Protokoll der Sitzung vom 17.08.2010

Einige Kommunen machen sich schon auf den Weg; ich verweise gerne auf die Resolution der Regionsversammlung Hannover vom 22. Juni dieses Jahres an die Niedersächsische Landesregierung und den Landtag zur Einführung der inklusiven Schule. Kommunen beginnen mit Veränderungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Inklusion erfordert große Veränderungen in allen Bereichen, das beginnt mit räumlichen Voraussetzungen. Große Veränderungen - und das relativ kurzfristig - muss es bei der Lehrerausbildung geben. Es reicht nicht, Förderschullehrkräfte auf die allgemeinen Schulen zu verteilen, alle Lehrerinnen und Lehrer müssen für die neuen Aufgaben qualifiziert werden. Die frühkindliche Bildung muss in das Umgestaltungskonzept einbezogen werden, um frühzeitige Diagnosen stellen zu können. Klassen- und Gruppengrößen müssen gesenkt werden, Didaktik und Methodik müssen sich ändern. All das wird Land und Kommunen Geld kosten.

(Glocke der Präsidentin)

Eine erfolgreiche Veränderung hin zu einem inklusiven Schulsystem können wir uns nur vorstellen, wenn alle beteiligten Gruppen - Eltern, Lehrkräfte, Schulen, Jugendhilfe, Sozialpädagogen, Psychologen, Therapeuten und Behörden - organisiert und in Teams zusammenarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne einen grundlegenden gesellschaftlichen Sinneswandel wird eine solche Reform trotzdem scheitern. Unsere Gesellschaft muss bereit werden, Menschen mit Behinderungen als einen Teil zu akzeptieren, auch in unserem Bildungssystem. Ein grundlegend anderes Verständnis von Lernen und pädagogischer Systematik ist notwendig.

(Glocke der Präsidentin)

Die Erfahrungen aus Südtirol machen mich sehr optimistisch, dass ein solcher Sinneswandel auch bei uns möglich ist, je mehr Kinder mit Förderbedarf unsere allgemeinbildenden Schulen besuchen.

Bitte kommen Sie zum Schluss!

Allerdings sollten wir dann auch darüber diskutieren, wo dabei die Grenzen innerhalb eines gegliederten Schulsystems liegen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und wünsche mir, dass wir dort schnell vorankommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Reichwaldt. - Für die CDU-Fraktion Frau Meyer zu Strohen, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niedersachsen steht als Flächenland bei der Umsetzung der Inklusion vor einer ganz besonderen Herausforderung; das muss ich einmal sagen, weil immer nur Bremen und Hamburg erwähnt werden. Die unterschiedlichen Formen der Behinderung und auch die oftmals erheblichen Distanzen zwischen Wohn- und Schulort der Kinder sind dabei zu berücksichtigen.

Unsere Aufgabe ist es nun, für jedes Kind eine passende Lösung zu finden. Ich sage deutlich: Die Gründlichkeit bei der maßgerechten Anpassung unseres Schulsystems geht hier vor Umsetzungsgeschwindigkeit; denn vorschnelle Entscheidungen und Veränderungen gefährden sicherlich das Wohl der Kinder.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren, im Gegensatz zu den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bin ich davon überzeugt, dass Niedersachsen auf dem Gebiet der sonderpädagogischen Förderung schon eine Spitzenposition hat. Bereits seit Jahren weiten wir die sonderpädagogische Förderung an den allgemeinbildenden Schulen kontinuierlich aus, so auch in diesem Schuljahr. Die Zahlen liegen Ihnen vor. 400 Schulen haben sich dem RIK inzwischen angeschlossen.

Wir fördern und stärken die mobilen Dienste mit dem Schwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ in ihrer Aufgabe als Berater und Unterstützer. An unseren Förderschulen wird weit mehr als Wissensvermittlung geleistet. Dort werden die Eltern beraten, die Schüler werden von den mobilen Diensten in der Regelschule begleitet oder nach dem Wechsel von der Förderschule in eine Regelschule unterstützt. Auch ist Ihnen vielleicht entgangen, dass wir inzwischen eine recht hohe Rückschulquote haben. Pädagogische Fachkräfte begleiten die Schüler und befähigen sie, ihr Leben später in die eigenen Hände zu nehmen und Eigenständigkeit in einem Beruf zu erlangen. Das ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und aktive Teilhabe am Gesellschaftsleben.

