

Antrages habe ich bereits im Ausschuss informiert. Sie müssen bedenken, dass der Antrag seit November letzten Jahres in der Debatte ist. Ich habe auch gerade gesagt, wie sich uns der Sachstand darstellt und wie wir uns vorstellen, mit den einzelnen Themen weiter umzugehen. Deshalb ist es legitim, dass sich die Debatte innerhalb eines halben Jahres weiterentwickelt. Teilweise wird man dann von den Entwicklungen eingeholt. Dann ist es folgerichtig, diesen Antrag zur Abstimmung zu bringen. Insofern kann man da keinen Widerspruch konstruieren; den gibt es nämlich nicht.

Ich sage jetzt noch etwas zu Ihrer Präferierung des Optionsmodelles und dazu, wie grüne Politik vor Ort aussieht, wie die Ausgestaltung des SBG II ganz konkret am Beispiel des Kreistages Göttingen aussieht: Sie bauen Personal im Fallmanagement und bei der Sachbearbeitung ab. Sie erhöhen die Fallzahlen - das alles geht zulasten der Betroffenen des SGB II -, Sie bauen das Controlling und den Overhead zu Ungunsten der Eingliederungsmittel aus, Sie sichern die Auswirkungen des § 16 a hinsichtlich einer Kinderbetreuung oder psychosozialen Betreuung vertraglich nicht ab, und Sie beschneiden den politischen Einfluss der Gremien. Das ist schwarz-grüne Realpolitik in einer Optionskommune! Das machen wir ganz einfach nicht mit. Das ist die Realität.

(Beifall bei der LINKEN)

Bevor ich Frau Kollegin Helmhold das Wort gebe: Herr Humke-Focks, im Landtag ist es üblich, sich zu siezen. - Das nur als Hinweis, damit sich das nicht einbürgert. - Frau Helmhold!

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Lieber Herr Humke-Focks, zwei Dinge: Ich bin auf die Formulierung in Ihrem Antrag eingegangen, in dem Sie sich für den Bestand der Optionskommunen ausgesprochen haben. Wenn Sie selbst sagen, Ihr Antrag sei inzwischen überholt, wäre es doch folgerichtig gewesen, ihn zurückzuziehen und nicht heute zur Abstimmung zu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Wir hier im Landtag beschäftigen uns mit den Rahmenbedingungen der Politik bzw. insoweit damit, wie wir als Landesgesetzgeber überhaupt Einfluss haben oder über den Landtag auf die Bundesebene Einfluss nehmen wollen. Ich finde,

Optionskommunen und Jobcenter sollen parallel nebeneinander existieren. Sie sollen sich allerdings dem Vergleich beugen. Das heißt, sie müssen im Vergleich unter denselben Rahmenbedingungen evaluiert werden. Das ist eine Grundvoraussetzung für gleiche Chancen für beide Modelle. Das allerdings, was konkret auf Kreisebenen passiert, sollte man eher dort als hier im Landtag klären. Insoweit gucken Sie einmal im Landkreis Göttingen - da werden Sie auch Ihre Leute haben - und nehmen Sie über die Beiräte Einfluss und tun Sie, was immer Sie wollen. Das ist aber eine Angelegenheit der dortigen örtlichen Gemeinschaft.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Helmhold. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Matthiesen das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen! Meine Kollegen! Wir sind jetzt in der heißen Phase der Beratung von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung darüber, wie das Niedersachsen-Modell der Wahlfreiheit bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende umgesetzt werden kann. Wir können uns heute wirklich freuen. Noch vor Kurzem schien die Zerschlagung der Jobcenter kaum aufzuhalten zu sein. Es sah auch so aus, als würde es keine zusätzlichen Optionskommunen geben. Ebenso sollte die getrennte Aufgabenträgerschaft von Bundesagentur und Kommunen festgelegt werden. Dazu ist es jetzt nicht gekommen. Das ist ein wesentlicher Erfolg für Landtag und Landesregierung in Niedersachsen.

Wir haben gemeinsam mit großer Ausdauer und mit großem Nachdruck in einem Diskussionsprozess in langen Jahren, so kann man fast sagen, das Modell der Wahlfreiheit - das ist ein großer Erfolg - durchsetzen können. Dieses Modell der Wahlfreiheit wird durch die Grundgesetzänderung jetzt in weiten Teilen umgesetzt werden können. Wir können nun die Jobcenter als Regeleinrichtungen absichern. Ebenso sichern wir die vorhandenen 69 Optionskommunen ab. Mit der Grundgesetzänderung werden wir es ferner ermöglichen, zusätzliche Optionskommunen zu gründen, allerdings in begrenzter Zahl. Dies ist der Kompromiss, den alle Beteiligten getroffen haben und an den wir jetzt gebunden sind. In einem einfachen Organisa

