Ich selbst habe einen Organspendeausweis. Ich kann aber auch die Gründe meiner Kolleginnen und Kollegen akzeptieren, die vielleicht keinen Organspendeausweis haben. So spiegelt sich auch in unserer Fraktion die gesamte Bandbreite der gesellschaftlichen Debatte um dieses Thema wider. Das ist auch gut so.
Für uns sind vor allem die folgenden Fragen offen geblieben: Erstens. Wie werden bei einem erhöhten gesellschaftlichen Druck für mehr Spenderausweise diejenigen geschützt, die sich mit der Frage der Spende von Organen, aus welchen Gründen auch immer, schwertun?
Zweitens. Warum dokumentieren wir nicht z. B. durch einen entsprechenden Eintrag in den Führerschein gegebenenfalls einen Ausschluss von Organspenden? Dann würde die Organspende eigentlich den Regelfall darstellen. Diese Frage ist auch für uns offen geblieben. Diese Position gibt es bei uns auch.
Drittens. Ebenso ist die Frage offen geblieben, wie künftig eine bessere Regelung hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis für die Entnahme von Organen etwa von Angehörigen gefunden werden kann.
Fünftens. Wie sind ethische und religiöse Gründe zu gewichten, die ebenfalls angeführt werden und manchmal gegen eine Organspende sprechen?
Der Hintergrund bei unseren Debatten ist, dass wir vermeiden wollen, dass die Ökonomisierung des Sozialen und der Gesundheit weitergeht. Wir wollen sicherstellen, dass der Geldbeutel später nicht die große Rolle bei der Abfrage nach Spenderorganen spielt. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlustes der Regierungen sind wir uns bei der Beantwortung dieser Fragen nicht sicher. Die Linke ist sich einig, dass das Spenden von Organen zu einer Geschäftemacherei in der jetzt schon realen Zweiklassenmedizin werden kann. Uns allen sind die zahlreichen Verbrechen in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern präsent, in denen vor allem Kinder - ich sage es bewusst drastisch - häufig für den weltweiten Organhandel zugunsten der sogenannten Ersten Welt ausgeschlachtet werden. Das sind alles Aspekte, die bei unserer Debatte ernsthaft mitschwingen, wie wir einen vernünftigen Umgang mit diesem Thema erreichen.
Einige Fragen in dem vorliegenden Antrag sind für uns offen geblieben. Wir enthalten uns bei der Abstimmung über den Antrag der Stimme und hoffen, dass wir weiterhin eine gute Debatte über dieses Thema führen.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für viele Menschen ist die Transplantationsmedizin ein sehr großer Segen. Sie löst bei anderen aber auch Ängste aus, was beispielsweise mit der geänderten Todesdefinition zusammenhängt. Ich finde es beunruhigend, dass seit einiger Zeit wieder verstärkt Forderungen nach einer Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz erhoben werden, so etwa beim 113. Deutschen Ärztetag im Mai. Derlei Forderungen sind und bleiben irreführend und hoch problematisch.
Das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat für uns auch über das Lebensende hinaus einen sehr hohen Stellenwert. Deshalb plädieren wir für die Beibehaltung der erweiterten Zustimmungslösung. Anstatt nach Gesetzesänderungen zu rufen, für die es im Übrigen wohl gar keine Mehrheiten gäbe, muss man sich Gedanken über die Optimierung der bestehenden Strukturen machen. Dazu gibt es eine neue EU-Richtlinie, die sich insbesondere der besseren Zusammenarbeit der Akteure und der Konkretisierung der Meldepflicht widmet. Diese Richtlinie wird hier bald umgesetzt werden müssen.
Meine Damen und Herren, die Widerspruchslösung führt keineswegs automatisch zu mehr Organspenden, wie internationale Vergleiche zeigen. Auch das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt, dass es ohne Widerspruchslösung geht. Während im Jahr 2008 in fast allen Bundesländern die Spenderzahlen zurückgingen, stiegen sie in NordrheinWestfalen um beinahe 15 %. Dort sind Kliniken mit Intensivbetten seit 2008 verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen. Diese Bestellung darf allerdings keinesfalls dazu führen, dass Menschen in der Extremsituation des Todes eines Angehörigen mit der Bitte um Organspende bedrängt werden. Aus meiner Sicht geht es vielmehr darum, auch in kleineren Krankenhäusern das ärztliche und pflegerische Personal zu sensibilisieren und dafür zu werben, die Meldung von möglichen Spenderorganen von bereits erklärten Spendern nicht wegen der befürchteten zusätzlichen Belastung im Ablauf zu unterlassen.
Niedersachsen gehört zu den Bundesländern, die sich gegen die gesetzlich verbindliche Installierung von Transplantationsbeauftragten in Krankenhäusern entschieden haben, obwohl der Landtag es einmal anders beschlossen hat. Dies führt aber dazu, dass in Niedersachsen proportional zur Bevölkerung weniger Organe für Patientinnen und Patienten als in anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Betroffene warten oft monatelang. Viele überleben diese Zeit nicht.