Wir alle - wohlgemerkt: wir alle - wollen den Wandel unseres Schulsystems zur Inklusion. Es ist eine Selbstverständlichkeit - das wurde vorhin schon erwähnt -, dass mit den Schulträgern und den Schulleitern, den kommunalen Spitzenverbänden und den Kommunen dazu Gespräche zu führen sind.

(Zustimmung von Dr. Karl-Ludwig von Danwitz [CDU])

Denn es sind finanzielle Mittel bereitzustellen, und es ist ein Handlungsplan zur Weiterentwicklung unserer Förderschulen zu - sage ich mal - Förderzentren - manche sprechen auch von Kompetenzzentren - zu erarbeiten. Natürlich ist auch ein Netzwerk zwischen den Förderschulen und den allgemeinbildenden Schulen zu erarbeiten.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die CDU-Fraktion orientiert sich bei ihrem Handlungsplan an folgenden Schwerpunkten: Die personellen Voraussetzungen für einen inklusiven Unterricht sind durch eine gezielte Aus- und Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte zu schaffen. Integrationspädagogik ist als Pflichtmodul in die Ausbildung von Pädagogen und in den Erziehungsberufen aufzunehmen. An unseren Schulen muss über entsprechende bauliche Maßnahmen nachgedacht

werden, und die Unterrichtsmedien sind mit den Bedürfnissen unserer behinderten Schüler abzustimmen. Wir wollen es den Eltern von Kindern mit Behinderungen künftig ermöglichen, zu wählen, ob ihr Kind eine Förderschule oder eine allgemeinbildende Schule besuchen soll.

Wir dürfen aber bei all diesen Veränderungen im Schulsystem auch nicht die Förderung der Hochbegabten und der Kinder mit Migrationshintergrund aus den Augen verlieren.

(Glocke der Präsidentin)

Ich will noch kurz darauf hinweisen - meine Redezeit ist gleich vorbei -, dass viele Planungen schon Realität geworden und umgesetzt worden sind.

Letzte Woche Freitag hat das Kultusministerium im Kultusausschuss Stellung dazu genommen, welche Maßnahmen schon umgesetzt worden sind. Zum Beispiel gibt es seit dem 1. August dieses Jahres ein Seminar mit der Fachrichtung „Hören“ als Ausbildungsschwerpunkt - ein Seminar mit der Fachrichtung „Sehen“ wird folgen. Ein weiteres Ziel wird die Stärkung und Ausweitung der Kompetenzen der Förderschulkräfte im Bereich der Förderung der Schülerinnen und Schüler sowie die Nutzung dieser Spezialisierung in allen Schulformen sein. Vorhin wurde hier ein Aktionsplan angesprochen. Auch dieser ist in Vorbereitung. Das alles haben Sie schon gehört.

Das heißt, in Niedersachsen ist schon in erheblichem Umfang Vorarbeit geleistet worden. In Niedersachsen liegen der sonderpädagogischen Förderung die Prinzipien Pluralität der Förderorte und Vielfalt der Organisationsformen der sonderpädagogischen Förderung zugrunde - kurz: das RIK. Dieses Konzept ist an vielen Schulorten bereits Realität und erfreut sich großer Akzeptanz bei allen Beteiligten. Das sind die Grundlagen, auf denen wir die in der Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Rechte der Menschen mit Behinderungen in unserem Lande umsetzen.

(Zustimmung bei der CDU - Glocke der Präsidentin)

Sehr geehrte Damen und Herren, auf dem Weg unseres Bildungssystems hin zu einem System der inklusiven Bildung steht für unsere Fraktion immer das Wohl der Kinder im Vordergrund. Der Wandel unseres Schulsystems zu einem System der inklusiven Bildung erfordert daher professionelles Handeln. Eine einfache Änderung bestehender Sätze, wie es vorhin vor allem von den Grünen wieder dargestellt wurde, führt sicherlich nicht zum Ziel.

Einen letzten Satz, Frau Meyer zu Strohen!