tionsgesetz des Bundes wird festgelegt, in welcher Anzahl zusätzliche Optionskommunen gegründet werden können. Ein Anteil von 25 % der Träger soll dabei nicht überschritten werden. Das bedeutet, dass wir eine Erhöhung der Zahl der Optionskommunen in ganz Deutschland auf 110 erreichen können. Das ist ein großer Erfolg für uns, für das Land Niedersachsen sowie für Landtag und Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Helmhold, Sie haben recht: Wir hätten gerne gewollt, dass alle Kommunen in Deutschland die Optionsmöglichkeit gehabt hätten, dass insofern also die volle Wahlfreiheit in dem Kompromiss vorgesehen worden wäre. Das ist nun leider nicht geschehen. Es geht aber noch weiter. In dem heute vorliegenden Entschließungsantrag wird gefordert, dass so viele niedersächsische Kommunen wie möglich bei den zusätzlich zu verteilenden Optionen berücksichtigt werden. Es wird jetzt auf den Verteilungsschlüssel ankommen, der noch nicht feststeht. Es gibt ein interessantes Modell des Deutschen Landkreistages, bei dem auf die Bevölkerungszahl abgestellt wird. Danach würden wir in Niedersachsen vier zusätzliche Optionskommunen erhalten. Wir hätten in Niedersachsen dann insgesamt 17 Optionskommunen bei 46 Landkreisen und kreisfreien Städten. Ein gutes Drittel in Niedersachsen wären dann Optionskommunen. Das wäre ein bundesweit vorzeigbarer Wert.

Zum Thema zusätzlicher Optionskommunen fordert unser Antrag aus gutem Grund, dass die Zulassung zur Option nicht von einer Zweidrittelmehrheit der Vertretungskörperschaft abhängig gemacht werden darf. In der Region Hannover mit über 1,1 Millionen Einwohnern ist dies in der Praxis von Bedeutung. Grüne, CDU und der Regionspräsident sind dort für die Option, aber die SPD will sie bisher noch nicht. Lieber Kollege Watermann, vielleicht können Sie in diesem Zusammenhang noch einmal tätig werden. Die Option wird von der SPD-Regionsfraktion nicht gewollt. Sie könnte die Option in der Region Hannover jetzt verhindern. Das ist, wie ich meine, ein wichtiges Thema in Niedersachsen. Hier ist die SPD-Landtagsfraktion noch einmal gefragt. Wie es aussieht, wird es nicht gelingen, das Zweidrittelquorum zu streichen. Der Bundesrat hat dem nicht zugestimmt. Wir lehnen es als verfassungswidrig ab, ein solches Quorum einzuführen, denn die Länder haben gemäß Artikel 70 des Grundgesetzes für das Kommunalrecht die Gesetzgebungskompetenz. Mit diesem Zwei

drittelquorum für die Einführung einer Option würde der Bund massiv in den kommunalen Entscheidungsprozess eingreifen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Sachverhalt wird noch zu prüfen sein.

Nach dem Beschluss des Bundesrates über den Gesamtkonsens vom 4. Juni wird es leider auch bei der Ermächtigung des BMAS bleiben, durch Rechtsverordnung die Feststellung der Eignung der Optionsbewerber zu regeln. Das ist ein Punkt, auf den wir im weiteren Verfahren achten müssen. Der Bundesrat muss bei der Ausübung seines Rechtes auf Zustimmung zur Feststellung der Eignung darauf achten, dass die Prüfung nicht zu restriktiv und nicht zu bürokratisch erfolgt.

In unserem Entschließungsantrag haben wir noch einen weiteren sehr wichtigen Punkt angesprochen. Das ist die Entscheidungsfreiheit der Optionskommunen, bezogen auf die Finanzkontrolle des Bundes. Bei der Entscheidung des Bundesrates fand die Regelung keine Mehrheit, dass bei rechtswidriger Verwendung der Bundesmittel die Haftung der Optionskommunen auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz begrenzt werden soll. Wir haben aber einen ganz wichtigen Erfolg zu verzeichnen, der eventuell durchkommen wird. Die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Optionskommunen soll nicht mehr nur dem BMAS obliegen, sondern in Abstimmung mit der obersten Landesbehörde erfolgen. Das ist sehr wichtig, damit die Optionskommunen nicht allzu sehr eingeschnürt werden. Wir müssen, was diesen Punkt angeht, am Ball bleiben.

Wichtig ist auch, dass die ursprünglich geplante Bundesaufsicht über die Optionskommunen vom Tisch ist und dass jetzt die Bundesländer die Aufsicht über die Optionskommunen führen. Außerdem sollen Zielvereinbarungen zwischen Landesregierung und Optionskommunen in Niedersachsen geschlossen werden. Das ist ein guter Weg. Das gesamte Steuerungssystem muss nun kommunalfreundlich ausgestaltet werden.

Über den Antrag der Linken werden wir, wie wir gehört haben, an anderer Stelle diskutieren. Dazu brauche ich jetzt also nichts weiter auszuführen.

Insgesamt können wir feststellen, dass wir jetzt kurz vor dem Abschluss der organisatorischen Neuordnung der Grundsicherung für Arbeitsuchende stehen. Das betrifft rund 7 Millionen Menschen existenziell. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Aussage hervorheben: Für ein

eigenverantwortliches Leben ohne Hartz IV sind Bildung, verwertbare Qualifizierung für den Arbeitsmarkt, dezentrale Arbeitsvermittlung und die Leistungserbringung auch dezentral von höchster Bedeutung. Mit der Entschließung von heute und dem, was jetzt geschieht, kommen wir auf dem Wege ein gutes Stück voran. Wir werden auf diesem Felde aber noch viel zu tun haben. Das wird in der Spardebatte, die auf uns zukommt, nun der nächste Schritt sein.

Danke schön.