Protokoll der Sitzung vom 17.08.2010

Ganz besonders pikant wird das Ganze auch deswegen, weil über den Verbleib des Nachrückers im Parlament indirekt ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin entscheiden würde.

Entlässt er oder sie einen Minister, muss zugleich der Nachrücker gehen. Meine Fraktion und ich halten es für bedenklich, wenn ein Mitglied der

Exekutive - nämlich Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin - über eine Mitgliedschaft im Parlament indirekt mitentscheidet.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Der nachgerückte Parlamentarier ist dies somit nur auf Widerruf. Eine wirksame Kontrolle der Exekutive kann von ihm nicht erwartet werden.

Daraus folgt: Wer sollte sich eigentlich für solche Positionen als Platzhalter zur Verfügung stellen wollen? - Eine sinnvolle Berufsperspektive und Lebensplanung sind nicht mehr möglich. Zudem würde ein Minister wohl sehr engen Kontakt zu seinem Nachrücker halten und ihn kontrollieren wollen; denn er vertritt ja den Wahlkreis, den er eventuell einmal direkt gewonnen hat, und sicherlich möchte er Einfluss darauf haben, was in seinem Wahlkreis passiert. Somit würden auch die potenziellen Nachrücker auf den hinteren Listenplätzen von denen, die vorne in der Liste stehen, speziell ausgesucht werden. Auch das kann eigentlich nicht gewollt sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Somit hätten wir Abgeordnete erster und zweiter Klasse. Das wollen wir nicht.

Ich möchte zum Abschluss den Parlamentarischen Geschäftsführer Ihrer Bundestagsfraktion, Volker Beck, zitieren. Er hat gegenüber der Berliner Zeitung geäußert: „Gegenwärtig haben wir andere Sorgen.“

Wir schließen uns Volker Beck an. Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil es in Niedersachen andere Sorgen gibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Politze, ich bin Ihnen für die Möglichkeit zur Kurzintervention sehr dankbar, weil sie mir Gelegenheit gibt, auf

einige Aspekte einzugehen, auf die ich vorhin aus Zeitmangel nicht mehr eingehen konnte.

(Hans-Dieter Haase [SPD] und Chris- tian Dürr [FDP]: Du hast die Kurzin- tervention! Er hat geredet!)

- Ja, eben!

Die Zeit ist kurz. Sie müssen sich schon ein bisschen beeilen.

Ja. - Zunächst einmal haben Sie sich große Sorgen um die Position des nachrückenden Abgeordneten gemacht, welche Auswirkungen sein Nachrücken auf die Zusammensetzung des Parlaments in Bezug auf die Wahl, auf die Liste und auf die Parlamentsarbeit hätte.

Sich das anzuschauen, ist doch gar nicht so schwer. Schauen Sie nach Bremen. Das ist übrigens ein Bundesland, in dem Sie seit dem Zweiten Weltkrieg immer regiert haben und immer den Bürgermeister gestellt haben. Schauen Sie nach Hamburg, wo Sie auch lange Jahre regiert haben. Schauen Sie, wie in beiden Länder Parlament und Regierung funktionieren. Sie werden sehen: Das funktioniert sehr gut. Das führt nicht zu den von Ihnen beschriebenen Sorgen, dass der Nachrücker quasi nur ein Abgeordneter zweiter Klasse ist. Es gab diese Fälle in der Praxis, aber nicht die großen Probleme, von denen Sie gesprochen haben.

Der zweite Aspekt: Sie haben die Zusammensetzung des Parlaments durch Wahlen angesprochen. Natürlich haben Sie recht: Das Nachrücken verzerrt immer ein bisschen das unmittelbare Wahlergebnis. Aber was haben wir denn in dieser Legislaturperiode erlebt? - Herr Dr. Althusmann ist aus dem Parlament ausgeschieden und Staatssekretär geworden, Frau Heister-Neumann ist nachgerückt.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Brandes und andere sind aus dem Parlament ausgeschieden, und es sind andere nachgerückt. Bei der FDP-Fraktion ist alle zwei Wochen jemand ausgeschieden und wieder nachgerückt.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Jens Nacke [CDU]: Da ist was los! - Christian Dürr [FDP]: Nur die Grünen will keiner haben!)

Das ist völlig selbstverständlich. Daran haben wir uns gewöhnt. Warum soll das jetzt auf einmal problematisch sein?

Ein letzter Aspekt: Es schmeichelt uns, wenn Sie unsere Parteivorsitzenden quasi mit Ministern gleichsetzen. Aber da, Herr Kollege, vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Politze das Wort zur Erwiderung gebe, wollte ich dem Abgeordneten Schünemann mitteilen, dass während einer Kurzintervention keine Zwischenfragen zugelassen werden können.

(Uwe Schünemann [CDU]: Jetzt wolle ich einmal meine Abgeordnetenrechte wahrnehmen!)