Die vorgelegte Beschlussempfehlung von CDU und FDP ist in der Sache richtig, aber, wie wir finden, nicht weitreichend genug. Wir werden mehrheitlich dem SPD-Antrag zustimmen, weil nur er aus dem beschriebenen Dilemma führen würde. Wegen der heiklen und sensiblen Problematik gibt es aber auch Mitglieder meiner Fraktion, die diesen Änderungsantrag nicht mittragen werden.
Unabhängig davon, ob es einen Transplantationsbeauftragten gibt oder nicht, müssen Politik, Ärzteschaft, Kliniken und Krankenkassen versuchen, durch sehr behutsame und sensible Aufklärung Vertrauen aufzubauen; denn wir befinden uns hier wirklich in einem ethisch sehr schwierigen und für den einzelnen Betroffenen hochsensiblen Gebiet. Das kann man nicht mit einfachen Lösungen angehen. Es bleibt am Ende eine höchst individuelle Entscheidung, wie man sich hierzu verhält.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es hier ohne Frage mit einem sehr ernsten Thema zu tun. Dennoch will ich darauf hinweisen, dass die Reihenfolge unserer Tagesordnung nicht einer gewissen Komik entbehrt: Wir beschäftigen uns mit Kinderlärm, dann mit Komasaufen und nun mit Organspende.
(Björn Thümler [CDU]: Ein Narr, der Böses dabei denkt! - Norbert Böhlke [CDU]: Das ist kaum noch steige- rungsfähig!)
12 000 Menschen warten auf ein Spenderorgan. 1 000 Menschen sterben jährlich, weil kein Spenderorgan zur Verfügung stand. Sehr viel Information und Aufklärung sind notwendig. Darüber sind wir uns sicher einig. Insofern ist der geänderte Antrag von CDU und FDP an dieser Stelle okay. Er beinhaltet aber nur die halbe Wahrheit. Jedes Thema, das uns zwingt, uns mit den Folgen des eigenen Todes zu beschäftigen, wird für viele Menschen zum Tabuthema, und überall dort geht dann eine auch noch so gut gemeinte Aufklärungskampagne ins Leere. Darüber kann auch das Spiel mit Prozentzahlen nicht hinwegtäuschen.
Die Ministerin weist in ihrer Pressemitteilung vom 5. Juni dieses Jahres darauf hin, dass die Zahl der realisierten Organspenden in Niedersachsen in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 25 % gestiegen ist. Das ist gut. Dahinter verbirgt sich aber tatsächlich eine Steigerung um nur acht Organspenden, nämlich von 31 auf 39. Gerade in Niedersachsen liegen wir seit 2000 teilweise deut
lich unter dem Bundesdurchschnitt. Ich will die Zahlen von 2000 und 2008 einmal ins Verhältnis setzen. In diesem Zeitraum gab es im Bund eine Steigerung um 5,9 %, in Nordrhein-Westfalen um 30,2 % und im Bereich Nord, wozu auch Niedersachsen gehört, um 0,5 %. In der Anhörung hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation - DSO - sehr deutlich auf diese Entwicklung hingewiesen. Sie stellte darüber hinaus fest:
„eine stärkere Einbindung der Krankenhäuser in den Prozess der Organspende, insbesondere die konsequente Umsetzung der Meldepflicht für zwingend.“
Die DSO hält auch die Einführung eines Ausführungsgesetzes in Niedersachsen nach wie vor für zwingend und verweist auf ihre Stellungnahme vom 28. Juni 2006. Herr Kollege Böhlke, dies ist nicht die einzige, aber eine sehr wichtige Institution, die darauf hingewiesen hat, dass ein Ausführungsgesetz absolut hilfreich und notwendig wäre. Ich bin deshalb der Auffassung, dass dann, wenn wir uns an dieser Stelle so positionieren, Ihre Formulierung bezüglich Polemik unangemessen ist.