Selbstverständlich muss dieser Wandel auch in den Köpfen der Menschen stattfinden.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass die Forderungen und Erwartungen der SPD gar nicht so weit von denen der CDU entfernt liegen. Ich denke, dass wir im Ausschuss einvernehmlich darüber diskutieren werden. Vielleicht können wir uns ja auf eine gemeinsame Beschlussempfehlung verständigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Meyer zu Strohen. - Mir liegen zwei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen auf Ihren Redebeitrag vor. Zunächst hat Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für anderthalb Minuten das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Meyer zu Strohen, Sie haben sehr viel vom Wohl der Kinder und davon, dass Sie Niedersachsen an der Spitze sehen, gesprochen.

Ich möchte Ihnen dazu ein paar Fälle schildern, die an uns herangetragen wurden:

Da findet eine Mutter aus dem Landkreis Oldenburg-Land in der Gemeinde Wardenburg lange keinen Hortplatz für ihren sechsjährigen Sohn mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf „Lernhilfe“, weil es dort keinen Hort gebe, der dafür ausgelegt sei.

Eine andere Mutter erhält an der Grundschule L. - ich will sie nicht näher bezeichnen - keinen Platz für ihren siebenjährigen Sohn mit Down-Syndrom. Er soll in eine Schule 20 km weiter weg gehen, die ihn aufnehmen will.

Eltern aus Dörverden dürfen ihren siebenjährigen Sohn nicht an eine allgemeinbildende Grundschule schicken - Anträge und Anfragen werden von der Landeschulbehörde nicht beantwortet. Eltern einer zwölfjährigen Tochter aus Hildesheim, die das Morbus-Syndrom hat, stoßen trotz termingerechter Anträge bei der Gesamtkonferenz auf Ablehnung.

Ein Vater aus Uelzen, dessen Sohn im Rollstuhl sitzt, wendet sich an uns, weil sein Sohn zunächst keinen Platz an einer berufsbildenden Schule bekommt, da dort kein Fahrstuhl vorhanden sei. Nach Interventionen ist das Problem inzwischen gelöst und ein Fahrstuhl an der Schule eingebaut.

Eltern aus Edemissen können ihre siebenjährige stark körperbehinderte Tochter erst nach massiver Intervention bei den Behörden in eine örtliche Grundschule schicken.

(Glocke der Präsidentin)

Ich könnte die Aufzählung solcher Fälle noch weiter fortsetzen, ich habe inzwischen eine ganze Reihe von solchen Fällen gesammelt, die ganz klar der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen widersprechen. So etwas darf es bei uns einfach nicht mehr geben. Ich bin nicht damit einverstanden, dass wir noch 20 Monate warten - - -

(Die Präsidentin schaltet der Rednerin das Mikrofon ab - Beifall bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Jens Na- cke [CDU]: Vielleicht sollten Sie die nicht in Ihrem Schreibtisch sammeln!)

Frau Kollegin Heiligenstadt, auch Sie haben anderthalb Minuten für eine Kurzintervention.

Meine Damen und Herren, zu dem Beitrag von Frau Meyer zu Strohen möchte ich - in Ergänzung zu der Benennung der Einzelfälle durch Frau Korter, die es in Fülle gibt - nur sagen: Das macht doch deutlich, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen! Es reicht nicht, zu sagen: Wir sind gut, und wir gehen diesen Weg weiter, weil wir so gut sind. - Das reicht nicht! Wir müssen versuchen, die inklusive Beschulung umzusetzen. Jedes Kind, egal, ob es behindert ist oder nicht, egal, ob es hochbegabt ist oder nicht, egal, ob es einen Migrationshintergrund hat oder nicht, und egal, welcher ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit es ist, hat einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer allgemeinbildenden Schule zu haben. Wir müssen die notwendigen Ressourcen dafür sicherstellen.

Frau Meyer zu Strohen, ich interpretiere Ihre Aussagen einmal wohlwollend - und ich hoffe auch, dass uns in den Ausschussberatungen eine ein

vernehmliche Diskussion gelingt -: Wenn die CDU diesen Rechtsanspruch gesetzlich durchsetzen wird, dann wird sie uns an ihrer Seite haben. Aber nur wenn Sie auch die notwendigen finanziellen Ressourcen im Rahmen eines Aktionsplanes dafür bereitstellen, werden wir auch weiterhin positiv über Inklusion diskutieren können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)