Herr Politze, Sie wollten erwidern. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Limburg, es ehrt Sie sehr, dass Sie an dieser Stelle Ihren Gesetzentwurf retten wollten, aber ich weise noch einmal darauf hin, dass Hamburg und Bremen über Teilzeitparlamente verfügen, deren Abgeordnete auch ihrem eigentlichen Beruf nachgehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Darauf hatte ich auch während meiner Rede hingewiesen. Niemand wird einen Beruf für ein so unsicheres Mandat aufgeben wollen. Das ist nun einmal in der Tat so.

Wir haben nicht Äpfel und Birnen miteinander verglichen, sondern nur dargelegt, dass Sie in Ihrer Parteisatzung etwas anderes geregelt haben und in den Länderparlamenten etwas anderes machen, als wir es hier in Niedersachsen und in allen anderen Bundesländern geregelt haben und als Sie es fordern. Nur darauf wollte ich hinweisen. Sie werden keine geeigneten Parlamentarier finden, die sich auf diesen Schleudersitz begeben wollen!

(Zustimmung bei der SPD)

Die natürliche Rotation in einem Parlament, wie sie derzeit üblich ist, ist etwas völlig anderes; denn derjenige, der nachrückt, bleibt dem Parlament erhalten und muss nicht wieder raus, weil ein Mi

nister entweder vom Ministerpräsidenten entlassen wird oder eine andere berufliche Perspektive in diesem Land findet. Von daher gibt es da eine kleine Verzerrung in Ihrer Darstellung.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion erteile ich nun Frau Ross-Luttmann das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Ihrem Gesetzentwurf möchten Sie erreichen, dass Mitglieder der Landesregierung nicht mehr zeitgleich ihr Mandat als Landtagsabgeordnete wahrnehmen dürfen. Stattdessen soll für die Dauer der Ausübung des Regierungsamtes das Landtagsmandat ruhen und ein Nachrücker über die Liste der jeweiligen Partei zum Zuge kommen.

Im Wesentlichen berufen Sie sich hierfür auf die Verfassungen der beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen, die die Trennung von Mandat und Regierungsamt vorsehen, ohne dass Sie aber die Historie und die Besonderheiten der Parlamente dieser Stadtstaaten berücksichtigt haben.

Ihre Überlegungen zur Vermeidung von Ämtervereinigungen werden nicht zum ersten Mal in parlamentarischen Debatten von Ihnen aufgeworfen oder unter Verfassungsrechtlern diskutiert. Grundsätzlich, denke ich, dürften beide Varianten - die Vereinbarkeit wie die Unvereinbarkeit von Amt und Abgeordnetentätigkeit - verfassungskonform sein.

Für beide Standpunkte gibt es gute Argumente. Für Ihre Position spricht zum einen sicherlich die Gewaltenteilung, nämlich Legislative - Parlament - und Exekutive - Regierung - strikt voneinander zu trennen. Schließlich schreiben unser Grundgesetz und die Landesverfassung die Gewaltenteilung fest.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Zum anderen dürfte auch die Tatsache, dass jeder Minister oder jede Ministerin als Teil des Kollegialorgans Kabinett der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten unterliegt, in Einzelfällen durchaus ein Spannungsverhältnis des Ministers zur Ausübung seines Mandates zur Folge haben.

Aber auch für die Beibehaltung des jetzigen Systems gibt es gewichtige Gründe. Weil es heute um die erste Beratung geht, möchte ich hier im Wesentlichen drei Punkte aufgreifen.

Erstens. Schon 1977 hat der Hessische Staatsgerichtshof ausgeführt, dass der Sinn des Gewaltenteilungsprinzips - hierauf kommt es ja an - nicht die scharfe Trennung der Funktion der Staatsgewalt, sondern ihre Begrenzung und gegenseitige Kontrolle ist. Gewisse Grenzüberschreitungen seien rechtlich zulässig, solange nicht eine Gewalt gestaltend in die andere hineingreift. Die gleichzeitige Ausübung von Mandat und Regierungsamt ermögliche den Mehrheitsfraktionen aber nach wie vor besondere Einflussnahme, Kontrolle und Kritik der Regierung.

Zweitens. Bisher waren die Regierungsmitglieder in Niedersachsen regelmäßig mehrheitlich auch Landtagsabgeordnete. Es handelt sich erkennbar um historisch gewachsenes Verfassungsgewohnheitsrecht, das seinen Ursprung in der Weimarer Zeit hat und Element der modernen parlamentarischen Demokratie westeuropäischer Prägung ist. Unser Parlamentssystem setzt gewohnheitsrechtlich die Ämtervereinigung als Selbstverständlichkeit voraus. Das hat sich bewährt, und, sehr geehrter Herr Limburg, es funktioniert auch.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Drittens. Die Ämtervereinigung steigert die Intensität der Verantwortlichkeit gegenüber den Mehrheitsfraktionen. Sie stärkt den Kontakt zwischen den Regierungsmitgliedern und den sie tragenden Mehrheitsfraktionen.