Tatsächlich - das ist Realität - brachte die CDU/FDP-Koalition damals auf Initiative des heutigen Bundesvorsitzenden des Hartmannbundes, Herrn Dr. Winn, einen Entschließungsantrag hier im Parlament ein, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, ein entsprechendes Ausführungsgesetz vorzulegen. Der Landtag hat sich damals einstimmig der Empfehlung der Koalitionsfraktionen dieses Hauses angeschlossen, und zwar mit dem Zusatz, dass wir bis Ende 2004 ein Gesetz haben möchten, übrigens auf der Basis des bayerischen Vorbildes. Dafür gab es viele Gründe. Bis heute liegt ein solcher Gesetzentwurf nicht vor, obwohl wir ihn mehrfach parlamentarisch eingefordert hatten.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung, deren Mitglieder damals dem Parlamentsbeschluss selber zugestimmt hatten, brachten auf einmal über einen Kabinettsbeschluss verfassungsrechtliche Bedenken vor. Ganz abgesehen davon, dass ich immer noch der Auffassung bin, dass man so etwas vorher prüft und nicht hinterher, hat sich für mich immer die Frage gestellt, warum in vielen anderen Bundesländern Ausführungsgesetze zwi
schenzeitlich eine Selbstverständlichkeit geworden sind; denn diese anderen Bundesländer haben als Basis das gleiche Grundgesetz wie Niedersachsen. Die damalige bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm hielt den niedersächsischen Sinneswandel in einem Brief an Dr. Winn übrigens für nicht nachvollziehbar.
Nach dem Bundesrecht ist es eindeutig Aufgabe der Länder, eine bedarfsgerechte, leistungsfähige Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der Organübertragung zu sichern. So steht es in § 10 des Transplantationsgesetzes. Ebenso können die strukturellen Voraussetzungen für die Bestellung von Transplantationsbeauftragten durch die Länder festgelegt werden.
Meine Damen und Herren, anerkannte Wissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass unsere zuständigen Krankenhäuser viel mehr Organe entnehmen könnten, wenn sie nur wollten, und dass Klinikärzte häufig aus Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit, Unwissenheit oder aber auch aus Scheu vor dem Gespräch mit den Angehörigen diese lebensrettende Chance verstreichen lassen. Es würde schon reichen, wenn sich die Krankenhäuser an die mobilen Teams in unseren Transplantationszentren wenden würden und diese dann vor Ort entsprechend tätig werden könnten.
Deshalb nimmt unser Änderungsantrag die Vorschläge der CDU auf und ergänzt sie um genau diese beiden Punkte: Erstens Schaffung eines niedersächsischen Ausführungsgesetzes und zweitens Bestellung von Transplantationsbeauftragten in den infrage kommenden Krankenhäusern.
Alles andere sind gut gemeinte Versuche, die aber bisher nicht den notwendigen Erfolg gebracht haben und nach allen Erfahrungen auch nicht bringen werden.
Frau Ministerin Özkan, ich meine, auch diese Baustelle sollten Sie noch einmal angehen; denn ich gehe davon aus, dass die Aussagen, die Sie am Tag der Organspende getroffen haben, ehrlich gemeint waren. An dieser Stelle haben Sie die Unterstützung des gesamten Hauses.
Ich will einen letzten Punkt ausdrücklich ansprechen. Er wurde eben bereits thematisiert. Bis vor einigen Jahren war die Zuständigkeit für Organ
transplantation ausschließlich Ländersache. Wir haben damals in Niedersachsen sehr intensiv darum gestritten. Übrigens ist die Initiative, ein Bundesgesetz auf den Weg zu bringen, einmütig aus Niedersachsen auf den Weg gebracht worden. Wir haben schon damals den Streit gehabt, was besser ist: Widerspruchslösung, Zustimmungslösung oder erweiterte Zustimmungslösung. Letztendlich ist es im Bundestag in einer offenen Abstimmung zu dem Ergebnis gekommen, das wir heute kennen. Wenn wir aber bei allen Bemühungen nicht dazu kommen, ausreichend Organtransplantationen in Deutschland durchführen zu können, dann muss dieses Thema erneut diskutiert werden, und es muss geklärt werden, ob es im Bundestag für eine Widerspruchslösung zwischenzeitlich Mehrheiten gibt. Denn in Wahrheit ist es nur so möglich, in dieser Situation Schwerstkranken das Leben zu verbessern und gegebenenfalls ihr Leben zu retten.
Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Böhlke gemeldet. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schwarz, wenn wir die statistischen Zahlen auch der anderen Bundesländer vergleichen, dann möchte ich erstens noch einmal daran erinnern, dass wir auch Nachbarn wie Hamburg oder die Hansestadt Bremen haben, die auch in der Statistik dabei sind. Teilweise werden Bewohner Niedersachsens in den Universitätskrankenhäusern der beiden Hansestädte statistisch erfasst. Ohne es beweisen zu können, gehe ich davon aus, dass die Situation streng genommen noch etwas besser für Niedersachsen aussieht.
Zweitens möchte ich deutlich machen, dass Sie in Ihrem Beschluss sehr wohl davon sprechen, dass die Landesregierung die Beschlussfassung nicht länger ignorieren möge, die wir im Jahre 2004 getroffen haben. Hier muss man deutlich sagen: Es gibt keine Ignoranz seitens der Landesregierung, denn wir haben schriftlich, ausführlich und umfassend über drei Seiten hinweg eine Stellungnahme der Landesregierung erhalten, die Folgendes deutlich macht: